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„Passgenaue Kommunikation kann Vertrauen gewinnen“

Das TechnikRadar 2022 untersuchte die Einstellung der Deutschen zur Digitalisierung im Gesundheitswesen. Ein Gespräch mit Cordula Kropp, der Leiterin der Studie, über die wichtigsten Ergebnisse und darüber, wie Kommunikation über technische Themen verbessert werden könnte.

Frau Kropp, das TechnikRadar 2022 widmet sich der „Zukunft der Gesundheit“. Welche Themenkomplexe haben Sie sich angesehen?

Cordula Kropp ist Professorin für Soziologie mit einem langjährigen Schwerpunkt in der nachhaltigkeitsorientierten Forschung zu gesellschaftlichen Naturverhältnissen, Innovationen und soziotechnischem Wandel. Sie ist Direktorin des Zentrums für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart (ZIRIUS) und Teil der Projektleitung des Technikradars. Foto: privat

Wir haben einen besonderen Fokus auf die Digitalisierung im Gesundheitswesen gelegt. Dabei haben wir nach der Einschätzung der Deutschen zur elektronischen Patientenakte, der Nutzung von Fitness-, Ernährungs- und Gesundheitsapps und den Einstellungen zu Video- und Telefonsprechstunden gefragt. Es ging auch um Hoffnungen und Bedenken, wenn Ärzt*innen datenbasiert arbeiten und künstliche Intelligenz nutzen, um Fortschritte in der Medizin zu erzielen.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse?
Generell zeigen die Ergebnisse eine positive Haltung gegenüber der Digitalisierung in der Medizin. In anderen Bereichen wie der Bildung oder in der Wirtschaft wird der technologische Fortschritt sogar noch positiver bewertet und die Risiken als geringer eingeschätzt. Allerdings variieren die Einschätzungen stark zwischen den verschiedenen befragten Gruppen. Ein Teil der Befragten erhofft sich dadurch einen besseren Behandlungserfolg. Manche nutzen die Möglichkeiten weniger, weil sie nicht die nötigen Fähigkeiten mitbringen, um souverän mit den digitalen Möglichkeiten umzugehen.

Gibt es Unterschiede in den Einstellungen aufgetrennt nach Altersgruppen, Geschlecht, sozioökonomischen Faktoren oder Bildungshintergrund?
Ja, die gibt es. Wir haben aber nicht nur Unterschiede nach soziodemografischen Faktoren untersucht, sondern auch unterschiedliche Werteinstellungen berücksichtigt. Wie erwartet sind die Jüngeren gegenüber der Digitalisierung im Gesundheitswesen eher aufgeschlossen als die Älteren und nutzen digitale Anwendungen häufiger. Allerdings sind Gesundheitsapps bereits in der Breite im Alltag der Deutschen angekommen. Es gibt beispielsweise Menschen, die Diabetes haben und bestimmte Apps nutzen, um sich unterstützen zu lassen. Über 60 Prozent der Befragten recherchieren beispielsweise Gesundheitsthemen im Internet. Es gibt aber auch Personen, deren digitale Gesundheitskompetenz unter dem Durchschnitt liegt – sie tun sich schwer damit, Gesundheitsinformationen online zu finden, sie richtig einzuschätzen und Applikationen zu nutzen.

„Die Technikskepsis hat in den letzten fünf Jahren deutlich abgenommen. Wir sehen eine zunehmende Gewöhnung an digitale Technologien, die den Alltag durchdringen.“ Cordula Kropp
Es gibt eine Tendenz, dass gut gebildete, junge Frauen am meisten von den digitalen Möglichkeiten profitieren. Dem gegenüber stehen ältere Männer mit einem traditionellen Wertebild. Sie nutzen die digitalen Angebote kaum und haben das auch nicht vor. Das ist als auch eine Frage der Modernisierungsoffenheit.

Wie beurteilen es Ärzt*innen, dass sich Menschen durch digitale Angebote besser über Gesundheitsthemen informieren können und mitreden möchten?
Sie beurteilen das teilweise kritisch und haben Sorge, dass ihr Verhältnis zu den Patient*innen dadurch Schaden nimmt. Unsere qualitativen Untersuchungen aus dem Vorjahr zeigen, dass sie im Patient*innengespräch viel Aufwand betreiben müssen, um die selbst recherchierten Informationen richtigzustellen und einzuordnen. Sie sehen auch einen erheblichen Dokumentationsaufwand auf sich zukommen, da sie die Daten in der elektronischen Patientenakte zur Verfügung stellen müssen. Den unmittelbaren Nutzen für die Behandlung schätzt ein erheblicher Teil von knapp der Hälfte als eher gering oder unsicher ein, obwohl sie Gesundheitsdaten insgesamt für wichtig beurteilen.

