Foto: Geran de Klerk

„Kritik ist keine Einbahnstraße“

Auf dem Blog Journal Elephant in the Lab werden Themen aus der Wissenschaftswelt diskutiert, die sonst eher im Hintergrund bleiben. Nataliia Sokolovska und Rebecca Kahn aus dem Redaktionsteam sprechen im Interview über das Konzept dahinter und warum manche Debatten über Wissenschaft schneller geführt werden müssen, als das in Journals möglich ist.

Frau Sokolovska, Frau Kahn, warum gibt es das Blog Journal Elephant in the Lab?

Sokolovska: Wir wollten einen Raum schaffen, in dem die Themen aus der Wissenschaftswelt diskutiert werden können, die sonst selten offen angesprochen werden. Die sprichwörtlichen Elefanten im Raum. Probleme, Kritik oder Fragen etwa zum Wissenschaftssystem selbst oder der Art, wie wir darin zusammenarbeiten. Zu jedem dieser Elefanten, unseren Themenschwerpunkten, laden wir Wissenschaftler*innen ein, Artikel zu schreiben, um eine Debatte dazu zu starten.

Um welche Themen geht es dann zum Beispiel?

Nataliia Sokolovska ist Projektmanagerin und wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprogramm „Wissen & Gesellschaft“ am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Dort forscht sie im Projekt IMPaQT zu Qualitätsverständnissen in der Kommunikation zwischen Wissenschaft und Gesellschaft. Ihr zentraler Arbeitsschwerpunkt dreht sich um wissenschaftliche Politikberatung. Foto: HIIG

Sokolovska: Unser neuester Schwerpunkt dreht sich um digitale Lehre und die damit verbundenen Veränderungen an Universitäten. Wir laden ein, über die Herausforderungen und Chancen, die durch digitale Lehre auftreten, zu reflektieren. Bei einem der letzten Schwerpunkte ging es um Corona und die Wissenschaftskommunikation. Konkret ging es zum Beispiel darum, wie wissenschaftliche Unsicherheiten kommuniziert werden können, wie Forschende in einer solchen Situation Vorhersagen treffen und um das Thema Vertrauen in die Forschung. Etwa welche Rolle die Kommunikation wissenschaftlicher Prozesse hierbei spielt.

Kahn: Der aus meiner Sicht bisher spannendste Themenschwerpunkt ist der zu Machtdynamiken in der Wissenschaftswelt. Darin haben wir Forschende eingeladen, verschiedene Bereiche zu beleuchten, in denen sich diese Dynamiken manifestieren. Besonders faszinierend war dabei für mich, zu sehen, wie unterschiedlich diese beschriebenen Bereiche waren. Geschlechterungleichheiten waren ein Thema, mit dem wir gerechnet hatten. Also wie das die Arbeit in der Wissenschaft beeinflusst und auch die Art und Weise, wie sie betrieben wird. Es ging aber auch um die ungleiche Besetzung von Professor*innenposten mit Personen aus den ehemaligen Ost- und Westgebieten Deutschlands. Es ging aber auch um die Machtposition, die wissenschaftliche Journals haben, denen man als Wissenschaftler*in gesamten Arbeitsdaten überlässt, wenn man dort publiziert. Eigentlich weiß aber niemand genau, was bei den Verlagen dann damit passiert. Wir halten die Themen bewusst sehr offen, weil wir die Erfahrung gemacht haben, dass die Vielfalt dann besonders groß ist.

Warum werden diese Themen nicht direkt in den Wissenschaftsinstitutionen diskutiert?

Rebecca Kahn ist Post-Doktorandin im Bereich Digital Humanities an der Universität Wien. Ihr Marie-Curie REWIRE Cofund Projekt sucht nach Möglichkeiten, die Datenmodelle zu verbessern, die verwendet werden, um digitalisierte Museumssammlungen über das Web zu verbinden. Sie ist außerdem Associate Researcher am Alexander von Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft. Foto: Ralf Rebmann, CC BY SA 4.0

Kahn: Naja, sie werden schon diskutiert unter Wissenschaftler*innen, aber meist im kleinen Kreis. Sie werden selten formal adressiert. Ein Grund dafür ist sicher die Hierarchie im Wissenschaftssystem. Es kann problematisch sein, über Machtungleichheiten zu sprechen, besonders in einem System, in dem man oft sehr direkt von Personen abhängig ist, die in diesem System Macht über einen selbst haben. Viele von uns arbeiten außerdem in großen Institutionen, in denen vieles schon lange auf eine bestimmte Art gemacht wird. Auch wenn wir also etwa bei einer Konferenz über solche Themen im Gespräch sind, können wir erst einmal recht wenig daran ändern, wie das Journalsystem funktioniert. Dafür brauchen wir eine ganz andere Gesprächsposition.

