Foto: Herstory

„Nur Frauengeschichte in den Fokus zu stellen, ist zu eindimensional“

Geschichtsschreibung ist für Jasmin Lörchner eindeutig zu eindimensional: zu lange wurde Geschichte von Männern erzählt und stellte hauptsächlich Männer ins Zentrum. Deshalb bietet sie in ihrem Podcast „HerStory“ Frauen und queeren Personen aus der Geschichte eine Plattform. Warum es ihr dabei wichtig ist, nicht nur Held*innengeschichten zu erzählen, verrät sie im Interview.

Frau Lörchner, seit 2020 stellen Sie Ihren Hörer*innen in Ihrem Podcast HerStory alle zwei Wochen eine Frau oder queere Person aus der Geschichte vor. Wie ist die Idee dazu entstanden?

Portrait von Jasmin Lörchner: eine Frau mit sehr hellen kurzen Haaren lehnt an einer Wand und lächelt leicht in die Kamera.
Jasmin Lörchner ist freiberufliche Journalistin mit Schwerpunkt Geschichtsjournalismus. Seit 2020 hostet und produziert sie den Podcast HerStory und betreibt einen dazugehörigen Blog und Instagram-Kanal. 2023 erschien begleitend zum Podcast ihr Buch „Nicht nur Heldinnen“. Foto: Megan Robbins

Schon ein kurzes Blättern in unseren Schulbüchern zeigt, dass die Geschichtsschreibung sehr männlich ist. Frauen und queere Personen kommen dabei meistens nur als Außenseiter*innen oder Fußnote vor – oder eben gar nicht. Das hat auch damit zu tun, dass historisch gesehen lange Zeit Männer Geschichte geschrieben haben und eine Art Monopol darauf hatten, was wichtig war und was nicht. Trotzdem bin ich bei meinen Recherchen immer wieder auf Frauennamen gestoßen. Ich habe mich gefragt: Warum haben wir noch nie von ihnen gehört? Irgendwann hat sich aus diesem Gedanken bei mir die Erkenntnis entwickelt, dass wir dagegen etwas tun müssen.

Wie ist es dann zum Podcast gekommen?

Als 2020 die Corona-Pandemie begann, hatte ich als Freelancerin Sorge, dass die Aufträgslage schwächeln könnte. Ich wollte schon lange ein neues Medium ausprobieren und habe dann beschlossen, es mit einem Podcast zu versuchen. Ich habe damit angefangen, die Frauen, über die ich vorher gestolpert war, vorzustellen. Mir ist aber sehr schnell klar geworden, dass auch queere Menschen von dieser Vernachlässigung betroffen sind. Ich wollte meinen Podcast also inklusiver gestalten, nicht nur globalgeschichtlich und quer durch die Zeit, sondern tatsächlich divers.

Sie beleuchten in den Vorstellungen auch die „Schattenseiten“ der Protagonist*innen. Warum ist es Ihnen wichtig, auch die negativen Seiten von Personen beziehungsweise negativ konnotierte Personen vorzustellen?

„Geschichtsschreibung heißt nicht, nur Held*innen-Geschichten zu erzählen.“ Jasmin Lörchner
Geschichtsschreibung heißt nicht, nur Held*innen-Geschichten zu erzählen. Es gibt eine gewisse Tendenz in der Frauengeschichte, nur die „Guten“ in den Blick zu nehmen. Das soll Vorbilder schaffen und zeigen, was Frauen alles können und hat sicherlich seine Bewandtnis. Aber es ist eine unvollkommene Geschichtsschreibung. Wir können nicht so tun, als wären Frauen und Queers die besseren Personen. Das verfälscht die Geschichte und setzt uns Scheuklappen auf. Mir war von Anfang an klar, dass ich den Frauen und queeren Protagonist*innen auch ihre Menschlichkeit zugestehen wollte, statt eine heile Welt vorzugaukeln. Ich wollte Menschen vorstellen, die bei uns Fragen aufwerfen, uns Rätsel aufgeben und vielleicht auch Ablehnung bei uns hervorrufen.

Sie sagten bereits, dass Frauen und queere Personen selten in den Geschichtsbüchern zu finden sind. Wie gestaltet sich die Recherchearbeit für eine Podcast-Folge?

Ich stütze mich vor allem auf die Arbeit von Historiker*innen. Das sind meistens selbst Frauen, die seit einigen Jahrzehnten die Forschung und das Sichtbarmachen von Frauengeschichte aktiv vorantreiben. Dafür bewege ich mich zum Beispiel auf Rechercheportalen wie JSTOR, auf denen man akademische Paper finden kann. Wie viel man findet, hängt dabei immer von der Zeit und dem geographischen Bereich ab.

Es gibt natürlich Frauen wie Coco Chanel oder aus dem queeren Bereich Marsha P. Johnson, die ziemlich bekannt sind und über die man auch in journalistischen Medien schon viel findet. Und dankenswerterweise gibt es auch schon Monografien und Biografien von und über Frauen. Die haben aber meistens noch nicht so viel Aufmerksamkeit bekommen.

Wie entscheiden Sie, welche Person Sie als nächstes vorstellen möchten?

