Foto: Margit Taibon-Lindheim

„Im wahrsten Sinne des Wortes ein Herzensprojekt“

Mit „Herzählungen“ vereint Ariane Pessentheiner persönliche Geschichten und Kunst. Wie die Biochemikerin damit junge Menschen für Herzgesundheit sensibilisieren möchte, erklärt sie im Interview.

Frau Pessentheiner, mit ihrem Projekt „Herzählungen – Geschichten über’s Herz“ machen Sie Wissenschafts- und Gesundheitskommunikation zum Thema Herzgesundheit. Wie kamen Sie auf die Idee für ihr Projekt?

Ariane Pessentheiner ist promovierte Biochemikerin und forschte langjährig an den molekularen Ursachen von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes, Fettleibigkeit und Atherosklerose. Dazu war sie an der Technischen und der Medizinischen Universität Graz, sowie der University of California San Diego (UCSD) tätig. Seit 2022 ist sie als Wissenschaftskoordinatorin und -kommunikatorin an der Universität Graz beschäftigt. Foto: privat

Während eines mehrjährigen Forschungsaufenthaltes in den USA habe ich die molekularen Ursachen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen untersucht. Sie stellen aktuell die häufigste Todesursache weltweit dar. Wissenschaftliche Erkenntnisse deuten darauf hin, dass insbesondere junge Menschen Herz-Kreislauf-Erkrankungen durch einen gesunden Lebensstil verhindern können – dennoch gibt es für diese Gruppe wenig Aufklärung. Darum habe ich „Herzählungen“ für Menschen zwischen 25 und 45 Jahren konzipiert und möchte damit zur Prävention beitragen. Erfreulicherweise finanziert der österreichische Wissenschaftsfond mit einer Förderungslinie explizit Wissenschaftskommunikation, die auf einem eigenen Forschungsprojekt basiert. Dort habe ich einen Projektantrag eingereicht und Förderung für ein Jahr erhalten.

Wie haben Sie ein Konzept für diese Zielgruppe entwickelt und welche Formate verwenden Sie?
Aus den USA kannte ich den Story Collider: ein Format, bei dem unterschiedlichste Menschen persönliche Geschichten mit Bezug zu Wissenschaft erzählen. Das hat mich dazu inspiriert, persönliche Erzählungen von Betroffenen als Herzstück des Projekts zu wählen.

„Ich glaube, dass wir Menschen mit Wissenschaftskommunikation dort abholen müssen, wo wir ihnen auf Augenhöhe begegnen können.“ Ariane Pessentheiner
Die Geschichten, die sie über Herzgesundheit erzählen, nennen wir „Herzählungen“ und binden sie als Storytelling-Element in all unsere Formate ein. Ich glaube, dass wir Menschen mit Wissenschaftskommunikation dort abholen müssen, wo sie sich im Alltag befinden und wir ihnen auf Augenhöhe begenen können. Unsere Zielgruppe hält sich stark in den sozialen Medien auf, weshalb wir Instagram zur Kommunikation nutzen. Zusätzlich verwenden wir ein Blog, einen Podcast und ein Comic. Weil mir der persönliche Austausch sehr wichtig ist, sind auch Veranstaltungen Bestandteil des Konzepts. Inhaltlich möchten wir nicht nur Verhaltenstipps geben, sondern vor allem die molekularbiologischen Hintergründe zu Herzerkrankungen erklären. So können die Menschen verstehen, was im Körper passiert und warum bestimmte Maßnahmen Sinn machen.

Wie finden Sie solche persönlichen Geschichten und wie binden Sie diese konkret in ihre Kommunikation ein?
Zunächst vereinbaren wir ein Gespräch mit Personen, die wir aus dem persönlichen Umfeld oder über die sozialen Medien kennen. Von erworbenen Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu angeborenen Herzfehlern sprechen sie sehr unterschiedliche Themen an. Bei unseren „Herzählungs-Abenden“ erzählen die Betroffenen ihre Geschichten vor Publikum in einer Bar. Das nehmen wir auf und produzieren daraus einen Podacst. In weiterführenden Blogartikeln oder Social-Media-Beiträgen greifen wir das wissenschaftliche Element der „Herzählung“ auf und erklären den medizinischen Hintergrund.

