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„Wir wollen Forschende nahbar machen“

Junge Menschen für Grundlagenforschung begeistern – das möchte das Bertalanffy-Projekt mit Vorlesungsreihen und Praktika seit über zehn Jahren erreichen. Warum das Projekt kürzlich durch einen Podcast erweitert wurde und weshalb Schüler*innen und Forschende gleichermaßen von der Zusammenarbeit profitieren, erzählen Joachim Wittbrodt, Frederike Seibold und Jonathan Schmidt im Interview.

Ziel des Bertalanffy-Projekts ist laut Ihrer Website, bei jungen Menschen Interesse an wissenschaftlichen Themen zu wecken und ein Grundverständnis für naturwissenschaftliche Problemlösungen zu schaffen. Wie ist das Projekt entstanden?

Frederike Seibold (links) ist Projektmanagerin am Zentrum für Organismusstudien (COS) der Universität Heidelberg und Teil des Bertalanffy-Teams. Gemeinsam mit Joachim Wittbrodt rief sie 2012 das Bertalanffy-Projekt ins Leben. Joachim Wittbrodt (Mitte) ist Professor für molekulare Entwicklungsbiologie und Physiologie an der Universität Heidelberg und leitet das Zentrum für Organismusstudien (COS) der Universität.  Jonathan Schmidt (rechts) studierte Molekularbiologie an der Universität Heidelberg. Als Teil des Bertalanffy-Teams hostet er seit August 2021 den Bertalanffy Podcast.

Joachim Wittbrodt: Durch meine Kinder habe ich gemerkt, dass Wissenschaft bei Schüler*innen nicht richtig ankommt. Daraus entstand der Wunsch, Jugendlichen über das normale Lehrwissen hinaus Begeisterung für Wissenschaft zu vermitteln. So sind schließlich vor etwa zehn Jahren die Bertalanffy Lectures entstanden, bei denen Forschende Schüler*innen der Oberstufe ihre Forschung präsentieren. Mein Ziel war, Jugendlichen zu zeigen, was in der Forschung möglich ist und ihnen dadurch auch wissenschaftliche Berufe näherzubringen. Wir wollten mit Bertalanffy aber nicht nur Jugendliche begeistern, sondern auch Lehrer*innen. Deren Universitätszeit liegt meistens schon lange zurück. Mit den Vorlesungen versuchen wir dafür zu werben, Grundlagenforschung verstärkt in den Unterricht aufzunehmen, um die Idee des Projekts weiterzuführen.

Wie wurden die Bertalanffy Lectures aufgezogen und hatten Sie Bedenken, ob das Projekt angenommen wird?

Frederike Seibold: Ich muss ehrlich zugeben, dass ich mich vor unserer ersten Bertalanffy Lecture gefragt habe, ob wir junge Menschen wirklich dafür begeistern können. Aber die Vorlesungen waren von Anfang an ein voller Erfolg und mit bis zu 400 Teilnehmenden pro Lecture war der Hörsaal voll. Wir haben von Beginn an eng mit Lehrer*innen zusammengearbeitet, um besser einschätzen zu können, ob die Idee funktioniert und ob die Vorlesungsthemen für Schüler*innen gut verständlich sind. Die Lehrer*innen haben uns dafür wertvolle Tipps gegeben, indem sie uns etwa die Inhalte ihrer Lehrpläne zur inhaltlichen Abstimmung zur Verfügung gestellt haben.

„Mein Ziel war, Jugendlichen zu zeigen, was in der Forschung möglich ist und ihnen dadurch auch wissenschaftliche Berufe näherzubringen." Joachim Wittbrodt

Aus den Bertalanffy Lectures entstanden das Laborpraktikum „Bertalanffy Practical at COS“ und die Schulbesuche „Science goes school“. Wie kam es dazu und was können die Schüler*innen dort erleben?

