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Wissenschaft und Aktivismus – Passt das?

Wie aktivistisch darf Wissenschaft sein? Darf sie überhaupt? Auf Twitter wurde kürzlich zu diesem Thema intensiv diskutiert. Auslöser war ein kritischer Artikel bei ZEIT Online über die Ökonomin Claudia Kemfert. Ein Versuch, die Debatte zusammenzufassen.

„Sie macht Wind“, so titelte ZEIT Online über Claudia Kemfert, Leiterin der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung DIW Berlin und Professorin für Energiewirtschaft und Energiepolitik an der Leuphana Universität. Sie engagiert sich für Klimaschutz – seit einigen Jahren auch bei Scientists for Future und scheut nicht davor zurück, ihre eigene politische Haltung zu dem Thema öffentlich zu vertreten. Hierfür wird sie kritisiert: Kemfert sei die Wissenschaftlerin, die den Aktivist*innen Zahlen liefert und übertrete die Grenze zwischen Wissenschaft und grünem Aktivismus. Aber was definiert diese Grenze?

Ein zu wenig diskutiertes Thema

Volker Hahn, Leiter der Kommunikation am Deutschen Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung, beklagt, dass das Thema Aktivismus und glaubwürdige Wissenschaftskommunikation von Forschenden ein vollkommen unreflektiertes Thema sei. Er lese selbst nur von „Aktivisten, die das unproblematisch finden. Kaum Gegenmeinungen [oder] Diskussionen.“

Hahn antwortete damit auf einen Tweet von Wissenschaftsjournalist Axel Bojanowski. Dieser findet, dass sobald Journalist*innen „mal keinen Jubelgesang auf die ach so selbstlosen Kämpfer für eine bessere Welt“ schreiben, werde „draufgehauen mit Verlass auf den Twitter-Mob.“ Das Resultat sei seiner Meinung nach, dass sich Reporter*innen künftig überlegen, ob sie sich solch ein „Nachspiel“ antun wollen.

Unfaire Berichterstattung

Mit „selbstlosen Kämpfer“ meint Bojanowski hier unter anderem Volker Quaschning, Professor für regenerative Energiesysteme, dem er mit diesem Tweet antwortete. Quaschning empfindet die Kritik an Claudia Kemfert als ungerechtfertigt. Aus seiner Sicht werden Wissenschaftler*innen wie Kemfert, die sich für mehr Klimaschutz stark machen, in „inhaltsleeren Artikeln als Aktivist*innen diskreditiert.“

Mehr Formate und Zeit für komplexe Inhalte

Auch Pao-Yu Oei, Professor für Energie- und Umweltmanagement an der Europa-Universität Flensburg und selbst bei Scientists for Future aktiv, findet den Artikel „diskriminierend“ und „reißerisch“. Er geht in seinem Thread unter anderem auf die Kritik ein, dass die Machbarkeit der Energiewende von Kemfert und anderen Forschenden zu optimistisch und Forschungsergebnisse zu vereinfacht dargestellt werden. Pao-Yu Oei gibt zu bedenken, dass die „Komplexität von Ergebnissen eines 5 jährigen Forschungsprojektes nicht in [einem] 15 Sekundenbeitrag in einer Talkshow oder einem Tweet perfekt zusammengefasst werden können“. Und fragt, ob „es nicht Auftrag der Medien [wäre] der Wissenschaft dann mehr Formate und Zeit für ausführliche Erklärung von wissenschaftlichen Fakten zu geben?“ Pao geht soweit, Fridays for Future zu danken. Dafür, dass „unsere wissenschaftlichen Ergebnisse endlich mehr Sichtbarkeit bekommen. Sie perfektionieren und revolutionieren somit die Wissenschaftskommunikation; und das gegen enormen Widerstand der fossilen Industrie.“

Wissenschaft versus Aktivismus

Auf Oeis Thread antwortet Franziska Müller, Juniorprofessorin für Politikwissenschaften an der Universität Hamburg und fragt: „Warum ehrenrührig Stimmungsmache gegen eine großartige Kollegin betreiben?“. Sie selbst schrieb für Zeit Online ein Statement, warum Wissenschaft und Aktivismus ihrer Meinung nach eng zusammengehören, welches auch im Kemfert Artikel zitiert wurde.

Wissenschaftsjournalist Ralf Nestler hingegen findet den ZEIT Artikel weder „inhaltsleer“ noch „diskreditierend“. Der Artikel sei fair und stelle die richtigen Fragen, unter anderem bezüglich Wissenschaft versus Aktivismus.

Michael Böcher, Professor für Politikwissenschaft an der Otto von Guericke Universität Magdeburg, ist der Meinung, dass die Rolle von Wissenschaft und Aktivismus klar getrennt sein sollte. Im Falle von Frau Kemfert fordert er, dass diese transparenter machen soll, welche Rolle sie gerade in ihrer Kommunikation einnimmt.

Kann Wissenschaftskommunikation bei neutralen Fakten bleiben?

Eine zentrale Frage in dieser Debatte formuliert Katja Knuth-Herzig, Koordinatorin im WiMaKo der Deutschen Universität für Verwaltungswissenschaften Speyer: Kann Wissenschaftskommunikation bei neutralen Fakten bleiben, „wenn wir sehen, dass darauf politisch nicht reagiert wird?“ Auch sie findet, dass das Thema mehr diskutiert werden sollte. Anders als Volker Hahn ist sie aber der Meinung, dass das Thema bereits durchaus in der Wisskomm-Community reflektiert werde. Es herrsche „eher eine Übervorsicht, sich auch nur in die Nähe von Aktivismus zu begeben, um keine Zweifel an der Glaubwürdigkeit der eig[e]nen Person [oder der] Kommunikation aufkommen zu lassen.“ Einig sind sich Hahn und Knuth-Herzig darin, dass „wir mit der Diskussion darum noch lange nicht fertig sind und uns das Thema durch die verschiedenen Krisen immer mehr unter den Nägeln brennt.“