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„Mangelnde Kommunikation macht uns am meisten angreifbar“

Die European Animal Research Association (EARA) setzt sich für eine offene Kommunikation über Tierversuche ein. Gerade in Deutschland gibt es da noch viel Nachholbedarf, sagt der geschäftsführende Direktor Kirk Leech. Was Forschende und Institutionen tun können, erklärt er im Interview.

Herr Leech, die EARA setzt sich dafür ein, dass Forschungsinstitutionen offener über ihre Tierversuche kommunizieren. Warum ist das wichtig?

Weil wir darauf angewiesen sind, dass die Öffentlichkeit die Forschung mit Tieren versteht. Unsere Zielgruppen sind dabei zum einen politische Entscheidungsträger, die auf nationaler und auf EU-Ebene die rechtlichen Bedingungen für die Forschung an Tieren festlegen. 2015 gab es beispielsweise eine EU-weite Petition, die die komplette Abschaffung von Tierversuchen in der EU gefordert hat. Im Rahmen der Diskussion darüber hat EARA der Politik dann wissenschaftliche Informationen zur Verfügung gestellt. Hier ist es wichtig, dass die wissenschaftliche Community sich Gehör verschafft, um ihre Bedürfnisse zu vertreten und den Nutzen ihrer Forschung klarzumachen.

Zum anderen wollen wir erreichen, dass Wissenschaftler und Institutionen sich auch an der Debatte in der Gesellschaft zu dem Thema beteiligen. Deswegen sind wir europaweit auf Twitter in sechs Sprachen aktiv – auch in Deutschland -, machen Pressearbeit und beraten Institutionen zu ihrer Kommunikation. Im Augenblick sind Geschichten über Tierversuche oft unausgewogen bis einseitig. Die Leute hören viel über die negativen Seiten dieser Forschung, aber wenig über ihren positiven Nutzen.

Wie kommt es, dass über Tierversuche so einseitig diskutiert wird?

Das ist zum einen die Konsequenz des, sagen wir, hässlichen Aktivismus gegen Tierversuche, den es in den frühen 1990er-Jahren gegeben hat. Wissenschaftler und Institutionen wurden tätlich angegriffen und viele haben deswegen bis heute große Scheu, öffentlich über Tierversuche zu sprechen. Ein weiterer Grund ist die sehr laute und offensive Kommunikation der Tierversuchsgegner. Die hat auch ganz praktische Auswirkungen auf die Arbeit von Forschern.

Kirk Leech ist geschäftsführender Direktor der <a href="http://eara.eu/en/" target="_blank">European Animal Research Association (EARA)</a> mit Sitz in London. Vorher war er für die Association of the British Pharmaceutical Industry tätig und war Teil von Understanding Animal Research, einer Interessenvertretung für die Nutzung von Versuchstieren in der medizinischen Forschung. Foto: EARA
Kirk Leech ist geschäftsführender Direktor der European Animal Research Association (EARA) mit Sitz in London. Vorher war er für die Association of the British Pharmaceutical Industry tätig und war Teil von Understanding Animal Research, einer Interessenvertretung für die Nutzung von Versuchstieren in der medizinischen Forschung. Foto: EARA

Wie das?

Zum Beispiel haben sie alle europäischen Airlines bis auf Air France überzeugt, keine Primaten für biomedizinische Versuche mehr nach Europa zu transportieren. Keine einzige Airline transportiert noch Hunde, die in Versuchen eingesetzt werden sollen. Das bedeutet, dass die Tiere – von den wenigen Flughäfen, an denen sie überhaupt abgefertigt werden – meistens über Land von einer Forschungsinstitution in die andere verlegt werden müssen. Oder sie müssen mit gecharterten Flugzeugen transportiert werden. Das kostet Zeit, ist nicht gut für die Tiere und manchmal müssen Forschungsvorhaben deshalb sogar außerhalb Europas durchgeführt werden. Hier wird EARA aktiv und wir schreiben zum Beispiel Briefings für Airlines, um zu vermitteln, welche wichtige Rolle sie in der Lieferkette und damit für die Forschung haben. Darin erklären wir auch die Hintergründe der Tierversuche.

