Foto: Stiftung Rechnung

„Was machen Mathelehrerinnen und Mathelehrer eigentlich am Wandertag?“

Mit der App MathCityMap können Schülerinnen und Schüler digitale Mathematik-Lehrpfade entdecken. Entwickelt wurde sie am Lehrstuhl für Didaktik der Mathematik und Informatik der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Dort wird nun auch ihr Einsatz erforscht. Ein Gespräch mit Projektleiter Matthias Ludwig.

Herr Ludwig, was genau ist ein Mathtrail und worum geht es bei dem Projekt MathCityMap?

Ein Mathtrail ist ein Weg, der an Objekten oder Plätzen vorbeiführt, an denen man mathematische Probleme bzw. Aufgaben bearbeiten, lösen, diskutieren oder formulieren kann. In der ursprünglichen Version der 80er Jahre war dieser Weg auf einer analogen Karte eingezeichnet, dazu gab es ein Begleitbuch, in dem die Aufgaben gestellt wurden. Heute, im Zeitalter der Digitalisierung und des Internets, kann man das aber wunderbar über die neuen Technologien lösen.

Matthias Ludwig ist Professor für Didaktik der Mathematik in der Sekundarstufe an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Dort leitet er neben dem Projekt MathCityMap auch die Projekte Fußball-Mathe und Mathe.Kind Frankfurt. Aktuelle Arbeits-schwerpunkte sind unter anderem der Einsatz neuer Technologien im Mathematik-unterricht sowie projektbasiertes Lernen. Foto: Elke Födisch

Die App MathCityMap ist insofern die digitalisierte Fortsetzung dieser Mathtrail-Idee: In der Datenbank sind die Aufgaben zu bestimmen Objekten und Plätzen hinterlegt. Neben der Aufgabenstellung sind das die Orte mit den dazugehörigen GPS-Koordinaten; Fotos der Objekte, damit der Nutzer weiß, welche Objekte genau gemeint sind; gestufte Hilfen, falls jemand nicht weiterkommt, sowie Musterlösungen. Über die Webseite können die Aufgaben zu einem Trail zusammengefügt werden. Eine Lehrperson kann also seinen Schülerinnen und Schülern selbst einen Trail zusammenstellen und ihnen diesen sofort digital zur Verfügung stellen. Das ist das tolle daran, weil ich mit dieser Technologie sofort mein eigenes Produkt, meinen eigenen Trail, erzeugen kann.

Die Schülerinnen und Schüler brauchen also nur sein Handy mit der App und kann dann direkt loslegen?

Nicht ganz. Die Schülerinnen und Schüler benötigen zumindest noch einen Zollstock, ein Maßband und eine Kladde.  Auch wenn die Aufgaben mit dem Handy aufgerufen werden, ist auf der Kladde immer noch der ganze Trail abgedruckt. Sie gehen dann den ganzen Trail Station für Station ab, lösen die Aufgaben und bringen die Kladde mit den Lösungen am nächsten Tag mit in den Unterricht. Die Lehrerin oder der Lehrer kann die Aufgaben und Ergebnisse dann bei Bedarf noch einmal durchsprechen. Es gibt natürlich auch Nutzerinnen und Nutzer, die wirklich ausschließlich mit der App arbeiten wollen. Wir haben z. B. auch Familientrails, bei denen Familien mit ihren Kindern den Trail nur mit der Handyversion ablaufen können. Aber für die Schule ist es wirklich so gedacht, dass man mit Stift und Kladde rausgeht.

Es gibt also auch Trails, die nicht nur für den Unterricht gedacht sind?

