Bild: berlin-event-foto

Spielend „krasse Kompromisse” finden

Das Spiel „Krasse Kompromisse – Streiten bis zur Lösung” soll Kompromisse erlebbar machen. Christian Engelbrecht und Johannes Sturm von Futurium erklären im Interview, warum Kompromisse für eine zukunftsfähige Demokratie entscheidend sind und welche Herausforderungen bei der Entwicklung des Spiels zu meistern waren.

Dr. Christian Engelbrecht arbeitet als Referent für Bildung im Futurium. Seine Arbeitsschwerpunkte sind: Zukunft des Lernens, Schulentwicklung und projektorientiertes Lernen.

Bei dem Spiel „Krasse Kompromisse – Streiten bis zur Lösung” müssen die Spieler*innen in verschiedene Rollen schlüpfen und versuchen, einen Konsens zu finden. Wie kann man sich den Ablauf  vorstellen? 

Christian Engelbrecht: Die Geschichte ist, dass vier oder sechs Personen in einen Zukunftsrat berufen werden, der die wichtigen gesellschaftlichen Probleme lösen soll. Es gibt ernste Themen wie: „Wie können wir den Tourismus nachhaltiger gestalten?“ und fiktive Themen, die kein Vorwissen erfordern wie: „Wie schaffen wir es, mit Aliens zu koexistieren?”. Die Spieler*innen schlüpfen in verschiedene Rollen, zum Beispiel sind sie Teil der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft oder auch Teil einer Jugendbewegung oder einer Religion. Im Laufe des Spiels argumentieren sie nur aus dieser Rolle heraus, oft mit gegensätzlichen Positionen. Das kann man sich wie einen Trichter vorstellen, so dass aus vielen individuellen Lösungsvorschlägen immer wieder Kompromisse gefunden werden, die sich dann zu einem gemeinsamen Konsens formen.

Wir bieten das Spiel in Form von Workshops im Futurium, dem Haus der Zukünfte in Berlin, und auf Veranstaltungen an, aber man kann es auch kostenlos herunterladen und zu Hause spielen.

Johannes Sturm ist Referent der Programmkonzeption am Futurium. Dort experimentiert er mit Formaten der Wissenschaftskommunikation.

Was lernen die Spieler*innen? Sollen sie in der Lage sein, besser zu diskutieren?

Engelbrecht: Es ist kein Debattierklub. Als wir das Spiel neulich gespielt haben, gab es für mich einen Moment mit einer Mitspielerin, der das Ziel des Spiels gut beschreibt. Sie sagte: „Ich sitze hier am Tisch und muss mich mit Positionen auseinandersetzen, mit denen ich sonst nicht viel zu tun habe.“ Im echten Leben wäre sie vielleicht einfach vom Tisch aufgestanden. Aber im Spiel findet man dann einen Kompromiss auch mit Leuten, die an kosmische Energie glauben, und Leuten, die eine andere politische Perspektive haben. Diese Unterschiede auszuhalten ist ein wichtiger Impuls, den die Spieler*innen mitnehmen können. Wenn sie sich darauf einlassen.

Johannes Sturm: Der Erfolg liegt im Spielen selbst und nicht so sehr auf den Lösungen, die am Ende herauskommen. Selbst das Scheitern des Kompromisses im Spiel ist ein Erfolg, weil die Teilnehmer*innen dadurch eine Kompromisserfahrung gemacht haben. Ob es klappt oder nicht, ist dann eben Teil dieser Erfahrung, aber genauso okay. 

Bei ihrem Spiel treffen sehr unterschiedliche Positionen aufeinander. Wird es dabei auch mal emotional?

Engelbrecht: Emotional ja, aber im Sinne von viel Lachen. Vielleicht ist das auch ein Zeichen dafür, dass es kein Spiel ist, in dem man diskriminiert oder beleidigt wird, wenn man eine andere Meinung hat. In unseren Workshops hatten wir mit Gruppen zu tun, die herzlich darüber lachten, auf welche Ideen sie gekommen sind. Beispielsweise sind bei dem Thema „Nachhaltiger Tourismus“ Lösungen präsentiert worden, die einerseits auf den ersten Blick kreativ und abwegig wirkten, aber andererseits auch einen realen Kern haben, beispielsweise ein persönliches Co2-Budget für die Mobilität im Alltag und für Urlaubsreisen. 

Blick auf das Spiel „Krasse Kompromisse – Streiten bis zur Lösung“ Bild: David von Becker

 Die Spieler*innen müssen ihre Meinung in kurzer Zeit auf den Punkt bringen. Wie schlagen sie sich dabei? 

Engelbrecht: Jedes Spiel ist anders. Natürlich ist es schwer, in fünf bis sieben Minuten einen neuen Lösungsvorschlag aus zwei völlig unterschiedlichen Positionen zu diskutieren. Aber die Teilnehmer*innen schaffen das. Die Schwierigkeiten liegen eher darin, sich in neue Perspektive reinzuversetzen, zum Beispiel wenn ein 50-Jähriger die Jugend vertreten soll. Wir haben deshalb verschiedene Rollenbögen entwickelt, die den Teilnehmer*innen mit Hinweisen zu Vorlieben, Charaktereigenschaften und Interessengebieten helfen, der jeweiligen Rolle schnell näher zu kommen. 

Wen möchten Sie mit dem Spiel erreichen, und warum haben Sie sich auf ein Mindestalter von 14 Jahren festgelegt?

