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„Der Journalismus hat es verpasst, ein funktionierendes Geschäftsmodell zu entwickeln“

Früher Journalist, heute Öffentlichkeitsarbeiter: Philipp Hummel, Referent für Medien und Kommunikation am Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam, hat die Seiten gewechselt. Im Interview spricht er über die Gründe.

Herr Hummel, Sie sind jahrelang als freier Wissenschaftsjournalist unterwegs gewesen und jetzt in die Wissenschafts-PR bzw. die Öffentlichkeitsarbeit eines Forschungszentrums gewechselt: Was waren die Gründe?

Es gibt drei Hauptgründe: Zum einen konnte ich es mir einfach nicht mehr leisten, freier Journalist zu sein. Ich habe immer viel Wert auf eine gründliche Recherche gelegt und teilweise auch investigativ gearbeitet. Der zeitliche Aufwand dafür wird aber meistens nicht bezahlt. Die Honorare funktionieren als Pauschalen auf Artikellängen. Mit zwei kleinen Kindern und Mitte dreißig war für mich der Punkt erreicht, an dem ich mir nicht mehr dauernd Gedanken um mein Einkommen und meine Rente machen wollte. Zum anderen bin ich vom Qualitätsniveau im Journalismus enttäuscht. Es gibt natürlich nach wie vor Journalisten, die gut arbeiten. Pauschalisierungen sind falsch. Das Bild in der Öffentlichkeit wird aber von Beispielen mangelhafter Berichterstattung geprägt. Und in den letzten Jahren gab es leider zahlreiche größere und kleinere Beispiele, bei denen ich mich geärgert habe, auch bei großen, renommierten Redaktionen. Ich konnte mich zunehmend nicht mehr mit der Branche identifizieren. Drittens kann ich als eine Art Leitbild in meinem Leben ausmachen, dass ich mich für Wissenschaft begeistere. Ich fand es daher sehr reizvoll, wieder näher an diesen Bereich heranzurücken. Gerade auch in Zeiten, in denen Fakten zur Zielscheibe in Debatten werden und Populisten von links, rechts, oben und unten versuchen, die Öffentlichkeit zu manipulieren.

Philipp Hummel ist Referent in der Öffentlichkeitsarbeit am Deutschen GeoForschungsZentrum (GFZ) in Potsdam. Zuvor war er als freier Journalist tätig und schrieb Beiträge z. B. für die Süddeutsche, die NZZ, Spiegel Online und Spektrum.de. Foto: Claudius Pflug

Welche Fehler hat die Journalismusbranche noch gemacht?

Der Journalismus hat es aus meiner Sicht verpasst, ein modernes und funktionierendes Geschäftsmodell zu entwickeln. Früher haben die Menschen CDs und Videos, dann DVDs gekauft. Heute gibt es Spotify und Netflix. Die Leute wollen aus einem digitalen Angebot wählen können und das ohne großen Stress bei der Bezahlung. Das gilt meiner Ansicht nach auch für Journalismus. Man möchte nicht mehr nur eine Zeitung lesen, sondern verschiedene Artikel aus unterschiedlichen Quellen. Ein an Streamingdienste wie Spotify angelehntes Modell könnte diesen Bedarf bedienen. Die Nachrichtenplattform Blendle fährt beispielsweise bereits heute einen ähnlichen Ansatz, wenn auch bisher noch nicht mit einer Flatrate. Ich denke aber, dass das die Zukunft sein wird.

Ist Ihnen die Entscheidung schwergefallen, aus dem Journalismus auszusteigen?

Am Ende ist sie mir sehr leicht gefallen. Aber das war ein langer, auch schmerzhafter Prozess. Ich bin mit großem Idealismus in den Journalismus eingestiegen. Die Arbeit an sich hat mir auch viel Spaß gemacht. Doch nach und nach habe ich festgestellt, dass da für mich einiges nicht mehr stimmt. Es war ein langsamer, stetiger Ablösungsprozess.

