Foto: Jasmin Schreiber

„Rap kann emotionale Botschaften transportieren“

Unter dem Künstlernamen do:ku hat der promovierte Systembiologe Lorenz Adlung eine wissenschaftlich inspirierte Rap-EP veröffentlicht. Ein Gespräch über Punchlines, Rap-Songs als Format für die Wissenschaftskommunikation und versteckte Liebesbotschaften.

Herr Adlung, Sie haben eine Science-Rap-EP namens COVID veröffentlicht. Sie umfasst fünf Songs, die sich mit Wissenschaft und auch Wissenschaftskommunikation beschäftigen. Wie ist das Album entstanden?

Ich hatte immer schon einen Zugang zu Rapmusik. Die habe ich viel als Jugendlicher gehört und auch für meine Wissenschaftskommunikation verwendet, zum Beispiel auf der Bühne bei Science Slams. Rap ist sehr emotional und kann sehr emotionale Botschaften, also Punchlines, transportieren, die eine*n im übertragenen Sinne umhauen.

Lorenz Adlung ist promovierter Systembiologe und leitet eine unabhängige wissenschaftliche Nachwuchsgruppe am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf im Bereich der Immunologie. Neben der Rap-Musik umfasst sein Wissenschaftskommunikations-Repertoire diverse Bühnen-Formate wie Science Slams, einen Blog und einen Podcast. Außerdem ist er Freier Dozent beim NaWik*. Foto: Jasmin Schreiber

Zum Album haben letztendlich zwei Sachen geführt: Während der Science Slams habe ich beobachtet, dass das Publikum zwar mit Blick auf das Alter divers ist, aber nicht, wenn man sich den Bildungshintergrund ansieht. Die meisten Jugendlichen dort kommen eher aus einem akademischen Elternhaus. Wen man selten trifft, sind junge Menschen aus eher bildungsferneren Schichten. Die hören aber viel Rapmusik. Und die wollte ich erreichen.

Dazu kam, dass es letztes Jahr eine Ausschreibung der Robert-Bosch-Stiftung gab zu Wissenschaftskommunikation in Zeiten von Corona. Darauf habe ich mich mit der Idee zu wissenschaftlich inspirierten Rap-Songs beworben. Mit dem Geld habe ich mich mit einem Produzenten zusammengetan, Len Wolff, der Expertise und das technische Equipment mitbrachte. Er übernahm das Produzieren der Beats, das Aufnehmen der Songs, und das Mischen der Tracks. Aber er kennt eben auch genau die Zielgruppe und macht für sie Musik.

Um welche Themen geht es auf der EP?

Ich wollte mich zum einen mit Covid-19 auseinandersetzen. Man kann in einem Rap-Song nicht in Gänze erklären, wie die Pandemie funktioniert und was der Virus genau macht, aber ich wollte Schlagworte bringen und Themen setzen, damit die Zuhörer*innen sich dann fragen: „Was ist das denn, wovon der da spricht?“ und das einen Gedankenprozess anstößt. Ich setzte mich aber auch mit Themen aus meiner Arbeitswelt als Nachwuchsgruppenleiter auseinander und der Wissenschaftskommunikation, die ich mache. Deswegen gibt es auch einen Song, der unseren Podcast thematisiert und andere Wissenschaftskommunikator*innen wie Mai Thi Nguyen-Kim. 

Sie thematisieren auch das Wissenschaftssystem und die fehlende Diversität. Wie sind Sie zu Ihren Themen gekommen?

Mein Produzent hat mir etwa 30 Musikschnipsel mit Beats geschickt. Beim Durchhören habe ich frei assoziiert und spontan aufgeschrieben, was ich mit der Musik in Verbindung bringe. Freestylen heißt das. 

„Die Musik kann Emotionen und Bilder erzeugen, mit denen man spielen kann.“ Lorenz Adlung
Die eigentlichen Texte sind alle in der Nacht vor der Aufnahme entstanden. Ich befand mich aber schon davor permanent im Inspirationsprozess, was ich mit der Musik verbinde und generell ausdrücken möchte. Als ich beispielsweise die Anfangssequenz des letzten Songs „Delta“ hörte, hatte ich sofort das Bild eines Vogels vor Augen, der über ein Flussdelta fliegt. Zu Delta fiel mir dann ein, dass dieser griechische Buchstabe im physikalischen Sinn eine Veränderung beschreibt. Darum geht es im Song: um einen Flusslauf, in dem alles ständig in Veränderung und im Fluss ist. Es geht auch um Vielfalt. Der Song ist ein Stück weit ein Liebeslied. Ohne zu explizit sein zu wollen: Wenn man ihn anhört und etwas über meine Person weiß, kann man die Puzzleteile zusammensetzen.

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Mir war wichtig, dass die Themen wissenschaftlich inspiriert sind, aber ich bin nicht mit System an die Themenauswahl herangegangen. Außer beim ersten Song, „Circus“. Der Song ist sehr kritisch mit dem Wissenschaftssystem und der Frauenfeindlichkeit, die ich darin wahrnehme. Das war mir im Vorhinein schon klar, dass ich das auf jeden Fall thematisieren wollte. Das ist ein Song mit Doubletime Flow, also mit doppelter Geschwindigkeit. Man rappt also zwei Verse anstatt nur einen Vers pro Takt. Das macht den Song schneller und klingt anklagender und drängender. Daran sieht man, wie Musik und Botschaft zusammengehen.