Ich habe für den Podcast Säulen formuliert, an denen ich mich orientiere: Ich möchte weg von Eurozentrismus und hin zum globalgeschichtlichen Ansatz. Ich möchte mich zeitlich durch alle Epochen bewegen und nicht nur auf die Neuere und Neueste Geschichte schauen. Und ich möchte die verschiedenen Bereiche Politik, Wissenschaft, Wirtschaft, Kunst, Kultur und Sport abdecken, wobei Sport meine offene Flanke ist, da fehlt mir manchmal das „Futter“. Ich versuche immer zu durchmischen. Deshalb plane ich die Themen teilweise Monate im Voraus. So ist es auch wahrscheinlicher, dass ich die Literatur rechtzeitig bekomme. Ich merke aber, dass ich ein gewisses Übergewicht auf dem Zeitraum des 19. bis 20. Jahrhunderts habe, einfach weil das das Publikum mehr anspricht.

Neben Ihrem Podcast widmen Sie der queeren und Frauengeschichte auch einen Blog, haben zuletzt ein Buch geschrieben und sind aktiv auf Instagram. Wie nutzen Sie Social Media für Ihre Kommunikation?

„Ich hatte das Gefühl, dass es zu jedem Thema so viel zu erzählen gibt, dass das ein zusätzliches Outlet braucht“ Jasmin Lörchner
Als ich angefangen habe, war ich täglich auf Twitter aktiv und habe Instagram als Ergänzung zum Podcast gesehen. Irgendwann hat sich meine regelmäßige Präsenz von Twitter zu Instagram verlagert, weil ich dort besser mit Bildern erzählen konnte und vor allem mehr als 280 Zeichen hatte. Ich hatte das Gefühl, dass es zu jedem Thema so viel zu erzählen gibt, dass das ein zusätzliches Outlet braucht, auch weil ich den zwei-Wochen Rhythmus des Podcasts aufgrund meiner zeitlichen Kapazitäten nicht enger machen konnte. Mittlerweile betrachte ich den Instagram-Kanal als etwas Eigenständiges, nicht mehr nur als reine Ergänzung zum Podcast. Ich bin mir auch ziemlich sicher, dass ich manche Follower*innen habe, die nur auf Instagram mitlesen – andere hören hingegen nur den Podcast ohne Social Media zu folgen. Meine Instagram-Strategie ist gerade im Umbruch: Ich will auf dem Kanal nicht mehr nur einzelne Persönlichkeiten vorstellen, sondern häufiger themengetrieben erzählen, um damit ein möglichst breites, wachsendes Publikum für die Geschichten zu erreichen.

Mit dem Projekt HerStory ist also eine Menge Arbeit verbunden. Wie organisieren Sie sich dabei zeitlich?

Für die Recherchen nutze ich die Zeit nach Feierabend meines Vollzeitjobs und die Produktion des Podcasts läuft am Wochenende. Das heißt, meine Freizeit geht für dieses Projekt drauf. Vor circa anderthalb Jahren hatte ich meine Energiereserven damit allerdings aufgebraucht, das war beinahe eine Art Burnout. Ich habe mich dann entschieden, eine Sommerpause zum Durchschnaufen einzuführen. Und ich merke, dass mir das sehr guttut. Ich müsste mir fast überlegen, ob ich zweimal im Jahr eine längere Pause mache.

HerStory gibt es seit 2020. Haben Sie in dieser Zeit schon Veränderungen in der Repräsentation und in der Wahrnehmung von Frauen und queeren Personen wahrgenommen?

„Meiner Meinung nach ist auch die Erzählweise Teil davon, wie wir unsere Sensibilisierung schärfen und wie wir unser Verständnis und unseren Umgang ändern.“ Jasmin Lörchner
Die Aufmerksamkeit und das Interesse dafür wächst. Nachdem sich die ersten Independent-Projekte dem Thema gewidmet haben, zeigten auf Social Media plötzlich auch die öffentlich-Rechtlichen dafür Interesse – beispielsweise mit dem Frauengeschichte Kanal vom Bayerischen Rundfunk. Der ist sehr schnell gewachsen. Ich glaube allerdings, dass sich diese Welle der Aufmerksamkeit vor allem auf Frauengeschichte richtet. Queere Geschichte läuft da Gefahr, noch nicht genauso wahrgenommen zu werden.

Nur Frauengeschichte in den Fokus zu stellen, ist zu eindimensional. Es gehört noch viel mehr zu Diversität dazu. Wir müssen auch migrantische Geschichte aufgreifen und generell diverser erzählen. Ich versuche auch, behinderte Protagonist*innen vorzustellen und dabei – das ist die Herausforderung – nicht die Behinderung der Person besonders herauszustellen. Meiner Meinung nach ist auch die Erzählweise Teil davon, wie wir unsere Sensibilisierung schärfen und wie wir unser Verständnis und unseren Umgang ändern.

Was müsste getan werden, damit Frauen und queere Personen auf unser Geschichtsradar kommen?

Ich glaube, es geht darum, wie inklusiv wir Geschichte denken. Wie sensibel sind wir dafür, welchen Stimmen wir Gehör verschaffen und wem wir tatsächlich zuhören? Diversität und Inklusion sind meiner Meinung nach gesamtgesellschaftliche Prozesse. Wenn sich unser gesellschaftliches Denken inklusiver entwickelt, wird sich das auch auf Bereiche wie unser Geschichtsverständnis und unseren Blick auf Geschichtsschreibung auswirken. Das muss dann durchtröpfeln bis auf jene Ebenen, auf denen Geschichte vermittelt wird, sprich in Schulen und Universitäten. Der Diversitäts-Gedanke muss seinen Weg in die Schulbücher finden und gelehrt werden. So könnten Kinder mit einem inklusiveren Blick auf die Welt aufwachsen. Das fände ich persönlich sehr erstrebenswert.