Tatsächlich waren die ursprünglichen Mathtrails in den 80er Jahren in Melbourne nicht für Schulen, sondern für alle und just for fun gedacht. Wir gehen allerdings davon aus, dass Gelerntes länger haften bleibt und die Motivation höher ist, wenn man sich draußen an der frischen Luft bewegt und dort mit Objekten beschäftigt, die man aus dem täglichen Leben kennt. Deshalb bieten sie sich auch für den Unterricht an. Dass die intrinsische Motivation der Schülerinnen und Schüler bei den Mathtrails hoch ist, konnten wir auch nachweisen. Grund hierfür ist zum einen der Anwendungsbezug, dann die Arbeit im Freien und schließlich der Einsatz neuer Technologien. Diese drei Aspekte tragen dazu bei, dass die Schülerinnen und Schüler bei der Arbeit mit MathCityMap eine sehr hohe intrinsische Motivation aufweisen und es ihnen nicht nur um gute Noten geht. Draußen Mathe zu machen, macht ihnen einfach richtig Spaß.

Mit dem Maßstab werden die benötigten Messwerte für die Rechnung gewonnen. Foto: Stiftung Rechnen

Was schließen Sie aus Ihrer Forschung zur Motivation der Schülerinnen und Schüler?

Wir haben die Motivation sowie den Lernzuwachs für die Schülerinnen und Schüler betrachtet und die Ergebnisse auch in einem Kongressbeitrag zusammengefasst. Allgemein haben wir dabei einerseits festgestellt, dass die Motivation steigt und, dass sie auch bestehen bleibt, wenn sie MathCityMap nutzen. Es scheint also nicht nur der einmalige Effekt von etwas Neuem zu sein, sondern es ist offenbar diese Art Mathematik zu betreiben, die die Motivation auch langfristig steigert. So genau können wir das aber noch nicht sagen. Wir haben nur das gesamte Konstrukt Motivation betrachtet, und konnten feststellen, dass die Motivation grundsätzlich hoch ist. Natürlich ist das für das Lernen unfassbar wichtig: Wenn sie nicht motiviert sind und keine Freude haben, dann lernen sie einfach schlecht. Hinsichtlich des Lernzuwachses zeigt sich, dass ein einmaliger Einsatz der App den Schülerinnen und Schülern zwar Spaß bereitet, jedoch kaum Lernzuwachs bringt. Beim zweiten Einsatz konnten wir dagegen schon signifikante Lernzuwächse beobachten.

Idealerweise besteht eine (Schüler-)Gruppe, die mit der App arbeitet, aus drei Personen. Foto: Stiftung Rechnen

Auseinandergesetzt haben wir uns auch mit verschiedenen Arten von Gamification: Sie können in der App als Lehrperson für ihren Trail einstellen, ob sie Punkte geben, die Gruppen gegeneinander spielen lassen oder ob sie gar keine Punkte geben möchten. Dabei kam heraus, dass die Mädchen ein bisschen besser sind, wenn man Punkte vergibt, Jungs hingegen scheint es mehr anzuspornen, wenn man mit einem Leaderboard arbeiten. Das haben wir ebenfalls in einem Kongressbeitrag zusammengefasst. Untersucht haben wir das allerdings nur in einem kleinen Rahmen, daher müsste man die Ergebnisse noch in einem großen Rahmen signifikant absichern.

Wie nehmen die Lehrerinnen und Lehrer die MathCityMap-Idee bzw. die App an?

Wir haben dieses Jahr wieder eine Nutzerumfrage durchgeführt: 50 % der Lehrerinnen und Lehrer nennen die hohe Motivation der Schülerinnen und Schüler und den Realitätsbezug der Aufgaben als Grund für den Einsatz von MathCityMap. Weitere Gründe sind das Lernen außerhalb des Klassenzimmers sowie der Einsatz digitaler Technologien, den etwa 15 % nennen. Die Akzeptanz der App seitens der Schülerinnen und Schüler und Teamwork spielen hingegen eine untergeordnete Rolle. Letzteres wurde nur von 5 % der Lehrer angegeben. Gegen die Nutzung der App spricht laut Meinung der Lehrer der Mangel an Zeit für die Vorbereitung und Durchführung der Trails sowie fehlende Messgeräte wie Zollstöcken. Die haben wir jetzt aber speziell für MathCityMap herstellen lassen und verschicken sie bei Bedarf gerne an die Schulen. Dazu haben wir Aufgabenvorlagen entwickelt, mit denen sich sehr schnell Trails zusammenstellen lassen.

