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„Die Skepsis gegenüber Technik ist zurückgegangen“

Das „Corona Extra“ des TechnikRadars untersucht, wie die Pandemie den Blick der deutschen Bevölkerung auf Technik und Innovation verändert hat. Die Soziologieprofessorin Cordula Kropp ordnet im Interview die neuen Erkenntnisse ein.

Was sind die wichtigsten Ergebnisse des Technikradars 2021 „Corona Extra“?
Zum einen – und das ist eine sehr gute Nachricht – sagen zwei Drittel der Befragten von sich, dass sie im Vergleich mit dem Durchschnitt der Bevölkerung eher gut durch die Krise gekommen sind und vergleichsweise wenige Nachteile erfahren haben. Zugleich gibt ein Sechstel an, deutlich schlechter als der Durchschnitt durch die Coronapandemie gekommen zu sein. Wir sehen auf der einen Seite eine gewisse Demut, im individuellen Bereich doch so gut mit der Pandemie umgegangen zu sein, und auf der anderen Seite Menschen, die sich unter den Coronabedingungen ganz klar benachteiligt fühlen.

Cordula Kropp ist Professorin für Soziologie mit einem langjährigen Schwerpunkt in der nachhaltigkeitsorientierten Forschung zu gesellschaftlichen Naturverhältnissen, Innovationen und soziotechnischem Wandel. Sie ist Direktorin des Zentrums für Interdisziplinäre Risiko- und Innovationsforschung der Universität Stuttgart (ZIRIUS) und Teil der Projektleitung des Technikradars. Foto: privat

Damit verbunden nehmen die Befragten auch eine gesellschaftliche Spaltung wahr. 67 Prozent sagen, die Gesellschaft sei polarisierter als vor der Pandemie. Das ist ein Krisenphänomen und als Soziologin schaue ich da natürlich sehr genau hin. Eine solche Polarisierung, das wissen wir aus der soziologischen Forschung, hat auch immer ein Potenzial zu einer Radikalisierung. Hier bricht also etwas auf. Das wird ein Thema sein, mit dem wir uns in den kommenden Jahren noch beschäftigen werden.

Gibt es Ergebnisse, die Sie überrascht haben?
Ich hätte nicht erwartet, dass die Leute sagen, dass sie sich gesundheitlich besser fühlen als vor der Pandemie. Wir wissen, dass viele Arztbesuche abgesagt wurden. Das zeigt sich auch in unserer Umfrage. Mehr als ein Viertel der Befragten gibt an, auf Arztbesuche verzichtet zu haben, die sie hätten wahrnehmen wollen. Die Angebote von Sportvereinen fielen weg, man konnte nicht in den Urlaub fahren. Viele sagen auch, dass es schwieriger geworden sei, einen gesunden Lebensstil zu führen. Gleichzeitig fühlen sich mehr Befragte gesund als vor der Coronakrise.

„Wir sehen auf der einen Seite eine gewisse Demut, im individuellen Bereich doch so gut mit der Pandemie umgegangen zu sein, und auf der anderen Seite Menschen, die sich unter den Coronabedingungen benachteiligt fühlen.“ Cordula Kropp
Das weist darauf hin, dass sich dieser Stillstand während der ersten drei Wellen positiv niedergeschlagen hat. Es gab weniger Fahrten zur Arbeit, weniger Meetings, eine gewisse Ruhe ist eingekehrt.

Gibt es Unterschiede in den Einstellungen in unterschiedlichen Altersgruppen, nach Geschlecht, sozioökonomischen Faktoren oder Bildungshintergrund?
Die Spaltung wird eher von den unter 60-Jährigen wahrgenommen. Die Details zu den Hintergründen werden in der ausführlichen Studie im nächsten Jahr veröffentlicht.

Mehr als zwei Drittel der Befragten geben an, durch die Pandemie keine besonderen Nachteile im Vergleich zum Durchschnitt erfahren zu haben. Grafik: Körber-Stiftung.