Welche anderen Projekte oder konkreten Arbeitsgebiete hat EARA noch?

Wir haben zum Beispiel eine Arbeitsgruppe gegründet, die sich mit Non-Technical-Summarys beschäftigt. Das sind Zusammenfassungen über Forschungsvorhaben, die gemäß der EU-Direktive über Tierversuche angefertigt werden müssen. Oft werden diese auch auf den Webseiten von Universitäten oder Forschungsinstitutionen veröffentlicht. Unsere Arbeitsgruppe gibt nun Hilfestellung, damit die Sprache dieser Zusammenfassungen allgemein verständlicher wird. So sollen Fragen der Menschen beantworten werden, wie: Warum wird ein Forschungsvorhaben in dieser Form durchgeführt? Welche Tiere werden beforscht und wie? Welchen Schaden und welchen Nutzen kann das Projekt bringen? Außerdem fördern wir die Forschercommunity, damit sie sich proaktiver in laufende Diskussionen um Tierversuche einbringen kann.

Wie können sich einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einbringen?

Ein Beispiel: Jedes Jahr gibt die EU eine Statistik über die Tierversuche in den Mitgliedsländern raus. Da wird das Thema durch die Zahlen sehr konkret und es wird viel darüber berichtet. Allerdings meist ohne tieferen wissenschaftlichen Kontext – zum Beispiel dazu, wie die Tiere eingesetzt wurden. Den können Wissenschaftler am besten selbst liefern. In Großbritannien laden wir deshalb gemeinsam mit Regierungsvertretern und Wissenschaftlern zu einer Pressekonferenz ein. Hier können die Forschenden direkt erklären, warum der Einsatz von Primaten in einem Jahr um 10 Prozent gestiegen, der von Zebrafischen aber um 50 Prozent gefallen ist. Werden die Zahlen einfach unkommentiert veröffentlicht, überlässt man die Interpretation hauptsächlich Aktivisten. Für die ist das wie Weihnachten und Ostern an einem Tag.

Wie ist der Status quo bei Offenheit und Transparenz über Tierversuche in Deutschland?

Da gibt es noch viele Baustellen. Ein weiteres Projekt der EARA ist eine europaweite Untersuchung der Websites aller Institutionen, die Tierversuche durchführen. Wir untersuchen also, wie offen und transparent jede Einzelne von ihnen – insgesamt etwa 1.000 – ist. Und in dieser Erhebung schneiden die deutschen Institutionen bei fast allen Faktoren schlechter ab als der Durchschnitt.

Welche Faktoren sind das? Und was machen deutsche Institutionen falsch?

Wir schauen dabei zuerst auf die Website. Welche Informationen über die Tierversuche werden dort gegeben? In Deutschland zum Beispiel schreiben nur etwa 40 Prozent der Institutionen überhaupt in einem Statement, dass sie Tierversuche machen. Hier brauchen wir zunächst einmal mehr Transparenz und auch mehr Informationen wie Statistiken, Fallbeispiele und FAQs.

Ein zweites Thema sind Bilder. Aktivisten sind sehr gut darin, Fotos von Tieren in Versuchen zu verbreiten. Manchmal nehmen sie diese auch aus dem Kontext oder nutzen alte Bilder, um eine aktuelle Botschaft zu verbreiten. Funktionieren tut das trotzdem. Die Forschungsinstitutionen selbst bieten aber nur wenig eigenes Bildmaterial an, das zeigt, was tatsächlich bei ihrer Forschung passiert. In Deutschland haben 60 Prozent der Institutionen gar keine Fotos von Tierversuchen auf ihrer Website. Und von den 40 Prozent die welche haben, haben gut die Hälfte diese von Agenturen gekauft. Hier brauchen wir authentischere Bilder.

