Foto: Pablo García Saldaña

Twitter– gehen oder bleiben?

Twitter 2.0 – was Elon Musk als Neuerschaffung der Plattform ankündigt, bereitet vielen kommunizierenden Forschenden und Kommunikator*innen Sorgen. Auf Twitter diskutiert die Wisskomm-Community darüber intensiv. Wir haben Isabella Eckerle, Jens Foell, Anne Rother und Wolfgang Scheida um ihre Einschätzung gebeten.

Über kaum ein anderes Thema diskutierte die Wisskomm-Community in den letzten zwei Wochen so intensiv wie über Twitter 2.0 – das neue Twitter, das unter der Führung von Elon Musk entstehen soll. Viele Forschende und Kommunikator*innen stellen sich die Frage: Gehen oder bleiben?

Journalist Kai Kupferschmidt schrieb bei Science, dass Forscher*innen von Twitter „fliehen“ würden und sich vermehrt Mastodon Zugänge anlegen. Gründe für die Flucht seien etwa die angedrohte Abschaffung des kostenlosen blauen Hakens zur Verifizierung eines Accounts, zudem würden viele eine zunehmende Verrohung fürchten, weil Musk ankündigte, keine Accounts mehr zu zensieren und viele moderierende Mitarbeiter*innen entließ. Wer durch Twitter scrollt, bekommt tatsächlich den Eindruck, dass kommunizierende Forscher*innen, wie etwa Jasmin Schreiber, von der Plattform fliehen. Als dezentraler Microblogging-Dienst lockte besonders Mastodon viele von ihnen, die sich eine unabhängige Plattform für Ihre Wisskomm erhoffen.

Stirbt Twitter nun also und liegt die Zukunft der Wisskomm auf der Plattform Mastodon? Wir haben uns in der Community umgehört und Virologin Isabella Eckerle, Jens Foell von Real Scientists DE, Anne Rother vom Forschungszentrum Jülich und Wolfgang Scheida vom Robert Koch-Institut um ihre Gedanken und Einschätzungen zum Thema Mastodon gebeten.

Hass keine Bühne bieten

Isabella Eckerle ist Virologin und leitet an der Université Geneve die Arbeitsgruppe „Emerging viruses”.  Sie forscht an Coronaviren und twittert(e) zum aktuellen Pandemie Geschehen. Foto: UNIGE

Ich habe den Eindruck, dass der Ton auf Twitter noch rauer geworden ist als er zuvor schon war, und dass selbst auf neutrale, rein informative Tweets eine Welle an Hasskommentaren, Beleidigungen und Falschinformationen folgen. Es kostet viel Zeit, alle Beleidigungen zu melden und Absender*innen zu blocken sowie Falschinformationen auszublenden. Twitter selbst unternimmt praktisch nichts dagegen, selbst wenn die Kommentare wirklich übel sind. Besonders wenn es um SARS-CoV-2 geht, ist das sehr nervig. Ich möchte mit meiner Reichweite all dem keine Bühne bieten.

Vor der Pandemie und in der Anfangszeit war Twitter ein toller Ort, um sich mit Forschenden auszutauschen, Publikationen zu diskutieren und Kontakte zu knüpfen, aber auch Konferenzen zu folgen, an denen man selbst nicht teilnehmen konnte. Dazu brauchte es weder viele Follower*innen noch musste man selbst vielen Menschen folgen, man musste nur in der richtigen Bubble sein. Nach dieser Zeit sehne ich mich sehr zurück! Ich denke, Mastodon könnte vielleicht diesen Zweck erfüllen, da bereits viele Wissenschaftler*innen dahin gewechselt sind. Es ist etwas umständlicher zu handhaben als Twitter aber ich hoffe, dass sich das noch verbessern wird. Man kann bisher interessante Gedanken teilen, ohne dass man von einer Welle an beleidigenden Kommentaren überrollt wird. Ob das so bleibt, wird sich zeigen. Mehr Zeichen erlauben etwas ausführlichere Diskussionen und ich liebe die Editier-Funktion, die erlaubt Rechtschreibfehler auch nach Absenden noch zu korrigieren.

Twitter ist weiterhin durch die vielen Nutzer*innen immer noch der Ort, wo man die meisten Informationen findet und selbst verbreiten kann. Ich habe festgestellt, wenn es um rein wissenschaftliche Themen, wie zum Beispiel Ankündigung von Veranstaltungen, technische Diskussionen um neue Daten oder Publikationen, dann geht das auch noch auf Twitter, da das Interesse daran in der Allgemeinheit nicht so groß ist und sowas Trolle kaum anzieht. Ich werde auch weiterhin wichtige Studien retweeten und Informationen über unser Zentrum twittern aber weniger persönliche Statements.

Kommunikation in sozialen Medien haben generell für Wissenschaftler*innen viele Nachteile: Es kostet Zeit und Nerven, und bringt mir für meine eigene Forschung überhaupt keine Vorteile. Dennoch glaube ich, dass ich als Wissenschaftlerin eine Verantwortung habe, Falschinformationen zu widersprechen und neuste Daten zu teilen.

