Ron Reiring, CC BY-SA 2.0

Reflexionsarbeit als Auftrag

Wie hat sich die Forschung über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft in den letzten Jahrzehnten entwickelt? Und warum spielt das Thema Vertrauen heute eine so große Rolle? Ein Interview mit dem Sozialpsychologen Martin Bauer von der London School of Economics.

Herr Bauer, in der internationalen Forschung zur Wissenschaftskommunikation spielt das Thema Vertrauen eine immer größere Rolle. Woher kommt das? 

Darüber bin ich auch ein bisschen erstaunt. Es gab natürlich schon immer Trends und auch Moden in der Forschung, und meistens ist es schwierig zu rekonstruieren, wo sie herkommen. Generell konnte man in der Forschung über das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft seit den 1970er-Jahren drei verschiedene Paradigmen beobachten. Zuerst ging es um „Scientific Literacy“, also eine Art naturwissenschaftliche Grundbildung, die alle Bürgerinnen und Bürger haben sollten. Aber irgendwann hat man festgestellt: Wissen allein reicht nicht, um das Verhältnis der Bevölkerung zur Wissenschaft zu charakterisieren. Es garantiert nicht, dass Menschen Wissenschaft positiv gegenüberstehen und diese auch unterstützen. In der zweiten Forschungswelle ging es also darum, welche Einstellungen die Bevölkerung gegenüber der Wissenschaft hat und wie dies zustande kommt. Der nächste Paradigmenwechsel schließlich begann in den späten 1990er-Jahren. Nun ging es um Public Engagement, also grob gesagt um die Partizipation der Öffentlichkeit an Wissenschaft und Forschung. Dass wir aktuell eine verstärkte Forschung zum Thema Vertrauen sehen, ist sozusagen noch die Nachwirkung dieser dritten Welle.

Martin W. Bauer ist Professor für Sozialpsychologie und Forschungsmethoden an der London School of Economics and Political Science (LSE). In seiner Forschung fokussiert er sich auf das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft, insbesondere in Bezug auf kontroverse Fragestellungen und die kulturelle Autorität von Wissenschaft in der Langzeitperspektive. Von 2009 bis 2016 war er Chefredakteur der Fachzeitschrift Public Understanding of Science. Er ist Mitglied der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften acatech und berät sowohl das Projekt TechnikRadar als auch die Europäische Kommission bei der Messung öffentlicher Einstellungen zu Wissenschaft im Eurobarometer. In Peking forscht er an der National Academy for Innovation Strategy (NAIS) zu „Cultures of Science and Innovation“. Foto: Wissenschaft im Dialog

Inwiefern? 

Wenn ich nach den Einstellungen der Menschen zu Wissenschaft frage, steht deren persönliche Sichtweise im Vordergrund. Beim Vertrauen liegt der Fokus mehr auf der Interaktion zwischen zwei Partnern. Wenn man also nach Vertrauen fragt, werden die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler stärker in die Pflicht genommen und zur Reflexion darüber aufgefordert, was sie selbst zu dieser Beziehung beitragen. Ein anderer Grund für den Zuwachs an Vertrauensforschung ist, dass dieses Thema in der Risikokommunikation schon lange eine wichtige Rolle spielt, genauer seit den Nukleardebatten der 1980er Jahre. Um die Risikowahrnehmung bildete sich eine Parallelwelt zur Einstellungsforschung – und aktuell gibt es ja eine Diskussion gar über eine Hegemonie, also eine Vorherrschaft des Risikodiskurses.

Können Sie näher erläutern, was damit gemeint ist? 

In der Risikokommunikation hat man schon früh erkannt, dass die Alternative zum Wissen Vertrauen lautet. Das Thema war zuallererst theologisch bearbeitet worden: Entweder wusste man, was der Himmel mit einem vorhat, oder man musste eben Gottvertrauen an den Tag legen. Mittlerweile geht es überall um Risiken, wo etwas schief gehen kann – allen voran an den Finanzmärkten und im Technikbereich. Man kann alles im Leben mit Bezug auf Risiko und Vertrauen betrachten. Warum warte ich darauf, dass die Fußgängerampel auf grün wechselt? Weil ich darauf vertraue, dass sich die anderen Verkehrsteilnehmer auch an diese Signale halten und ich dann gefahrlos die Straße passieren kann. Alternativ zu diesem Vertrauen könnte ich höchstens Beobachtungen anstellen, um herauszufinden, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Auto über Rot fahren wird. Aber es wäre eben nicht nur aufwendig, sondern natürlich auch ein bisschen absurd, jede einzelne Entscheidung unter diesem Blickwinkel zu betrachten. Weil aber der Begriff Risiko im modernen Leben insgesamt so eine wichtige Rolle spielt, wurde auch das Vertrauen zunehmend interessant. Eben auch, wenn es um die öffentliche Wahrnehmung von Wissenschaft geht, denn Vertrauen ist eine Facette dieser Wahrnehmung.