Ein dritter Punkt ist das, was wir bei EARA Prominenz nennen: Wie viele Klicks braucht man, um auf einer Institutsseite die Informationen über Tierversuche zu finden? Wenn man mehr als drei Klicks braucht, ist der Weg eigentlich schon zu weit.

Wenn alle diese negativen Faktoren zusammenkommen, kann das den Eindruck erwecken, dass die Institution etwas zu verbergen hat; dass Tierversuche nicht wissenschaftlich sind oder ethisch und moralisch verwerflich. Und das gilt es zu vermeiden. Wir müssen uns einfach klar werden, dass die Zeiten sich geändert haben und mangelnde Kommunikation uns am meisten angreifbar macht.

Inwiefern?

Die Aktivisten sind nicht mehr kleine Gruppen mit Baseballschlägern. Es sind Menschen, die in ihrer Kommunikation hochgradig professionell agieren, die Twitter, Facebook und Instagram sehr gut für sich zu nutzen wissen. Darauf müssen wir reagieren.

Warum ist die Kommunikation über Tierversuche so anders als andere Themen der Wissenschaftskommunikation?

Das sollte sie eigentlich nicht sein, sie wird aber von vielen Institutionen anders behandelt. Ich denke, dass der Öffentlichkeit oft nicht zugetraut wird, diese Art der Forschung zu verstehen. Die Institutionen glauben nicht, dass es möglich ist, die Menschen vom Nutzen dieser Forschung zu überzeugen und deshalb versuchen sie es gar nicht erst. Weil wir die Kommunikation zu Tierversuchen als schwierig ansehen, wird sie auch schwierig – eine sich selbst erfüllende Prophezeiung.

Wie sähe die Kommunikation dann in der idealen Welt aus?

Wir würden Tierversuche als ganz normalen Bestandteil unserer Wissenschaftskommunikation behandeln. Wenn ein Tier bei einer Forschung involviert war, sollte das unbedingt auch in den Informationen darüber erwähnt werden. Die Überschrift wird nie sein: „Meerschweinchen rettet die Welt“. Aber wenn es eine Rolle bei einer wissenschaftlichen Entdeckung gespielt hat, sollte das kommuniziert werden. Erwähne das Tier. Mach es normal, dass sie eine Rolle in der Forschung spielen. Solange der Eindruck entsteht, dass wir bei Tierversuchen etwas zu verbergen haben, wird immer das die Geschichte sein und nicht die Forschung, zu der die Tiere eigentlich beigetragen haben.

Am 12. Juli veranstalten Sie am Max-Delbrück-Centrum in Berlin den ersten von drei Events in Deutschland unter dem Titel „Improving Openness in Animal Research in Germany“. Was ist Ihr Ziel für die Veranstaltungen?

Wir möchten vor allem jungen Wissenschaftlern Mut machen, über ihre Tierversuche öffentlich zu sprechen. Die Max-Planck-Gesellschaft wird zum Beispiel ihre Grundsatzerklärung zu Tierversuchen vorstellen, wir geben Tipps und Erfahrungen aus anderen Kommunikationssituationen weiter und bieten den Teilnehmenden Gelegenheit zum Erfahrungsaustausch. Außerdem können sie später auch ein konkretes Medientraining bei uns absolvieren.


 

Die European Animal Research Association (EARA) wurde 2014 als Dachorganisation für öffentliche und private Forschungsinstitutionen im Bereich Biomedizin und Gesundheitswesen gegründet. Sie ist eine Mitgliederorganisation, der neben Pharmaunternehmen wie Bayer oder Abbvie auch Forschungsinsitutionen wie die Max-Planck-Gesellschaft oder die RWTH Aachen angehören. Das Ziel: Durch Kommunikation das Verständnis in Gesellschaft und Politik für diese Forschung zu verbessern und dadurch mehr Akzeptanz zu schaffen. Dafür unterstützt und schult die Organisation Forschende und Institutionen in der Kommunikation und betreibt Lobbyarbeit auf EU-Ebene.