Ausprobieren, mitmachen, selbst entdecken – Besucher*innen der „Aha?! Forschungswerkstatt“ des Senckenberg Museums Frankfurt erforschen eigenständig Exponate, nehmen an Forschungsprojekten teil und treffen Wissenschaftler*innen. Wie die Besucher*innen bei ihrer Erkundung unterstützt werden und warum es auch ok ist, nur den Waschbären zu streicheln, verraten Eva Roßmanith und Dustin Gohlke im Interview.
„Wir wollen Barrieren abbauen und den Leuten zeigen, was in der Wissenschaft passiert.“
Bei einem Museumsbesuch ist es häufig so, dass Exponate nicht berührt werden dürfen. Betritt man die Dauerausstellung „Aha?! Forschungswerkstatt“ des Senckenberg Museums Frankfurt zeigt sich ein gegenteiliges Bild: Erwachsene wie Kinder untersuchen selbstständig mit ihren Händen oder am Mikroskop Objekte. Warum haben Sie sich für dieses Konzept entschieden?
Eva Roßmanith: Pädagogischer Kernpunkt der Ausstellung ist, forschendes und entdeckendes Lernen zu ermöglichen. Hierzu stellen wir Objekte aus der Natur zur Verfügung, zu denen sich Besucher*innen eigene Forschungsfragen stellen können. Ich sehe beispielsweise einen Biberschädel, fasse diesen an und merke: Ach, der hat aber komische Zähne vorne und überhaupt fühlt sich der Schädel hier so dünnwandig an. Warum ist das eigentlich so? So entsteht Interesse für Natur. Gleichzeitig waren wir unsicher, ob sich alle Leute selbstständig tiefgehende Forschungsfragen stellen können. Denn selber ein Objekt erforschen, was bedeutet das überhaupt? Dafür haben wir Hilfsmittel entwickelt wie beispielsweise einen anleitenden Fragebogen. Durch ihn realisiert man: Warum habe ich mir das Objekt ausgesucht? Was finde ich daran interessant? Woran erinnert mich das? Zusätzlich haben wir „Forschungsboxen“ zu verschiedenen Themen entwickelt. In diesen Boxen liegen Objekte, zum Beispiel ein Haigebiss, mit einer Anleitung, mit der man Schritt für Schritt dieses Gebiss untersuchen kann und so mehr zur Biologie des Tieres versteht. Und natürlich gibt es Geräte wie kleine „Handmikroskope“, Messbänder und Waagen. Es ist viel spannender, sich eine Baumscheibe unter so einem Handmikroskop anzusehen, kleine Blasen im Holz zu erkennen und sich selbst – auch mit unserer Hilfestellung – zu erschließen, dass das Leitbündel für die Versorgung des Baumes mit Nährstoffen sind, anstatt dies einfach gesagt zu bekommen.
Herr Gohlke, Sie sind selbst Biologe und als einer von mehreren wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen während der Ausstellungszeit vor Ort. Wie unterstützen Sie die Besucher*innen bei der selbstständigen Erkundung?
Dustin Gohlke: Zunächst begrüßen wir am Eingang die Besucher*innen und erklären, dass alles vorsichtig angefasst werden darf und soll und dass sie sich den Raum selbst erschließen dürfen. Zudem sind wir immer ansprechbar bei Fragen, bieten aber auch aktiv Unterstützung an, wenn wir beispielsweise bemerken, dass jemand Hilfe beim Mikroskopieren benötigt. Wir bieten aber auch kleinere Mitmachangebote an, bei denen Besucher*innen zum Beispiel Felle von heimischen Tieren den passenden Fußspuren zuordnen können und geben hierbei naturwissenschaftlichen Input.
Welches Konzept steckt hinter der Raumgestaltung?
Roßmanith: Der Raum wirkt wie eine Mischung aus Sammlung und Labor. Rollregale erinnern an die Kompaktusanlagen in unseren Wissenschaftlichen Sammlungen. Wir wollten möglichst authentisch die Atmosphäre eines Arbeitsplatzes von Wissenschaftler*innen auffangen. Eine der Besonderheiten des Raumes ist, dass die Gestaltung durch die Rollregale und Einbauten flexibel ist. Wir können also die Einbauten einfach herausheben und umstellen. So können wir schnell neue Themen hereinbringen. Das ist ein sehr großer Vorteil.
Gibt es eine spezielle Zielgruppe, die sie ansprechen möchten?
Roßmanith: Konzipiert ist die Dauerausstellung für Erwachsene, Jugendliche und Kinder ab acht Jahren. Es kommen aber auch viele jüngere Kinder, was wir von Anfang an mitdachten. Wir wissen ja, dass viele Familien unser Museum besuchen und haben deshalb zum Beispiel auch Fühlboxen, oder eine Kreativecke eingebaut, wo die kleinen Kinder malen können.
Gohlke: Wir haben ein sehr diverses Besucherprofil. Leider denken Erwachsene, besonders Eltern oft, dass die Ausstellung nur für Kinder gedacht ist. Erwachsene müssen wir eher dazu überreden, sich mal an ein Mikroskop zu setzen und sich ein Objekt genauer anzuschauen. Wenn sie es dann machen, sind sie aber oft hellauf begeistert.
Frau Roßmanith, Sie sagten, Sie waren unsicher, ob sich Besucher*innen überhaupt selbst Forschungsfragen stellen können. Die Ausstellung läuft nun seit Juni 2022, was ist Ihr bisheriges Resümee?
