Foto: Michael Bäumert

Laut denken in der Wissenschaft

Im „PhD Log“ bloggt Susann Kohout über ihre Promotion am Institut für Sozialwissenschaften der TU Braunschweig. Ihr Ziel ist dabei, die inhaltlichen Diskussionen aus den Journals und Fachkonferenzen in die Öffentlichkeit zu bringen. Ein Gespräch über transparente Forschung und schnellere Wissenschaftskommunikation.

Frau Kohout, wie sind Sie dazu gekommen, ein Blogprojekt über Ihre Doktorarbeit zu starten?

Da gab es verschiedene Gründe, die sich alle aus meiner Tätigkeit in den Kommunikationswissenschaften ergeben haben. Wir sprechen ständig hier in der Abteilung, auf Tagungen oder auch auf Twitter darüber, dass man eigentlich viel mehr auch nach außen kommunizieren müsste. Bei den meisten Diskussionen merkt man aber schnell, dass es eher ein theoretisches „Man müsste mal …“ ist. Mit dem Blog möchte ich darum ganz praktische Erfahrungen sammeln: Was passiert, wenn ich meine Wissenschaft öffentlich kommuniziere? Und wie reagieren die Leute darauf?

Ein anderer Grund ist eine gewisse Frustration über Veröffentlichungsformen im Wissenschaftsbetrieb. Es werden unheimlich viele Paper produziert, sehr sauber formuliert und mühevoll ausgearbeitet. Dafür gehen Hunderte Stunden Arbeit von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern ins Land und wenn sie dann fertig sind, landen die Ergebnisse in Journals, die nur wenigen Menschen überhaupt zur Verfügung stehen. Wirklich gelesen wird so ein Paper dann statistisch gesehen von sechs Personen. Gerade in den Sozialwissenschaften werden aber gesellschaftlich relevanten Themen mit empirischen Daten belegt und diskutiert. Diese Diskussion sollte die Fachcommunity auch öffentlich, also außerhalb von Journals, und am besten mit der Gesellschaft führen. Und das machen Blogs und Social Media auf neue Weise möglich.

Was können Blogs hier leisten, was ein Paper nicht kann?

<b>Susann Kohout</b> ist <a href="https://www.tu-braunschweig.de/kmw/team/kohout" target="_blank">wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Kommunikations- und Medienwissenschaften der TU Braunschweig</a>. Sie promoviert dort über Emotionsentstehung in Online-Kommentarspalten und hält Seminare über kommunikationswissenschaftliche Theorien. Foto: Annekathrin Kohout
Susann Kohout ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung Kommunikations- und Medienwissenschaften der TU Braunschweig. Sie promoviert dort über Emotionsentstehung in Online-Kommentarspalten und hält Seminare über kommunikationswissenschaftliche Theorien. Foto: Annekathrin Kohout

Blogs bieten eine Chance, auch unfertige Ideen zu diskutieren und sich ein Feedback abzuholen. Diese Art des Publizierens macht die wissenschaftliche Arbeit transparenter und schneller. Sie ersetzt Paper dabei keineswegs, sondern ist als Ergänzung zu verstehen. Gleichzeitig bieten Blogs mehr Platz als andere aktuelle Social Media Angebote wie Twitter und Facebook. Trotzdem empfinde ich das Format als eher ungeeignet, um eine wirklich große Reichweite zu erzielen. Ein Besseres gibt es im Moment aber nicht. Ich warte auf den Nachfolger von Facebook und Instragram und hoffe, dass es wieder mehr Platz für Inhalte und für bewegte Bilder geben wird, auch in diesen schnellen Medien.

Das heißt, es braucht einen Wechsel der Publikationsformen hin zu schnelleren Methoden?

Wechsel vielleicht, Ergänzung mindestens. Ich warte gerade seit fünf Monaten auf ein erstes Review und das ist nicht einmal ungewöhnlich lang. Im Vergleich zu anderen Kommunikationsprozessen ist das überhaupt nicht zeitgemäß. Debatten laufen außerhalb der Wissenschaft viel schneller ab. So kommen unsere Ergebnisse oft zu spät, vor allem die aus empirischen Disziplinen wie den Sozialwissenschaften. Für die Qualitätssicherung ist es unabdingbar, Ergebnisse mit Peer-Review-Prozessen auch überprüfen zu lassen. Wenn wir aber immer erst nach allen Sicherungsprozessen so weit sind, mit Ideen rauszutreten, zum Beispiel an die Presse, dann ist die Diskussion oft schon ganz woanders. Für mich ist klar, dass das nicht der einzige Weg sein kann. Gerade mit den Möglichkeiten von Social Media können wir als Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gehört werden. Daran erfreuen sich bisher vor allem Verschwörungstheoretiker.

