Foto: Petri Heiskanen

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Juni 2022

Werden Menschen durch die Sprache der Klimakommunikation ausgeschlossen? Welche Expert*innen kommen in der Pandemie zu Wort? Und wie hängen Informationssuche im Internet und Impfabsichten zusammen? Das sind Themen im Forschungsrückblick für den Juni.

In unserem monatlichen Forschungsrückblick besprechen wir aktuelle Studien zum Thema Wissenschaftskommunikation. Diese Themen erwarten Sie in der aktuellen Ausgabe:

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Forschung zu gerechter Sprache in Klimabewegungen

Unter das Stichwort Klimagerechtigkeit fallen unter anderem Forderungen nach gerechter Verteilung von Verantwortlichkeiten, Generationengerechtigkeit, der Repräsentation von marginalisierten Gruppen in der Klimapolitik und nach transparenten Entscheidungsfindungsprozessen. Für letztere brauche es inklusive Formen der Kommunikation, argumentiert Julia Coombs Fine vom College of Saint Benedict and Saint John’s University in St. Joseph in den USA. Um die Verwendung von Sprache in Klimabewegungen und mögliche Ausschlussmechanismen zu untersuchen, hat sie Interviews mit Klimaaktivist*innen geführt.

65 Prozent der Interviewten sagten, dass sie persönlich von der Klimakrise betroffen seien, 46 Prozent, dass ihre Community in vielen Klimabewegungen nicht gut vertreten sei.

Methode: Die Wissenschaftlerin stützt sich in ihrer Untersuchung auf die Theorie der soziolinguistischen Gerechtigkeit1, die aus der Soziolinguistik, einer Teildisziplin der Sprachwissenschaft, stammt. Soziolinguistische Gerechtigkeit sei erreicht, wenn sprachlich marginalisierte Menschen und Gruppen in der Lage seien, in sozialpolitischen Kämpfen um Sprache selbstbestimmt zu agieren. Aktuelle Forschungsprojekte beschäftigen sich beispielsweise mit den Erfahrungen lateinamerikanischer und indigener Jugendlicher mit sprachlicher Diskriminierung2. Um soziolinguistische Gerechtigkeit innerhalb von Klimabewegungen zu erforschen, hat Fine 67 einstündige Leitfadeninterviews und 112 Online-Umfragen mit Klimaaktivist*innen aus den USA durchgeführt. Die Stichprobe umfasste Graswurzelaktivist*innen, Mitarbeiter*innen von Non-Profit-Klimaorganisationen und Klimakommunikationsexpert*innen. Wichtig war der Wissenschaftlerin, Menschen aus marginalisierten und betroffenen Gruppen einzubinden. 65 Prozent der Interviewten sagten, dass sie persönlich von der Klimakrise betroffen seien, 46 Prozent, dass ihre Community in vielen Klimabewegungen nicht gut vertreten sei. Fine untersuchte das Material hinsichtlich verschiedener Aspekte von soziolinguistischer Gerechtigkeit.

Ergebnisse: 

