Foto: Flyer der Universität Marburg zur Marphili Simulation

Wie mit einem simulierten Virusausbruch Wissenschaft und Unsicherheiten kommuniziert werden

Der Forschung an hochpathogenen Viren und Bakterien stehen viele offenen Fragen und Ängste der Bevölkerung gegenüber. Stefan Becker und sein Team von Virologen an der Universität Marburg wollen mit einer aktiven und praxisnahen Kommunikation dagegen angehen.

Herr Becker, Sie haben an der Uni Marburg ein Projekt für Schülerinnen und Schüler gestartet, bei dem Sie einen Virusausbruch simulieren. Wie sind Sie auf diese Idee gekommen?

Im Jahr 2008 stand der Bau eines Hochsicherheitslabors in Marburg an. Diese sogenannten BSL-4 Labore dienen der Erforschung von hochpathogenen Viren. Schon in der Planungsphase haben wir gemerkt, dass es wichtig ist, diese Thematik der Bevölkerung möglichst nahezubringen.

Stephan Becker ist Direktor des Instituts für Virologie an der Universität Marburg. Als Teil der Kommunikation zum Sonderforschungsbereich 1021, führen er und sein Team mit Zwölftklässlern die „Marphili Simulation“ durch – das Ausbruchsszenario eines tödlichen Virus. Foto: Universität Marburg

Das hat auch historische Gründe. Der erste Ausbruch eines tropischen Erregers in Deutschland fand 1967 hier in Marburg statt. Der Erreger ist heute als Marburg-Virus bekannt.

Außerdem haben wir seit 2013 einen Sonderforschungsbereich, in dessen Rahmen wir kommunizieren wollen und müssen. Wir wollen transparent sein und erklären, warum und woran wir forschen. Dabei wollen wir auch die Risiken, die damit verbunden sind, kommunizieren. In diesem Zusammenhang kam die Idee auf, etwas für Schülerinnen und Schüler anzubieten.

Warum ist es wichtig, dass die Bevölkerung versteht, was in dem Labor passiert?

Wenn irgendetwas in der Nachbarschaft gebaut wird, von dem niemand so genau weiß, was da passiert und wo das Risiko liegt, verursacht das ein ungutes Gefühl. Man kann ein BSL4 Labor nur betreiben, wenn die Stadt wirklich hinter einem steht. Sobald es massive Kritik oder Widerstand gibt, wäre es fast unmöglich. Deswegen ist es uns so wichtig, unsere Forschung, mögliche Gefahren und was man gegen diese tun kann, zu erklären. Wir sind sehr dankbar, dass wir sowohl von der Stadtregierung als auch von der Universität und der Bevölkerung unterstützt werden.

Was wollen Sie mit Ihrer Kommunikation erreichen?

Zum einen kommunizieren wir, um die Bevölkerung auf unserer Seite zu haben. Zum anderen möchten wir aber auch ganz allgemein Wissen zum Thema Infektionen vermitteln. Also, wo steckt man sich mit Viren oder Bakterien an und wie ist der Übertragungsweg? Wie kann man eine Infektion behandeln und wie kann man sich im Alltag davor schützen? Wir müssen uns in unserer heutigen zusammengewachsenen Welt bewusst sein, dass es Krankheitserreger gibt, die eigentlich in den Tropen vorkommen, uns aber potenziell auch bedrohen können.

Und dann wollen wir natürlich auch Werbung für unser Fach machen und Schülerinnen und Schüler für ein Studium der Biologie oder Medizin begeistern.

Wie läuft die Simulation ab und welche Rolle haben die Schülerinnen und Schüler in diesem Szenario?

Es geht schon drei Monate vor der eigentlichen praktischen Übung los. Die Zwölftklässler bekommen nach und nach Informationen zum Szenario zugeschickt. Sie erfahren, dass es einen Ausbruch irgendwo in Südostasien gegeben hat, von einem Erreger und einer Krankheit, an der Menschen sterben. Und dann breitet sich diese Erkrankung immer weiter aus und droht auch nach Europa zu kommen. Zu dem Zeitpunkt, an dem die Schülerinnen und Schüler zu uns kommen, landen in unserer Simulation die ersten Erkrankten aus Südostasien in Frankfurt. Während es in der realen Welt in Frankfurt eine Station für Patienten mit hochpathogenen Viren gibt, ist das in unserer Simulation nicht der Fall. Stattdessen kommt die fiktive erkrankte Familie mit Vater, Mutter und Kindern mit unterschiedlichen Symptomen direkt nach Marburg an das Universitätsklinikum.

