Foto: Davey Heuser (modifiziert)

Gute Krisenkommunikation braucht gutes Krisenmanagement

Im Gastbeitrag beleuchtet Christina Beck, Pressesprecherin der Max-Planck-Gesellschaft, das Thema Krisenkommunikation und gibt praktische Tipps: Was kann im Falle einer Krise alles schiefgehen? Was gilt es grundsätzlich zu beachten? Wie kann sich die Kommunikationsabteilung besser vorbereiten?

An Ihrem Institut ereignet sich ein Laborunfall. Eine Mitarbeiterin wird vorsorglich zur Beobachtung ins Krankenhaus eingeliefert. Die lokale Tageszeitung erfährt davon und fragt nach, ob eine Gefahr für Mensch und Umwelt besteht. Zeitgleich tauchen erste Posts in den Sozialen Medien auf, in denen spekuliert wird, dass möglicherweise genetisch modifizierte Organismen freigesetzt wurden. Sie benötigen nun ganz schnell Informationen zum Hergang des Unfalls, zu den Sicherheitsvorkehrungen im Labor und den Organismen, mit denen dort gearbeitet wird.

Das Wichtigste zuerst: In der Krise geht es um mehr als reaktive Pressearbeit und Kommunikation mit den Medien. Professionelle Krisenkommunikation erhält und erweitert die Handlungsspielräume einer Organisation in der Krise. Sie kann dazu beitragen, Schaden kurz- und langfristig zu minimieren. Was sie nicht kann: Organisationsdefizite beheben. Krisenkommunikation muss authentisch und ehrlich sein. Das Leugnen eines Vorfalls, das scheibchenweise Einräumen von Fehlern beschädigen die Glaubwürdigkeit einer Organisation. Die Wahrheit schön zu reden, ist keine Maßgabe. Denn das wäre Propaganda, nicht Krisenkommunikation. Deshalb gilt: „Tell the truth and tell it quickly!“ 

In einer Krise hat die Kommunikation zwischen den Betroffenen substanziellen Einfluss darauf, wie schnell und effektiv die Krise gelöst werden kann. Zu einer strukturierten und handlungsfähigen Krisenorganisation gehören daher eine aus dem Alltagsgeschäft herausgelöste Organisationsform (Krisenstäbe) sowie festgelegte Meldewege und Informationsverfahren. Das heißt im Umkehrschluss: Bestehende hierarchische Abstimmungsprozesse spielen in diesem Kontext keine Rolle. Ein zentrales Ziel ist es, schnell handlungs- und entscheidungsfähig zu werden. Dafür benötigt der Krisenstab das klare Mandat der Leitung. Zu lange Reaktionszeiten sind typische Fehler in der Krise: Da muss die Pressemitteilung noch unbedingt mit einer Person abgestimmt werden, die sich derzeit im Ausland und damit in einer anderen Zeitzone befindet und erst Stunden später reagieren kann.

„,Wir geben eine Stellungnahme heraus‘, ist noch keine Strategie, sondern nur eine Maßnahme.“ Christina Beck

Das ist kontraproduktiv, vor allem, wenn die Krise bereits öffentlich ist. Dann kann sich eine enorme Dynamik und ein großer Handlungsdruck entwickeln. Dem Krisenmanagement kommt jetzt eine herausragende Bedeutung zu. Es braucht eine Strategie. „Wir geben eine Stellungnahme heraus“, ist noch keine Strategie, sondern nur eine Maßnahme. Ausgehend vom konkreten Ereignis muss sich das Krisenmanagement die Frage stellen, welche Verantwortung der Organisation zugeschrieben wird und welche Maßnahmen geeignet sind, um die Glaubwürdigkeit der Organisation und das Vertrauen in sie wiederherzustellen.

Bleiben wir bei unserem eingangs vorgestellten Szenario: Im Verlauf der Sachverhaltsklärung stellen Sie fest, dass bestimmte Sicherheitsvorkehrungen nicht eingehalten wurden. Sie wissen aber, dass der Erreger, an dem die Gruppe forscht, weitgehend harmlos ist und sich auch nicht weiterverbreiten kann. Die Mitarbeiterin kann schon nach einem Tag das Krankenhaus wieder verlassen.

Die meisten Krisen sind immer auch Vertrauenskrisen

Aufgabe des Krisenmanagements ist es, die Verantwortungszuschreibung aus der Faktenlage zu erkennen und durch geeignete Maßnahmen zu beeinflussen. Dabei hilft die folgende „Typologie der Krise“:

  1. Eine „Opferkrise“ tritt ein, wenn ein plötzliches und unvorhersehbares Ereignis von außen einwirkt, beispielsweise ein verheerender Sturm mit schweren Schäden. Die betroffene Organisation hat nur einen sehr begrenzten Einfluss auf das Ereignis und seine Auswirkungen. Entsprechend wird ihr auch nur eine geringe Verantwortung zugeschrieben.
  2. Anders sieht es bei einer „Unfallkrise“ aus, wie zum Beispiel einem Schadstoffaustritt im Labor. Auch hier handelt es sich um ein unvorhersehbares Ereignis, das aber durch Probleme im internen Betriebsablauf und unter Beteiligung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ausgelöst wird. Der Organisation wird zunächst keine Absicht unterstellt. Dennoch wird die Verantwortung eng an ihr Handeln geknüpft und Abhilfe erwartet. Schreibt die Öffentlichkeit der Organisation jedoch die Verantwortung zu, so kann aus einer einfachen Unfallkrise eine schwere Verantwortungskrise werden. Typisch für derartige Situationen ist die Frage, ob es sich bei dem Ereignis um einen Einzelfall oder um systematisches Versagen handelt. Darauf gibt es selten eine eindeutige objektive Antwort. Entscheidend ist die externe, nicht die interne Wahrnehmung – das ist ein intern immer wieder schwer zu vermittelnder, aber wichtiger Sachverhalt.
  3. Bleibt zuletzt die „vermeidbare Krise“. Sie entsteht beispielsweise durch Compliance-Verstöße, Fehlverhalten von Führungskräften oder Ähnliches und hat meist innere Ursachen. Der Organisation wird unterstellt, durch die eigenen Prozesse ein solches Ereignis provoziert zu haben – unabhängig davon, ob das objektiv stimmt. In einer solchen vermeidbaren Krise ist die Glaubwürdigkeit der Organisation massiv angegriffen; ihr wird eine große Verantwortung zugeschrieben.

Die richtige Strategie im Umgang mit einer Krise zu finden, ist Kernkompetenz eines guten Krisenmanagers

Nicht jede Krise wird öffentlich wahrgenommen und zu einer Kommunikationskrise. Damit aus einer Krise ein Skandal wird, bedarf es mehrerer Komponenten. Hans Mathias Kepplinger hat die Mechanismen der Skandalisierung in seinem gleichnamigen Buch 2012 zusammengetragen. Wer herausfinden möchte, ob ein Ereignis das Potenzial für einen vermeintlichen Skandal in sich trägt, der sollte sich die folgenden Fragen stellen:

  1. Lässt sich das Problem als Folge schuldhaften Verhaltens einer Person oder der Organisation darstellen?
  2. Haben Beteiligte aus niederen Motiven gehandelt und haben sie die negativen Folgen ihres Handelns bewusst in Kauf genommen?
  3. Haben sich handelnde Personen aus Eigennutz über Regeln hinweggesetzt?
  4. Haben die Entscheidungen negative Auswirkungen auf die Betroffenen?
  5. Löst der Fall Empörung in der Öffentlichkeit aus?
  6. Wird das Thema aus verschiedenen Perspektiven eine medienübergreifende Diskussion auslösen?
  7. Greifen Interessenverbände (zum Beispiel NGOs) das Thema auf und instrumentalisieren es für eigene Zwecke?

Externe Akteure haben starke Eigeninteressen, aus einem Fall eine dauerhafte Krise zu machen. Dabei kann es sich um Interessenvertretungen, aber auch um politische, berufliche, wirtschaftliche oder persönliche Gegenspieler handeln. Im Regelfall handelt es sich meist um mehrere Akteure. Und je länger eine Krise dauert, umso mehr springen auf.

Gentechnik-Gegner nutzen den Vorfall, um das Sicherheitsrisiko von gentechnisch modifizierten Organismen kritisch zu thematisieren und ein Stopp der Versuche an Ihrem Institut zu fordern. Im Netz werden zudem wilde Verschwörungstheorien verbreitet. Sie selbst müssen in der Kommunikation nun den richtigen Spagat finden und einerseits einräumen, dass bestimmte Sicherheitsvorkehrungen nicht eingehalten wurden, die freigesetzten Erreger aber keine Gefährdung für Mensch und Umwelt darstellen.

In allen medialen Auseinandersetzungen und Skandalen steht die Reputation der Organisation auf dem Spiel

Neben der inhaltlichen Aufarbeitung des Falls (die W-Fragen klären: Wer, was, wann, wo und wie) bedarf es daher einer sozialen Analyse: Welche Personen und Institutionen müssen eingebunden werden? Wer skandaliert? Wer sind Verbündete und wer ist einem wohlgesonnen? Wen kann man zur Unterstützung gewinnen? Krisenkommunikation hat somit eine Vielzahl von Adressaten, die erreicht beziehungsweise berücksichtigt werden müssen.

„Ziel guten Krisenmanagements muss es sein, die Organisation so schnell wie möglich sprechfähig zu machen.“ Christina Beck

Ziel guten Krisenmanagements muss es sein, die Organisation so schnell wie möglich sprechfähig zu machen. Entsteht erst einmal ein Informationsvakuum, so können andere Gruppen dieses mit Gerüchten, Spekulationen und Vorwürfen füllen. Die Organisation verliert die Deutungshoheit. In Zeiten, in denen sich Informationen über das Internet rasant verbreiten, ist daher eine schnelle Reaktion erforderlich. Sie kennen die Fakten noch nicht? Sie wissen noch nicht, was an den Vorwürfen dran ist? Dann kommunizieren Sie genau das! Denn Sie signalisieren damit zwei ganz wichtige Aspekte: Wir nehmen die Vorwürfe ernst. Und wir kümmern uns darum.