  1. „Sprachlicher Zugang“ (linguistic access): Einige der Aktivist*innen berichteten, dass die Dominanz der englischen Sprache in der Klimakommunikation Hürden für das Engagement von Menschen darstelle, die andere Sprachen sprechen. Ein mit Fachbegriffen gespickter, emotionsloser Kommunikationsstil baue selbst für Englischsprachige Hürden auf. Befragte sagten auch, dass sich vor allem wohlhabende weiße Menschen in der Klimabewegung engagieren, weil die Kommunikation in einer Sprache ablaufe, die diese Gruppe adressiere. Gerade der Mangel an spanischsprachiger Kommunikation sei ein Problem, weil Lateinamerikaner*innen überproportional vom Klimawandel betroffen sind.
  2. „Fachsprache und Affektlosigkeit“ (Jargon and Affectlessness): Interviewpartner*innen kritisierten nicht nur den Rückgriff auf Fachbegriffe, sondern beschrieben Klimawandelkommunikation auch als unemotional und kalt. In einer Lage, in der es um Leben und Tod gehe, sei eine solche Kommunikation unpassend, kommentierte eine Aktivist*in und verwies darauf, dass das soziale Kapital von Wissenschaftler*innen auch davon abhänge, ob sie zu dieser Art von affektlosem diskursiven Stil beitragen können. 
  3. „Normierung von Sprache“ (standardization): Die Interviews zeigten, dass in der Klimakommunikation oft eine Sprache genutzt wird, die nicht an bestimmte Regionen oder soziale Gruppen angepasst ist. Hegemoniale Sprachvarianten wie das amerikanische Englisch werden bevorzugt – im Gegensatz beispielsweise zu Dialekten oder der Alltagssprache bestimmter Communities. 
  4. „Zum Schweigen bringen“ (Silencing): Menschen werden davon abgehalten, an einer Konversation teilzunehmen oder marginalisierte Gruppen werden unterrepräsentiert. 
  5. Sprachliche Überwachung (language policing): Der Begriff bezieht sich auf Einschränkungen dessen, was gesagt wird und wie es gesagt wird. Silencing und language policing seien auch innerhalb von Klimabewegungen zu beobachten, schreibt die Autorin. Eine Aktivistin berichtete beispielsweise, dass ihr Vorgesetzter sie davon abgehalten habe, in einem Bericht Kolonialismus, Kapitalismus und Überkonsum als Gründe für den Klimawandel zu nennen. Eine Kollegin habe gemutmaßt, dass sich weiße Kolleg*innen durch diese Aufzählung unbehaglich fühlen könnten. 
  6. Bauchreden (ventriloquism) bezeichnet das Phänomen, dass Menschen oder Institutionen eigene Ansichten so äußern, dass es aussieht, als kämen sie von einer*m anderen Akteur*in. Wie die Interviews zeigen, werden in Klimabewegungen häufig junge Menschen unter Druck gesetzt, über ihre Gefühle und Verletzlichkeiten in Bezug auf den Klimawandel zu sprechen, während sich ältere davor drücken. So berichtet ein junger Aktivist, wie frustrierend es sei, wenn ein Stadtratsmitglied ihm die Hand schüttele und sage: Du bist so jung und so inspirierend. Stattdessen sollten die Älteren sie unterstützen, indem sie ihre eigenen Erfahrungen teilen und nach gemeinsamen Lösungen suchen, schreibt die Autorin. 
  7. Zu beobachten sei außerdem, dass Klimabewegungen Mitglieder von Communities als Opfer des Klimawandels darstellen, nicht aber als handelnde Personen innerhalb des Klimaaktivismus. Befragte kritisieren, dass häufig weiße wohlhabende Menschen zu Wort kämen, die Zeit hätten, zum Thema zu bloggen, während andere Stimmen ungehört blieben. So würde Klimaaktivismus häufig auf nachhaltige Konsumtipps reduziert. 

Schlussfolgerungen: Aus den Ergebnissen der Studie lassen sich praktische Schlussfolgerungen für die Klimakommunikation ableiten. Eine ist die Forderung, neben Englisch auch auf anderen Sprachen zu kommunizieren. Statt auf Fachbegriffen und wissenschaftlicher, trockener Ausdrucksweise zu beharren, sollte Wissenschaftskommunikation Menschen in ihrer Alltagssprache adressiert werden. Der umemotionale Tonfall der Klimakommunikation baue Hürden für potenzielle Aktivist*innen auf, schreibt die Autorin. Sie ermutigt deshalb, persönlicher zu kommunizieren sowie Narrative zu verwenden, die Emotionen wecken. Es brauche aber auch ein Verständnis für die Interessen und Kommunikationsstile verschiedener Zielgruppen. Um das zu fördern, regt Fine Community-basierte, ethnografische Forschung an, die Menschen einbezieht, die vom Klimawandel betroffen sind. Dekoloniale Forschungsansätze könnten dabei helfen, Vorurteile aufzudecken und Bewusstsein für Phänomenen wie „Silencing“ und „Language policing“ zu schaffen. 

Statt auf Fachbegriffen und wissenschaftlicher, trockener Ausdrucksweise zu beharren, sollte Wissenschaftskommunikation Menschen in ihrer Alltagssprache adressiert werden.
Die Ergebnisse stellen auch die Tendenz infrage, junge, weiße, gebildete Menschen als emotionale Zeug*innen für die Auswirkungen des Klimawandels auftreten zu lassen. Das könne dazu führen, dass Klimabewegungen als elitär wahrgenommen werden, schreibt die Autorin. Stattdessen sollten auch ältere Menschen, People of Color und Menschen ohne Hochschulabschluss die Möglichkeit bekommen, ihre persönlichen Geschichten zu teilen. 

