Foto: Siggener Kreis, Simulation von Gesine Born

„Bilder haben unglaublich an Relevanz gewonnen“

Der Siggener Kreis hat Empfehlungen zum Umgang mit Bildern in der Wissenschaftskommunikation veröffentlicht. Wie sie sich in die Praxis umsetzen lassen, erklärt die Kommunikationsdesignerin und Fotografin Gesine Born im Interview.

Frau Born, der Siggener Kreis hat zum Thema „Bilder in der Wissenschaftskommunikation“ getagt und das Impulspapier dazu heute veröffentlicht. Was ist gemeint, wenn wir von Bildern sprechen?
Darüber haben wir lange diskutiert: Was ist ein Bild? Das kann auch ein Bild im Kopf sein, ein sprachliches Bild. Wir haben uns auf das visuelle Bild beschränkt: Fotos, Videos und alle anderen Kommunikationsformen, durch die Betrachter*innen visuell etwas erfahren. Dazu zählen auch 3-D-Modelle, Fotografien, Animationen, Infografiken oder interaktive Grafiken.

Gesine Born ist Kommunikationsdesignerin mit einem Schwerpunkt auf Fotografie und Film. Sie hat 2021 das erste Mal am Siggener Kreis teilgenommen. Foto: Christian Friedrich

Weshalb hat sich der Siggener Kreis mit dem Thema Bilder befasst?
Bilder haben unglaublich an Relevanz gewonnen. Soziale Medien wie Instagram und auch die meisten anderen Kanäle funktionieren fast ausschließlich über Bilder. Deshalb muss man sich in der Wissenschaftskommunikation zunehmend mit diesem Thema beschäftigen, auch was die Wirkung von Bildern angeht und wie man damit umgeht.

Welche Wirkung können Bilder entfalten?
Bilder können Neugierde erzeugen, sodass man sich mit einem Thema auseinandersetzen möchte. Sie können auch die gegenteilige Wirkung haben und abschrecken. Das kann bei Bildern zu Tierversuchen geschehen oder bei Bildern, die starke negative Emotionen wie Angst oder Ekel auslösen. Sie vermitteln eine Wirklichkeit, mit der man als Betrachter*in dann umgehen muss. Bilder haben aber auch das Potential, komplexe Sachverhalte zu veranschaulichen und zu vereinfachen, was für einige Themengebiete sinnvoll, für andere aber auch irreführend sein kann.

Welche Risiken stecken darüber hinaus in der Verwendung von Bildern in der Wissenschaftskommunikation?
Bilder können auch vom eigentlichen Inhalt ablenken oder etwas auf eine Weise abbilden, wie es in der Realität gar nicht aussieht. Manchmal weiß man auch nicht, wie ein Bild entstanden ist. Da fehlt häufig die Transparenz hinsichtlich des Entstehungsprozesses. Beispielsweise das Foto eines schwarzen Lochs, das um die Welt ging. Aber es wurde nicht erklärt, ob es ein Foto ist oder aus Daten generiert wurde. Das ist auch eine Aufgabe von Wissenschaftskommunikator*innen: aufzuzeigen, wie diese Bilder entstanden sind.

Was sind die wichtigsten Punkte im Impulspapier zum Umgang mit Bildern in der Wissenschaftskommunikation?
Bilder sollen die Vielfalt der Wissenschaft zeigen. Es geht auch darum, verantwortungsvoll und transparent mit Bildern umzugehen. Manchmal stellt sich die Frage, ob man überhaupt eine Bebilderung bei einem Thema braucht. Es ist viel Stockmaterial im Umlauf, das austauschbar ist und mit dem eigentlichen Thema gar nichts zu tun hat. Wir müssen qualitätsorientierter denken.

„In der Wissenschaft dauert es oft lange, bis man zu einem Ergebnis kommt (...). Wir sehen häufig nur Bilder vom Resultat. Aber es ist auch wichtig, den Prozess zu zeigen.“ Gesine Born
Als Wissenschaftler*in sollte man sich bei der Bildauswahl mit Kommunikator*innen und Designer*innen austauschen. Es hilft, wenn das Thema partnerschaftlich und interdisziplinär bearbeitet wird. Und natürlich sollte man mutig und innovativ sein. Oft geht man die gleichen Pfade, die man schon immer gegangen ist. Zu manchen Themen verwendet man immer wieder das gleiche Motiv. Aber man könnte auch überlegen, wie sich das anders umsetzen ließe, um eben auch ein andere visuelle Repräsentation zu erzeugen und die Bildsprache nicht zu verfestigen. Wir haben ganz oft das Problem, dass das Bild der Wissenschaft der weiße Mann im Laborkittel im Labor ist.

Welche Themen und Gruppen sind in der Bildsprache der Wissenschaftskommunikation unterrepräsentiert?
In den Diskussionen im Siggener Kreis wurde oft erwähnt, dass Frauen in der Wissenschaft in Bildern unterrepräsentiert sind. Dagegen kann man aktiv arbeiten, indem man vermehrt Wissenschaftler*innen zeigt. Die Frage ist dann wiederum, wie realistisch die Abbildung ist: Wenn ich in einer Arbeitsgruppe acht Männer und zwei Frauen habe und zeige auf einem Foto gleich viele Frauen wie Männer, dann ist das zwar eine gewünschte Verteilung, bildet aber nicht die Realität ab. Ist das legitim oder nicht?
Außerdem sind Bilder, die man ungerne zeigt, wie beispielsweise von Tierversuchen und von Themen, die man schwer abbilden kann, in der Wissenschaftskommunikation eher selten.

