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Corona-Kommunikation: Viel Licht, viel Schatten

Drei Viertel der Menschen in Deutschland orientieren sich bei ihrer Einschätzung des Coronavirus an medizinischen Expertinnen und Experten, wie eine neue Studie zeigt. Der Rest jedoch scheint anfällig für Verschwörungs­glauben. Ein Interview mit dem Medienpsychologen Tobias Rothmund über Wissenschaftskommunikation und das misstrauische Viertel der Bevölkerung.

Herr Rothmund, Sie haben in einer neuen Studie untersucht, wie nahe sich Bevölkerung und Forschende in der Einschätzung des neuen Coronavirus sind. Muss man sich das als einen großen Corona-Wissenstest vorstellen?

Tatsächlich wollten wir herausfinden, wie viel von der wissenschaftlichen Diskussion über das Virus in der breiten Masse ankommt. Deshalb haben wir eine repräsentative Stichprobe von 1.575 Personen befragt und ihnen dabei unter anderem 15 Aussagen über Covid-19 vorgelegt. Das waren zum einen technisch-medizinische Behauptungen wie „Abstandhalten verhindert die Ausbreitung des Virus“ oder „Das Inhalieren heißer Luft heilt die Erkrankung“, zum anderen Risiko-Einschätzungen wie „Covid-19 ist gefährlicher als eine Grippe“ oder „Das Sterberisiko wird überschätzt“. Die Befragten sollten jeweils angeben, wie stark sie den Statements zustimmen oder diese ablehnen.

Tobias Rothmund ist Professor für Kommunikations- und Medienpsychologie an der Universität Jena. Er forscht insbesondere zu Populismus, Vertrauen und Ungerechtigkeitserleben im Kontext von Politik und Wissenschaft. Foto: Anne Günther/Friedrich-Schiller-Universität Jena

Manche dieser Aussagen sind aber wissenschaftlich noch nicht abschließend bewertet, oder?

Das stimmt, deshalb haben wir auch nicht beurteilt, ob die Versuchspersonen „richtig“ oder „falsch“ lagen. Stattdessen haben wir dieselbe Liste noch einmal Expertinnen und Experten vorgelegt und sie ebenfalls um ihre Einschätzung gebeten. Dafür haben wir alle promovierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ausfindig gemacht, die an Instituten für Virologie oder Epidemiologie an deutschen Universitäten arbeiten; insgesamt 128 Forschende haben teilgenommen. So konnten wir vergleichen, wie stark die Befragten aus der Allgemeinbevölkerung mit den Forschenden in der Einschätzung des Virus übereinstimmen.

Und wie sehr orientieren sich die Menschen in Deutschland an den Expertinnen und Experten?

Auf Grund ihrer Bewertung der 15 Corona-Statements haben wir die Befragten mittels eines statistischen Verfahrens in vier Gruppen aufgeteilt. Diese unterscheiden sich jeweils in ihrer Einschätzung des Virus. Zwei dieser Gruppen bewegen sich dabei recht nahe an der Meinung der Expertinnen und Experten, was das Risiko durch Corona und geeignete Maßnahmen zur Eindämmung angeht. Das größte Segment, von uns „Mainstream“ genannt, macht 55 Prozent der Teilnehmenden aus. Diese Menschen kennen offenbar die Diskussion in der Wissenschaft und übernehmen deren aktuelle Aussagen weitestgehend. Dann gibt es noch die Gruppe der „Besorgten“, die 16 Prozent der Befragten umfasst. Sie fallen dadurch auf, dass sie das Risiko durch Corona sogar etwas höher einschätzen als Expertinnen und Experten. Zugleich sind sie sehr gut über das Virus informiert. Das heißt: Rund drei Viertel der Menschen in Deutschland orientieren sich bei ihrer Beurteilung der Pandemie deutlich an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Die Vermittlung wissenschaftlicher Inhalte scheint in dieser schwierigen, sich dynamisch entwickelnden Situation also überwiegend gut zu funktionierten.

Was ist mit dem restlichen Viertel?

Diese Befragten lassen sich wiederum in zwei Gruppen unterteilen. Rund acht Prozent aller Teilnehmenden gehören laut unserer Segmentierung zu den „überzeugten Leugnern“. Sie beurteilen vor allem das medizinische Risiko, das vom Coronavirus ausgeht, viel geringer als die Expertinnen und Expertinnen. Eine etwas größere Gruppe sind die „verunsicherten Zweifler“. Diese 19 Prozent der Befragten wissen offenbar nicht recht, was sie glauben sollen. Denn ihre Beurteilungen der Corona-Aussagen drücken stets eher Unsicherheit aus, egal ob es sich um wissenschaftlich plausible oder unplausible Statements oder Risikoeinschätzungen handelt.

Lassen sich diese beiden ablehnenden Gruppen noch weiter charakterisieren?