Gute Krisenkommunikation ist offen und empathisch. Sie kommuniziert nur, was hieb- und stichfest ist, und sie kommuniziert fortlaufend, das heißt sie kommuniziert auch Zwischenstände. Darüber hinaus kommuniziert sie verständlich. Juristische Formulierungen helfen nicht in einer öffentlich geführten Debatte, die meist moralisch geprägt ist. Und schließlich: Krisenkommunikation macht deutlich, dass die Organisation Verantwortung übernimmt.

Insbesondere die eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind in der Krise eine wichtige Zielgruppe. Sie werden angesprochen von Menschen aus der Nachbarschaft, dem Freundes- und erweiterten Kollegenkreis und sind damit wichtige Multiplikatoren. Ein wirklichkeitsnahes Lage- und Informationsbild in der Öffentlichkeit entsteht leichter, wenn auch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut informiert sind. Darüber hinaus sind – je nach Krisenfall – die politisch Verantwortlichen, Behörden, Zuwendungsgeber, usw. kommunikativ einzubinden.

„Krisenkommunikation macht deutlich, dass die Organisation Verantwortung übernimmt.“ Christina Beck

Im vorliegenden Fall wäre der zuständigen Behörde eine entsprechende Meldung zu machen. Es muss geklärt werden, warum die Sicherheitsvorkehrungen nicht eingehalten wurden und wie die Organisation das zukünftig sicherstellen will (hier hilft gegebenenfalls auch der Hinweis, dass das Institut seit Jahrzehnten an Gentechnisch veränderte Organismen forscht und es sich um einen einmaligen Unfall handelt). Die Einschätzung eines erfahrenen und unabhängigen Experten (zum Beispiel eines Klinikers) zum Gefährdungspotenzial des Erregers trägt zur Beruhigung der Umgebung bei. Sie können gegebenenfalls selbst entsprechende Experten den Medien gegenüber ins Spiel bringen.

Die wichtigste Frage in jeder Krise lautet: Welche Erwartungen haben wir enttäuscht?

Die Existenz einer Krise oder die Verbindung der Krise mit der Organisation zu bestreiten, schützt nur, wenn die Organisation wirklich schuldlos ist. Denn die Öffentlichkeit wird gründlich nach der Verantwortung fahnden. Dabei können auch andere Sachverhalte zutage treten, die, wenn sie zum Nachteil der Organisation sind, ihre Reputation gefährden. Ist die Organisation selbst Opfer, dann gilt es, alle relevanten Zielgruppen darauf hinzuweisen.

Das Abschwächen der wahrgenommenen Auswirkungen einer Krise soll Aktionismus und Hysterie verhindern („Die ausgetretenen Schadstoffe waren unbedenklich.“). Allerdings droht hier schnell der Vorwurf des „Schönredens“. Eine emotionale, mitfühlende Ansprache den potenziell Betroffenen gegenüber ist daher besonders wichtig. 

„Wer eine Geschichte selbst veröffentlicht, hat die Deutungshoheit. Aber: Es muss alles dabei sein. Wer Dinge auslässt oder beschönigt, verspielt Glaubwürdigkeit.“ Christina Beck

Benennen Sie Maßnahmen, die belegen, dass sich die Organisation dem Thema bereits angenommen und Schritte unternommen hat, um Defizite zu beheben (Compliance, Richtlinien, externe Expertinnen und Experten). Wenn Sie sich in der Vergangenheit gekümmert haben (positive Managementgeschichte), kann die Öffentlichkeit überzeugt werden, dass es sich im vorliegenden Fall um eine Ausnahme handelt. Aber auch hier gilt: Die Gefahr ist groß, dass der aktuelle Schaden dadurch zu stark relativiert wird.

Wenn die Organisation die Existenz der Krise und ihre negativen Auswirkungen anerkennt, dann bitten Sie um Entschuldigung und versuchen, verlorenes Vertrauen zurückzugewinnen. Werden Fehler benannt und Verbesserungen angekündigt, so ist entscheidend, dass den Worten auch Taten folgen! Und selbstverständlich muss darüber auch kommuniziert werden.

Stealing the Thunder“ heißt, dass die Organisation das kritische Ereignis vor den Medien selbst veröffentlicht („Wir sind auf folgende Missstände aufmerksam geworden, …“). Wer eine Geschichte selbst veröffentlicht, hat die Deutungshoheit. Aber: Es muss alles dabei sein. Wer Dinge auslässt oder beschönigt, verspielt Glaubwürdigkeit.

Fazit: Krisenkommunikation beginnt weit vor der Krise (zum Beispiel mit White Paper, Leitlinien) und wird nach überstandenem Ernstfall fortgesetzt. Ein Review der Krisenkommunikationsarbeit soll helfen, Defizite zu erkennen und Strukturen und Verfahren weiterzuentwickeln („lessons learned“).

 

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung der Redaktion wider.