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„Eine sehr gute Nachricht für uns alle“

Welchen Einfluss hat die Corona-Pandemie auf die Einstellung der Bevölkerung zu Wissenschaft? Damit beschäftigt sich das Wissenschaftsbarometer Corona Spezial. Die Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek erklärt im Interview, welche Schlüsse sie aus den Ergebnissen zieht.

Frau Karliczek, laut dem Wissenschaftsbarometer Spezial zur Corona-Pandemie ist das Vertrauen in Wissenschaft und Forschung aktuell in der Corona-Krise deutlich höher als in den vergangenen Jahren zu „normalen Zeiten“. Wie interpretieren Sie das?

Portraitfoto Anja Karliczek
Anja Karliczek ist seit März 2018 Bundesministerin für Bildung und Forschung. Zuvor war sie Parlamentarische Geschäftsführerin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Mitglied im Finanzausschuss und Tourismusausschuss sowie stellvertretendes Mitglied im Haushaltsausschuss. Sie hat Betriebswirtschaftslehre studiert und Berufsausbildungen zur Bankkauffrau sowie zur Hotelfachfrau absolviert. Foto: BMBF / Laurence Chaperon

Das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in Wissenschaft ist eine sehr gute Nachricht für uns alle. Es zeigt, wie relevant Wissenschaft für die Menschen und ihr tägliches Leben ist. Denn wir brauchen Wissenschaft – in diesen schwierigen und emotional belastenden Zeiten mit teils aufgeregten Diskussionen und Falschnachrichten ganz besonders. Wir brauchen hervorragende Forschungsarbeit, Orientierungswissen sowie die Bereitschaft von Wissenschaft, faktenbasiert und transparent über ihre Arbeit zu berichten und mit der Gesellschaft im Dialog zu sein. Daher habe ich mich von Beginn an dafür eingesetzt, dass der Austausch zwischen Forschung und Gesellschaft in allen Wissenschaftsbereichen alltäglich wird. Und da die notwendigen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unseren gewohnten Alltag so tiefgreifend verändern und jede und jeder von uns betroffen ist, wird die Bedeutung der wissenschaftlichen Forschung und Expertise auch für uns alle ganz deutlich sichtbar. Die Bürgerinnen und Bürger nehmen jetzt viel direkter wahr, wie eng wissenschaftliche Forschung mit ihrem eigenen Leben zusammenhängt und interessieren sich deshalb auch viel stärker für den Forschungsprozess. Sie erleben das Prinzip von „Trial and error“ als elementaren Bestandteil der Forschung richtig nah mit, haben an dieser Entwicklung teil und verstehen daher zunehmend, dass kontroverse Diskussionen zum Erkenntnisgewinn beitragen. Das alles hilft uns als Gesellschaft, diese Krise gut zu meistern.

Die Ergebnisse des Wissenschaftsbarometer Corona Spezial zeigen eine hohe Wertschätzung für wissenschaftliches Wissen in der aktuellen Krise, aber auch hohe Erwartungen in Bezug auf ein Medikament oder einen Impfstoff gegen Corona aus der Forschung. Wie bewerten Sie das?

„Die Bürgerinnen und Bürger nehmen jetzt viel direkter wahr, wie eng wissenschaftliche Forschung mit ihrem eigenen Leben zusammenhängt.“ Anja Karliczek
Die Pandemie wird erst überstanden sein, wenn wir eine wirksame Therapie oder einen Impfstoff gegen das Virus gefunden haben. Das wird nach jetzigem Kenntnisstand jedoch noch einige Zeit dauern. Normalerweise braucht es von der Entwicklung eines Impfstoffes bis zur Zulassung mehrere Jahre. Das BMBF unterstützt die Wissenschaft dabei nach Kräften. Deutschland ist zum Beispiel Gründungsmitglied der internationalen Impfstoff-Allianz CEPI „Coalition for Epidemic Preparedness Innovations“. Wir haben die Unterstützung für CEPI noch einmal um 140 Millionen Euro aufgestockt. Die Allianz hat derzeit weltweit acht Firmen und Institute mit der Entwicklung eines Impfstoffs beauftragt. Außerdem haben wir in Deutschland ein einmaliges Projekt gestartet, die Universitätskliniken noch stärker zu vernetzen, um die Forschung und Behandlung von COVID-19 zu verbessern. Dafür stellen wir 150 Millionen Euro zur Verfügung. Für die Grundlangenforschung und die Entwicklung von Medikamenten liegen aktuell 15 Millionen Euro zusätzlich bereit.