Wie hat die Coronapandemie die Einstellung der Deutschen zu Technik und Innovation verändert?
Die Skepsis gegenüber Technik und Innovation ist zurückgegangen. Die Wahrnehmung, dass Technik vor allem Zwänge auslöst, ist um knapp 15 Prozentpunkte deutlich gesunken. Das ist ein klares Ergebnis, das auch in einem Bruch steht zu den beiden Befragungen der Vorjahre. Die Wahrnehmung der Pandemie und der Möglichkeiten, die sich durch Digitalisierung eröffnen, hat da zu einer Perspektivenverschiebung geführt.

TechnikRadar 2021 „Corona Extra“

Das TechnikRadar von acatech, der Körber-Stiftung und dem ZIRIUS-Zentrum der Universität Stuttgart untersucht regelmäßig die Einstellungen der deutschen Bevölkerung zu neuen Technologien. Das TechnikRadar „Corona Extra“ ist eine Sonderauswertung, die die Auswirkungen der Coronapandemie auf das Verhältnis zu Technik und Innovation untersucht hat. Für die repräsentative Umfrage wurden 2.011 in Deutschland lebende und deutschsprachige Personen im Juni und Juli 2021 zufällig ausgewählt und befragt. Die erhobenen Daten wurden entsprechend der amtlichen Statistik gewichtet. Die Ergebnisse wurden mit den Umfragedaten des TechnikRadar 2020 und 2018 verglichen. Eine ausführliche Analyse zum Thema Zukunft der Gesundheit erfolgt im TechnikRadar 2022, das im Frühsommer erscheinen soll.

Kontrovers diskutiert wurde auch der Einsatz digitaler Technologien zur Pandemieeindämmung. Wie stehen die Bürger*innen laut TechnikRadar „Corona Extra“ dazu?
Für mehr als die Hälfte hat die späte Einführung der Warn-App gezeigt, dass das Thema Datenschutz schnelle und praktische Problemlösungen zu sehr erschwere, ein Sechstel sieht aber im Datenschutz kein Problem. Bei weiteren Fragen wie beispielsweise zur Patientenakte wird deutlich, dass der Datenschutz eine Art Vorbedingung für die Bereitschaft ist, diese zu nutzen.

Die Skepsis gegenüber Technik hat während der Coronakrise abgenommen. Grafik: Körber-Stiftung.

Es geht auch um die Digitalisierung im Gesundheitssystem: Welche Aspekte haben Sie untersucht?
Wir haben einen Fokus auf die Zukunft der Gesundheit gelegt. Dabei waren wir besonders daran interessiert, herauszufinden, wie die ganzen digitalen Gesundheitstechnologien wahrgenommen werden. Es wurde deutlich, dass sich die Recherche im Internet sowohl vor als auch nach dem Arztbesuch deutlich intensiviert hat. Gleichzeitig blieb konstant, dass die ärztliche Diagnose im Mittelpunkt steht. Die Nachfrage für Videosprechstunden steigt. Beim Umgang mit Gesundheitsapps sehen wir eine Bereitschaft, sie zu nutzen. Die elektronische Patientenakte ist immer noch recht unbekannt, obwohl sie eigentlich eingeführt sein sollte.

Was kann man aus dem Technikradar „Corona Extra“ mitnehmen für die praktische Arbeit in der Kommunikation zu Wissenschaft- und Technikthemen?

„Die Wahrnehmung der Pandemie und der Möglichkeiten, die sich durch Digitalisierung eröffnen, hat da zu einer Perspektivenverschiebung geführt.“ Cordula Kropp
Gerade bei der elektronischen Patientenakte sieht man, dass noch mehr kommuniziert werden muss. Außerdem gibt es Bedenken bei Datenschutz und Unsicherheiten, welche Daten man wie souverän freischalten kann. Das ist ein großes Thema.

Können Sie bereits einen Ausblick geben, welche Aspekte im Technikradar 2022 untersucht werden?
Wir untersuchen darin den Umgang mit den Möglichkeiten personalisierter Medizin, wie Künstliche Intelligenz in der Diagnoserstellung wahrgenommen wird, wie die Einstellungen gegenüber verschiedenen Apps, beispielsweise zu Ernährungszwecken, aussehen. Wir fragen auch nach dem persönlichen Gesundheitsverhalten und der Einschätzung, kompetent mit den neuen Möglichkeiten umzugehen, beispielsweise im Bereich der Ernährung. Da kommen viele verschiedene interessante Aspekte zusammen.