Verlorene Community

Jens Foell ist promovierter Neuropsychologe und Wissenschaftskommunikator. 2017 gründete er den Twitter-Account Real Scientists DE, der seinen Nutzer*innen Einblicke in die Arbeit und das Leben von wöchentlich wechselnden Forschenden gewährt. Seit 2020 arbeitet er als Editor des wissenschaftlichen YouTube-Kanals maiLab und als Redakteur der Wissenschaftsshow MaiThink X. Foto: Marisa Benz

Real Scientists DE ist ein auf Twitter gemünztes Projekt. Die Eigenschaften des bekannten Kurznachrichtendienstes kommen den Zielen und Wünschen des Kanals entgegen: er ist textbasiert, erlaubt aber andere Medien sowie Links zu wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Twitter ist kostenlos und demokratisiert dadurch die Wissenschaftskommunikation. Und es gibt eingebaute Tools, um sich gegen Trolle zu wehren. Aber von einigen dieser Eigenschaften müssen wir uns derzeit leider verabschieden. Selbst wenn „Twitter 2.0“ die eigene Geburt überleben sollte, wird die neue Version der Plattform wahrscheinlich nicht mehr so praktisch und zugänglich sein wie vorher.

Wie unzählige Wissenschaftskommunikator*innen hat sich auch Real Scientists DE daher kürzlich einen Mastodon-Account angelegt. Dieses jüngere soziale Medium war explizit als „besseres Twitter“ gedacht: mit ähnlichen Eigenschaften, aber dezentralisiert. Das bedeutet auch: ohne das Risiko, von einer einzelnen Person aufgekauft und ruiniert zu werden. Der Übergang gestaltet sich für viele zwar schwer, aber wer weiß, vielleicht wird Mastodon das neue Zentrum für Wisskomm online.

Nur leider wird auch Mastodon eine Sache nicht zurückholen können: die kommunizierende Gemeinschaft auf Twitter hat sich über mehr als ein Jahrzehnt langsam zusammengefunden und wird sich nicht komplett auf ein anderes Medium übertragen lassen. Diesen Freundeskreis zu verlieren wird ein immenser Schaden für die deutschsprachige Wisskomm.

Noch ist Twitter nicht am Ende

Anne Rother ist Journalistin und leitet die Unternehmenskommunikation am Forschungszentrum Jülich. Foto: Ralf Uwe Limbach/Forschungszentrum Jülich

Das Forschungszentrum Jülich ist seit 11 Jahren auf Twitter. Wir haben unseren Account gepflegt, waren ansprechbar und sind Diskussionen nicht aus dem Weg gegangen. Reichweite und Interaktionen entwickeln sich positiv – bis heute. Das aufzugeben, würde uns schwerfallen. Aber dass Twitter jetzt Bereiche wie die „Content Moderation“ ausdünnt und infolge wenig überraschend Hass und Hetze zunehmen – das alarmiert uns. Noch bleiben wir. Aber wenn Hasskommentare und Bots überhandnehmen und seriöse Diskurse verdrängen, dann gehen wir. Ein bisschen ist es gerade so wie bei einer Party, wo man den Gastgeber nicht unbedingt mögen muss, aber wenn die interessanten Gäste weg sind, die zweifelhaften Gestalten den Ton angeben und nicht mehr gesprochen, sondern nur noch gegrölt wird, sollte man verschwinden.

Mastodon: Eine Chance für die Wissenschaftskommunikation

Als Alternative lockt Mastodon bereits seit Jahren mit einem dezentralen Konzept. Bisher bot das Netzwerk weniger Funktionen, weniger Comfort und weit weniger Nutzer. Jetzt steigen die Nutzerzahlen sprunghaft. Außerdem müssen Tröts in den Mastodon-Timelines nicht gegen gesponsorte Links konkurrieren oder sich gegen plakative Tweets behaupten, die der Like-Algorithmus nach vorne peitscht. Mastodon zeigt das an, was Nutzer*innen abonnieren. Alle Inhalte sind gleichwertig – die Chronologie entscheidet, was oben steht. Für eine faktenbasierte dialogische Wissenschaftskommunikation sind das gute Nachrichten.

Reichweite ist nicht alles

Wolfgang Scheida ist Journalist und leitet die Task Force Social Media am Robert Koch-Institut. Foto: Martin K. Lengeman

Für das RKI als nationales Public-Health-Institut ist die Kommunikation auf Social Media essenziell. Wir informieren die Fachöffentlichkeit und die breite Öffentlichkeit auf Twitter, Instagram, LinkedIn, Youtube – und seit wenigen Tagen auch auf Mastodon. Das Netzwerk verzeichnet seit einigen Wochen einen sehr starken Zuwachs. Das war einer der Gründe, um dort präsent zu sein.

Aber Reichweite ist nicht das alleinige Kriterium. Was für uns ebenfalls wichtig ist: Mastodon ist eine dezentrale, open-source Plattform, die datenschutzrechtlich die höchsten Anforderungen erfüllt. Auf dem „Social.Bund“-Server, wo unser Account liegt, haben sich inzwischen auch viele Behörden und Forschungseinrichtungen angemeldet. Wir glauben, dass wir uns dort mit staatlichen und wissenschaftlichen Organisationen noch besser vernetzen und zusammenarbeiten können. Auch die Wissenschaftskommunikation könnte durch den digitalen Austausch auf Mastodon profitieren.

Twitter bleibt aber aktuell ein wichtiger Kanal für uns. Wir haben dort eine große Followerschaft und Community, die wir auch in Zukunft mit Informationen und Forschungsergebnissen versorgen wollen. Wir beobachten die Entwicklungen auf Twitter aber sehr genau.