Ein weiteres Zukunftsthema ist der Einsatz künstlicher Intelligenz in der Medizin, beispielsweise bei der Diagnosestellung – vertrauen die Patient*innen dieser Technologie?
Den Einsatz von Datenbanken in der Diagnoseerstellung hält eine knappe Hälfte für sinnvoll, 27 Prozent der Befragten geben an, KI in der Medizin zu vertrauen. Da unterscheiden sich die Einstellungen der Allgemeinheit nicht von denen des ärztlichen Personals. Jetzt kann man fragen, ob das viel oder wenig ist, wenn ein Viertel einer neuen Technologie vertraut.

TechnikRadar 2022

Das TechnikRadar von acatech, der Körber-Stiftung und dem ZIRIUS-Zentrum der Universität Stuttgart erfasst regelmäßig die Einstellungen der Bevölkerung in Deutschland zum technologischen Wandel. Ziel ist es, frühzeitig auf Fehlentwicklungen und einen Kommunikationsbedarf hinweisen zu können. Die bundesweite, repräsentative Befragung wird nach sozialwissenschaftlichen Standards entwickelt und mit Methoden der empirischen Sozialforschung ausgewertet. Für das TechnikRadar 2022 wurden 2.011 zufällig ausgewählte, in Deutschland lebende, deutschsprachige Personen ab 16 Jahren telefonisch von der INFO GmbH Markt- und Meinungsforschung vom 24. Juni bis 20. Juli 2021 befragt. Die Ergebnisse wurden entsprechend der amtlichen Statistik gewichtet. Die Ansichten von 200 Ärzt*innen wurden digital erhoben.

Sie erheben seit fünf Jahren das TechnikRadar. Wie haben sich die Einstellungen zum technischen Wandel in diesem Zeitraum verändert?
Die Technikskepsis hat in den letzten fünf Jahren deutlich abgenommen. Wir sehen eine zunehmende Gewöhnung an digitale Technologien, die den Alltag durchdringen. Auch Bedenken zum Datenschutz haben über die Zeit abgenommen. Das heißt aber nicht, dass er in Einzelfallentscheidungen keine Rolle mehr spielt. Wenn es darum geht, wem man Einblick in die Gesundheitsdaten gewähren möchte, gibt es doch erhebliche Vorbehalte bei der Bevölkerung.

Bei welchen Themen sind die Deutschen aufgeschlossen gegenüber Technik, wo zeigen sie sich eher skeptisch?
Wir sehen bei all unseren Fragen, dass die meisten Menschen mit „teils-teils“ antworten, also eine ambivalente Einstellung zu den Themen haben. Im TechnikRadar 2022 heißt es, dass das an der Komplexität der Themen läge. Damit ist aber nicht gemeint, dass die Themen zu kompliziert sind, sondern dass es den Menschen auf die konkreten Anwendungsfelder ankommt. Sie befürworten beispielsweise, dass die Medizin mit mehr datenbasierten Informationen Fortschritte macht, Behandlungen passgenauer werden und die individuelle Lebensführung einbezogen wird. Sie lehnen es aber ab, dass die behandelnde Zahnärztin einsehen kann, dass man auch in psychotherapeutischer Behandlung ist. Daher kommt die Ambivalenz. Dieser Befund ist auch in der Forschungsliteratur abgesichert.

Wie sollte man bei der praktischen Arbeit in der Kommunikation zu Wissenschaft- und Technikthemen mit dem Wissen um diese Komplexität und Ambivalenz umgehen?

„Wir sehen bei all unseren Fragen, dass die meisten Menschen mit „teils-teils“ antworten, also eine ambivalente Einstellung zu den Themen haben.“ Cordula Kropp
Bleiben wir beim Beispiel des Teilens von Patient*innendaten. Unbegründete Sorgen müssen an der Stelle ausgeräumt werden, an der sie entstehen. Dazu brauchen wir eine passgenaue und anwendungsbezogene Kommunikation. Die Menschen wenden sich mit ihren Bedenken zum Datenschutz an ihre Ärztin, ihren Psychotherapeuten oder eine andere behandelnde Person im Gesundheitswesen. Aber ein überwiegender Anteil des ärztlichen Personals weiß beispielsweise nicht, was mit den Daten in der elektronischen Patientenakte passiert und wer Zugriff auf sie hat. So wird Technikvertrauen verspielt.

Können Sie ein Beispiel für erfolgreiche und passgenaue Kommunikation nennen?
Die Einführung der Corona-WarnApp ist ein gutes Beispiel, nicht zuletzt durch die Intervention des Chaos-Computer-Clubs. Sie haben differenziert darüber informiert, welche Daten verarbeitet und erkennbar sind. Die ursprünglich angedachte Version hatte eine zentrale Datenspeicherung vorgesehen, was Opponent*innen stark kritisiert haben. Passgenaue Kommunikation kann Vertrauen gewinnen. Das wäre jetzt auch bei der elektronischen Patientenakte wichtig. Derzeit hat nur die Hälfte der Deutschen vor, diese zu nutzen. Deswegen ist es höchste Zeit, sachgerecht darüber zu informieren und am besten auch dort, wo die Sorgen entstehen.


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