Sie hätten sich für Ihre Kommunikation auch auf ein einzelnes Format beschränken können. Warum haben Sie sich für eine Kombination entschieden?
Auch wenn soziale Medien dabei helfen, eine Reichweite aufzubauen, interagieren wir auf Instagram hauptsächlich mit Menschen, die sich bereits für das Thema Herzgesundheit interessieren. Insgesamt findet hier wenig direkte Interaktion statt, weshalb schwer messbar ist, ob man bei der Zielgruppe tatsächlich etwas bewirkt.

„Kunst kann als verbindendes Element genutzt werden und Aufmerksamkeit erzeugen.“ Ariane Pessentheiner
Sehr viel effektiver finde ich es in Fußgängerzonen zu gehen. Bei solchen Veranstaltungen kommt man persönlich mit den Menschen in Kontakt und erhält direkte Rückmeldung – manche versprechen sogar anschließend einen Vorsorgetermin beim Arzt zu vereinbaren. Mit dem Podcast verleihen wir unseren Veranstaltungen eine bleibende Komponente und können nicht nur die Menschen vor Ort, sondern den gesamten deutschsprachigen Raum erreichen. Das Comic soll die Zielgruppe nochmal erweitern. Comics sind ein sehr niederschwelliges Medium, das viele Altersgruppen anspricht. Sie eignen sich gut zur Veranschaulichung schwieriger molekularbiologischer Hintergründe – und sind für mich natürlich eine gute Möglichkeit, meine Kreativität auszuleben (lacht).

Die Idee für den Wissenschaftscomic „Marko der Makrophage“ ist während der Umsetzung von „Herzählungen“ als Unterprojekt entstanden und erklärt spielerisch, wie der Lebensstil den Stoffwechsel und die Entstehung von Atherosklerose beeinflusst. Für die Realisierung hat Ariane Pessentheiner gemeinsam mit einem Illustrator einen weiteren Förderungsantrag eingereicht. Illustration: Wolfgang Schütz.

Stichwort Kreativität. Sie schreiben auf Ihrer Webseite, dass Sie Kunst nutzen möchten, um Wissenschaft zu vermitteln. Warum kann Wissenschaftskommunikation von Kunst profitieren?
Wenn ich in meiner Freizeit künstlerisch arbeite merke ich, dass dabei sehr ähnliche Denkvorgänge wie in der Forschung ablaufen. Sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kunst überlege ich: Wie setze ich meine Ausgangsmaterialien zusammen, um ein fertiges Produkt zu erhalten oder eine bestimmte Fragestellung zu beantworten? Darum war für mich schon immer eine Verbindung zwischen Kunst und Wissenschaft vorhanden und ich bin davon überzeugt, dass Künstler*innen und Forschende sehr viel voneinander lernen können. Kunst kann somit als verbindendes Element genutzt werden und Aufmerksamkeit erzeugen.

Können Sie dafür ein Beispiel nennen?
Zum Start des Projektes am Welt-Herz-Tag waren wir mit der Aktion „Heart&Art“ in den Fußgängerzonen von Graz und Villach unterwegs. Als Kunstobjekt hatten wir eine Leinwand in Form eines anatomischen Herzens mit einer Größe von 2,4 Metern Höhe und 1,6 Metern Breite dabei. Dieses wirkte wie ein Magnet auf die Passant*innen. Die Menschen wollten wissen, was hinter dem imposant großen Kunstwerk steckt und schon sind wir ins Gespräch gekommen. Interessierte konnten auch selbst kleine Quadrate gestalten, die wir an dem Herz-Kunstwerk wie eine Art Mosaik angebracht haben.