Einschränkungen: Die Studie bezieht sich auf die Aussagen einer begrenzten Anzahl von Klimaaktivis*innen in den USA. Ob die Ergebnisse in anderen Ländern vergleichbar wären, müssten weitere Studien zeigen.  

Coombs, J. (2022) Language and Social Justice in US Climate Movements: Barriers and Ways Forward. Frontiers in Communication. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fcomm.2022.920568/full

Welche Expert*innen kommen in der Pandemie zu Wort?

Während der Coronapandemie ist der Bedarf nach wissenschaftlicher Expertise groß. Die Qualität von Informationen über Covid-19 hängt dabei auch von den Expert*innen ab, die in journalistischen Medien zu Wort kommen. Wen wählen Journalist*innen dafür aus? Wie divers ist das Spektrum und wie groß ist die Expertise tatsächlich? Wie stellt sich diese Auswahl im Vergleich zu anderen Pandemien dar? Das haben Melanie Leidecker-Sandmann, Patrizia Attar, Annika Schütz and Markus Lehmkuhl vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT)* untersucht.

Methode: Die Autor*innen gehen von der Hypothese aus, dass die Präsenz von wissenschaftlichen Expert*innen in der Medienberichterstattung zu Covid-19 keinen Zusammenhang mit ihrer Expertise hat. Um das zu überprüfen, stellten sie ein Korpus von Artikeln aus den Jahren 2004 bis 2015 und 2020 zusammen, in denen es um (potenzielle) Pandemien geht: Covid-19 sowie die Schweinegrippe-Pandemie von 2009 und Spekulationen über eine zukünftige Pandemie – hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Vogelgrippevirus H5N1 in den Jahren 2005/2006. Untersucht wurden Artikel aus den Zeitungen Die Welt, Süddeutsche Zeitung, dem Magazin Der Spiegel und von der Nachrichtenagentur dpa. Mithilfe einer Stichwortsuche wurden 97.351 Artikel gefunden, von denen fünf Prozent, also 4.647 Artikel (4.051 zu SARS-Cov-2 and 596 zu früheren Pandemien), in das Korpus aufgenommen wurden. 

Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die Bezüge in der Covid-19-Pandemie zwar insgesamt vielfältiger, aber auch stärker auf einzelne Akteur*innen an der Spitze fokussiert waren.
Kodiert wurden das Thema, der inhaltliche Schwerpunkt sowie die Akteur*innen und ihre Zugehörigkeit zu bestimmten Institutionen und gesellschaftlichen Bereichen. Um die wissenschaftliche Expertise zu bewerten, wurden bibliometrische Profile aller zitierten Wissenschaftler*innen aus den Forschungsfeldern Virologie, Epidemiologie und Influenza angelegt. Über die Datenbank PubMed Europe ermittelten die Wissenschaftler*innen dafür die Anzahl der Publikationen pro Akteur*in, die Anzahl thematisch relevanter Publikationen und die h-Indexwerte, eine Kennzahl für die Wahrnehmung von Wissenschaftler*innen in Fachkreisen. Um die Expertise zu vergleichen, wurden die zitierten Wissenschaftler*innen einerseits mit einer Zufallsstichprobe von 300 Expert*innen in Deutschland verglichen, die zwischen 1999 und 2021 mindestens eine Studie zur Virologie oder Epidemiologie von Infektionskrankheiten veröffentlicht haben. So wurde überprüft, ob die Reputation der zitierten Expert*innen im Durchschnitt höher ist als die von Expert*innen mit Veröffentlichungen im nationalen Kontext. Für die Influenza kreierten die Autor*innen eine ähnliche Vergleichsstichprobe. 

Außerdem verglichen sie die durchschnittliche Zitationsrate von thematisch relevanten Publikationen der zitierten Wissenschaftler*innen mit der durchschnittlichen Zitationsrate aller thematisch relevanten Publikationen weltweit. 

