Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Oktober 2018

Einstellungen zu strittigen Forschungsfragen, Wissenschaftskommunikation für Häftlinge und die Bewertung wissenschaftlicher Vorträge: Das sind die Themen im aktuellen Forschungsrückblick.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Ergebnisse aus der Forschung zur Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

„Konsistent inkonsistent“: Wie Menschen über wissenschaftliche Kontroversen denken

Ob Evolution, die Wirkung von Impfungen oder der menschliche Einfluss auf das Klima: Manche wissenschaftliche Erkenntnisse gelten (vor allem in den USA) sowohl in der Bevölkerung als auch in der politischen Klasse als „umstritten“ – obwohl sich, wie in den genannten Fällen, leicht Informationen über einen großen wissenschaftlichen Konsens finden lassen. Warum also halten manche Menschen diese Fragen für kontrovers? Das untersuchten Emilio Lobato und Corinne Zimmerman von der Illinois State University in einer aktuellen Studie.

Methodik: 244 Versuchspersonen sollten jeweils vier wissenschaftliche Aussagen bewerten wie zum Beispiel: „Es gibt einen weltweiten Klimawandel, zu dem menschliche Aktivität beiträgt.“ In den anderen Behauptungen ging es um die Sicherheit und Effektivität des Impfens, die Evolutionstheorie und die Unbedenklichkeit gentechnisch veränderter Lebensmittel. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer gaben zunächst zu jeder Aussage an, wie stark sie ihr auf einer Skala von 1 bis 6 zustimmen. Anschließend sollten sie in zwei offen Fragen darlegen, welche Gründe sie für ihre Position haben und was möglicherweise dazu führen könnte, dass sie ihre Meinung ändern. Außerdem füllten sie noch einige Fragebogen zu ihrem Denkstil und ihren Einstellungen aus.

Ergebnisse: Zwei Eigenschaften der Teilnehmenden wirkten sich am stärksten auf ihre Bewertung der präsentierten Aussagen aus: ein intuitiver, also wenig reflektierender Denkstil, sowie die politische Einstellung. Wer eher intuitiv statt rational überlegte und politisch konservativer war, lehnte beispielsweise die Evolutionstheorie eher ab. Bei den Erklärungen für ihre Haltung lieferten die Teilnehmenden zu einem Drittel „Nichtbegründungen“, etwa Ausführungen, die mit dem Statement in keinem logischen Zusammenhang standen. Ebenfalls rund ein Drittel der Antworten nannte dagegen wissenschaftliche Evidenz. Daneben waren subjektive Begründungen verbreitet, etwa die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe, und logische Fehlschlüsse à la „Was unnatürlich ist, muss schlecht sein“.

„Auch wer prinzipiell um den Wert wissenschaftlicher Evidenz weiß, stützt sich bei vermeintlich kontroversen Forschungsfragen häufig auf sein Gefühl.“

Auffällig war dabei, dass die Versuchspersonen alles andere als konsistent vorgingen: Wer sich bei einem Statement auf bestehende wissenschaftliche Untersuchungen berief, verwies bei anderen Fragestellungen vielleicht trotzdem auf sein Gefühl oder antwortete ausweichend. Nur 11 Prozent der Teilnehmenden wiesen bei allen vier Themen auf die Existenz wissenschaftliche Daten hin. Fast die Hälfte der Probandinnen und Probanden gab bei mindestens einem Thema an, dass absolut nichts ihre Meinung dazu ändern könnte. Dagegen hielten vier von fünf Versuchspersonen es immerhin bei einem oder mehr Themen für möglich, dass sie sich von wissenschaftlicher Evidenz beeinflussen lassen würden – niemand aber bei allen vier Statements.

Schlussfolgerungen: Es gibt einen großen Unterschied zwischen der wissenschaftlichen und der laienhaften Begründung von Aussagen. Dabei scheinen dieselben Personen, die bei einigen Fragen durchaus wissenschaftlich argumentieren können, bei anderen Themen eher subjektiv Schlüsse zu ziehen. Auch wer prinzipiell um den Wert wissenschaftlicher Evidenz weiß, stützt sich also bei vermeintlich kontroversen Forschungsfragen wie der Evolutionstheorie oder grüner Gentechnik häufig auf sein Gefühl, seine politischen oder religiösen Ansichten. Lobato und Zimmerman fordern daher, einen wissenschaftlichen Denkstil schon in der Schule besser zu trainieren.