Ariane Pessentheiner und ihre studentische Mitarbeiterin Margit Taibon-Lindheim vor dem fertigen Herzmosaik. Foto: privat

Über 230 Menschen haben so zu unserem Herzmosaik beigetragen, das es nun sogar in ein Museum geschafft hat: Es dient für zwei Jahre als Exponat in einer Ausstellung über die Geschichte der Medizin in Österreich.

Was für Gespräche sind da in der Fußgängerzone entstanden?
Viele Passant*innen haben berichtet, dass sie es schwierig finden, mit ihrem Arzt oder ihrer Ärztin über Herzgesundheit zu sprechen. Viele wussten beispielsweise nicht, dass Kurzatmigkeit auf eine Herzkrankheit zurückgeführt werden kann und denken, ihr Problem hinge mit der Lunge zusammen. Sie wissen dann gar nicht, an welche Art von Spezialist*in sie sich am besten wenden sollten. Das kann in der Kommunikation mit Fachärzt*innen zu Verwirrung und Unsicherheit führen und die Patient*innen fühlen sich unverstanden. Passant*innen berichteten auch, dass sie die Empfehlungen ihrer Ärzt*innen oft schwer nachvollziehen können und der Arztbesuch Überforderung auslöst. Ärzt*innen raten ihnen: „Ändern sie ihr Leben“. Aber wie und warum sie das tun sollen, erklärt den Patient*innen niemand. An all diesen Stellen können Wissenschaftskommunikator*innen große Hilfe leisten.

„Wir vermitteln das notwendige biologische Hintergrundwissen, sodass sich die Menschen informierter und sicherer fühlen.“ Ariane Pessentheiner
Wir vermitteln das notwendige biologische Hintergrundwissen, sodass sich die Menschen informierter und sicherer fühlen. In der Sprechstunde können sie dann gezieltere Fragen stellen oder medizinische Messwerte besser interpretieren. Insbesondere ältere Menschen haben auch medizinische Fragen zu konkreten Beschwerden gestellt, die wir als Kommunikator*innen natürlich nicht beantworten können. Hier konnten wir sie zu einem ärztlichen Vorsorgetermin animieren und Infomaterialien vom Herzverband austeilen. Mit „Heart&Art“ haben wir also Wissenschaftskommunikation, medizinische Information und Kunst vereint.

Hätten Sie „Herzählungen“ auch neben ihrer Tätigkeit als Forscherin umsetzen können?
Ich glaube nicht, dass ein*e Wissenschaftler*in ein solches Projekt neben der Forschung realisieren könnte, dafür ist es zu ambitioniert und intensiv. Die Konzeption und Umsetzung von „Herzählungen“ war für ein Jahr mein Hauptberuf. Mit im Team hatte ich eine studentische Mitarbeiterin. Einige Schritte haben wir aber auch ausgelagert, wie beispielsweise das Schneiden und Einpflegen des Podcasts und die Illustrationen.

Die Förderung für das Projekt ist vor einigen Wochen ausgelaufen. Wie wird es mit „Herzählungen“ weitergehen?
Für uns ist „Herzählungen“ im wahrsten Sinne des Wortes zu einem Herzensprojekt geworden. Um das Projekt am Leben zu halten, führen wir es auf freiwilliger Basis weiter und wägen mögliche langfristige Lösungen ab, wie beispielsweise die Gründung eines Vereins. Aktuell suchen wir im gesamten deutschsprachigen Raum nach Freiwilligen, die Interesse haben Blogartikel zu schreiben oder Social-Media-Beiträge zu gestalten. Wer Erfahrung in diesen Bereichen sammeln möchte, kann sich gerne bei uns melden. So oder so gibt es einige bleibende Elemente, wie den Podcast oder das Comic. Für unseren Podcast, der aktuell bei Folge fünf ist, haben wir viele weitere „Herzählungen“ aufgezeichnet, die nun nach und nach veröffentlicht werden.