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„Wissenschaftskommunikation auf stärkere Füße stellen“

Ein Netzwerk will die Wissenschaftskommunikation an hessischen Hochschulen fördern. Wie Forscher*innen bei der Medienarbeit und Social-Media-Kommunikation unterstützt werden sollen, erklärt Beate Hentschel, Kommunikationsleiterin der Universität Kassel und Projektkoordinatorin.

Frau Hentschel, in Hessen entsteht gerade ein Netzwerk zur Stärkung der Wissenschaftskommunikation. Welche Idee steckt dahinter?

Beate Hentschel leitet die Kommunikation und Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Universität Kassel. Die Hochschule ist federführend im Netzwerk Wissenschaftskommunikation, einem Zusammenschluss der fünf hessischen Universitäten zur Förderung und Unterstützung kommunizierender Wissenschaftler*innen. Foto: Universität Kassel

Das Netzwerk besteht aus den fünf hessischen Universitäten in Marburg, Gießen, Frankfurt, Darmstadt und Kassel. Wir haben alle Presse- und Öffentlichkeitseinrichtungen mit einer großen Kompetenz. In der Coronakrise haben wir allerdings gesehen, dass wir an einer Stelle noch nicht so gut aufgestellt sind: Viele Wissenschaftler*innen haben Vorbehalte und Ängste, selbst zu kommunizieren. Sie befürchten, dass ihre Themen in den Medien zu stark vereinfacht werden oder die Kommunikation mit der Öffentlichkeit in der wissenschaftlichen Community weniger angesehen ist. Wir möchten dem etwas entgegensetzen und sie in der Zusammenarbeit mit den Medien unterstützen, insbesondere durch Trainings für die Bewegtbild- und Social-Media-Kommunikation. Die Medienlandschaft entwickelt sich durch die sozialen Medien rasant weiter. Jede*r kann kommunizieren. Und das hat auch negative Konsequenzen. Dafür müssen wir unsere Wissenschaftler*innen fit machen.

An wen richtet sich das Angebot?
Wir denken dabei vor allem an unsere Spitzenwissenschaftler*innen und diejenigen, die profilgebend für die Hochschulen sind oder an besonders gesellschaftlich relevanten Themen arbeiten. Jede Hochschule wählt die Personen selbst aus, denen sie ein Coaching anbieten möchte. Wir nehmen auch Personen in den Blick, die schon Schritte in Richtung Medienwelt gegangen sind oder uns auf Unterstützung und Beratung angesprochen haben. Jedes Jahr sind das etwa sechs bis acht Personen an jeder Universität.

Warum bieten Sie die Trainingsprogramme nicht auch Doktorand*innen an?
An der Universität Kassel gab es an der Graduiertenakademie bereits ein ähnliches Projekt für diesen Personenkreis unter dem Titel „Communication School“. Ich weiß, dass die anderen Universitäten zum Teil ähnliche Angebote machen. Die „Communication School“ unterstützte Promovierende und Promovierte, ihre Kompetenzen in der Wissenschaftskommunikation zu stärken – ein ganz ähnlicher Ansatz, den wir weiterverfolgen werden. Die Ergebnisse fließen jetzt in die Graduiertenunterstützung ein. Beim Netzwerkprojekt geht es jetzt verstärkt darum, profilbildende Themen der einzelnen Hochschulen voranzubringen, damit die Universitäten wiederum einen Mehrwert haben.

Wie werden diese Trainings zum Kompetenzaufbau aussehen?

Viele Wissenschaftler*innen haben Vorbehalte und Ängste, selbst zu kommunizieren. Beate Hentschel
Wir stellen ein individuelles Programm im Netzwerk zusammen. Nicht jede*r startet vom selben Punkt aus. Manche Wissenschaftler*innen sind medienaffiner, andere brauchen eher ein Basistraining. Wir bereiten sie auch auf bestimmte Formate explizit vor, beispielsweise wenn sie einen Blog entwickeln oder sich auf Twitter stärker vernetzen möchten. Welche Art von Unterstützung sie brauchen und was in ihren Zeitplan passt, besprechen wir mit den jeweiligen Forscher*innen. Müssten sie zu viel Zeit investieren, besteht womöglich die Sorge, nicht mehr der wissenschaftlichen Arbeit nachzukommen. Das würde die Hemmschwelle erhöhen, das Angebot wahrzunehmen.

Kommen die Trainings von den Kommunikationsabteilungen der Hochschulen oder von externen Trainer*innen?
Wir haben viel Expertise in den Kommunikationsabteilungen. Zusätzlich haben wir Mittel erhalten, um ein Netzwerk an Trainer*innen aufzubauen. So können wir schneller auf spezielle Anfragen von Wissenschaftler*innen reagieren und ihnen passende Expert*innen empfehlen.