Seibold: Schon in den ersten Bertalanffy Lectures haben die Schüler*innen gefragt, ob sie mal ein Labor sehen können. So kamen wir auf die Idee, ein zweiwöchiges Praktikum in den Sommerferien anzubieten. Im Praktikum wiederum sagen uns viele Jugendliche, dass sie Biologie studieren wollen, um Krebs zu heilen oder Wale zu retten. Wir wollen ihnen zeigen, welche Richtungen und Berufsmöglichkeiten es darüber hinaus in der biologischen Forschung gibt. Daraus hat sich auch „Science goes school“ entwickelt. Hierbei gehen Doktorand*innen in Schulen, reden über ihre Forschungsprojekte und können von den Schüler*innen zu ihrem beruflichen Werdegang befragt werden.

Wittbrodt: Die Schüler*innen haben unheimlich davon profitiert. Sie kamen mit Forschenden in Kontakt, die man noch duzen kann und denen man all die Fragen stellen kann, die Lehrer*innen nicht immer beantworten können.

Wie profitieren Nachwuchswissenschaftler*innen von der Mitarbeit in den Bertalanffy Projekten und welchen Herausforderungen müssen sie sich stellen? 

Jonathan Schmidt: Während der Ausarbeitung von „Science goes school“, wo Doktorand*innen ihr eigenes Forschungsprojekt in Schulen vorstellen, hat man gemerkt, wie wertvoll das auch für Forschende ist. Schließlich müssen sie ihr Forschungsthema auf den Punkt bringen und leicht verständlich erklären können, was das eigene Projekt eigentlich genau ist, was die Ziele sind und warum einzelne Experimente gemacht werden. Interessant ist, dass Jugendliche häufig relativ simple Fragen stellen, die die Nachwuchswissenschaftler*innen in der Einfachheit teilweise noch nie beantworten mussten.

Wittbrodt: Ich denke, für Forschende kann es eine große Motivation sein, wenn ihnen durch die Schüler*innen noch einmal unverbrauchte Neugier auf Forschung an die Seite gestellt wird.

„Interessant ist, dass Jugendliche häufig relativ simple Fragen stellen, die die Nachwuchswissenschaftler*innen in der Einfachheit teilweise noch nie beantworten mussten." Jonathan Schmidt

Warum finden Sie es wichtig, Schüler*innen Einblicke in die Grundlagenforschung zu geben?

Wittbrodt:  Weil Schüler*innen sich unter Grundlagenforschung oft nichts vorstellen können. Mich irritiert, wenn Schüler*innen fragen, wozu Grundlagenforschung eigentlich gut sei. Schließlich könne man diese nicht verkaufen und bringe dadurch doch gar nichts. Es fehlt also das Verständnis dafür, dass Grundlagenforschung die notwendige Voraussetzung für jeden wissenschaftlichen Erfolg ist. Und da ist es unsere Aufgabe, das zu kommunizieren. Außerdem wird unsere Forschung durch öffentliche Mittel finanziert und insofern hat natürlich auch jede*r in der Bevölkerung das Recht zu erfahren, wofür das Geld verwendet wird. Ich denke, alle Forschungsinstitute brauchen Kommunikationsstrategien, um ihre Arbeit nach außen zu transportieren.

Was würden Sie anderen für die Wissenschaftskommunikation mit Jugendlichen raten?

Wittbrodt: Ich würde versuchen, Jugendlichen kein Rundum-Sorglos-Paket zu bieten. Das ist zwar nett, bereitet sie jedoch nicht auf die Universität vor. Ich denke, Schüler*innen können nur dann gut gefördert werden, wenn sie auch gefordert werden.

Seibold: Mir ist sehr wichtig, dass die Schüler*innen im Praktikum lernen, selbstständig zu sein. Ich würde zum Beispiel für Absprachen nicht mit den Eltern kommunizieren, sondern immer direkt mit den Jugendlichen.