Die Ergebnisse zeigen darüber hinaus, dass sich die Menschen in Bezug auf Corona eine Politik wünschen, die auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht. Wie sehen Sie aktuell die Aufgabenteilung zwischen Politik und Wissenschaft und was ist in der Zusammenarbeit von Forschenden und Politikern zu beachten?

Wissenschaftliche Erkenntnisse sind eine wichtige Grundlage für politische Entscheidungen, nicht nur in der aktuellen Situation. Politik ist in vielen Bereichen auf wissenschaftliche Beratung angewiesen. Bürgerinnen und Bürger nehmen dies aktuell stärker wahr als sonst und begrüßen den wissenschaftlichen Rat. Die Zustimmungsrate von 81 Prozent unter den Befragten, die im Rahmen des Wissenschaftsbarometers speziell für den Umgang mit der Corona-Pandemie erhoben wurden, zeigt das deutlich. Dabei gibt es natürlich eine sehr klare Aufgaben- und Rollenteilung zwischen Politik und Wissenschaft. Wissenschaft mit all ihren verschiedenen Disziplinen berät die Politik fortlaufend zum aktuellen Stand ihrer Erkenntnisse und spricht Handlungsempfehlungen aus. Politik aber ist es, die entscheidet. Am Ende tragen wir Politikerinnen und Politiker die Verantwortung für schwierige Entscheidungen. Im Umkehrschluss darf es aber natürlich auch nicht sein, dass einzelne Wissenschaftlerinnen oder Wissenschaftler für politische Entscheidungen verantwortlich gemacht und persönlich angegriffen werden. Ich bestärke alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darin, weiter den Austausch mit der Gesellschaft zu suchen und ihre Erkenntnisse in den Diskurs einzubringen.

Im Wissenschaftsbarometer Spezial wurden ja auch Fragen nach dem Umgang mit Unsicherheiten und der Haltung zu Kontroversen gestellt. Welche Schlüsse lassen sich aus Ihrer Sicht aus den Ergebnissen für die Kommunikation von Wissenschaft ziehen?

Prinzipielle Vorläufigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse ist zentraler Bestandteil der Forschung. Das heißt nicht, dass diese Erkenntnisse falsch seien – ganz im Gegenteil. Das Streben der Forschung, die Grenzen unseres Wissens immer wieder ein Stück zu verschieben, ist Grundmotivation für jede Wissenschaftlerin und jeden Wissenschaftler – egal in welcher Disziplin. Diese Motivation hält das Wissenschaftssystem lebendig. Infragestellung bisheriger Erkenntnisse gehört dazu. Diese Funktionslogik des Wissenschaftssystems gerade auch in Zeiten von Corona noch viel besser verständlich zu machen, ist wichtig. Wir brauchen eine Stärkung der Wissenschaftskommunikation, damit Erkenntnisse, Arbeitsweisen und Methoden der Forschung transparent und nachvollziehbar werden.

„Ich bestärke alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler darin, weiter den Austausch mit der Gesellschaft zu suchen und ihre Erkenntnisse in den Diskurs einzubringen.“ Anja Karliczek

Das heißt für mich vor allem, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weiter darin zu bestärken, sich in die kritische Auseinandersetzung miteinander und in den Dialog mit der Gesellschaft zu begeben. Mir ist bewusst, dass das kein leichtes Unterfangen ist. Wenn sich zwei Forschende öffentlich in ihren Einschätzungen widersprechen, dann bleibt man als Laie zunächst einmal etwas ratlos zurück. Das spiegeln ja auch die Ergebnisse der Umfrage wider, wonach etwa die Hälfte der Befragten Schwierigkeiten hat, Informationen zu Corona zu beurteilen, wenn es widersprüchliche Aussagen gibt. Das aktuelle Wissenschaftsbarometer zeigt aber auch: Menschen verstehen zunehmend, dass kontroverse Diskussionen zum Erkenntnisgewinn beitragen. Auch Wissenschaftsjournalistinnen und Wissenschaftsjournalisten spielen dabei eine wichtige Rolle. Denn sie erklären, ordnen ein und bewerten wissenschaftliche Erkenntnisse.

Alle Ergebnisse und Daten des Wissenschaftsbarometers Spezial Corona finden Sie hier.