„Wir beobachten, dass in Bezug auf ganz bestimmte Sachverhalte die Autorität der Wissenschaft schwindet – etwa bei gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln, Impfungen oder dem Klimawandel.“ Martin Bauer
Aber ist nun das Vertrauen in die Wissenschaft in einer Krise, wie man oft hört? 

Wenn man sich harte Indikatoren ansieht, etwa Langzeit-Umfragedaten, lässt sich das eigentlich nicht bestätigen. Die Menschen halten etwa in den USA derzeit genauso viel von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie vor 45 Jahren. Das zeigen Umfragen des General Social Survey. Wir beobachten eher, dass dort in Bezug auf ganz bestimmte Sachverhalte die Autorität der Wissenschaft schwindet – etwa bei gentechnisch veränderten Nahrungsmitteln, Impfungen oder dem Klimawandel. Forschende in diesen Bereichen werden auch nicht mehr nur als neutrale Expertinnen und Experten wahrgenommen, sondern als eine interessierte Partei, die aktiv am Diskurs teilnimmt. So etwas mindert das Vertrauen. Grundsätzlich beobachten wir dennoch aktuell keine „Entwissenschaftlichung“ der Gesellschaft. Aber die Öffentlichkeitsarbeit der Wissenschaft birgt in dieser Hinsicht Risiken, ein Stichpunkt lautet hier Medialisierung.

Schadet ein Vertrauensverlust in einzelnen Bereichen denn nicht dem Ansehen der Wissenschaft insgesamt? 

Es gibt hierzu zwei unterschiedliche Sichtweisen, die ich gern mit Hilfe von Metaphern beschreibe. Zum einen kann man sich die Wissenschaft wie einen Leuchtturm vorstellen, der standhaft allen Stürmen trotzt und in der rauen See Orientierung gibt. So wie wissenschaftliche Erkenntnisse dabei helfen, durch eine Welt voll Unsicherheit zu navigieren. Das ist sozusagen die traditionelle Sicht, in der die Wissenschaft als stabile Bastion erscheint, die allenfalls als Ganzes einbrechen kann.

Und das andere Bild? 

Die zweite Sichtweise nenne ich „Bungee-Jump-Modell“: Die Wissenschaft als solches ist auch hier stabil, sie ist sozusagen das Gerüst. Forschende sind mit dem Bungee-Seil daran gesichert, auch wenn sie sich in konkrete Debatten begeben und dabei punktuell an Respekt verlieren sollten. Sie schnellen dann irgendwann wieder nach oben, ohne dass das Gerüst einen Schaden genommen hätte. Eine Analogie aus der Politik wäre: Man kann der Demokratie oder dem Parlament als Institution vertrauen, aber einer konkreten Regierung oder ihrer Politik misstrauen beziehungsweise nicht mit ihren Entscheidungen einverstanden sein. Klar könnte es sein, dass punktuelle Vertrauensverluste sich langfristig auf das Ansehen des ganzen Systems auswirken – auch in der Wissenschaft. Aber noch sehen wir das nicht in repräsentativen Umfragen, wo wir Langzeitdaten haben, weder in den USA, noch im Vereinigten Königreich oder Schweden. Um jedoch einer möglichen Entwicklung dieser Art vorzubeugen, ist die Wissenschaftskommunikation aufgerufen. Und zwar nicht nur mit Informationsveranstaltungen, sondern mit aufwendigen partizipativen Formaten: Menschen in Prozesse einzubinden, die eine gemeinsame Zukunft betreffen, bildet Vertrauen.

Wie Menschen Risiken wahrnehmen und wie sehr sie der Wissenschaft vertrauen, spielt in der Forschung spätestens seit den Nukleardebatten der 1980er Jahre eine wichtige Rolle. Das Bild zeigt das Kernkraftwerk Rancho Seco in der Nähe von Sacramento (Kalifornien). Es wurde im Jahr 1989 nach mehreren Störfällen durch ein Referendum in der Bevölkerung stillgelegt. Foto: Ron Reiring, CC BY-SA 2.0

Sie waren sieben Jahre lang, bis 2016, Chefredakteur der Fachzeitschrift „Public Understanding of Science“. Welche Trends sehen Sie in der Forschung zur Wissenschaftskommunikation?