Ergebnisse: In der Covid-19-Debatte beziehen sich 37 Prozent der Verweise auf politische Akteur*innen, 25 Prozent auf Interessengruppen. Bezüge zu wissenschaftlichen Akteur*innen spielen mit 19,4 Prozent ebenfalls eine große, aber weniger relevante Rolle. Daraus lässt sich laut der Autor*innen ableiten, dass es sich in der aktuellen Pandemie um einen vergleichsweise „machtdominierten“ Diskurs handelt, da der Fokus stark auf Akteur*innen mit strategischen Zielen liege. Früherer Pandemie-Debatten zeigten im Vergleich dazu eine starke Dominanz wissenschaftsnaher Akteur*innen (50,2 Prozent aller Referenzen). Politik und Interessengruppen waren weniger präsent. 

84 Prozent der in der Corona-Debatte zitierten Wissenschaftler*innen tauchten nur einmal in der Stichprobe auf. Die 16 Prozent der regelmäßig zitierten Wissenschaftler*innen machten 46 Prozent der journalistischen Erwähnungen aus. In der Vergleichsstichprobe war der Anteil der Wissenschaftler*innen, die nur sporadisch zu Wort kamen, mit 70 Prozent geringer. Dies deute darauf hin, dass es in der Debatte um Covid-19 eine weniger starke Konzentration auf einzelne Wissenschaftler*innen gab als bei früheren Pandemie. Die größere Vielfalt an Expert*innenstimmen widerspreche nur scheinbar der Wahrnehmung, dass die Coronapandemie einzelne Wissenschaftler*innen zu Berühmtheiten gemacht habe. Die Ergebnisse deuteten darauf hin, dass die Bezüge in der Covid-19-Pandemie zwar insgesamt vielfältiger, aber auch stärker auf einzelne Akteur*innen an der Spitze fokussiert waren. Allein auf Christian Drosten entfielen fast zehn Prozent aller Hinweise auf wissenschaftliche Expert*innen.

Der Vergleich mit der deutschen Zufallsstichprobe zeigt, dass die in der Corona-Debatte sichtbaren Expert*innen in allen betrachteten Bereichen – darunter die Anzahl der Publikationen – höhere Werte aufweisen. Auch die in früheren öffentlichen Pandemie-Debatten zitierten Wissenschaftler*innen haben höhere Reputationswerte als die Kontrollprobe, allerdings sind die Unterschiede nicht so groß. Deshalb bleibt unklar, ob die Coronapandemie in dieser Hinsicht ein Sonderfall ist. 

Im deutschen Corona-Diskurs sind diejenigen Expert*innen aus den Bereichen Virologie und Epidemiologie präsent, die über eine überdurchschnittliche Expertise verfügen.
Die durchschnittliche Zitationsrate der öffentlich sichtbaren Covid-19-Expert*innen liegt etwas über der Orientierungswert, den die die Autor*innen ermittelt hatten. Bei den früheren Pandemien liegt sie knapp darüber. Die Hypothese der Autor*innen wird nicht bestätigt, denn die Ergebnisse zeigen einen positiven Zusammenhang zwischen der öffentlichen Präsenz von Expert*innen und wissenschaftlicher Expertise in der Corona-Debatte in Deutschland.

Schlussfolgerungen: Im deutschen Corona-Diskurs sind diejenigen Expert*innen aus den Bereichen Virologie und Epidemiologie präsent, die über eine überdurchschnittliche Expertise verfügen. Diese bilde die Grundlage für eine qualitativ hochwertige mediale Berichterstattung, die aktuelle und fundierte Informationen bereitstellt, schreiben die Autor*innen. Eine Entkopplung von wissenschaftlicher Expertise und öffentlicher Präsenz hingegen würde Instrumentalisierungspotenziale für Politik und Journalismus eröffnen. 

Andere Studien, die sich mit anderen wissenschaftlichen Debatten beschäftigt haben, seien zu dem Schluss gekommen, dass Fachwissen im Journalismus kein relevantes Auswahlkriterium für Expert*innen ist – abgesehen vom spezialisierten Wissenschaftsjournalismus. Das wirft die Frage auf, wie die Ergebnisse der vorliegenden Studie erklärt werden können. Die Autor*innen vermuten den wichtigsten Grund in der enormen sozialen Relevanz des Themas. Diese habe womöglich dazu geführt, dass wissenschaftliche Expert*innen ihre Erkenntnisse mit der Öffentlichkeit teilen wollen. Auch die Arbeit von intermediären Akteur*innen wie dem Science Media Center Germany habe womöglich dazu beigetragen, hochrangige Expert*innen in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken. 