Das MathCityMap-Projekt ist Teil des EU-Programms MoMaTrE (Mobile Math Trails Europe). Foto: Matthias Ludwig

Meine Lehrerfortbildungen beginne ich übrigens oft mit der Frage: Was machen Mathelehrerinnen und Mathelehrer eigentlich am Wandertag? Für die Kolleginnen und Kollegen in Bio- oder Deutsch ist das natürlich kein Problem, da gehen sie eben ins Theater oder in den Wald. Aber als Mathelehrerin oder Mathelehrerin, was machen sie da? – Na, da machen sie jetzt einen Trail!

Braucht man also einen ganzen Tag Zeit für einen Mathtrail?

Nein. Wir haben in unseren Experimenten mit Schulklassen festgestellt, dass sie in 90 Minuten einen Trail mit 5–7 Aufgaben schaffen. Wenn die Lehrperson oder die Lehrerschaft also um die Schule herum Trails erstellt, dann kriegt man das auch in einer Doppelstunde unter. Man muss den Trail nur anlegen und einmal testen, wie lange es dauert.

Um solche Lehrmethoden zu etablieren, bilden wir bei uns auch Lehramtsstudenten mit dem System aus, damit die Verwendung von Handys im Unterricht, der Austausch von Aufgaben über eine solche Plattform, also diese Art von Mathematikunterricht, für sie nichts Ungewöhnliches mehr ist.

„Die Innen- und Außenfläche des größten Polyeders soll gestrichen werden. Wie groß ist die zu streichende Fläche? Runde auf 2 Nachkommastellen. Gib das Ergebnis in man!“ – Eine Aufgabenstellung zu Polyedern in der App.  Foto: Daniel Birnbaum

Demnächst kommt eine neue Version der App heraus? Welche Neuerungen wird es geben?

Eine Neuerung ist der Aufgabenwizard, der die Lehrkräfte bei der Erstellung der Aufgaben unterstützt. Eine der Lieblingsaufgaben der Schülerinnen und Schüler ist es etwa, die Geschwindigkeit einer Rolltreppe zu bestimmen. Beim Wizard muss ich als Lehrperson hierfür nur die Messwerte eingeben, also die Länge der Treppe und die Fahrzeit, sowie ein Bild der Rolltreppe hochladen – dann ist die Aufgabe bereits fertig. Aufgabentext, Hilfestellungen und Lösungsintervall werden automatisiert erstellt. Für kompliziertere Aufgaben wird es außerdem die generic tasks geben. Das sind Vorlagen, bei denen die Lehrerinnen und Lehrer sich abschauen können, wie eine Aufgabe aufgebaut sein kann. Sie suchen dann ein ähnliches Objekt, müssen nur die Messwerte und die Lösungsintervalle anpassen und haben dann ihre persönliche, lokale Aufgabe. Im System haben wir bereits weltweit über 2.400 Aufgaben, davon circa 900 öffentlich. Wer also ein wenig stöbert, der findet zu fast jedem Thema eine gute Aufgabe.

Sind weitere Fächer für die App geplant?

Natürlich möchten wir die App auch für andere Fächer öffnen. Das System ist nicht an Mathematik gebunden, auch wenn es aktuell stark darauf ausgelegt ist. Es gibt derzeit keine Freitextaufgaben, sondern gesucht sind hauptsächlich exakte Zahlen, Intervalle oder Koordinaten. Freitexte würde aber ebenso funktionieren. Wir sind da noch in Gesprächen mit weiteren MINT-Fächern und offen für Anregungen.

Wenn wir 2019 das Folgeprojekt beantragen, dann wollen wir auf jeden Fall andere Fächer, weitere Aufgabenformate und Features mit hinzunehmen. Die Kunst ist es vor allem, gute Aufgaben zu entwickeln.