Foto: Marcel Frank

„Persönliche Begegnungen sind wichtig, um Vertrauen aufzubauen“

Wie kann die Wissenschaft von Fragen der Bevölkerung profitieren? Und was ziehen Bürger*innen aus dem Dialog mit Wissenschaftler*innen? Stefanie Molthagen-Schnöring und Samuel Rehberger berichten von ihren Erfahrungen beim IdeenLauf des Wissenschaftsjahres 2022 – Nachgefragt!

Herr Rehberger, Sie haben beim IdeenLauf, der Mitmachaktion des Wissenschaftsjahres 2022 – Nachgefragt!, im Citizen Panel mitgewirkt. Frau Molthagen-Schnöring, Sie haben sich im Science Panel engagiert. Warum haben Sie beide mitgemacht? 

Samuel Rehberger hat Rechtswissenschaft an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg studiert und arbeitet dort seit Anfang 2022 als wissenschaftlicher Mitarbeiter. Er promoviert zur möglichen Bestrafung klimaschädlicher Verhaltensweisen. In London absolviert er derzeit einen Masterstudiengang am University College London. Beim IdeenLauf war er Mitglied des 30-köpfigen, zufällig ausgewählten Citizen Panels. Foto: Christina Tropartz

Samuel Rehberger: Die Mitglieder des Citizen Panels wurden per Zufallsgenerator ausgewählt. Als ich damals die Anfrage bekam, bei dem Projekt mitzumachen, war ich noch in den Endzügen meines Jurastudiums. Mich hat es vor allem gereizt, Einblicke in Bereiche zu bekommen, mit denen ich in meinem Studium wenig bis gar nichts zu tun habe, etwa zu künstlicher Intelligenz oder Physik. Gleichzeitig klang es spannend, bei einem Projekt mitzumachen, bei dem man gemeinsam mit den unterschiedlichsten Leuten aus ganz Deutschland und mit Wissenschafler*innen verschiedenster Teildisziplinen über das diskutiert, was die Bevölkerung zum Thema Wissenschaft interessiert.

Stefanie Molthagen-Schnöring: Es ist mir ein großes Anliegen, dass Gesellschaft und Wissenschaft wieder stärker miteinander in den Dialog kommen. Natürlich erklärt man als Wissenschaftler*in die eigene Forschung auch mal der Großmutter am Kaffeetisch, aber man bewegt sich ansonsten häufig in einer akademischen Bubble. Deshalb finde ich es wichtig, dass wir den gesellschaftlichen Diskurs suchen. Das hat für mich viel mit Vertrauen in Wissenschaft zu tun, am Ende sogar mit Vertrauen in die Demokratie. Denn dafür ist es wichtig, dass wir miteinander reden und voneinander lernen. Da sehe ich eine ganz große Verantwortung der Wissenschaft. 

Stefanie Molthagen-Schnöring ist Professorin für Wirtschaftskommunikation und Vizepräsidentin für Forschung und Transfer an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Wissenschaftskommunikation, (Gesellschafts-)Politische Kommunikation sowie Kommunikation und Vertrauen. Sie war Mitglied des 13-köpfigen Science Panels des IdeenLaufs. Foto: HTW Berlin/Alexander Rentsch

Auf der persönlichen Ebene würde ich Herrn Rehberger zustimmen: Es ist spannend, unterschiedliche Wissenschaftler*innen – und generell unterschiedliche Menschen –kennenzulernen und zu schauen: Was haben sie für Interessen und Bedürfnisse?

Zwischen Mitte Januar bis Mitte April 2022 haben Bürger*innen 14.000 Fragen an die Wissenschaft eingereicht, die dann diskutiert und gebündelt wurden. Was waren Ihre Aufgaben in dem Prozess?

Molthagen-Schnöring: Es gab eine Cluster-Konferenz, bei der die Wissenschaftler*innen aus verschiedensten Disziplinen erst einmal die Fragen aus ihrem disziplinären Kontext gesichtet und daraus Cluster gebildet sowie ihnen besonders relevant erscheinende Fragen priorisiert haben. Am Nachmittag kamen die Bürger*innen mit dazu und haben das ganze kommentiert und kritisch hinterfragt. 

Rehberger: Auf der Cluster-Konferenz war unsere erste Aufgabe als Bürger*innen, erst mal zuzuhören und zu sehen, wie die verschiedenen thematischen Cluster von der Jury und dem Science-Panel eingeteilt wurden. Wir haben dann einige Nachfragen gestellt: Warum wurde dieser und jener Bereich so gewählt? Das haben die Wissenschaftler*innen meist gut begründet. Wirklich spannend wurde es für uns aber am nächsten Tag, als wir die konkreten Fragen der Cluster durchlesen konnten. Unsere Aufgabe war, Highlight-Fragen auszuwählen, die wir aus Bürger*innensicht als besonders relevant erachteten. Zugleich haben wir noch einmal kontrolliert, ob die Fragen auch wirklich zum zugeteilten Cluster passen. Die Mitglieder des Science Panels verfassten dann zu den einzelnen Clustern die sogenannten Clusterpapiere, die eine Übersicht über die Themen und Fragestellungen des jeweiligen Clusters geben. Aus meiner Sicht war die spannendste Aufgabe für das Citizen Panel, diese Clusterpapiere gemeinsam mit Science-Panel und Jury zu diskutieren, Überschriften zu finden und Anmerkungen zu machen. Dabei haben Bürger*innen beispielsweise zu technische Formulierungen kritisiert. 