Einschränkungen: Es wurde eine relativ kleine Stichprobe aus allen zum Thema gefundenen Artikeln untersucht. Expertise lässt sich sich zudem nicht allein an der Zahl der Publikationen und Zitationsraten ablesen. Das zeigen das Beispiel von Ärzt*innen, die nicht unbedingt publizieren, aber aus ihrer praktischen Arbeit trotzdem Expertise in den Diskurs einbringen können. 

Leidecker-Sandmann, M., Attar, P., Schütz, A., Lehmkuhl, M. (2022) Selected by expertise? Scientific experts in German news coverage of COVID-19 compared to other pandemics. Public Understanding of Science 1–20, https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/09636625221095740

Wie beeinflusst die Informationssuche übers Internet das Impfverhalten?

Im Internet suchen viele Menschen Informationen zu Risiken und dem Nutzen von Corona-Impfungen. Welche Auswirkungen hat diese Art der Informationssuche? Werden dadurch Impfabsichten verstärkt oder gemindert? Um das zu untersuchen, haben Han Zheng und Sonny Rosenthal von der Nanyang Technological University in Singapur zusammen mit Shaohai Jiang von der National University of Singapore Online-Umfragen in China und den USA durchgeführt.

Methode: Die Autor*innen stützen sich auf das SOR-Modell (Stimulus-Organism-Response) (Mehrabian & Russell, 1974), das menschliche Verhaltensmuster erklären soll – in diesem Fall die Impfabsicht als direkte und als psychologisch vermittelte Reaktion auf die Suche nach Impfinformationen im Internet. In diesem Modell trifft ein Reiz/Stimulus (Informationen aus dem Internet) auf einen Organismus (Kognitionen und Emotionen), der als Reaktion (Response) eine Annäherung oder ein Vermeidungsverhalten in Bezug auf die Impfabsicht auslösen kann. Die Autor*innen beziehen drei Faktoren ein, die die Impfabsicht möglicherweise beeinflussen: die wahrgenommene Informationsüberlastung aufgrund der Fülle an Informationen, das wahrgenommene Risiko durch Impfstoffe und negative affektive Reaktionen.

Wenn Menschen stärker nach Online-Informationen zum Thema Covid-19 suchen, zeigen sie eine größere Bereitschaft, sich impfen zu lassen.
Um eine Reihe von Hypothesen zu testen, führten die Autor*innen über die Anbieter Wenjuanxing und Qualtrics Online-Umfragen in China (20. bis 27. Februar 2021) und den USA (5. bis 23. Februar 2021) durch. In China hatten bis dahin etwa drei Prozent der Bevölkerung ein erste Impfdosis erhalten, in den USA waren es 17 Prozent. Die Stichprobe setzte sich aus 677 Befragten aus China und 800 aus den USA zusammen. Ihnen wurden Aussagen vorgelegt, zu denen sie sich positionieren sollten – auf einer Skala von 1 („Stimme überhaupt nicht zu“) bis 5 („Stimme voll und ganz zu“). Beispielsweise: „Ich bin oft abgelenkt von der übermäßigen Menge an Informationen im Internet über den COVID-19-Impfstoff.“

Ergebnisse: Die Ergebnisse bestätigten alle aufgestellten Hypothesen der Autor*innen. So steht die Suche nach Online-Informationen in positivem Zusammenhang mit der Covid-19-Impfabsicht und mit der wahrgenommenen Informationsüberflutung. Das bedeutet: Wenn Menschen stärker nach Online-Informationen zum Thema Covid-19 suchen, zeigen sie eine größere Bereitschaft, sich impfen zu lassen. Gleichzeitig haben sie auch stärker das Gefühl, von der Vielzahl an Informationen überwältigt zu werden. Das wiederum kann mit negativen affektiven Reaktionen wie Angst und Wut verknüpft sein. Die Autor*innen gingen auch davon aus, dass die Wahrnehmung des Impfrisikos zu einer stärkeren negativen affektiven Reaktion führen kann, was die Ergebnisse bestätigten. Ein stärker wahrgenommenes Risiko und eine negative affektive Reaktion gehen mit einer geringeren Impfabsicht einher. 

