Foto: Helge Mundt / DESY

Kreative Kollisionen: Kunst zu Dunkler Materie am DESY

Das Deutsche Elektronen-Synchrotron, kurz DESY, in Hamburg hat im Herbst sein Gelände für Kunstfans und Kreative geöffnet. Die Arbeiten von 15 Künstlern zum Thema Dunkle Materie trafen in Testhallen, Kontrollräumen, im Teilchenbeschleuniger und auf dem Außengelände direkt auf die Wissenschaft.

Kunst oder Wissenschaft? Julia Münstermanns Malereien „Electric Shadow“ fügen sich nahtlos in die Forschungshalle ein. Foto: Helge Mundt / DESY
Kunst oder Wissenschaft? Julia Münstermanns Malereien „Electric Shadow“ fügen sich nahtlos in die Forschungshalle ein. Foto: Helge Mundt / DESY

Auf den ersten Blick ist klar: In dieser Halle wird Technik gemacht. Lange gelbe Röhren, aus denen Kabel, Metallschläuche und Isolationsmaterial ragen, stehen aneinanderreiht wie im echten Teilchenbeschleuniger. Im Hintergrund brummen die Kühlanlagen, das Licht ist hell und es riecht ein bisschen nach Schmieröl und Elektronik. An einer Betonwand, die eine Testhütte abschirmt, hängt eine Leinwand, die aussieht wie ein gelb leuchtender, übergroßer Monitor, der sich wie selbstverständlich in die Umgebung einfügt. Ist das Teil der Hallentechnik? Nein, das ist Kunst. Die Berliner Künstlerin Julia Münstermann hatte ihre „Electric Shadow“-Serie aus groß- und kleinformatigen Malereien wie zufällig auf dem Gelände verteilt, und nicht nur bei ihren Werken fragten sich Besucher (und Wissenschaftler): Ist das Kunst oder ist das Wissenschaft? Die überraschenden Gemeinsamkeiten der beiden Welten zogen sich wie ein roter Faden durch das Kunst-trifft-Wissenschaft-Projekt „Dark Matter“, das vom 13.10. bis 9.11.2017 auf dem DESY-Gelände zu sehen war.

Töne im Beschleuniger: Chris Pfeil erklärt seine Installation. Foto: Helge Mundt / DESY
Töne im Beschleuniger: Chris Pfeil erklärt seine Installation. Foto: Helge Mundt / DESY

Bei DESY wird normalerweise geforscht: mit kleinsten Teilchen zu den großen Fragen des Universums, mit Licht für Nanowerkstoffe, zu chemischen Prozessen und mit neuen Technologien für noch bessere Teilchenbeschleuniger. Als größtes Teilchenphysik-Forschungszentrum Deutschlands ist die Forschung sehr eng mit den Experimenten am Large Hadron Collider LHC am CERN in der Schweiz verknüpft und stellt einige der größten Forschergruppen in diesem Bereich. Ein Forschungsthema am LHC ist Dunkle Materie; einer der Forscher ist Professor Christian Schwanenberger, ein Badener, der nach mehreren Jahren in Chicago, Manchester und am CERN nun in Hamburg bei DESY gelandet ist. Auf einer Party lernte er die Hamburger Künstlerin Tanja Hehmann kennen. Sie unterhielten sich über Dunkle Materie und Kunst und wie spannend das alles ist und beschlossen: Da machen wir ein Projekt draus.

Kick-off: Physik für Künstler

Zwei Jahre später stehen beide im DESY-Hörsaal und erzählen den fast 400 Besuchern der Vernissage, wie alles begann und was daraus geworden ist. Insgesamt beteiligten sich 15 Künstler aus ganz Deutschland, vorgeschlagen und ausgewählt von einem Kernteam dreier Hamburger Künstler: Tanja Hehmann, Jana Schumacher und Marcel Große. In einem Kunst-Kick-off im Frühjahr ließen sich die Künstler von DESYs Experimental- und theoretischen Physikern erklären, warum Dunkle Materie so ein großes Thema in der Forschung ist. Warum weiß man, dass es sie geben muss? Und wie wird danach gesucht? Im Gegenzug stellten die Künstler ihre Arbeiten und Arbeitsweisen vor.

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Bereits hier wurde klar: Es gibt große Überschneidungen zwischen diesen so fern wirkenden Welten – dem Kosmos der Kunst und dem Kosmos der Wissenschaft. Sie verbindet nicht nur die Suche nach etwas, von dem man nicht weiß, wie es aussieht. Auch der Prozess des Ausprobierens, Scheiterns und des erneuten Versuchs ist ähnlich – ganz zu schweigen von der grundlegenden Rolle, die sowohl Kunst als auch Wissenschaft in der Gesellschaft einnehmen. Der Zusammenhang zwischen beiden Bereichen lag besonders DESY-Direktor Helmut Dosch am Herzen. „Bei DESY streben wir ja stets danach, Wissensgrenzen zu versetzen und Horizonte zu erweitern. Allerdings tun wir das auf unsere naturwissenschaftlich-analytische Weise“, sagt er. „Die künstlerische Sichtweise auf das Forschungsthema Dunkle Materie macht nicht nur enorm viel Spaß, sie liefert auch Inspiration für unsere Forschung.“  Auch der Kooperationspartner, die Hamburger Kreativ Gesellschaft, hatte besonderes Interesse an diesem weltenübergreifenden Aspekt.