Der IdeenLauf

Der IdeenLauf ist die zentrale Mitmachaktion im Wissenschaftsjahr 2022 – Nachgefragt!. Ziel ist es, einen Dialog zwischen Bevölkerung und Wissenschaft anzustoßen und neue Ideen für Forschung und Forschungspolitik zu erarbeiten. Im Frühjahr 2022 lud der IdeenLauf unter dem Motto #MeineFragefürdieWissenschaft alle Bürger*innen dazu ein, sich zu wichtigen Themen der Wissenschaft und Forschungspolitik einzubringen und diese mitzugestalten. Mehr als 14.000 Fragen wurden eingereicht. Sie wurden von Wissenschaftler*innen und ausgewählten Bürger*innen diskutiert, gebündelt und durch ergänzende Texte in ihren fachlichen Zusammenhang gesetzt.
In einem digitalen Beteiligungsprozess konnten sich im Sommer Bürger*innen erneut in die Diskussion einbringen, bisherige Ergebnisse kommentieren und ZukunftsRäume identifizieren – Überschneidungen zwischen Fragen aus unterschiedlichen Fachgebieten und potenziellen neuen Forschungsfeldern. Die Ideen werden in einen Bericht gefasst und im November 2022 an Politik und Forschung übergeben.

Wie war das 30-köpfige Bürger*innen-Panel zusammengesetzt und wie haben Sie entschieden, welche Fragen besonders relevant sind?

Rehberger: Wir waren sehr bunt zusammengesetzt, was das Altersspektrum, die Wohnorte, aber auch die Berufe angeht. Es gab keinen repräsentativen Anspruch an das Citizen Panel, aber es wurde schon versucht, eine Art Abbild Deutschlands zu schaffen.

Für die Auswahl der Highlight-Fragen haben wir in Gruppen jeweils circa hundert Fragen pro Cluster durchgesehen. Wir haben versucht, diejenigen Fragen auszuwählen, die einen möglichst breiten Überblick über ein Cluster-Thema geben und zugleich spannend klingen.

Frau Molthagen-Schnöring, welche Impulse und Erkenntnisse kann die Wissenschaft aus den eingereichten Fragen ziehen? 

„Es kamen sehr viele Fragen zum Thema Klimawandel oder zu physikalischen Phänomenen.“ Stefanie Molthagen-Schnöring
Molthagen-Schnöring: Ich fand es interessant, dass viele Fragen aktuelle Debatten in den Medien widerspiegeln. Corona war zu dieser Zeit ein Thema, der Ukraine-Krieg hatte begonnen, die Energiekrise konnte man erahnen. Ich fand es auf der einen Seite beruhigend, das Gefühl zu haben: Uns beschäftigen als Gesellschaft dieselben Themen. Gleichzeitig gab es Fragen, bei denen wir als Wissenschaftler*innen gesagt haben: Dazu gibt es ganz viele Studien und auch schon Antworten. Beispielsweise bei einem der mir nahe liegenden Themen, Hassrede im Internet. Dazu gibt es schon sehr viel Forschung. Offensichtlich haben wir deren Ergebnisse aber bisher noch nicht ausreichend und/oder verständlich vermittelt. Ich finde, das ist eine wichtige Erkenntnis für die Wissenschaft und die Wissenschaftskommunikation. 

Eine weitere Erkenntnis ist, dass viele Menschen ein hohes Grundinteresse an Wissenschaft haben – besonders an naturwissenschaftlichen Fragestellungen. Es kamen sehr viele Fragen zum Thema Klimawandel oder zu physikalischen Phänomenen. Ich denke, daran kann man in der Wissenschaftskommunikation noch mehr anknüpfen. 

Herr Rehberger, was hat es Ihnen persönlich gebracht, sich an einem solchen Prozess zu beteiligen?

Rehberger: Ich persönlich war von der Qualität der Wissenschaftler*innen, die an diesem Projekt mitgewirkt haben, beeindruckt. Ich glaube, wir können offensiver kommunizieren, dass wir in Deutschland, aber auch weltweit in vielen Bereichen in der Breite eine sehr gute Forschung haben. Das hat man auch im Austausch gemerkt. Auf Fragen, die in den Fachbereich von Wissenschaftler*innen gefallen sind, hat man meistens sehr fundierte Antworten bekommen. Zugleich war es spannend, die Vielfalt der eingereichten Fragen zu sehen und zu merken, wie breit das Interesse an Wissenschaft in der Bevölkerung ist. Und natürlich war es vor allem auch interessant, viele ganz unterschiedliche Leute kennenlernen zu dürfen. 