Was sind die Vorteile von transparentem wissenschaftlichen Arbeiten?

Ich finde es wichtig, den Menschen nicht nur zu vermitteln, was das Ergebnis einer Forschung ist, sondern auch, wie man darauf gekommen ist. Das gelingt meiner Meinung nach aber nicht, indem man in jedem Zeitungsartikel über ein wissenschaftliches Thema alle Perspektiven der Forschung in ihrer Komplexität dazu darlegen. Dass die Arbeitsweise des wissenschaftlichen Prozesses vermittelt wird, sollte grundlegend vorgelagert sein. Im Internet gibt es Platz, dieses Wissen zu vermitteln und Interessierten zumindest die Möglichkeit zu geben, sich damit auseinanderzusetzen und auch die Diskussionen dazu nachzuverfolgen. Davon verspreche ich mir ein größeres Verständnis für wissenschaftliches Arbeiten allgemein. Und da sehe ich auch uns Wissenschaftler selbst in der Verantwortung, mehr zu erklären, was wir eigentlich täglich tun.

Funktioniert das in Ihrem Blog bisher?

Mehr oder weniger. Ich merke schon, dass im Kollegenkreis oder auch in meinem Netzwerk in den Sozialen Medien einige das Blog bemerkt haben. Dass sich aber jemand intensiv mit den Inhalten und meinen Ideen auseinandergesetzt hat, sehe ich bisher noch nicht. Das liegt aber auch in den Beiträgen, und wie ich sie gestalte. Sie sind noch sehr lang, sehr spezifisch und sehr nah an der Dissertation. Außerdem bin ich auch in der Fachcommunity noch nicht so etabliert. Da bin ich also noch in den Kinderschuhen.

Haben Sie Ideen, wie Sie mehr Aufmerksamkeit in der Fachcommunity erreichen können?

Ich halte es für ein gutes Konzept, Interviews mit etablierten Blogs wie Wissenschaftskommunikation.de zu halten (lacht). Konkret kann ich die Frage aber nicht beantworten. Die Medienumgebung verändert sich gerade sehr und ich glaube, vielen ist noch nicht klar, wie sehr. Ich bin aufmerksam und versuche die entscheidenden Trends zu beobachten und auf den richtigen Zug aufzuspringen. Damit handle ich bereits anders als viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich eher nicht mit Social Media befassen wollen, sich absichtlich davon differenzieren.

Wollen Sie auch Laien direkt erreichen?

Ja, unbedingt irgendwann, aber das ist erst der zweite Schritt. Ich möchte erst mal sicherer in der Kommunikation werden, bevor ich ernsthaft Laien ansprechen möchte. Da muss man noch viel mehr erklären, braucht eine andere Sprache und da bin ich jetzt noch nicht. Das Blog ist ja auch ein Experiment für mich selbst. Ich übe mich in Schreibprozessen, beobachte meine Entwicklungen, welche Fehlschläge ich habe, wie ich mich in Arbeitsprozessen konditioniere. Das Blog ist also auch ein Instrument für die persönliche Weiterentwicklung.

Wie gehen sie beim Schreiben eines Artikels vor?

Ich habe viele Ideen, die mich zum Beispiel gerade in meiner Dissertation beschäftigen. Die schreibe ich auf, recherchiere, welche Gedanken sich andere dazu gemacht haben und trage die Ergebnisse zusammen. Meistens habe ich bis dahin schon mehrere Dokumente mit vielen neuen Fragestellungen und spannenden Ansätzen zusammengetragen. Die muss ich dann wieder zusammenbringen, noch mal neu durchdenken, um die Hälfte davon schmerzlich wieder rauszukürzen. Am Ende habe ich dann oft über etwas ganz Anderes geschrieben, als ich eigentlich wollte. Kurz gesagt: Der ganze Schreibprozess hat für mich die Funktion des lauten Denkens und gerade das ist auch der Gedanke hinter meinem Blog und vielleicht auch der transparenten Wissenschaft.