Diese indirekten Effekte deuten laut der Autor*innen darauf hin, dass die Suche nach Online-Impfinformationen indirekt und negativ über drei Faktoren mit der Impfabsicht verknüpft ist: die wahrgenommene Informationsüberflutung, die Wahrnehmung des Impfrisikos und die negative affektive Reaktion. Wer sich also im Zuge der eigenen Online-Recherche von Informationen überwältigt fühlt, das Impfrisiko als hoch einschätzt und negative Reaktionen entwickelt, wird sich laut der Ergebnisse weniger wahrscheinlich impfen lassen. 

In den USA war der direkte Zusammenhang zwischen der Online-Suche nach Impfinformationen und der Impfabsicht schwächer als in China. Viel stärker als in China hingegen war die Beziehung zwischen der Suche nach Online-Impfinformationen und der wahrgenommenen Informationsüberlastung. Auch die Beziehung zwischen wahrgenommener Informationsflut und negativer affektiver Reaktion war in den Vereinigten Staaten stärker ausgeprägt als in China. 

Schlussfolgerungen: Die Ergebnisse spiegeln laut der Autor*innen verschiedene Seiten der Informationssuche über das Internet wider. Einerseits hilft die Suche Menschen möglicherweise, Informationsmangel und Unsicherheiten zu begegnen, was zu einer Verhaltensänderung und stärkeren Impfabsichten führen könne. Ein negativer Effekt von Online-Recherche hingegen ist die wahrgenommene Überlastung durch Informationen. Auch können Menschen infolge ihrer Recherche Bedenken wegen möglicher Nebenwirkungen von Impfstoffen entwickeln. Eine Erklärung könnte laut der Autor*innen sein, dass sich Personen, die sich von Informationen überlastet fühlen, möglicherweise eher auf die negativen Aspekte und Risiken der Covid-19-Impfung konzentrieren, weil diese kognitiv und emotional hervorstechen. 

Ein negativer Effekt von Online-Recherche hingegen ist die wahrgenommene Überlastung durch Informationen.
Die Ergebnisse spiegeln länderspezifischen Unterschiede bei der Informationssuche. In den USA gibt es eine große Auswahl an öffentlich zugänglichen Kanälen und Inhalten, während die Medien in China laut der Autor*innen vor allem als Sprachrohr der Regierung dienen, was zu einer starken Einheitlichkeit führe. In den USA könne die an Vielzahl unterschiedlichen Quellen, darunter solche, die Desinformation und Verschwörungsideologien verbreiten, möglicherweise zu stärkerem Risikoempfinden und einer geringeren Impfbereitschaft führen. Für die Gesundheitskommunikation könnte daraus der Schluss gezogen werden, dass die individuelle Informationskompetenz gestärkt werden muss, damit Menschen das Gefundene kritisch reflektieren können, um rationale Gesundheitsentscheidungen zu treffen. 

Einschränkungen: Die Studie zeigt eine Momentaufnahme. Um stärkere Beweise für die kausalen Zusammenhänge zu bekommen, schlagen die Autor*innen eine Längsschnittstudie oder eine Versuchsreihe vor. Auch aus der Rekrutierung über Online-Umfrage-Anbieter ergeben sich Einschränkungen, da auf diese Weise nur internetaffine Teilnehmende angesprochen werden, die Stichprobe also nicht repräsentativ ist. 

Zheng, H., Jiang, S., Rosenthal, S. (2022) Linking Online Vaccine Information Seeking to Vaccination Intention in the Context of the COVID-19 Pandemic. Science Communication. https://journals.sagepub.com/doi/full/10.1177/10755470221101067

Mehr Aktuelles aus der Forschung

Wie stellt der Ende 2021 veröffentlichte Film „Don’t Look Up“ mit Leonardo DiCaprio und Jennifer Lawrence Wissenschaft, Wissenschaftler*innen, Wissenschaftskommunikation und das Zusammenspiel von Wissenschaft und Gesellschaft dar? Welche Lehren lassen sich daraus möglicherweise ziehen? Für das Journal of Science Communication versammelt die Linguistin Hannah Little dazu Kommentare von Expert*innen aus Wissenschaft, Medienwissenschaft und Kommunikation, darunter Niels G. Mede von der Universität Zürich und Lars Guenther von der Universität Hamburg.