Ich habe viel über den Wechsel nachgedacht. Als Journalist habe ich nie PR-Aufträge angenommen. Ich fand es wichtig, beide Bereiche voneinander zu trennen. Ich bin jetzt bewusst in die Kommunikationsabteilung eines öffentlichen Forschungsinstituts gewechselt und nicht in die PR-Abteilung eines Unternehmens. Ich sehe da schon einen Unterschied, insbesondere auch, was die Arbeitsweise und die Funktion angeht. Und das würde in einem Unternehmen für mich im Moment nicht passen, denke ich.

Sie sprachen vorhin von Problemen im Journalismus. Wie sieht es denn speziell im Wissenschaftsjournalismus aus?

Ich denke, der Wissenschaftsjournalismus ist noch mal eine ganz eigene Blase innerhalb der Blase Journalismus. Qualitätsprobleme sind zwar auch hier sichtbar, insbesondere wenn es um Themen aus dem großen und wichtigen Bereich Gesundheit geht. Aus meiner Sicht sind sie aber geringer als andernorts in der Branche. Ich glaube, dass der Wissenschaftsjournalismus insofern noch näher an meiner Idealvorstellung von Journalismus liegt. Die meisten Wissenschaftsjournalisten haben einen akademischen Hintergrund in Mathematik, Medizin, Psychologie oder einem ähnlichen Bereich. Vielleicht hilft das. Auch wenn man über „fremde“ Forschungsfelder berichtet, ist es ein Vorteil, diese naturwissenschaftlich-mathematisch-empirische Denk- und Arbeitsweise kennengelernt zu haben, würde ich sagen. 

„Das größte Problem des Wissenschaftsjournalismus ist dessen Nischendasein. Deshalb ist zu befürchten, dass er stärker als andere Bereiche von möglichen Kürzungen betroffen sein könnten.“

Das größte Problem des Wissenschaftsjournalismus ist aus meiner Sicht dessen Nischendasein. Das ist, seit ich vor fast zehn Jahren mit dem Beruf begonnen habe, ein Thema, an dem sich wenig oder gar nichts geändert hat. In den entscheidenden Positionen innerhalb von Redaktionen wird Wissenschaft oft eher als Teil der „Unterhaltungsabteilung“ wahrgenommen und nicht als ein Ressort, das politisch oder gesellschaftlich wichtige Debatten anstoßen und beeinflussen kann. Auch hier gilt: Es gibt Ausnahmen, ich will nicht pauschalisieren. Aber ich habe doch den Eindruck, dass es da ein Muster gibt.

Wenn Themen eine gewisse Relevanz bekommen, werden sie häufig von anderen Ressorts „gekapert“. Aktuelle Beispiele sind der Klimawandel, die Diesel-Affäre, die Debatte um Glyphosat oder „Künstliche Intelligenz“, die die Ressorts Politik oder Wirtschaft an sich ziehen. Die Wissenschaftsjournalisten sind dann teilweise ausgeschlossen, obwohl sie die bei solchen Themen nötige Expertise hätten. Wegen dieser Nischenrolle muss man befürchten, dass die Wissensressorts stärker als andere von möglichen Kürzungen betroffen sein könnten.

Gibt es denn Lösungsansätze, wie man aus der Nische herauskommen könnte?

Es gibt zumindest einige Ideen. In der Zeit haben kürzlich der Wissenschaftsjournalist Volker Stollorz und Reinhard Hüttl, der Vorstandsvorsitzende des GFZ – also mein neuer Chef – die Unterstützung des Wissenschaftsjournalismus durch eine Stiftung vorgeschlagen. Helfen könnte es, wenn so eine Stiftung Erfolg dabei hätte, innerhalb der Journalismusbranche und der Politik für den Wissenschaftsjournalismus zu werben. Es braucht aus meiner Sicht mehr Wissenschaft im Journalismus – in der Themensetzung genauso wie in der Arbeitsweise! 

„Ich glaube nach wie vor, dass sich die Methoden von Forschern und Journalisten stark ähneln sollten. Man könnte so viel verlorenes Vertrauen zurückgewinnen.“

Ich persönlich glaube nach wie vor, dass sich die Methoden von Forschern und Journalisten stark ähneln sollten: Man hat eine Idee oder eine Hypothese, recherchiert oder experimentiert, um diese empirisch zu belegen und fasst dann die Ergebnisse für ein interessiertes Publikum in ansprechender Weise zusammen, ohne Wesentliches wegzulassen. Man könnte viel verlorenes Vertrauen zurückgewinnen, wenn man im Journalismus stärker nach diesem Modell arbeiten würde, davon bin ich überzeugt. Vertrauenswürdige und gleichzeitig spannende Informationen sind das Produkt, das Journalisten anbieten können. Stimmt die Qualität des Produkts nicht, braucht man sich über alles weitere erst gar keine Gedanken zu machen.