„Es ist also auch schwer, hier Personen zu finden, die diese Diskussionen öffentlich führen wollen. Wir sind also so etwas wie eine neutrale Zone für diese Debatten außerhalb der Institutionen.“ Nataliia Sokolovska
Sokolovska: Außerdem laden wir Kolleg*innen dazu ein, ein System zu kritisieren, in dem sie selbst drinstecken und in dem ihre Karriere stattfindet. Es ist also auch schwer oder risikobehaftet, sich dazu öffentlich zu äußern. Es ist also auch schwer, hier Personen zu finden, die diese Diskussionen öffentlich führen wollen. Wir sind also so etwas wie eine neutrale Zone für diese Debatten außerhalb der Institutionen.

Kahn: Deswegen ist es uns auch wichtig, möglichst mehrere Seiten eines Themas zu beleuchten. Kritik ist keine Einbahnstraße.

Wer steckt hinter dem Projekt?

Sokolovska: Elephant in the Lab wurde 2017 von einem kleinen Projektteam rund um das Humboldt Institut für Internet und Gesellschaft (HIIG) gegründet. Mittlerweile sind wir zwölf ehrenamtlich tätige Personen, die aber immer noch alle irgendwie mit dem HIIG assoziiert sind oder es mal waren. Die Aufgaben teilen wir untereinander auf. Einige machen eher strategische, konzeptionelle Arbeit, andere sind im Redaktionsteam für Themensetzung und Textbetreuung zuständig. Wieder andere erledigen die Produktion, stellen Texte auf dem Blog Journal ein und auch bei Zenodo. Das ist uns wichtig, damit jeder Artikel eine DOI bekommt, um wissenschaftlich zitierfähig zu sein. Seit neuestem haben wir außerdem eine Social-Media-Expertin.

Kahn: Außerdem haben wir ein Advisory Board mit Expert*innen aus Bereichen wie Wissenschaftskommunikation oder Open Science aus verschiedenen Ländern. Sie unterstützen uns bei den größeren, strategischen Fragen und denken mit uns zusammen darüber nach, wie wir uns  vielleicht nicht als Alternative, sondern als Ergänzung zu den bestehenden Debattenforen über Wissenschaft etablieren können.

Warum, denken Sie, ist Elephant in the Lab im Umfeld des HIIG entstanden?

„Ein Projekt mit der Präzision wissenschaftlicher Journals, aber dem Tempo eines Blogs.“ Rebecca Kahn
Kahn: Wenn man zum Thema Internet forscht, fühlt man immer wieder so eine Art Verbindungsverlust. Die Kommunikation dort läuft wahnsinnig schnell, die Forschung dazu auch und im Netz lassen sich auch Publikationen recht schnell umsetzen. Das verträgt sich nicht so gut mit dem traditionellen Publikationssystem der Wissenschaft. Wir arbeiten also alle mit und in diesem wahnsinnig dynamischen System Internet und dann irgendwann treffen wir auf den Flaschenhals des langsamen innerwissenschaftlichen Diskurses. Es ist unheimlich schwer, über diese Wege auf die drängenden Fragen in der Welt zu antworten. Darum war das HIIG ein sehr fruchtbarer Boden für eine Idee wie Elephant in the Lab, weil hier viele Kolleg*innen diese Diskrepanz täglich erleben. Ein Blogprojekt schien darum ein guter Weg, diese abzuschwächen. Ein Projekt mit der Präzision wissenschaftlicher Journals, aber dem Tempo eines Blogs.

Welchen redaktionellen Prozess durchlaufen die Texte?

Kahn: Wir haben ein Feedbacksystem für alle Stücke, die bei uns veröffentlicht werden. Es gibt also vorher immer einen redaktionellen Check und wir legen viel Wert auf Belege und Quellen, um Thesen zu unterfüttern. Wir bieten keinen Ort für Klagen oder Rache, sondern für wertschätzenden Diskurs über die Wissenschaftswelt.

Wie leicht oder schwer fällt es, dafür Autor*innen zu finden?