„Mir ist sehr wichtig, dass die Schüler*innen im Praktikum lernen, selbstständig zu sein." Frederike Seibold

Seit August 2021 gibt es zusätzlich den Bertalanffy Podcast, in dem Forschende aus verschiedenen Laboren des Instituts zu Wort kommen Wie kam es dazu und welches Ziel verfolgen Sie mit dem Podcast?

Schmidt: Zum Bertalanffy Podcast kam es, weil ich als Hilfswissenschaftler pandemiebedingt im Labor nicht arbeiten konnte und nach einer anderen Aufgabe gesucht habe. Joachim und Frederike waren offen für die Podcast-Idee und durch vergangene Veranstaltungen hatten wir das nötige Equipment vor Ort. Mit dem Bertalanffy Podcast wollen wir Forschende für eine breitere Zielgruppe nahbar machen und zeigen, wie unterschiedlich Wege in die Wissenschaft verlaufen können. Unsere Idee war, für den Podcast Gruppenleiter*innen mit Doktorand*innen oder Postdocs zusammenzubringen und so verschiedene Stimmen zu Wort kommen zu lassen. Deren Antworten zu Fragen über den Arbeitsalltag im Labor oder dazu, wie ihr Werdegang verlief, fallen schließlich ganz unterschiedlich aus.

Was muss man beachten, wenn man einen Wisskomm-Podcast starten möchte?

Schmidt: Als Student, der im Podcast mit Professor*innen und Postdocs spricht, möchte ich anderen sagen: „Lasst euch nicht einschüchtern“. Ich musste mich in den ersten Folgen auch überwinden, Professor*innen darauf hinzuweisen, dass sie ihre Erklärungen verständlicher formulieren müssen. Ich habe viele Interviewpartner*innen nach der Podcastaufnahme gefragt, ob sie Wissenschaftskommunikation betreiben. Die Antwort ist dann meistens, dass sie Wissenschaftskommunikation zwar sehr wichtig und interessant finden, aber keine Zeit dafür haben. Der Podcast ist mein Versuch, sie zur Wissenschaftskommunikation anzuregen.

Projektbeschreibung

Das Bertalanffy-Programm des Zentrums für Organismusstudien (COS) an der Universität Heidelberg wurde nach Karl Ludwig von Bertalanffy benannt, dem Gründer der allgemeinen Systemtheorie. Inzwischen umfasst das Programm viele Projekte, die mithilfe verschiedener Formate Einblicke in die Grundlagenforschung geben. Das Projekt wird von der Klaus-Tschira-Stiftung* gefördert.
Bertalanffy Lecture
Die Bertalanffy Lecture ist eine seit 2012 zweimal jährlich stattfindende Vorlesungsreihe, in der nationale und internationale Wissenschaftler*innen ihre Forschungsarbeit und aktuelle Fragestellungen präsentieren. Die Reihe richtet sich an Schüler*innen und wird durch Tutorien erweitert.
Bertalanffy Practical
Das Bertalanffy Practical ist ein zweiwöchiges Laborpraktikum, das seit 2014 in den Sommerferien stattfindet. Schüler*innen haben dabei die Möglichkeit, Experimente eigenständig durchzuführen, Methoden anzuwenden und ihre Ergebnisse zu interpretieren. Betreut werden sie dabei von Doktorand*innen und Postdoktorand*innen aus den entsprechenden Laboren.
Science goes School
Mit Science goes School wird seit 2016 Forschung direkt in die Biologiekurse der gymnasialen Oberstufe gebracht. Verschiedene Doktorand*innen besuchen dafür Schulen und vermitteln mithilfe von Vorträgen und mitgebrachten Proben einen Einblick in das Tagesgeschäft der Wissenschaftler*innen.
Bertalanffy Podcast
Im Bertalanffy Podcast werden Wissenschaftler*innen des COS persönlich vorgestellt. Dabei berichten Gruppeleiter*innen und junge Forschende von Projekten, Werdegängen und Herausforderungen.

* Die Klaus Tschira Stiftung ist auch Förderer der Plattform Wissenschaftskommunikation.de