Eine Stiftung könnte dabei helfen, diese Arbeitsweise durch Workshops stärker zu verbreiten. Dabei würde auch die Bedeutung von Wissenschaft für öffentliche Debatten klarer. Denn vielen politischen Streits liegen unterschiedliche Interpretationen und Lösungsansätze für wissenschaftliche oder technische Fragen zugrunde, ich verweise da zum Beispiel noch mal auf die Diesel-Affäre und die Diskussion um Fahrverbote. Das ist für mich absolut ein Thema für Wissenschaftsjournalisten! Eine weitere Stiftung, die über Stipendien die Recherchekosten deckt, die Verlage nicht mehr zahlen können oder wollen, wäre hingegen für mich nicht der richtige Ansatz, um aus der Krise des Wissenschaftsjournalismus herauszuführen.

Wo liegen aus Ihrer Sicht die Hauptunterschiede zwischen der journalistischen Arbeit und der Öffentlichkeitsarbeit eines Forschungszentrums?

Der wesentliche Unterschied sind Funktion und Zielsetzung. Die Aufgabe von Journalisten ist es, einzuordnen und kritische Fragen zu stellen. In meiner neuen Rolle geht es eher darum, die Wissenschaft, die hier am Forschungszentrum gemacht wird, in die Öffentlichkeit zu bringen und Menschen dafür zu begeistern. Dabei gelten journalistische Maßstäbe nur eingeschränkt, ich hole beispielsweise keine zweite Expertenmeinung für eine Pressemeldung ein. Meine Entscheidung, ans GFZ zu kommen, hat erleichtert, dass wir hier versuchen, nach den Leitlinien zur guten Wissenschafts-PR zu arbeiten. Damit kann ich mich identifizieren. 

„Meine Entscheidung, ans GFZ zu kommen, hat erleichtert, dass wir hier versuchen, nach den Leitlinien zur guter Wissenschafts-PR zu arbeiten. Damit kann ich mich identifizieren.“

Glauben Sie, die Professionalisierung der Wissenschafts-PR schadet dem Wissenschaftsjournalismus?

Nein. Ich glaube, dass das Publikum klug genug ist, journalistische Inhalte von denen von Forschungseinrichtungen zu unterscheiden und richtig einzuordnen. Ich glaube da nicht an einen Verdrängungseffekt. Die Zielgruppen sind auch andere.

Sie sind jetzt einen Monat am GFZ: Hat Sie etwas überrascht?

Bisher finde ich die Arbeit sehr spannend und meine ersten Eindrücke sind positiv. Ein wenig überrascht hat mich, wie nah man an der Wissenschaftspolitik ist. Man erhält viele Einblicke in das System Wissenschaft und dessen Strukturen. Das finde ich sehr interessant.

Außerdem bin ich davon begeistert, wie viele verschiedene Themenfelder aus unterschiedlichen Disziplinen am GFZ zusammenkommen. Ich selbst bin Physiker mit einer Spezialisierung in biophysikalischer Chemie. Geothemen waren in meiner bisherigen Tätigkeit als Journalist nicht mein primäres Thema. Durch meine Ausbildung habe ich aber die wissenschaftlichen Grundlagen parat, die ich hier brauche. Mir hilft auch, dass ich als Journalist gelernt habe, mich schnell in neue Themen einzuarbeiten. In den letzten Jahren habe ich mich vor allem mit „künstlicher Intelligenz“ und „Big Data“-Themen befasst. Die spielen auch hier eine große Rolle, beispielsweise bei der Analyse von Satellitenmessungen oder Erdbebendaten mithilfe von Machine Learning. Insgesamt finde ich es toll, weiterhin jeden Tag etwas Neues zu lernen!