Können Open-Science-Praktiken das Vertrauen der Öffentlichkeit positiv beeinflussen? Das hat ein Forschungsteam um Tom Rosman und Michael Bosnjak vom Leibniz‑Institut für Psychologie in zwei Studien untersucht. In beiden fanden die Wissenschaftler*innen Belege für die positiven Auswirkungen von Open-Science-Praktiken auf das Vertrauen, in der zweiten Studie waren die Ergebnisse jedoch weniger eindeutig. Die Autor*innenkommen zu dem Schluss, dass Open-Science-Praktiken durchaus dazu beitragen können, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken. Dabei unterstreichen sie jedoch, dass der Einsatz solcher Praktiken sichtbar und erlebbar gemacht werden müsse.

Um welche Themen kreisen Proteste gegen Impfvorschriften in den USA? Tim F. Liao von der University of Illinois hat Slogans untersucht, mit denen auf die Ankündigung von Corona-Impfvorschriften durch die Biden-Regierung Anfang November 2021 reagiert wurde. Dabei identifizierte er drei Themen: individuelle Rechte und Freiheiten, Widerstand gegen die Kontrolle durch die Regierung sowie als drittes wissenschaftsfeindliche Argumentationen und Desinformation. Zu seinen zentralen politischen Empfehlungen gehört, dass wissenschaftlichen Fehlinformationen entgegengewirkt und dass die individuelle Verantwortung während der Pandemie hervorgehoben werden müsse.

Wie sollten Videos zur Gesundheitskommunikation in der Pandemie gestaltet werden? Ein Forschungsteam um Marie Therese Shortt von der University of Stavanger in Norwegen hat dazu Interviews mit zwölf Personen aus Berufsfeldern wie öffentliche Gesundheit, Wissenschaftskommunikation, Videojournalismus und Werbung geführt. Es zeigte sich, dass Teilnehmende aus dem Gesundheitsbereich vor allem auf die Inhalte schauten, aber unsicher oder unerfahren in Bezug auf deren kreative Umsetzung waren. Teilnehmende aus kreativen Berufen hingegen seien in Bezug auf die Inhalte auf Expert*innen angewiesen. Die Autor*innen schreiben, dass der Schlüssel zur guten Videokommunikation in einer Balance zwischen qualitativ hochwertigen und evidenzbasierten Inhalten auf der einen und Kreativität auf der anderen Seite liege. Sie schlagen deshalb ein Modell für interdisziplinäre Zusammenarbeit vor.

Welche Rolle spielte die Medienberichterstattung bei Hamsterkäufen in der Pandemie? Ravi Philip Rajkumar vom Jawaharlal Institute of Postgraduate Medical Education and Research (JIPMER) im indischen Puducherry hat 70 Artikel aus zwölf Ländern untersucht, die im Jahr 2021 zum Thema erschienen sind. Er beobachtete, dass eine große Anzahl der Artikel Elemente enthielt, die Panikkäufe womöglich eher verstärken als abschwächen. Zum Beispiel enthielten sie Bilder oder Videos, die zu solchen Käufen ermutigten, hatten sensationalistische Überschriften oder stellten Hamsterkäufe als notwendig dar. Auf Grundlage seiner Erkenntnisse macht Rajkumar Vorschläge, wie die Medienberichterstattung über das Thema verbessert werden könnte.

YouTube-Videos können nützlich sein, um Information zu Covid-19 an Kinder zu vermitteln. Welche Art von Charakteren tritt in solchen Videos auf und welche diskursiven Frames werden genutzt? Ein Forschungsteam um Jocelyn Steinke und Carolyn A. Lin von der University of Connecticut hat 136 Videos für Kinder untersucht, die zwischen Februar und September 2020 auf YouTube veröffentlicht wurden. Dabei zeigte sich, dass die Hauptfiguren meist erwachsene Männer und Frauen mit nicht sehr diversen kulturellen Hintergründen waren. Zum Teil traten Mediziner*innen und Wissenschaftler*innen als Expert*innen auf. Am häufigsten wurde ein diskursiver Rahmen gefunden, der Informationen über Schutzmaßnahmen wie Händewaschen oder Abstand vermittelt.

*Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.