Roßmanith: Richtig tiefgehende Forschungsfragen stellen sich viele Besucher*innen natürlich nicht zu jedem Objekt. Wir stellen fest, dass manche Besuchende mit mehr Zeit und Ruhe und tieferem Interesse kommen. Sie nehmen sich dann nicht nur eine Forschungsbox, sondern nacheinander alle. Andere Besucher*innen wiederum streicheln lieber nur den Waschbären. Da ist „Forschungsfrage“ in dem Moment zu hochgegriffen, aber die Besuchenden interagieren ja trotzdem mit diesen Objekten. Sie machen vielleicht ein Selfie und unterhalten sich darüber. Das ist auch vollkommen ok.
Die Besucher*innen können auch an Forschungsprojekten teilnehmen. Was sind das für Projekte und wie können sich die Besucher*innen beteiligen?
Gohlke: Das ist zum Beispiel ein Bürgerwissenschaftsprojekt über Biodiversität in Bolivien. Wichtig ist natürlich zunächst gut zu erklären, was das für ein Projekt ist und was das Ziel ist. Die Besucher*innen bestimmen hierbei Tiere, die mit einer Kamerafalle in Bolivien fotografiert wurden. Mit den Daten wird eine künstliche Intelligenz trainiert, die hoffentlich in ein paar Jahren einfache Bilder selbstständig auswerten kann. Entdecken die Besucher*innen ein Tier auf dem Bild, markieren sie dieses und rahmen es möglichst genau ein, damit die KI dieses gut erkennt. Hierbei helfen wir besonders Kindern, die mit der Mausbedienung vielleicht noch nicht gut zurechtkommen. Anschließend bestimmen wir das Tier gemeinsam mit den Besucher*innen. Wir nehmen hierfür kein klassisches Bestimmungsbuch, sondern haben Bilder verschiedener Tiere, anhand derer die Besucher*innen das optisch passendste raussuchen. Uns ist auch wichtig, hier nicht die Lösung vorzugeben, sondern nur unterstützend zur Seite zu stehen.
Es ist für viele Menschen das erste Mal, dass sie einen Wissenschaftler oder eine Wissenschaftlerin live treffen. Bemerken Sie Berührungsängste?
Gohlke: Wir spüren kaum Berührungsängste, was vielleicht daran liegt, dass wir noch ein relativ junges Team sind, welches aus einem Biologen, einer Geologin und Studierenden der Biologie und Geologie besteht. Wir bieten auch Wissenschaft-Live-Veranstaltungen an, wo Wissenschaftler*innen des Senckenberg-Institutes in die Ausstellung kommen, ihre Forschung präsentieren und vor allem die Fragen der Besuchenden beantworten. Die Forschenden bringen Material mit und zeigen auch mal Fotos von Forschungsreisen. So werden die Besuchenden direkt eingebunden und es entsteht ein schöner Raum für Dialoge.
Roßmanith: Wir wollen Barrieren abbauen und den Leuten zeigen, was in der Wissenschaft passiert. Wir von der Forschungswerkstatt nehmen eine Vermittler-Rolle ein und besprechen mit den Wissenschaftler*innen auf welchem Niveau sie reden sollten. Wenn sie ins Komplizierte abdriften, ist eine moderierende Person dabei, die den Dialog zwischen den Besuchenden und den Wissenschaftler*innen am Laufen hält. Wichtig ist uns, dass die Wissenschaft-Live-Veranstaltungen niedrigschwellig sind. Man muss sich beispielsweise nicht dafür anmelden. Wir möchten gezielt Leute erreichen, die vielleicht spontan ins Senckenberg Museum kommen, weil es regnet und dann die Ankündigung sehen „Heute um 14 Uhr: Wissenschaft live“ und denken: „Na ja gut, gehe ich mal hin“. Wir haben in manchen Teilen der Gesellschaft durchaus Probleme mit dem Vertrauen in Wissenschaft. Wenn ich aber einen Doktoranden treffe, der für sein Thema brennt, hat das eine Faszination. Man vertraut diesen Leuten eher, weil man merkt: Die machen das nicht, um vielleicht das große Geld zu machen, sondern weil ihnen ihre Forschung wichtig ist.
Wie motivieren Sie die Wissenschaftler*innen mitzumachen?
Roßmanith: Die meisten Wissenschaftler*innen machen das gerne. Sie haben nur oft ein Zeitproblem, weil publizieren oft höhere Priorität hat als Wissenschaftskommunikation. Es gibt aber auch Forschungsprojekte am Senckenberg-Institut, wo die Vermittlung im Museum bereits von Anfang an im Forschungsvorhaben festgelegt war. Die Wissenschaftler*innen wissen also, dass sie selbst im Museum vermitteln werden und es zu ihrem Projekt eine Ausstellung geben wird. Dadurch wird es gut akzeptiert.
Warum glauben Sie, machen es die Wissenschaftler*innen gerne?
Roßmanith: Es gibt sicher auch ein paar Wissenschaftler*innen, denen es keinen Spaß macht und die fragen wir dann auch nicht. Für den anderen Teil ist es schön, die Dinge, für die sie brennen, erzählen zu können. Und direktes Feedback von Kindern und von Erwachsenen zu bekommen, die keine Ahnung vom Thema haben. Ich finde, es ist auch für die Doktorand*innen extrem wichtig, weil sie häufig sehr tief in ihrem Thema sind und manchmal gar nicht mehr das große Ganze sehen. Das können sie durch den Dialog mit den Besuchenden sehr gut üben.