Wie kann ein solches Projekt zum Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft beitragen?

„Die Fragen der Bürger*innen geben, denke ich, eher einen Einblick, (…) wo vielleicht noch besser kommuniziert werden muss.“ Samuel Rehberger
Rehberger: Ich denke, man muss die Frage stellen, was das Ziel eines solchen Projekts ist. Anfangs haben wir gehört, dass es auch darum geht, aus dem Projekt neue Forschungsrichtlinien zu entwickeln. Da muss man aus meiner Sicht ehrlicherweise etwas bremsen und sagen: Das ist zu ambitioniert. Die Fragen der Bürger*innen geben, denke ich, eher einen Einblick, in welchen Bereichen besonderes Interesse besteht und wo vielleicht noch besser kommuniziert werden muss. Vielleicht wird auch die eine oder andere interessante Frage dabei sein, die in einem Forschungsprojekt aufgegriffen werden kann. Ich glaube aber nicht, dass man wirklich viele Fragen gesammelt hat, die in der wissenschaftlichen Debatte noch nicht vorkommen.

Ich würde auch sagen, dass es nicht immer gleich ein Problem von Wissenschaftskommunikation sein muss, wenn Fragen gestellt werden, zu denen es schon wissenschaftliche Ergebnisse gibt. Vielleicht finden sich die Antworten schon vergleichsweise einfach zugänglich im Internet oder in einem Buch, aber trotzdem hatte jemand einfach Lust, diese Frage zu stellen.

Frau Molthagen-Schnöring, wo sehen Sie die Chancen und Grenzen eines solchen Projekts?

„Wissenschaftler*innen und Bürger*innen (haben) festgestellt: Es ist interessant, miteinander ins Gespräch zu kommen.“ Stefanie Molthagen-Schnöring
Molthagen-Schnöring: Ich schließe mich Herrn Rehberger an. Ich glaube, dass das Projekt seine Grenze hat, wenn es darum geht, eine Forschungsagenda aufzustellen. Das kann nicht die Aufgabe eines solchen Projekts sein. Vielleicht ist diese Zielsetzung in der Kommunikation am Anfang zu stark betont worden. 

Ich wünsche mir, dass man aus diesen Erfahrungen lernt und der Dialog weiter vorangetrieben wird. Beim IdeenLauf haben Wissenschaftler*innen und Bürger*innen festgestellt: Es ist interessant, miteinander ins Gespräch zu kommen. Grundsätzlich sagt man ja bei einer Begegnung nicht: Das ist die Wissenschaftlerin, das ist der Bürger. Ich bin ja auch Bürgerin und Herr Rehberger ist auch Wissenschaftler. Man muss sich immer wieder klarmachen, dass wir keine eindimensionalen Rollen spielen. 

Ich glaube, dass solche persönliche Begegnungen wichtig sind, um Vertrauen aufzubauen. Die Cluster-Konferenz haben viele als Herzstück des Projekts empfunden. Das waren sehr intensive und anstrengende Tage, bei denen man aber die Möglichkeit hatte, miteinander ins Gespräch zu kommen.

Die gesammelten Ideen werden in ein Ergebnispapier zusammengefasst und werden Mitte November der Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger übergeben. Wie geht es dann weiter? 

Molthagen-Schnöring: Ich hoffe und denke, nicht wenige der Themen – beispielsweise die Zukunft der Erde oder das große Thema Gesundheit – werden in der Zukunftsstrategie Forschung und Innovation der Bundesregierung eine Rolle spielen. Aus dem Prozess des IdeenLaufs kann man weiterhin mitnehmen, dass der Dialog zwischen Wissenschaft und Gesellschaft und die Wissenschaftskommunikation weiterentwickelt und gestärkt werden sollten. Dazu wurden bereits neue Förderprogramme angekündigt, was ich sehr begrüße. 

„Ich denke, dass ein Hauptziel des Projekts mit dem Ergebnispapier erreicht ist.“ Samuel Rehberger
Ganz wichtig ist auch , dass in den Fragen der Bürger*innen die Erwartungshaltung zum Ausdruck kommt, vorhandenes Wissen, zum Beispiel zur Bekämpfung des Klimawandels in Handlungen zu übersetzen. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Wissenschaft nicht alleine lösen kann. Da sind wir alle gefragt.

Herr Rehberger: Wie sollte es Ihrer Meinung nach weitergehen?

Rehberger: Ich denke, dass ein Hauptziel des Projekts mit dem Ergebnispapier erreicht ist – nämlich herauszufinden: Wo liegen die Interessen der Bürger*innen im Bereich Wissenschaft? Hieraus kann man vielleicht ein Stückweit die gesellschaftliche Relevanz bestimmter Themen ableiten. Nach der Übergabe an das Ministerium würde ich mir daher wünschen, dass man das Ergebnis zum Anlass nimmt und schaut, in welchen Bereichen vielleicht ein Defizit an Forschung besteht und wo man etwa Angebote und Formate fördern sollte, die zu einer besseren Wissenschaftskommunikation beitragen.