Von spielerischer Ironie über Experimente bis zur puren Ästhetik

Die Bandbreite der künstlerischen Arbeiten hat dabei nicht nur die DESY-Mitarbeiter überrascht. So baute das Künstlerduo we are visual mithilfe der DESY-Transportgruppe eine begehbare Konstruktion aus Abschirmsteinen, die im Tagesgeschäft der Wissenschaftler Strahlung abhalten. Darin installierten sie einen finsteren Raum, der sich auf Knopfdruck des Besuchers mit einem aus Fallschirmseide genähten Gebilde füllte. Ganz mutige Besucher verharrten solang in dieser Dunkelkammer, bis das sich ausdehnende Ballongebilde sie in die Knie zwang.

Am Tag der offenen Tür fuhr Jan Köchermanns „Frassek Space Collector“ auf dem Gelände umher. Foto: Helge Mundt / DESY
Am Tag der offenen Tür fuhr Jan Köchermanns „Frassek Space Collector“ auf dem Gelände umher. Foto: Helge Mundt / DESY

Der Künstler Jan Köchermann wiederum entdeckte bei seinen Recherchen einen vergessenen DDR-Wissenschaftler namens Hubertus M. Frassek, der ein Fahrzeug erfand, das schwarze Löcher aufspüren sollte.  Nach den Bauplänen des Wissenschaftlers, mit einem echten DDR-Multicar und Schrott aus DESY-Werkstätten baute Köchermann diesen fahrbaren „Space Kollektor“ nach, in dem sogar Hamburgs Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank Probe saß. Künstlerin Sybille Neumeyer entschleunigte die Besucher, indem sie am Ende eines Tunnels eine Projektion eines Steines zeigt, der sich wie die Erde in 23 Stunden, 56 Minuten und 4 Sekunden um sich selbst dreht. Von spielerischer Ironie über Experimente bis zur puren Ästhetik war alles vertreten und nichts wirkte vor dem Technik-Hintergrund fehl am Platz.

Die wissenschaftsferne Kunst-Crowd erreichen

Am Ende stand und hing die Kunst einen Monat lang in drei Forschungshallen, 20 Meter Untertage in einem Beschleunigertunnel und an vielen anderen Orten auf dem DESY-Gelände, während der Forschungsbetrieb normal weiter lief. Wegen des laufenden Forschungsbetriebs und der Zugangsbeschränkungen zu manchen Bereichen konnten Besucher nicht frei über das Gelände laufen, sodass es insgesamt acht Besichtigungstermine gab, die jeweils an einen wissenschaftlichen Vortrag, eine Kunst-Performance, eine thematische Diskussion oder den zum ersten Mal stattfindenden Dark Matter Day am 31. Oktober gekoppelt waren. So kamen über 2.000 Besucher gezielt für die Ausstellung und schätzungsweise über 20.000 Besucher am Tag der offenen Tür bei DESY im Rahmen der Nacht des Wissens Hamburg.

Die Gemälde von Initiatorin Tanja Hehmann hingen im Schacht, der zum Beschleuniger hinunterführt. Foto: Helge Mundt / DESY
Die Gemälde von Initiatorin Tanja Hehmann hingen im Schacht, der zum Beschleuniger hinunterführt. Foto: Helge Mundt / DESY

Den allergrößten Erfolg verbucht DESY damit, dass etwa 75 % der Besucher noch nie vorher auf dem Gelände gewesen waren, am Ende des Besuchs allerdings von den Kunstwerken mindestens genauso begeistert waren wie von den eigentlichen Themenfeldern des Forschungszentrums. „Wir haben die wissenschaftsferne Kunst-Crowd voll erreicht“, resümiert Initiator Schwanenberger. Die neue Zielgruppe darf sich auf mehr Kunst-trifft-Wissenschaft freuen: DESY plant bereits mögliche Nachfolgeprojekte mit verschiedenen Kooperationspartnern.

 

Teilnehmende Künstler:

  • Baldur Burwitz, Interventionen, Hamburg;
  • Marc Einsiedel und Felix Jung, we are visual, Installation, Hamburg;
  • Daniel Engelberg, Malerei, Objekte und Installation, München;
  • Marcel Große, Installation, Hamburg;
  • Tanja Hehmann, Malerei, Hamburg;
  • Jan Köchermann, begehbare Skulpturen, Hamburg;
  • Pat Kramer, Licht und Skulptur/Installation, Forbach/ Schwarzwald;
  • Julia Münstermann, Malerei, Berlin;
  • Sybille Neumeyer, Installation, Video, Berlin;
  • Prof. Jan Peters, Fotografie und Film, Kassel und Berlin;
  • Chris Pfeil, Sound Designer, Klanginstallation, Köln;
  • Swen-Erik Scheuerling, kinetische Objekte und Installation, Berlin;
  • Jana Schumacher, Grafik, Installation, Hamburg;
  • Wolfgang Zach, Computergrafiken, Bremen;
  • Kurzfilmagentur Hamburg

 

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