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Ist die Zeit reif für einen zweiten Tröt?

Vor einem Jahr haben viele ihren ersten Mastodon-Beitrag veröffentlicht. Im Gastbeitrag berichten Lambert Heller, Henning Krause und Claudia Frick, was sich in der Zwischenzeit auf der dezentralen Plattform getan hat und zeigen, welche Vorteile Mastodon gegenüber der X-Alternative Bluesky bietet.

Twitter/X ein Jahr nach dem Aufkauf durch Elon Musk

In den letzten Tagen gab es viele Rückblicke auf das Jahr nach dem Aufkauf von Twitter (jetzt X) durch Elon Musk am 27.10.2022. Unter anderem in der ZEIT und in der Jungle World wurde dabei die aktuelle Migrationswelle von X zu Bluesky gewürdigt, und in diesem Zusammenhang auch Mastodon besprochen. Mal wieder Mastodon, möchte man hinzufügen. Denn dieser Dienst war zwischen Herbst 2022 und Frühjahr 2023 die wohl bekannteste Twitter Alternative. Doch für viele blieb es bei einem einmaligen Versuch.

Vielleicht haben im Herbst 2023 viele in Bluesky den direkten Ersatz für Twitter gefunden, den sie im Herbst 2022 bei Mastodon gesucht, aber nicht ganz gefunden hatten. Doch es lohnt sich, Mastodon eine zweite Chance zu geben: Es ist Zeit für den zweiten Tröt. Wir erklären, warum es sich jetzt wieder lohnt, und worauf man achten sollte, damit der nächste Mastodon-Beitrag Spaß macht und ein Echo findet.

Ein Mammut mit der Geduld und der Größe einer Schnecke

„Es kann nicht passieren, dass Mastodon zwischenzeitlich von einem anderen Milliardär aufgekauft und grundlegend umstrukturiert wird."
Ja, ganz im Ernst. Mastodon, gegründet 2016, ist immer noch da. Das ist eine subtile Stärke des dezentralen Ansatzes: der Dienst verzeiht auch Pausen. Es kann nicht passieren, dass er zwischenzeitlich von einem anderen Milliardär aufgekauft und grundlegend umstrukturiert wird. Und, es mag überraschen: Mastodon ist kontinuierlich weiter gewachsen, auf mittlerweile mehr als eine Million regelmäßige Nutzer*innen.

Das ist praktisch nichts im Vergleich zu den sozialen Netzwerken von Meta und Google mit jeweils mehreren Milliarden Nutzer*innen, aber dennoch hat sich eine vergleichsweise kleine Community gehalten. Manche zivilgesellschaftliche Organisationen wie Wikimedia sind mittlerweile vollständig von X nach Mastodon umgezogen. In Deutschland haben bereits im Frühjahr und Sommer 2023 viele andere Akteur*innen aus Journalismus, Bildung und Behörden den Sprung gemacht.

Was hat sich seither getan?

Zwei der am häufigsten nachgefragten Features wurden eingeführt. Erstens die Volltextsuche, die seit einem Update im September möglich ist. Dabei ist ein starker Datenschutz gewährleistet. Per Voreinstellung sind Toots (deutsch: „Tröts“) weiterhin nicht durchsuchbar, User*innen müssen das Feature in den Einstellungen freischalten. Zweitens das „Darüberkommentieren“. Das ist jetzt mit Mastodon-Clients wie Megalodon möglich und steht auf der To-Do-Liste der Mastodon-Entwickler, so dass das Feature bald unabhängig vom verwendeten Client funktionieren wird.

Und die Algorithmen?

Bequeme, personalisierte Empfehlungsdienste sind in den Apps noch nicht angekommen, aber man kann sich mit seinem Mastodon-Account bei verschiedenen Onlinediensten einloggen, um aktuelle personalisierte Empfehlungen zu bekommen. Personalisierte Folgeempfehlungen liefert Followgraph, eine algorithmische Timeline bietet Fediview.

Abb. 1: Screenshot aus einer personalisierten Timeline empfohlener Tröts bei dem Dienst Fediview, 14.11.2023.

Nicht personalisiert, aber dennoch nützlich ist die kontinuierliche Auswertung Fediverse-weiter Trends durch Dienste wie FediBuzz und Bots wie @hypebot@tldr.nettime.org, die sich mit Mastodon abonnieren lassen.

Abschließend zur wichtigsten Nebensache: die Benutzer*innenfreundlichkeit. Die Vielfalt der Apps mag immer noch verwirrend sein, aber letztendlich: Megalodon oder Tusky für Android, für iOS gibt es Mammoth, Ivory und Ice Cubes. Es gibt inzwischen auch gute Web-Clients wie Phanpy und Elk, aber im Alltag verwenden wir Social Media ja doch eher mit Apps auf unseren Mobilgeräten.

Sich zu vernetzen funktioniert so wie anderswo auch

Mit einem Minimum an Vorbereitung hinsichtlich des eigenen Profils, zwei bis drei ersten Beiträgen und Interaktionen, sowie dem Folgen anderer Benutzer*innen wird man schnell wahrgenommen. Zu einem Profil gehören ein Portraitfoto, ein beschreibender Text und möglicherweise Links, siehe auch die allgemeingültigen Tipps zum Thema Networking in Abb. 2. Den einen oder anderen Beitrag zu überfliegen, zu liken oder zu boosten (also zu teilen), weckt Vertrauen oder zumindest Interesse.

Abb. 2: Screenshot eines Tröts bei dem die Bearbeiten-Funktion eingesetzt wurde, https://dice.camp/@Da_Gut/111240295040724431, 31.10.2023.

Sechs gute Gründe für Mastodon statt Bluesky

  1. Mastodon bietet (anders als Bluesky) Hashtags! Wie bei X sind sie nützlich, um Konferenzen, aktuelle Entwicklungen oder Diskussionen zu verfolgen (Beispiel: Der Hashtag #WissKomm).
  2. Mastodon bietet Direktnachrichten – auch wenn man diese mangels Verschlüsselung (noch) nicht wirklich für vertrauliche Kommunikation nutzen sollte. Das galt und gilt für Direktnachrichten bei X, Instagram und Co. aber grundsätzlich ebenfalls.
  3. Auf Mastodon können Posts nachträglich und dennoch transparent bearbeitet werden (Abb. 2).
  4. Für Super-User*innen bietet die erweiterte „Deck”-Ansicht des Webclients eine Tweetdeck ähnliche Software mit definierbaren Spalten. Auch das Sortieren, Filtern und Importieren von Follower*innen ist mit dem Webclient möglich.
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  5. Mastodon wird langfristig werbefrei bleiben, weil es keine Gewinnerzielungsabsicht gibt. Wenn eine von den vielen tausend Instanzen damit anfangen sollte, dann wären die betroffenen Nutzer*innen mitsamt ihres Netzwerks im Handumdrehen weg. Gerade dieses Feature werden wir bei Twitter-Alternativen wie Threads aufgrund des Geschäftsmodells niemals sehen.
  6. Mastodon kann nicht nächstes Jahr von Jeff Bezos gekauft werden, nur weil er ein paar Milliarden Dollar zu viel übrig hat, ihm aber noch ein Social-Media-Dienst fehlt.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.