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Siggener Impulse 2023: Zwischen Haltung und Neutralität

Die Siggener Impulse 2023 beleuchten kritisch die Rollen von Journalist*innen, Forschenden und Kommunikationsbeauftragten – ein Dialog über Infrastrukturen, Rollenverständnisse und gegenseitige Erwartungen. Mitherausgeber und Wissenschaftsredakteur Markus Weißkopf blickt auf die zentralen Themen der Tagung vom 24. bis 28. Juli.

Wie viel Haltung können oder dürfen Wissenschaft und Journalismus zeigen? Diese Frage, die uns auch heute wieder bewegt, wurde bei der Siggener Tagung 2023 kontrovers diskutiert. Können einzelne Wissenschaftler*innen Klimaaktivist*innen sein? Müssen Institute und Verlage Haltung gegen Rechts und Antisemitismus zeigen? In Siggen haben sich im vergangenen Jahr 24 Teilnehmende Gedanken über das Verhältnis von Wissenschaft und Medien Gedanken gemacht. Die Ergebnisse der Diskussionen wurden in den Siggener Impulsen 2023 festgehalten.

Die Teilnehmenden haben intensiv darüber diskutiert, wie viel Verantwortung wissenschaftliche Einrichtungen und Wissenschaftler*innen für die aktive Gestaltung unserer Gesellschaft und auch der Medienlandschaft haben. Nachdem gerade Twitter (heute X) als das Medium für viele Wissenschaftler*innen galt, gerät die Plattform mehr und mehr in Verruf. Viele verlassen die Plattform, unter anderem aktuell auch vier große Wissenschaftsstiftungen und der Bund deutscher Stiftungen.

Mit Mut offene Strukturen vorantreiben

Twitter ist also tot, Bluesky und Threads leben noch nicht. Die großen Tech-Giganten scheinen darüber hinaus kein Interesse an einem sachlichen, offenen und demokratischen Diskurs über Wissenschaft (und anderen Themen) zu haben. Gleichzeitig fehlt den demokratischen Systemen die Kraft und der Willen, eigene Strukturen zu befördern oder bestehende entsprechend zu regulieren.

Die Teilnehmenden der Siggener Tagung sehen hier auch die Wissenschaft in der Pflicht. Sie soll in Zukunft die Voraussetzungen schaffen, die zur Gestaltung und Nutzung offener Strukturen ermutigen und befähigen. Damit sind zum Beispiel Wikipedia oder das Fediverse gemeint. Einzelne Hochschulen wie die Universität Innsbruck gehen hier voran, insgesamt ist die Unterstützung der Wissenschaftseinrichtungen aber noch sehr gering. Und auch in die politische und gesellschaftliche Debatte über die Finanzierung einer qualitativ hochwertigen Medienlandschaft bringt sich die Wissenschaft aus der Perspektive des Siggener Kreises zu wenig ein.

Risiken politischer Positionierungen

„Eine vertiefte Diskussion um die öffentliche Positionierung von Wissenschaftler*innen, Kommunikator*innen und Journalist*innen wird vermutlich in Zukunft noch relevanter. Konkrete Anlässe dazu wird es immer öfter geben“, heißt es in den Siggener Impulsen 2023. Und natürlich zeigt der gerade hochkochende Konflikt im Gazastreifen, dass viele Einrichtungen immer noch Probleme mit politischen Positionierungen haben. Die Autor*innen weisen zurecht auf zahlreiche Risiken von politischen Positionierungen wissenschaftlicher Einrichtungen, einzelnen Wissenschaftler*innen oder auch Verlagen hin. Diese können zum Beispiel zu Reputationsverlusten in bestimmten Gruppen führen.

Kommunikator*innen als Beratende in ihren Organisationen

Wenn Forschende sich öffentlich wertend äußern, können sie sich damit auch für oder gegen den Wertekanon ihrer Einrichtung stellen. Kommunikator*innen haben dabei die Aufgabe, den Kontext zu erklären und auch grundlegend die Wissenschaftsfreiheit und den wissenschaftlichen Pluralismus  der Öffentlichkeit zu vermitteln. Hier weist der Siggener Kreis auf ein mögliches Dilemma zwischen dem Schutz der Reputation der Institution einerseits und der Freiheit der Forschenden andererseits hin.

Letztlich bleibt als Option lediglich, dauerhaft eine reflektierte Diskussion über die Verortung von Wissenschaft und Wissenschaftler*innen in der Gesellschaft zu führen.

Nicht zuletzt befasste sich eine Arbeitsgruppe in Siggen mit den Spielregeln für den Umgang zwischen Kommunikator*innen und Journalist*innen. Gegenseitiger Respekt sollte Grundlage für eine konstruktive Zusammenarbeit sein.

Persönlich nehme ich ganz besonders einen Punkt aus dem Papier mit: „Es braucht Mut, eingeschlagene Wege zu verlassen“ – in der Wissenschaft und in den Medien.

Markus Weißkopf war Geschäftsführer von Wissenschaft im Dialog.* Er ist Mit-Initiator des Siggener Kreises und aktuell Redakteur beim Research.Table von Table.Media.


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