Die „überzeugten Leugner“ sind statistisch gesehen häufiger berufstätig als die übrigen Befragten, sie befinden sich also eher in einem mittleren Lebensabschnitt. Sie schätzten ihre eigene Gesundheit als überdurchschnittlich gut ein. Von der politischen Einstellung tendieren sie eher nach rechts, und sie sind deutlich elitenfeindlich, was sich beispielsweise in einer Ablehnung des politischen Umgangs mit der Krise und auch der etablierten Medien äußert. Die Größenordnung dieser Gruppe deckt sich ungefähr mit dem Prozentsatz der Bevölkerung, der im Wissenschaftsbarometer ein sehr geringes Vertrauen in die Wissenschaft angibt. Außerdem glauben diese Personen stärker an Verschwörungserzählungen als der Rest der Befragten – etwa, das Coronavirus sei eine von Forschenden entwickelte Biowaffe und werde gezielt verbreitet, um die Bürgerrechte einzuschränken oder um finanzielle Interessen der Pharmabranche zu bedienen. Nicht alle Personen in dieser Gruppe sind von diesen Aussagen komplett überzeugt. Aber sie neigen ihnen im Durchschnitt deutlich stärker zu als der Mainstream.

„Die ‚Besorgten‘ nutzen eher klassische Medien, zum Beispiel Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Von den ‚überzeugten Leugnern‘ werden diese stark abgelehnt.“ Tobias Rothmund
Und die „verunsicherten Zweifler“?

Diese Befragten haben meist einen niedrigeren Bildungs­abschluss, außerdem neigen sie ebenfalls zu Verschwörungserzählungen. Psychologisch gesehen fällt auf, dass sie ein vergleichsweise großes Bedürfnis nach einfachen, eindeutigen Antworten haben – wir sprechen von einer geringen „Ambiguitätstoleranz“. Damit haben sie es in der aktuellen Situation, in der sich die Wissenschaft noch häufig korrigieren muss und Unsicherheiten bestehen, natürlich besonders schwer, sich zu orientieren.

In welchen Medien informierten sich die Befragten über das Virus?

Es zeigte sich, dass die „besorgte“, gut informierte Gruppe eher klassische Medien nutzt, zum Beispiel Tageszeitungen und den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Von den „überzeugten Leugnern“ werden diese dagegen stark abgelehnt. Sie und auch die „verunsicherten Zweifler“ nutzen zu einem größeren Anteil Online-Medien, soziale Netzwerke und Messenger-Dienste, um sich zu informieren.

Wie erreicht man das Viertel der Bevölkerung, das in seiner Einschätzung des Virus von der wissenschaftlichen Linie abweicht?

Es ist auf jeden Fall besorgniserregend, dass ein Viertel der Bevölkerung dazu neigt, teils abstruse Verschwörungserzählungen zu glauben. Allerdings ist das keine homogene Gruppe: Viele der „überzeugten Leugner“ haben ein geschlossen populistisches Weltbild, ihre Ablehnung von Wissenschaft ist politisch motiviert. Die Verunsicherten dagegen scheinen eher von der Komplexität der aktuellen Informationslage überfordert zu sein. Sie finden Verschwörungstheorien vielleicht deshalb attraktiv, weil diese vermeintlich eindeutige, abgeschlossene Erklärungen liefern. Im besten Fall könnte also diese Gruppe kleiner werden, wenn die Erforschung des Coronavirus voranschreitet und weniger wissenschaftliche Unsicherheiten bestehen. Aber natürlich besteht auch die Gefahr, dass diese Personen weiter in Richtung Populismus und Verschwörungsglauben abgleiten. Die Kommunikationsdynamik zwischen den überzeugten und den verunsicherten Zweiflern müsste dringend besser untersucht werden.

„Vorzugaukeln, dass Wissenschaft immer eindeutig sei, kann auch gar nicht die Lösung sein – denn oft genug stellen sich simple Antworten in der Forschung später als falsch heraus.“ Tobias Rothmund
Wissenschaft ist komplex und durch Unsicherheiten gekennzeichnet. Hat die Wissenschaftskommunikation Personen, die ein Bedürfnis nach eindeutigen Antworten haben, überhaupt etwas anzubieten?

Das ist auf jeden Fall schwierig. Schon häufig gelobt wurde ja der Podcast von Christian Drosten, weil er das Publikum sozusagen „live“ daran teilhaben ließ, wie sich Evidenzüberzeugungen in der Wissenschaft entwickeln und verändern. Das haben viele Menschen positiv aufgenommen und es hat ihr Vertrauen in die Wissenschaft gestärkt. Das zeigt, dass die Wissenschaftskommunikation nicht mit vermeintlich einfachen Antworten um Sympathie für die Forschung werben muss. Vorzugaukeln, dass Wissenschaft immer eindeutig sei, kann auch gar nicht die Lösung sein – denn oft genug stellen sich simple Antworten in der Forschung später als falsch heraus. Das zieht dann wieder neue Vertrauensprobleme nach sich. Aber an der Stelle hat die Wissenschaftskommunikation eine offene Flanke. Es bleibt wohl nichts anderes übrig, als die wissenschaftliche Methode und die Bedeutung von Unsicherheiten immer wieder verständlich zu erklären.