Einschränkungen: Die vier ausgewählten Aussagen waren alle vermeintlich umstrittene Themen, zu denen eine bestimmte gesellschaftliche Zugehörigkeit bereits eine Einstellung nahelegt. Wie Laien über wissenschaftliche Themen nachdenken, die noch wenig in der Diskussion sind, wurde nicht untersucht. Zumindest in mancher Hinsicht, wie etwa der Annahme der Evolutionstheorie als „kontrovers“, dürften die Ergebnisse auch nicht auf Deutschland übertragbar sein – für Impfungen oder gentechnisch veränderte Lebensmittel schon eher.

Lobato, E. J. C. & Zimmerman, C. (2018). Examining how people reason about controversial scientific topics. Thinking & Reasoning. https://doi.org/10.1080/13546783.2018.1521870

Wissenschaft im Gefängnis

Wie erreicht man mit Wissenschaftskommunikation Zielgruppen, die sonst mit Forschung nicht viel am Hut haben? Die bekannte Ökologin Nalini Nadkarni von der University of Utah und ihr Kollege Jeremy Morris erprobten jüngst eine Serie von Wissenschafts-Events in Gefängnissen. Denn Häftlinge haben es besonders schwer, sowohl an formeller als auch an informeller wissenschaftlicher Bildung teilzuhaben. Über die Ergebnisse schreiben sie in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Science Communication.

Methodik: Zunächst werteten Nadkarni und Morris Umfragen aus, bei denen möglichst viele Gefangene in zwei verschiedenen Haftanstalten im Bundesstaat Utah über ihre Einstellung zu Wissenschaft befragt wurden. Anschließend hielten Forschende aus Utah in den beiden Gefängnissen insgesamt 35 Vorlesungen zu den verschiedensten wissenschaftlichen Themen, beispielsweise Diabetes, CRISPR, dem Gedächtnis von Würmern oder Astrophysik. Rund 560 Personen füllten vor und nach einer solchen Veranstaltung einen Fragebogen aus, der nach Fakten aus der Vorlesung, aber auch allgemein nach Einstellungen zur Wissenschaft fragte.

Ergebnisse: Die Einstellungen gegenüber Wissenschaft und Mathematik waren schon vor Beginn der Veranstaltungsreihe überwiegend extrem positiv. So gaben beispielsweise drei Viertel der Befragten an, in den Medien, die ihnen zur Verfügung stehen, nach wissenschaftlicher Information zu suchen. Neun von zehn Insassen äußerten das Bedürfnis, sich während ihrer Haft weiterzubilden, ebenso viele interessierten sich dabei für eine wissenschaftliche Ausbildung. Der Vergleich der Fragebogen, die vor und nach den Veranstaltungen ausgefüllt wurden, zeigte, dass die Teilnehmenden einiges an Faktenwissen aus den jeweiligen Vorlesungen mitnahmen. Zudem verbesserten die Events – zumindest kurzfristig – die ohnehin schon sehr positiven Einstellungen zu Wissenschaft weiter.

Viele Gefängnisinsassen schätzen wissenschaftliche Vorträge. Das zeigt nicht nur eine aktuelle Studie von der University of Utah, sondern auch das Projekt „Cell Block Science“. Foto: Caitlin Oriel, CC0

Schlussfolgerungen: Entgegen einem verbreiteten Klischee waren die Häftlinge in dieser Studie sehr an Forschung und Mathematik interessiert und hatten ein großes Bedürfnis sowohl nach populärwissenschaftlicher Information als auch nach formaler wissenschaftlicher Bildung. Beides konnte durch eine Reihe populärwissenschaftlicher Vorlesungen gesteigert werden. Das entspricht den guten Erfahrungen, die ähnliche Projekte gemacht haben. Solche Angebote seien daher sinnvoll, argumentieren Nadkarni und Morris, unter anderem auch, da Forschung gezeigt habe, dass Bildung während der Haft die Rückfallquote von Straftätern verringert.

Einschränkungen: Die Teilnahme an den Vorlesungen war freiwillig, weshalb sich dort wohl vor allem Häftlinge mit einem starken Interesse an Wissenschaft eingefunden haben dürften. Zudem ist wahrscheinlich, dass sich zumindest einige der Gefängnisinsassen in positivem Licht darstellen wollten und daher in den Befragungen ihr Interesse für Wissenschaft und wissenschaftliche Studien vielleicht etwas übertrieben haben. Andererseits entsprechen die positiven Einstellungen zu Wissenschaft durchaus denen der Gesamtbevölkerung in den USA – was dafür spricht, dass Haftanstalten auch in dieser Hinsicht vielleicht nur ein Spiegel der Gesellschaft sind.

