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„Es verändert sich weniger die Impfbereitschaft, als die Medienpräsenz des Themas“

Nah am Menschen, gesellschaftlich relevant und stark polarisierend – Impfen gilt als eines der schwierigen Themen der Wissenschaftskommunikation. Julia Neufeind vom Robert-Koch-Institut erklärt im Interview, wie sich die Debatte verändert und was das Internet damit zu tun hat.

Frau Neufeind, was ist das Besondere an der Kommunikation zum Thema Impfen?

Impfen ist ein Thema, das fast alle Menschen betrifft. Das unterscheidet es von vielen anderen Forschungsfeldern, die eher für einen kleineren Personenkreis interessant sind. Außerdem geht es beim Impfen oft um Kinder, genauer gesagt um gesunde Kinder und deren Sicherheit. Das führt dazu, dass das Thema schnell emotionalisiert, weil Eltern ihre Kinder natürlich schützen möchten und eine große Verantwortung auf ihnen lastet. Die Impfentscheidung kommt auf alle Eltern irgendwann zu und so bleibt das Thema immer präsent. Gleichzeitig ist Impfen aber nicht nur eine individuelle Entscheidung, sondern beeinflusst auch die Gesundheit der ganzen Bevölkerung.

Was bedeutet das für die Botschaften des Robert-Koch-Instituts?

Julia Neufeind ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Impfprävention am Robert Koch-Institut in Berlin. Sie ist Ärztin und arbeitet zu Impfakzeptanz/Impfkommunikation. Foto: privat
Julia Neufeind ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Impfprävention am Robert Koch-Institut in Berlin. Sie ist Ärztin und arbeitet zu Impfakzeptanz/Impfkommunikation. Foto: privat

Bei Impfempfehlungen behalten wir immer auch die Gesellschaft im Blick. Etwa wenn es darum geht, ein gesellschaftliches Ziel zu erreichen, wie die Eliminierung der Masern. Da ist es wichtig, immer wieder die sogenannte Herdenimmunität mit zu vermitteln: Es sollten möglichst viele Menschen geimpft werden, um auch Personen zu schützen, die keine Impfung bekommen können – aus gesundheitlichen Gründen oder weil sie noch zu jung sind. In der Kommunikation ist dieser Gemeinschaftsschutz ein mächtiges Instrument: Man macht es nicht mehr nur für sich, sondern auch für andere.

Welche Formate nutzen Sie, um diese Aspekte zu vermitteln?

Wir richten uns in erster Linie an ein fachliches Publikum wie die niedergelassene Ärzteschaft oder anderes medizinisches Personal. Das ist unsere Mandatsaufgabe. Die aktuelle Forschung fließt in die Entscheidungen der Ständigen Impfkommission ein, deren Geschäftsstelle bei uns am Robert-Koch-Institut angesiedelt ist, und diese Entscheidungen geben wir weiter.

„Die Debatten und die Skepsis gegenüber dem Impfen sind historisch. Es gibt sie schon, seit die Pockenimpfung Ende des 18. Jahrhunderts eingeführt wurde.“ Julia Neufeind
Die direkte Kommunikation mit der Bevölkerung übernimmt die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA), die in diesem Bereich Kampagnen macht und Informationsmaterial bereitstellt. Hier besteht jedoch eine enge Zusammenarbeit zwischen der BZgA und uns. Wir haben natürlich auch einen Internetauftritt mit vielen verschiedenen Informationen zum Thema Impfen. So stellen wir zum Beispiel Ärzteratgeber zur Verfügung, stellen Begründungen bereit für unsere Impfempfehlungen, haben eine App, einen Impfkalender, antworten auf Einwände gegen das Impfen und planen gerade neue Faktenblätter, auf denen wir übersichtlich Informationen zu jeder Impfung bereitstellen wollen. All das sind Mittel, die wir der Fachöffentlichkeit zur eigenen Aufklärung aber auch für ihre Gespräche über das Impfen zur Verfügung stellen.

Impfmüdigkeit und Skepsis werden immer wieder problematisiert. Wie entwickelt sich die gesellschaftliche Einstellung zum Thema Impfen gerade?

