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Wissenschaft auf Reddit: Zivilisierter Diskurs mit kleinen Schönheitsfehlern

Diskussionen auf der Plattform Reddit unterscheiden sich meist deutlich vom schnelllebigen Meinungsaustausch in den sozialen Netzwerken. Steckt darin eine Chance für die Wissenschaftskommunikation? Das hat die Informatikerin Katharina Reinecke untersucht.

Frau Reinecke, für einen aktuellen Tagungsbeitrag haben Sie mit Kolleginnen und Kollegen die Wissenschaftskommunikation auf Reddit untersucht. Was sind die Besonderheiten dieses Portals?

Auf Reddit können die Nutzenden zum Beispiel Links, Videos oder Texte posten, die andere kommentieren und bewerten können. Ein Beitrag, der viele „Upvotes“ erhält, also positive Bewertungen, ist dann besser für andere auf der Seite sichtbar. Es ist also eine Plattform für Nachrichten und Diskussionen, auf der die Community selbst darüber bestimmt, was wichtig ist und was breit diskutiert wird.

Portrait Katharina Reinecke
Katharina Reinecke ist promovierte Informatikerin und Assistant Professor an der Fakultät für Computer Science & Engineering an der University of Washington in Seattle. Zu ihren Forschungsinteressen gehören kulturelle Unterschiede in der Nutzung von Technologie sowie intelligente Benutzerschnittstellen. Auf ihrem Forschungsportal LabintheWild führt sie große internationale Online-Studien durch, unter anderem für psychologische Fragestellungen. Foto: privat

Was haben Sie in Ihrer Studie konkret untersucht?

Wir wollten herausfinden, inwiefern die Kommunikation über Wissenschaft auf Reddit besonderen Regeln folgt. Es gibt neben der allgemeinen Startseite noch so genannte Subreddits – das sind sozusagen Unterforen, in denen jeweils eine eigene Community über ein bestimmtes Thema diskutiert. Das größte Subreddit zum Thema Wissenschaft heißt r/Science und hat fast 21 Millionen Abonnenten. Wir haben alle dort geführten Diskussionen aus dem Jahr 2016 analysiert. Das waren fast 12.000 Postings und rund 350.000 Kommentare. Unter anderem wollten wir herausfinden, welche Themen dort besprochen werden, wer sich mit Postings oder Kommentaren beteiligt und welche Beiträge am erfolgreichsten sind. Ergänzend dazu haben wir noch einige Interviews mit Personen geführt, die auf r/Science aktiv sind.

Und was haben Sie herausgefunden?

Thematisch ist das Subreddit r/Science sehr breit aufgestellt – es werden viele wissenschaftliche Disziplinen aufgegriffen, am häufigsten Sozialwissenschaften, Biologie und Medizin. Auffällig war, dass ein sehr kleiner Prozentsatz aller Nutzerinnen und Nutzer für den Löwenanteil der Beiträge verantwortlich ist. Dieses Muster kennt man auch von anderen Online-Gemeinschaften wie etwa der Wikipedia: Nur eine Minderheit postet aktiv, während die Mehrheit meist still mitliest. Unsere Befragung ergab, dass viele Leute, die auf r/Science mitmachen, selbst eine wissenschaftliche Ausbildung haben, also mindestens einen Bachelor-Abschluss. Oft wollen sie durch ihre Teilnahme einfach weiter verfolgen, was in ihrem Forschungsfeld passiert, oder sie möchten andere von ihrem Wissen profitieren lassen.

Das heißt, dort diskutiert ein eher elitärer Zirkel miteinander?

Zumindest die Beitragenden, die selbst etwas posten, also eine Diskussion anstoßen, haben oft einen fachlichen Hintergrund. Bei denjenigen, die sich durch Kommentare einbringen, ist das bereits etwas diverser, und noch breiter ist vermutlich die Leserschaft, die sich nur durch das „Upvoten“ und „Downvoten“ von Beiträgen beteiligt. Dieses eher passive Mitmachen ist natürlich auch wichtig für den Diskurs.