Sturm: Es ist ein bisschen Vorwissen nötig, um in andere Rollen zu schlüpfen. Ich bin dann plötzlich eine Bürgermeisterin einer Kleinstadt oder ein Wissenschaftler für Umweltthemen. Je mehr ich diese Rolle ausfüllen kann, desto vielfältiger und lebendiger wird auch die Diskussion, die innerhalb des Spiels entsteht. Jüngeren Kindern fehlt hier oft noch die Erfahrung, sich in solch komplexe Rollen hineinzuversetzen, daher beschränken wir uns auf ein Alter ab 14 Jahren. 

Warum haben Sie „Kompromisse” als Thema für das Spiel gewählt?

Sturm: Im Futurium haben wir in 2023 und 2024 das Schwerpunktthema „Demokratie in progress“. Unser Jahresthema möchte, im Gegensatz zu vielen Buchveröffentlichungen der letzten Jahre, in denen so gut wie ausschließlich von der Krise der Demokratie die Rede ist, den Diskurs darauf lenken, wie wir unsere Demokratie weiterentwickeln können, um sie sattel- und zukunftsfest für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu machen. 

Engelbrecht: Und Kompromissfindung ist dafür eine Kernkompetenz, die wir für eine zukunftsfähige Demokratie brauchen. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt unserer Vermittlungsarbeit zum Thema Demokratie.

„Kompromisse stellen einen der zentralsten Aspekte von Demokratien dar, denn die Fähigkeit aus unterschiedlichen Positionen einen Kompromiss zu finden, ist ein Markenkern, den wir anderen Regierungssystemen voraus haben.“ Christian Engelbrecht

Sturm: Kompromisse stellen einen der zentralsten Aspekte von Demokratien dar, denn die Fähigkeit aus unterschiedlichen Positionen einen Kompromiss zu finden, ist ein Markenkern, den wir anderen Regierungssystemen voraus haben. Gerade weil der Begriff „Kompromiss” zunehmend unter Druck kommt, Stichwort „fauler Kompromiss”, wollen wir ihn spielerisch, niedrigschwellig, greifbar machen. 

Nachdem das Thema für das Spiel feststand, wie sind Sie dann die Umsetzung angegangen?

Engelbrecht: Die Politikwissenschaftlerin Manon Westphal, die ein Buch über Kompromisse geschrieben hat, hat uns fachlich beraten. Sie war regelmäßig in unseren Abstimmungsterminen dabei und hat uns immer wieder neue Perspektiven aufgezeigt. Für die Spielmechanik haben wir eng mit der Spieleentwicklungsfirma „Dachshund” zusammengearbeitet.

Ist es schwierig, ein Spiel zu entwickeln?

Sturm: Man darf das nicht unterschätzen. Abends sitzt man am Familientisch und spielt ein vermeintlich simples Kartenspiel. Dabei merkt man gar nicht, wie viel Arbeit dahinter steckt. Es braucht viele Meetings, Kopfzerbrechen und vor allem Tests, um am Ende zu einem guten Spiel zu kommen. Wir haben einen Prototyp tagelang in den unterschiedlichsten Konstellationen getestet. Das Feedback haben wir dann wieder eingebaut. Wir haben uns gefragt: „Was funktioniert gut, was nicht?  Wo gibt es vielleicht Längen? Was sind Elemente, die man verwerfen muss, auch wenn man sie besonders schön findet?” 

Neben Ideen, die man verwerfen muss, obwohl man sie eigentlich sehr mochte, gab es noch weitere Herausforderungen bei der Entwicklung?

Sturm: Die Gratwanderung zwischen Spaß und Inhalt war tatsächlich die zentrale Herausforderung. Wir wollten kein Spiel schaffen, das unbenutzt in irgendwelchen Schränken verstaubt. Es sollte ein spaßiges Spiel sein, ohne in eine gewollte, überpädagogisierende Ebene abzurutschen. Nicht, dass man nachher denkt: „Gut, jetzt haben sie zwar ein Spiel entwickelt, aber sie wollten vor allem die Punkte A,B,C und D unterbringen.”

Engelbrecht: Ein weiterer Punkt war, einen Moment der Reflexion einzubauen. Im Sinne von: „Wie ist es uns eigentlich mit dieser Kompromissfindung ergangen? Wie habe ich mich gefühlt als die Person, die gespielt hat, und wie habe ich mich in der Rolle gefühlt?” Das war gar nicht so leicht. Man kann natürlich Reflexionsfragen auf Karten drucken, aber damit ist es nicht getan. Das muss auch innerhalb der Gruppe lebendig werden, beispielweise durch den informellen Austausch nach dem Spiel.

Bei der Entwicklung des Spiels ist das Feedback vom Entwicklungsteam in die Prototypen eingeflossen. Gibt es Pläne, Rückmeldungen von Teilnehmer*innen einzubauen und das Spiel so noch weiterzuentwickeln?

Engelbrecht: Natürlich holen wir Stimmen von Teilnehmer*innen ein, aber ich glaube, es ist zu früh für eine Evaluation. Wir haben das Spiel bisher noch nicht so oft durchgeführt. Aber es ist offen verfügbar unter der Creative Commons Lizenz, was bedeutet, dass es jeder als Prototyp nutzen und weiterentwickeln kann. Hier sind wir gespannt darauf, wie sich das Spiel dadurch weiterentwickelt.