Die Debatten und die Skepsis gegenüber dem Impfen sind historisch. Es gibt sie schon, seit die Pockenimpfung Ende des 18. Jahrhunderts eingeführt wurde. Wir sprechen hier von der Pyramide: Nur wenige Menschen sind explizit gegen das Impfen – einige Prozent. Etwa 30 Prozent sind zögerlich, skeptisch oder haben Fragen und der Rest steht dem Impfen positiv gegenüber.1 Trotzdem gibt es in der wissenschaftlichen Community und auch in der Gesellschaft die Annahme, dass das Vertrauen in Impfungen schwindet. Das ist umstritten.2

„Es gibt in der wissenschaftlichen Community und auch in der Gesellschaft die Annahme, dass das Vertrauen in Impfungen schwindet. Das ist umstritten.“ Julia Neufeind
Eine Erhebung der BZgA hat ergeben, dass die Zustimmung zum Impfen konstant bleibt oder sogar leicht zunimmt. Eine EU-Studie zum Vertrauen in die Sicherheit von Impfungen bestätigt ebenfalls, dass sich hier in der jüngeren Vergangenheit keine Veränderungen abzeichnen. Wenn man außerdem die Verhaltensebene betrachtet – also wie viele Menschen tatsächlich geimpft sind – ist hier ebenfalls kein wesentlicher Rückgang zu verzeichnen. Impflücken bestehen aber dennoch bei bestimmten Impfungen und in bestimmten Altersgruppen. Es verändert sich also weniger die Impfbereitschaft an sich, sondern vielmehr die Medienpräsenz des Themas Impfen und die Art und Weise, wie die Menschen Informationen konsumieren.

Inwiefern?

Wir sehen zwar nach wie vor, dass die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte ganz wichtig für die Impfentscheidung der Bevölkerung sind. Hier muss Vertrauen erhalten werden. Medizinisches Personal sollte daher möglichst gut ausgebildet und über das Thema informiert sein. Aber wir sehen den Wandel, dass Patientinnen und Patienten durch das Internet in sehr viel größerem Maß Zugang zu Gesundheitsinformationen haben. Damit einher geht auch das Gefühl, selbst informiert sein und entscheiden zu müssen. Ein zweiter Aspekt ist, dass der Austausch über Gesundheitsfragen viel schneller, einfacher und internationaler geworden ist, wie eine Studie von Cornelia Betsch und anderen Forschenden zeigt. So finden auch individuelle Erfahrungen und Geschichten viel schneller Verbreitung etwa in sozialen Netzwerken und in Foren.

Das Problem ist, dass das Netz hier erst mal keine Klassifizierung der Informationen vornimmt zwischen vertrauensvollen und nicht vertrauensvollen Quellen. Für uns bedeutet das vor allem, dass Wissenschaftskommunikation wichtig ist und noch wichtiger wird, um die Ziele der Impfkommission zu unterstützen.

Die verschiedenen Positionen, die es zum Impfen gibt, werden auch in den Medien immer wieder thematisiert. Gleichzeitig gibt es daran Kritik, weil die kleine, aber kommunikationsstarke Gruppe der Impfkritiker im Verhältnis viel Raum einnimmt. Wie schätzen sie die Berichterstattung ein?

„Durch das wiederholte Aufgreifen von Mythen werden diese im Gedächtnis der Leute festgeschrieben, selbst wenn sie in der Berichterstattung widerlegt werden.“ Julia Neufeind
Da gibt es zwei problematische Effekte. Einer ist: Durch das wiederholte Aufgreifen von Mythen werden diese im Gedächtnis der Leute festgeschrieben, selbst wenn sie in der Berichterstattung widerlegt werden. Das haben beispielsweise John Cook und Stephan Lewandowsky festgestellt. So werden Zweifel nicht ausgeräumt, sondern fortgeschrieben. Der andere Effekt ist die sogenannte False Balance, die auch vielfach psychologisch untersucht wurde. Setzt man also beispielsweise eine Immunologin und ein Elternteil in eine Talkrunde, kommunizieren sie vermeintlich auf derselben Ebene. Während die eine im Idealfall aber den wissenschaftlichen Konsens eines Großteils der Fachleute ihres Gebietes vertritt, bringt der andere seine ganz persönlichen Erfahrungen ein, die nur einen winzigen Ausschnitt darstellen – Stichwort: „anekdotische Evidenz“. In diesem Moment ist der journalistische Ansatz, verschiedene Meinungen gleichberechtigt zu Wort kommen zu lassen, durchaus problematisch, wenn nicht die unterschiedlichen Quellen des Wissens klar eingeordnet werden.

Wie reagieren Sie in Ihrer Kommunikation auf anekdotische Evidenz?

Da haben wir als Behörde einen klaren Nachteil, gerade wenn es um persönliche Geschichten von Eltern geht. Das ist in der individuellen Situation sehr dramatisch und immer sehr glaubwürdig. Die richtige Einordnung, gerade in der Berichterstattung, ist da aber essenziell. Für uns bedeutet das vor allem, transparent zu sein, Risiken zu kommunizieren, Unsicherheiten zuzugeben und den Stand der Forschung so darzustellen, wie er ist. Nur so können wir langfristig das Vertrauen der Menschen halten und ausbauen.

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