Die Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer schlüpfen nun für ein paar Tage in die Rolle von Forschenden, die herausfinden müssen, wer wirklich erkrankt ist und wie die Symptome aussehen. Dazu gibt es Begleitseminare und natürlich viele praktische Übungen zur Diagnostik der Erkrankung.

Das Marphili-Virus, mit dem Sie arbeiten, ist ja fiktiv. Was untersuchen die Schülerinnen und Schüler in echt und was lernen sie daraus?

Das Virus ist fiktiv und die Proben sind natürlich keine echten Patientenproben. Wir haben das Virus in unserer Simulation so genannt, weil es in Marburg entdeckt worden ist, aber eigentlich von den Philippinen stammt. Außerdem war die erste Schule, mit der wir das gemacht haben, das Philippinum in Marburg.

Die Schülerinnen und Schüler können Zellen, die wir zuvor mit einem Virus infiziert haben, mit klassischen Labormethoden analysieren. Sie lernen, dass Infektionen bei verschiedenen Patienten unterschiedliche Symptome hervorrufen können. 

Wenn im echten Leben ein unbekanntes Virus auftritt und man noch nicht weiß, wie man es inaktivieren kann, ist das ein Problem. Daher ist es eine weitere Aufgabe herauszufinden, was antiviral wirken könnte. Dann kommt Cola oder Essig zum Einsatz und es wird ausprobiert, ob das die Viren abtötet. Das ist von immenser Bedeutung während eines Ausbruchs, um z.B. das Pflegepersonal zu schützen.

Warum haben Sie die Simulation eines Virusausbruchs als Format gewählt, um diese Ziele zu erreichen?

Es ist eine total spannende Erfahrung, wenn man versteht, wie die Mechanismen während eines Ausbruchs ablaufen. Man lernt etwas über Viren, über Infektionen und wie man damit umgeht. Auch die Angst, die bei einem Ausbruch entsteht, ist ein Thema. Wenn es um tropische Viren geht, begreift man, welchen Einfluss Reiseströme in unserer globalisierten Welt haben. Dadurch erfährt man auch, wie Länder, in denen solche Infektionen auftreten, gestrickt sind, wie die Struktur dort ist und woran es fehlt. Dies hat alles einen Einfluss auf die Ausbreitung solcher Viren.

Darüber hinaus lernen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch etwas über Presse und über sich selbst. Ein wesentlicher Teil dieser Übung ist nämlich, den Schülerinnen und Schülern zu erklären, wie Öffentlichkeitsarbeit funktioniert. Dazu führt die Pressestelle der Universität einen Workshop durch. Am Ende der Simulation gibt es dann eine echte Pressekonferenz, bei der wir Vertreterinnen und Vertreter der lokalen Zeitung einladen. Wenn die Schülerinnen und Schüler genau wissen, dass am Ende die Presse kommt und sie befragt, ist das gleich noch mal eine andere Motivation mitzumachen. Die Journalistinnen und Journalisten fragen durchaus auch kritisch nach.

Erreichen Sie mit diesem Projekt auch Ihre geplanten Kommunikationsziele?

In einer Begleituntersuchung haben wir mithilfe der Psychologen der Philipps-Universität versucht, den Lernerfolg zu evaluieren. Wir haben Gruppen von Schülerinnen und Schülern verglichen, die zwar aus derselben Klasse stammen, bei denen aber nur eine Hälfte an unserer Simulation teilgenommen hat. In bestimmten Punkten schien es tatsächlich einen, wenn auch nur kurzfristigen, positiven Lerneffekt zu geben. Dieser war allerdings nach ein paar Monaten nicht mehr deutlich sichtbar.

Ich habe nicht die Illusion, dass wir wesentlich zur Aufklärung der Bevölkerung beitragen können. Aber ich glaube, dass die Multiplikatorenfunktion der Schülerinnen und Schüler wichtig ist. Sie erzählen begeistert Zuhause von ihren Erfahrungen. Wir halten sie auch dazu an, auf der Homepage der Schule etwas zu veröffentlichen und darüber zu berichten, wie es war. In den vergangenen Jahren ist das eigentlich immer gut gelaufen.

Meistens sind die Teilnehmenden, die in den Ferien zu uns kommen, vom Leistungskurs Biologie. Da haben wir natürlich schon eine gewisse Auswahl von Schülerinnen und Schülern, die wirklich interessiert sind. Der nächste Punkt wäre, auch die zu motivieren, die momentan nicht so begeistert sind.

In Zukunft wollen wir noch einen Schritt weiter gehen. Daher haben wir das Projekt inzwischen auch zu einem Fachmodul für den Bachelor der Humanbiologen weiterentwickelt. So haben wir mehr Zeit, das Niveau ist höher, die Techniken sind ausgefeilter. Die Studierenden haben natürlich auch einen ganz anderen Hintergrund.