Ein großes Thema ist natürlich die Ablösung der traditionellen Medien durch die neuen, sozialen und interaktiven Medien. Diese Forschung kann aber durchaus auch schnelllebig sein. Eine Zeit lang gab es in der Kommunikationswissenschaft etwa viele Studien zur Plattform „Second Life“ – heute kennt das ja kaum noch jemand. Die Technik ändert sich rasant, aber bestimmte Dinge im Kommunikationsverhalten bleiben auch gleich: Es geht meist darum, das Publikum zu überzeugen, Geschichten zu erzählen, Daten zu visualisieren, bei der Forschung „live“ dabei zu sein sowie alte Formate zu adaptieren und neue zu entwickeln. In den letzten Jahren sind mir außerdem viele Untersuchungen zum Thema „Fake News“ aufgefallen – auch wenn das Phänomen von Falschmeldungen ja nicht neu ist, nur die technischen Möglichkeiten zu ihrer Verbreitung verändern sich. Ein weiterer Trend ist die Erforschung der Frage: Wer kommuniziert eigentlich Wissenschaft – ist es der Forscher oder die Forscherin selbst, der Journalismus, die Institutionen oder neue Vermittler? Hier gibt es ja durchaus bedenkliche Entwicklungen.

Was meinen Sie damit konkret?

Nehmen Sie nur den Fall, dass selbst kleinere wissenschaftliche Institute zunehmend eigene Stellen für die Kommunikation haben, zusätzlich zu jenen in der zentralen Pressestelle. Das ist aufwendig und verlangt nach Professionalisierung. In England, so heißt es, kommen mittlerweile auf eine Person im Journalismus sechs Profis aus der institutionellen Kommunikation. Gleichzeitig verlieren die Journalisten den Boden unter den Füßen. Das verschiebt das Kräfteverhältnis weiter, wenn es darum geht, wer die öffentliche Aufmerksamkeit steuert. Diese Überlegungen führen uns zurück dazu, wie das ganze Forschungsfeld entstanden ist. Man hatte beobachtet, dass es immer mehr Wissenschaftskommunikation gibt, also fing man an, diese selbst wissenschaftlich zu untersuchen – und auch die „Nebenwirkungen“ zunehmender Wissenschaftskommunikation unter die Lupe zu nehmen: Überwiegt eigentlich interessenabhängige Kommunikation im Sinne von PR oder gibt es eine gesellschaftsorientierte Kommunikation, die etwa Debatten darüber auslöst und unterstützt, in welcher Gesellschaft wir leben möchten und welche Rolle Technologie dabei spielen soll? Das zu ergründen, ist noch immer ein wichtiger Teil unseres Forschungsgebiets.

„Wir sollten weniger einen konkreten und kurzfristig zu beobachtenden Impact anstreben, sondern vielmehr Reflexionsarbeit leisten.“ Martin Bauer
Hat die Erforschung der Wissenschaftskommunikation eine spürbare Auswirkung auf die Kommunikationspraxis? 

Die aktuelle Praxis der Wissenschaftskommunikation, da sollten wir uns keine Illusionen machen, speist sich nur zu einem geringen Teil aus der entsprechenden kommunikationswissenschaftlichen Forschung. Institutionen nutzen für ihre Kommunikation eher Personen und Strategien aus PR und dem Polit-Marketing. Wenn diese sich auf Forschungsergebnisse stützen, dann auf solche zu politischen Kampagnen oder der Produktwerbung. Ich denke aber auch: Wenn wir das Verhältnis von Wissenschaft und Gesellschaft erforschen, sollten wir weniger einen konkreten und kurzfristig zu beobachtenden Impact anstreben, sondern vielmehr Reflexionsarbeit leisten. Diese kann natürlich auch langfristige Veränderungen anstoßen. Aber das braucht Zeit und die Möglichkeit, zu arbeiten und zu beobachten, ohne eine direkte Wirkung zu erwarten. Es ist ja eine alte Weisheit, dass die gegenwärtige Praxis meistens den Stand der Wissenschaft vor 20 Jahren umsetzt – so lange braucht es, um eine neue Generation von Praktikerinnen und Praktikern auszubilden und ihnen den Marsch durch die Institutionen zu ermöglichen.