Was denken Sie, warum Personen ohne wissenschaftlichen Hintergrund so selten Diskussionen auf der Plattform anstoßen?

Ein Grund ist unserer Meinung nach, dass r/Science ein umfangreiches und sehr restriktives Regelwerk dafür aufgestellt hat, wie neue Posts in diesem Subreddit aussehen müssen. Zum Beispiel muss man sich immer auf eine konkrete wissenschaftliche Veröffentlichung beziehen, die höchstens sechs Monate alt ist, ein Peer-Review-Verfahren durchlaufen hat und in einem einschlägigen wissenschaftlichen Journal erschienen ist. In den Überschriften der Postings soll man nicht zu stark sensationalisieren, aber auch nicht zu stark verallgemeinern. Diese ganzen Regeln stellen für wissenschaftliche Laien natürlich eine hohe Hürde dar, um etwas zu posten. Und wenn sie es zum ersten Mal versuchen, wird ihr Beitrag oft direkt wieder gelöscht, weil er nicht den Regeln entspricht. Das schreckt die meisten schon ab.

Screenshot-r-Science
Reddit ist eine Plattform, auf der die Nutzerinnen und Nutzer ähnlich wie in einem Forum Texte, Links andere Inhalte hochladen können, die anschließend von der Gemeinschaft diskutiert und bewertet werden. In sogenannten Subreddits, die von jedem angelegt und moderiert werden können, tauschen sich Menschen mit Interesse an speziellen Themen aus – wie Politik, Wissenschaft oder das Überleben einer Zombie-Apokalypse. 2018 hatte Reddit erstmals so viele aktive Nutzer wie Twitter (ca. 330 Millionen weltweit).

Gab es auch positive Erkenntnisse?

Auffällig war, dass der Diskurs unter den Nutzerinnen und Nutzern üblicherweise sehr kultiviert abläuft. Das könnte einerseits natürlich am selektiven Publikum liegen, andererseits wird auf diesem Subreddit einfach sehr stark moderiert. Das heißt, wenn Beiträge nicht den Regeln entsprechen, am Thema vorbeigehen oder beispielsweise Verschwörungstheorien verbreiten, werden sie von den Moderatoren gelöscht. Das ist ein deutlicher Unterschied zu sozialen Netzwerken wie Facebook oder Twitter, den man natürlich auch kritisch sehen kann – die Diskussionskultur fördert es aber in diesem Fall.

Beteiligen sich auch Personen, die tatsächlich in der Forschung aktiv sind?

Das konnten wir mit unseren Daten nicht feststellen. Sicher ist, dass es ein spezielles Format gab, in dem Forschende persönlich zu Wort kamen, das „Ask Me Anything“ oder „AMA“. Das ist ein beliebtes Reddit-Format, bei dem sich Personen zu einem festgelegten Termin einige Stunden lang auf einem Subreddit Fragen der Community beantworten. Prominente Teilnehmende auf r/Science waren zum Beispiel Stephen Hawking oder die Inititatoren des Science March. Aber noch während wir an unserer Studie gearbeitet haben, wurden die AMAs auf dem Subreddit eingestellt – leider. Ich und meine Kolleginnen und Kollegen empfanden das als eine tolle Einrichtung.

Warum wurde das Format eingestellt?

Dazu gibt es verschiedene Angaben. Die Moderatoren des Subreddits sagen, dass die Beiträge aufgrund technischer Änderungen auf der Plattform kaum noch ein größeres Publikum erreicht hätten – und gemessen daran sei der Aufwand einfach zu groß gewesen, namhafte Forschende für das Format zu gewinnen. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sagten wohl aus Zeitgründen ab. Aber durch das sehr offene Format weiß man auch nicht, welche Fragen einen erwarten, ob man gute Antworten parat hat, ob man eventuell von politisch motivierten Teilnehmenden attackiert wird. Die Hürde für Forschende, bei einem „Ask Me Anything“ mitzumachen, war daher vergleichsweise hoch.