Welche Vorteile erhoffen Sie sich durch den Zusammenschluss hessischer Universitäten?
Synergien. Wir möchten uns für die Coachings und bestimmte Angebote vernetzen. Manches wie Interviewtrainings eignet sich eher für Einzelpersonen, Einführungen in die Social-Media-Kanäle lassen sich auch in Gruppen durchführen. Dabei können sich auch die Wissenschaftler*innen untereinander vernetzen und über den Tellerrand der eigenen Universität schauen. Außerdem planen wir Workshops zu konzipieren, die das Thema Wissenschaftskommunikation in einen größeren Kontext stellen: Wir können uns vorstellen, namhafte Personen aus den Medien einzuladen, um sich gemeinsam mit Forschenden über Wissenschaftskommunikation auszutauschen. Der Chefredakteur der Bildzeitung, Johannes Boie, hat sich beispielsweise nach Kritik an der Arbeit der Zeitung auch mit Forscher*innen zusammengesetzt, um ihre Standpunkte und Forderungen zu diskutieren und eingeräumt, dass sich auch die Medien mehr und sachgerechter mit Wissenschaft auseinandersetzen müssen Das zeigt auch, das Wissenschaftskommunikation stärker wahrgenommen wird.

Nicht jede*r startet vom selben Punkt aus. Manche Wissenschaftler*innen sind medienaffiner, andere brauchen eher ein Basistraining. Beate Hentschel
Wir wollen das Netzwerk auch dazu nutzen, damit Wissenschaftskommunikation mehr Anerkennung als eine eigene qualitätsgeleitete Leistung erfährt. Das kann ein positives Feedback der eigenen wissenschaftlichen Community sein, sich aber auch in Projektmitteln bei zukünftigen Forschungsanträgen niederschlagen. Wissenschaftler*innen sagen uns oft, dass die Zeit, die sie in die Kommunikation stecken, ihnen an anderer Stelle fehle und die Arbeit nicht honoriert werde. Dafür bekämen sie keine Drittmittel. Die gesamtgesellschaftliche Diskussion entwickelt sich aber dahin, dass durch Forscherinnen wie Viola Priesemann oder Melanie Brinkmann Wissenschaftskommunikation mehr angesehen wird. Wir als Hochschulen sind daran interessiert, die Stimmen unserer Universitäten in die Öffentlichkeit zu bringen. Wissenschaftler*innen sind in gesellschaftlichen Debatten wichtige Akteur*innen, die über fundierte Sachkenntnis und faktenbasiertes Wissen verfügen. Sie leisten wertvolle Arbeit, über die die Öffentlichkeit auch informiert sein sollte. Mit ihrer Expertise können sie etwas beitragen, was mancher medialen Debatte gut tun würde.

Die Universität Kassel ist federführend in der Organisation des Netzwerks. Warum ist sie die passende Wahl?
Die Erklärung liegt in der Genese des Projekts. Es ist aus zwei ähnlich gelagerten Anträgen zur Förderung der Wissenschaftskommunikation von Gabriele Neumann von der Universität Marburg und mir von der Universität Kassel entstanden. Wir wurden darum gebeten, das Ganze größer aufzuziehen und die anderen Kolleg*innen der Kommunikationsabteilungen der hessischen Hochschulen dazu zu holen. Jetzt sind auch Olaf Kaltenborn aus Frankfurt, Patrick Honecker aus Darmstadt und Eva Diehl aus Gießen dabei. Wir haben uns darauf geeinigt, dass die Universität Kassel den Lead macht, weil sie das Projekt mit angestoßen hat. Alle Partner sind aber gleichberechtigt.

Wie ist das Netzwerk zur Stärkung der Wissenschaftskommunikation finanziert?
Wir haben im Rahmen des Innovationsbudgets vom Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst rund 1,25 Millionen Euro Fördermittel für die nächsten vier Jahre erhalten.

Wie fällt die Resonanz bisher aus?

Wir wollen das Netzwerk auch dazu nutzen, damit Wissenschaftskommunikation mehr Anerkennung als eine eigene qualitätsgeleitete Leistung erfährt. Beate Hentschel
Auf die Pressemitteilung des hessischen Wissenschaftsministeriums erhielten wir viel positive Resonanz. Das Thema ist sehr aktuell. Gerade hat die Hochschulrektorenkonferenz ein Papier zur Hochschulkommunikation als strategische Aufgabe herumgeschickt. Darin stellt die HRK fest, dass die Kommunikationsstrategie ein zentraler Teil der Governance einer Hochschule sei und „alle Hochschulangehörigen darin gefördert werden sollten, die gesellschaftliche Relevanz ihrer Hochschule und der eigenen wissenschaftlichen Arbeit zu reflektieren“. In dieser Deutlichkeit wurde den Hochschulen die Bedeutung ihrer Kommunikationsaufgaben bisher nicht vermittelt.

Was sind die nächsten Schritte im Projekt?
Wir hatten bereits ein erstes Netzwerktreffen. Wir haben die Themen eingegrenzt, auf die wir uns fokussieren wollen, planen eine Auftaktveranstaltung und schreiben Stellen aus. Wir sind alle schon lange in diesem Geschäft unterwegs und kennen uns. Insofern ist es eine gute und vertrauensvolle Zusammenarbeit. Wir freuen uns, die Wissenschaftskommunikation auf stärkere Füße zu stellen.

Wann wäre aus Ihrer Sicht das Projekt ein Erfolg?
Wenn aus dem Projekt ein starkes Netzwerk entsteht, in dem die Wissenschaftler*innen sich gegenseitig unterstützen und von ihren Erfahrungen lernen, würde ich es als Erfolg ansehen. Wir wollen damit auch die Hochschulkommunikation stärken und sie aus der Marketingecke herausholen. Hochschulkommunikation ist zu großen Teilen auch Erfolgskommunikation. Es ist aber wichtig, die authentischen Stimmen der Wissenschaft nach außen zu tragen.