Nadkarni, N. M. & Morris, J. S. (2018). Baseline attitudes and impacts of informal science education lectures on content knowledge and value of science among incarcerated populations. Science Communication, 40, 718–748. https://doi.org/10.1177/1075547018806909

Der erste Eindruck entscheidet – aber nicht bei wissenschaftlichen Vorträgen

„Die ersten drei Sekunden bestimmen, welchen Eindruck jemand von uns hat“ – hinter Weisheiten wie dieser (wahlweise auch mit 5, 15 oder 30 Sekunden) steckt eine wichtige Erkenntnis aus der Sozialpsychologie: Menschen ziehen auch kleinste Anhaltspunkte wie das Aussehen, die Kleidung oder die Stimme heran, um andere zu beurteilen und in Schubladen zu stecken. Dieser erste Eindruck kann dann beeinflussen, wie weitere Handlungen und Äußerungen einer Person bewertet werden. Ein Forschungsteam um Ana Gheorghiu von der University of Portsmouth wollte herausfinden, ob das auch für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler gilt, die öffentlich über ihre Forschung kommunizieren.

Methodik: Im ersten Teil der Studie sahen 73 Studierende kurze Ausschnitte aus insgesamt 100 wissenschaftlichen TED-Talks – ohne Ton – auf Video. Die Bildschnipsel waren jeweils drei kurze Passagen vom Anfang, der Mitte und dem Ende des Videos, insgesamt 30 Sekunden lang, und wurden so gewählt, dass sie das Thema des Vortrags nicht offenbarten. Die Forschenden waren alle in Großbritannien eher unbekannt, zu zwei Dritteln männlich und im Schnitt Anfang vierzig. Anschließend beurteilten die Probandinnen und Probanden die Vortragenden auf Eigenschaften wie Kompetenz, Umgänglichkeit oder Attraktivität.

Im zweiten Teil sahen 300 Versuchspersonen dieselben TED-Talks in voller Länge und mit Ton. Jede Person sah dabei fünf Vorträge in voller Länge und bewertete danach, für wie hochwertig und unterhaltsam sie die Präsentation hielten und ob sie das Video weiterempfehlen würden.

Publikum bei Vortrag
Das Publikum bei wissenschaftlichen Vorträgen differenziert zwischen dem ersten Eindruck, den eine Forscherin oder ein Forscher hinterlässt, und der Bewertung der Präsentation insgesamt. Foto: Foto: The Climate Reality Project, CC0

Ergebnisse: Wie schon in früheren Studien dieser Art waren sich die Versuchspersonen nach 30 Sekunden jeweils erstaunlich einig, was die Attraktivität, die fachliche Kompetenz und die Umgänglichkeit der Vortragenden anging. Keine dieser spontan bewerteten Eigenschaften hing jedoch damit zusammen, für wie unterhaltsam und wissenschaftlich fundiert die zweite Stichprobe die Vorträge einschätzte. Auch Geschlecht, Alter und ethnische Zugehörigkeit der Vortragenden spielte für Letzteres keine Rolle.

Schlussfolgerungen: Für Forschende, die öffentlich über ihre Arbeit sprechen, lautet die gute Nachricht: Es schadet nicht, wenn sie es nicht auf Anhieb schaffen, das Publikum für sich einzunehmen. Denn dieses bildet sich erst im Lauf des Vortrags eine gründliche Meinung.

Einschränkungen: Die Teilnehmenden kamen alle aus dem universitären Umfeld und könnten daher andere Maßstäbe an die Bewertung wissenschaftlicher Vorträge anlegen als die Allgemeinbevölkerung (was aber laut den Autoren generell für Menschen gelten dürfte, die sich für diese Art von Wissensvermittlung interessieren). Aufgrund des Studiendesigns ist unklar, inwieweit sich der Befund auf andere Formen von Wissenschaftskommunikation übertragen lässt.

Gheorghiu, A. I., Callan, M. J. & Skylark, W. J. (im Druck). A thin slice of science communication: Are people’s evaluations of TED talks predicted by superficial impressions of the speakers? Social Psychological and Personality Science.