Wie würden Sie die Bedeutung von r/Science für die Wissenschaftskommunikation einschätzen?

„Dass auf einer Plattform wie Reddit im Prinzip alle Menschen eigene Themen setzen können, finde ich einen Fortschritt.“ Katharina Reinecke
Es ist auf jeden Fall gut, dass es im Netz einen Ort gibt, an dem auch mal längere – und wie gesagt meist zivilisierte – Diskussionen über wissenschaftliche Themen ablaufen. Klassischerweise entscheiden ja immer noch Journalistinnen und Journalisten darüber, welche Informationen aus der Wissenschaft eine breite Öffentlichkeit finden. Dass auf einer Plattform wie Reddit im Prinzip alle Menschen eigene Themen setzen können, finde ich einen Fortschritt. Dass es eine Moderation braucht, damit nicht alles aus dem Ruder läuft, leuchtet auch ein. Aber man müsste durchaus mehr tun, um auch Leute ins Gespräch zu holen, die keinen fachlichen Hintergrund haben.

Was könnte man dafür tun?

Es wäre zum Beispiel nicht schlecht, wenn es eine Art Mentoren-Programm für neue Abonnenten von r/Science gäbe. Erfahrene Nutzerinnen und Nutzer könnten Neulinge an die recht komplizierten Forenregeln heranführen und ihnen so die Angst nehmen, zu posten. Und es ist ein Problem, dass nur wenig aktive Forschende dort unterwegs sind, um beispielsweise über ihre eigene Forschung zu debattieren. Die Autorinnen und Autoren der Arbeiten, die auf r/Science gepostet werden, sind nämlich nur selten an der Diskussion beteiligt. Das hat vielleicht auch Zeitgründe, aber oft bekommen es die Forschenden wahrscheinlich nicht einmal mit – man erhält keine Benachrichtigung, wenn eine Studie von einem auf r/Science geteilt wird. Das wäre aber eine sinnvolle Maßnahme. Es sollte Standard sein, die jeweiligen Forschenden zur Diskussion einzuladen. So können sie vielleicht Missverständnissen vorbeugen – und sie profitieren sicher auch von einem solchen Austausch. Der größere Punkt ist wahrscheinlich, dass man Outreach-Bemühungen in der Forschung insgesamt noch viel stärker wertschätzen muss, damit sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler überhaupt die Zeit dafür nehmen, ihre Arbeiten öffentlich zu diskutieren.

Zumindest auf Twitter sind mittlerweile viele Forschende aktiv – könnte die Diskussion nicht auch dort stattfinden?

Diskussionen auf Twitter sind mit denen auf Reddit nicht vergleichbar, allein schon wegen der Begrenzung auf 280 Zeichen für einen Tweet. Auf Twitter und in anderen sozialen Netzwerken wird nicht moderiert, und man kann alte Beiträge nicht gut nach Themen sortiert auffinden. Es ist daher alles unübersichtlicher. Das Subreddit r/Science dagegen funktioniert ein bisschen wie ein Archiv: Zu vielen wissenschaftlichen Themen und Fachartikeln gibt es hier schon Diskussionen, über die man in ein Forschungsthema einsteigen kann. Oft geht die Diskussion auch über das hinaus, was im Paper steht, zum Beispiel was ethische Aspekte betrifft. Es könnte daher – mit ein paar Verbesserungen – ein idealer Ort für Leute sein, die an ernsthaften Diskussionen über Wissenschaft interessiert sind.

 

Der Beitrag „r/science: Challenges and Opportunities for Online Science Communication“ wird am 09.05.2019 auf der CHI Conference on Human Factors in Computing Systems in Glasgow vorgestellt.