„Das funktioniert auch sehr gut, solange wir inhaltlich und beim Personenkreis in Europa oder Nordamerika bleiben. Noch fällt es uns aber schwer, die Debatten auch darüber hinaus zu führen.“ Nataliia Sokolovska
Sokolovska: Es fällt uns meistens eher leicht, weil wir im Team bereits ein großes Netzwerk an Personen haben und sich dort oft jemand findet, der oder die eine Position zu einem Thema vertreten möchte und sich damit vielleicht auch schon wissenschaftlich auseinandergesetzt hat. Meistens kriegen wir positive Rückmeldungen, wenn wir sie dann gezielt anfragen, ob sie für uns schreiben möchten. Wir wollen aber natürlich nicht nur die Stimmen in unserem Blog Journal haben, mit denen wir ohnehin irgendwie schon einmal in Kontakt gekommen sind und versuchen relevante Expert*innen auch außerhalb unseres Netzwerks zu finden. Außerdem freuen wir uns natürlich über jede Anfrage von Personen, die sich bei uns über die Webseite mit einem Thema melden. Das funktioniert auch sehr gut, solange wir inhaltlich und beim Personenkreis in Europa oder Nordamerika bleiben. Noch fällt es uns aber schwer, die Debatten auch darüber hinaus zu führen.

Welche Zielgruppen erreichen Sie?

Kahn: Wir wollen zum einen interessierte Personen ansprechen, die sich zum Wissenschaftssystem austauschen und mehr darüber lernen möchten, wie es im Detail funktioniert. Zum anderen wollen wir Förderer von Wissenschaft erreichen, denn viele Themen, die bei uns diskutiert werden, drehen sich um Finanzierung und wie diese die Forschung beeinflusst. Wir richten uns auch an Gremien und Interessenvertretungen wie solche, die Frauen in der Wissenschaft vertreten. Und dann haben wir noch eine sehr diverse Leser*innenschaft, die zu bestimmten Themen auf die Seite finden. Wenn es etwa um Museen geht, erreichen wir Praktiker*innen aus der Museumslandschaft mit den Texten. Geht es um bestimmte Forschungsfelder, die zum Beispiel große Forschungsapparaturen brauchen, bekommen wir Feedback von Leuten, die in diesem Bereich arbeiten. Das ist also ganz gemischt.

Und welche Zielgruppen würden Sie gern noch erreichen?

Sokolovska: Wir würden zum Beispiel gerne mehr Positionen von Wissenschaftler*innen aus afrikanischen, asiatischen, südamerikanischen oder osteuropäischen Ländern einbringen. Das scheitert aber oft noch daran, dass wir dorthin viel weniger Kontakte haben, an Sprachbarrieren, manchmal auch an technischen Barrieren oder einfach daran, dass die Plattform dort noch sehr wenig bekannt ist. Wir haben aber auch schon gehört, dass sich Menschen außerhalb der „westlichen“ Science-Bubble in den Debatten, aber auch in den Journals nicht repräsentiert fühlen. Wir möchten aber unbedingt in dieser Richtung wachsen und diverser werden. Wenn wir also ein neues Thema starten, versuchen wir, es so global wie möglich anzugehen. Das ist zumindest das Ziel.

Wo soll es mit dem Blog Journal in Zukunft hingehen?

Sokolovska: Wir wollen natürlich immer besser werden in dem, was wir tun und wir haben ein paar neue Formate in der Planung. Zum Beispiel soll es How-tos zu einigen Themenbereichen geben, die wir bereits auf der Seite haben. Da stricken wir zur Zeit noch am Konzept, wie diese aufgebaut werden können. Wir wollen außerdem unsere Redaktionsarbeit weiter verbessern, die wir ja komplett ehrenamtlich machen. Dafür erarbeiten wir gerade neue Strukturen. Das sind nur einige der vielen kleinen Ideen, auf denen wir gerade herumdenken.

„Dafür sind wir auf der Suche nach Kooperationspartner*innen in Ländern, in denen wir noch nicht so viel gelesen werden, mit denen wir Content austauschen können.“ Rebecca Kahn
Kahn: Wir denken außerdem über neue Verbreitungswege nach, um unsere Leserschaft zu vergrößern. Dafür sind wir auf der Suche nach Kooperationspartner*innen in Ländern, in denen wir noch nicht so viel gelesen werden, mit denen wir Content austauschen können. Das wiederum führt dann hoffentlich auch zu mehr Autor*innen und dadurch zu mehr Diversität.

Was muss ich tun, wenn ich einen Artikel auf Elephant in the Lab veröffentlichen möchte?

Kahn: Einfach eine E-Mail schreiben und dann kommen wir dazu ins Gespräch. Wichtig ist dabei, dass wir alle Artikel als offenen Content unter einer Creative-Commons-Lizenz veröffentlichen. Damit sollte man einverstanden sein. Das ist für uns ein wichtiger Beitrag zu Open Science und einer offenen Debatte über Wissenschaft.