Was sind solche Themen, die sich schwer abbilden lassen?
Dazu zählt zum Beispiel die Prozesshaftigkeit von Wissenschaft. In der Wissenschaft dauert es oft lange, bis man zu einem Ergebnis kommt und der Weg dorthin verläuft teils auf Umwegen. Wir sehen häufig nur Bilder vom Resultat. Aber es ist auch wichtig, den Prozess zu zeigen.

„Es hilft, wenn das Thema partnerschaftlich und interdisziplinär bearbeitet wird. Und natürlich sollte man mutig und innovativ sein.“ Gesine Born
Welche Kriterien müssen Bilder erfüllen, um Wissenschaft gut zu vermitteln?
Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt nicht genau das eine Medium für ein Thema. Man muss sich überlegen, welche Zielgruppe man ansprechen möchte: Für junge Menschen eignet sich vielleicht ein Social-Media-Projekt oder etwas Interaktives. Weniger technikaffine Leute können damit womöglich schlechter umgehen. Deshalb gilt es immer zu überlegen, an wen sich das Bild richtet, was man damit erreichen möchte und welche Vor- und Nachteile bestimmte Medientypen haben.

Wie lassen sich diese Leitfragen in der Praxis umsetzen?
Genau dafür haben wir den Bildreflektor entwickelt. Das ist ein Werkzeug, das Möglichkeitsräume eröffnet: Er zeigt Stellschrauben auf, an denen ich drehen kann, um meine Ziele zu erreichen. Dabei geht er auf Vor- und Nachteile verschiedener Extreme ein. Er sagt nicht, was ein gutes oder schlechtes Bild, ein günstiges oder teures Medium ist. Es geht darum, sich mit seinem Thema auseinanderzusetzen, zu reflektieren und so eine Diskussionsgrundlage zu schaffen.

Führen Sie uns einmal durch diese Möglichkeitsräume.
Mit dem Bildreflektor lassen sich der Abstraktionsgrad, die Interaktivität, Inszenierung, Originalität, der Erzählgrad, Informationsgehalt und die Emotionalität der Bilder durch verschiedene Schieberegler erfassen.

Der Bildreflektor soll bei der Auswahl von Bildformaten und Medien helfen. Er zeigt an den Maximalwerten die Vor- und Nachteile des Bildauswahl auf, hier exemplarisch für die Kategorie „Abstraktion“ dargestellt: Foto: Siggener Impulse 2021

Ist beispielsweise der Abstraktionsgrad eines Bildes sehr hoch, landet man bei einem schematischen Bild. Wenn ich den Klimawandel kommunizieren möchte, wäre das beispielsweise die Grafik einer Emissionskurve. Das hat den Vorteil, dass das Bild sehr sachlich und neutral ist und eine hohe Informationsdichte hat. Es kann dadurch Sachverhalte sichtbar machen. Es kann aber auch langweilig wirken oder sich nicht sofort für die Betrachter*innen erschließen. Schiebt man den Regler auf die andere Seite, kommt man zu einem realistischen Bild, beispielsweise einer Fotografie wie dem klassischen Motiv des Eisbären auf der Scholle. Weniger abstrakte Bilder sind leichter rezipierbar. Sie können aber auch verstörend wirken oder Wahrhaftigkeit nur vortäuschen.

Welche Vor- und Nachteile haben Bilder mit Blick auf das Kriterium Emotionalität?
Um beim Beispiel Klimakommunikation zu bleiben: Emotional aufgeladene Bilder wie die von schmelzenden Gletschern können mobilisieren. Sie können aber auch manipulieren. Weniger emotionale Bilder können objektiver wirken, sind meist aber oberflächlicher.

Sie haben vorhin erwähnt, dass man bei der Bildauswahl mutiger und innovativer sein sollte. Wie verhält es sich mit der Andersartigkeit von Bildern?
Wenn ein Bild ganz andersartig ist, erzeugt man eine hohe Originalität und dadurch Aufmerksamkeit. Das ist überraschend und bereichert die Bilderwelt. Wenn es gut gemacht ist, wird es vielleicht sogar Teil der eigenen Bildsprache eines Instituts. Das setzt aber voraus, dass man sich stark mit Bildern auseinandersetzt. Denn sehr originelle können auch irritieren.

Schiebt man den Regler auf die Gegenseite, landet man beim Stereotyp. Der Vorteil ist, dass solche Bilder leicht rezipierbar, gut auffindbar und kostengünstig sind. Sie können leicht einem Themenkomplex zugeordnet werden. Sie zementieren allerdings auch Sehgewohnheiten, wie zum Beispiel das Bild des Wissenschaftlers im weißen Kittel im Labor.

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Was nehmen Sie für sich persönlich aus den Gesprächen im Siggener Kreis mit?

Ich bin ja ein Siggen-Rookie (lacht). Sich beim Siggener Kreis mit anderen Menschen auszutauschen, die wissenschaftlich arbeiten und Bilder ganz anders reflektieren als ich, war großartig. Das Thema ist so universell und betrifft alle auf unterschiedliche Weisen. Jede*r geht unterschiedlich mit Bildern um: Ich selbst stelle visuelle Produkte her. Als Produzentin arbeite ich anders mit Bildern als beispielsweise Kommunikator*innen, die sie wiederum für ihre Arbeit verwenden, oder Wissenschaftler*innen, die die Wirkung von Bildern erforschen.

Bei den Impulsvorträgen konnte ich einen kleinen Einblick in die jeweilige Sicht- und Arbeitsweise der einzelnen Teilnehmer*innen erhalten. Großartig fand ich auch, dass sich sofort ein Fact-Checking Team gebildet hat, das Theorien und Annahmen überprüft hat. So konnte die Dokumentation kreativ, aber auch wissenschaftlich fundiert entstehen.


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