Um welche Themen geht es noch?

„Der Song ist sehr kritisch mit dem Wissenschaftssystem und der Frauenfeindlichkeit, die ich darin wahrnehme. Lorenz Adlung
Im Song „OO“ geht es um den Ursprung und die Fragen, wo man herkommt und wo man hinwill, auch für mich als jemand, der Wissenschaft kommuniziert. (0/0) ist beispielsweise der Ursprung des Koordinatensystems. Bei „Viral“ geht es um Verteilungen und darum, wie es dazu kommt, dass manche Sachen viral gehen. Der komplexeste Song ist „Immunität“. Der Sound ist sehr düster. Er handelt davon, dass Politiker*innen teilweise korrupt sind und sich auch wissenschaftlichen Ratschlägen verschließen. Es ist aber auch gleichzeitig ein Loblied auf die Demokratie, die uns schützt und in der es im besten Fall immer eine Immunreaktion zur richtigen Zeit gibt.

Es geht also nicht immer explizit um Wissenschaftsthemen, es gibt aber immer Bezüge zur Wissenschaft oder zu mir als Person, die Wissenschaft betreibt und kommuniziert. Wenn man die Anfangsbuchstaben der fünf Songs zusammennimmt, erhält man übrigens „COVID“.

Welches Feedback haben Sie bisher aus der Zielgruppe bekommen?

Man kann sich in den Distributionsportalen anzeigen lassen, wie die Altersstruktur ist. Die Songs hören vorwiegend Menschen in meinem Alter, also zwischen 28 und 34. In der Altersgruppe darunter hören zwar auch Leute meine Musik, aber da liegt leider nicht der Höchstwert. Das war auch anzunehmen, weil ich keine Reichweite in dieser Zielgruppe habe. 

Explizites Feedback habe ich aus dem Umfeld des Produzenten bekommen. Die Leute waren überrascht vom Sound. Sie dachten nicht, dass es so eingängig werden kann, weil ich sowohl musikalisch als auch thematisch aus einer anderen Richtung komme. Sie waren auch ein Stück weit von der Komplexität überfordert, was die Texte betrifft. Ich bin mit einer Person aus dieser Gruppe die einzelnen Textbausteine durchgegangen und habe gemerkt, dass sie nicht wirklich verstanden hat, worauf ich hinauswollte. Da habe ich die Leute scheinbar überfordert. Ich hoffe natürlich, dass ich noch mehr Feedback aus der Zielgruppe erhalte.

Wie viele Menschen hören denn Ihre Songs?

In der ersten Woche nach Veröffentlichung der EP Anfang Oktober gab es etwa 1200 Streams auf Spotify. Jetzt muss ich einmal sehen, wie die anderen Plattformen wie iTunes oder Bandcamp nachziehen; über Apple Music sind noch mal 5% zusätzlich. Die Musik ist übrigens nicht bei der GEMA registriert und dadurch unter Creative Commons-Lizenz für alle frei verwendbar, wenn sie keine kommerziellen Zwecke verfolgen und mich als Quelle angeben. Deswegen wird die Musik noch in dem einen oder anderen Podcast zu hören sein, ohne da zu viel verraten zu wollen.

Warum haben Sie Rap-Songs als Wisskomm-Format ausgewählt?

„Ich dachte nie, dass ich einmal ein Rap-Album aufnehme." Lorenz Adlung
Durch die Form hat man andere Möglichkeiten, Botschaften zu übermitteln als beispielsweise in reiner Textform. Die Musik kann Emotionen und Bilder erzeugen, mit denen man spielen kann. Durch Rap-Songs erhält man vielleicht auch Zugang zu Zielgruppen, die man sonst nicht erreichen könnte. 

Man kann auch konkrete Ausdrucksformen innerhalb der Musik für sich nutzen. Im Song „Immunität“ gibt es einen Übergang, in dem ich von Politiker*innen fordere, dass sie mir mehr Empathie zeigen sollen. Und diese Forderung nach Empathie ist eine Waisenzeile, sie reimt sich also nicht auf eine der vorhergehenden oder nachkommenden Zeilen. Damit kann man spielen. Ich wollte so vermitteln, dass man, wenn man seinen Mitmenschen Empathie zeigt, oft alleinsteht und das einmal in Frage stellen.

Was würden Sie anderen raten, die Rap-Songs als Wisskomm-Format ausprobieren möchten?

Es ist eine wertvolle Erfahrung, das zu machen, wenn es einem liegt. Ich bin generell nicht dafür, dogmatisch heranzugehen und zu sagen, du musst jetzt dieses eine Format ausprobieren. Ich wollte zeigen, dass Rap-Songs in der Wissenschaftskommunikation funktionieren können und man Förderung dafür bekommen kann. 

Man kann sich damit aber natürlich in die Nesseln setzen und investiert viel hinein und am Ende hören es vielleicht nur 1000 Leute. Das muss man für sich abwägen, wie viel Zeit, Expertise und Geld man investieren und was man dadurch erreichen möchte. Mir macht es jedenfalls unglaublich viel Spaß und ich bin darauf auch stolz. Ich dachte nie, dass ich einmal ein Rap-Album aufnehme. Und ich denke, dass es einen Mehrwert für andere hat.

 

* Das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.