Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Juli und August 2018

Die Themen im aktuellen Forschungsrückblick: Wie Konsens unter Expertinnen und Experten auf das Publikum wirkt, feindselige Kommentare auf Youtube und was Forschende zur Kommunikation motiviert.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Ergebnisse aus der Forschung zur Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Konsens-Kommunikation: Viel hilft viel

Ist es von Vorteil, wissenschaftliche Erkenntnisse zu kommunizieren, indem man sie als Konsens unter Experten beschreibt? Erste Forschungsergebnisse sprachen für diese Strategie, weitere Studien stellten das jedoch wieder infrage (wir berichteten an dieser Stelle zuletzt im Juni). Ein Forschungsteam um Sedona Chinn von der University of Michigan widmete sich nun erneut dieser Frage: Wie beeinflusst es das Publikum, ob zu einer wissenschaftlichen Frage mehr oder weniger starker Konsens herrscht?

Methodik: 1.160 Versuchspersonen lasen Presseartikel zu einem von mehreren wissenschaftlichen Themen, die nicht dafür bekannt sind, politisch zu polarisieren (zum Beispiel, ob sich die Gravitationskraft des Mondes auf die Schwere von Erdbeben auswirkt). Dabei wurde entweder der Konsens unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in sechs Varianten von 25 bis 95 Prozent angegeben oder es gab keinen Hinweis darauf, ob Forschende in dieser Frage übereinstimmen. Anschließend sollten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer Fragen zum jeweiligen Thema beantworten.

Ergebnisse: Je größer der Konsens beschrieben wurde, desto sicherer erschienen den Versuchspersonen die genannten Erkenntnisse aus wissenschaftlicher Sicht. Außerdem waren sie eher geneigt, sich persönlich der im Text formulierten Sichtweise anzuschließen. Lieferte der Artikel gar keinen Hinweis auf Einigkeit oder Zwietracht zwischen Forschenden, lagen die Ergebnisse zwischen jenen des 65-Prozent- und des 85-Prozent-Konsens. Zudem fanden sich Hinweise darauf, dass auch das Vertrauen in die Wissenschaft eine Rolle spielt: Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die der Forschung generell mehr vertrauten, ließen sich stärker von hohen Konsens-Angaben beeinflussen.

Schlussfolgerungen: Ob in Medienberichten ein schwacher oder starker Konsens unter Forschenden angegeben wird, beeinflusst, wie überzeugend das Publikum die genannten wissenschaftlichen Argumente findet. Wird kein Konsens erwähnt, gehen Leserinnen und Leser offenbar implizit von einer recht großen Übereinstimmung in der Wissenschaft aus. Diese Wahrnehmung lässt sich nur noch steigern, wenn ein Konsens von 85 oder 95 Prozent angegeben werden.

Einschränkungen: Das Team um Chinn untersuchte absichtlich Themen, die in der Öffentlichkeit noch nicht breit diskutiert werden und die keine politische Meinung berühren, wie etwa der Klimawandel. So wollten sie den Effekt von Konsens-Kommunikation isoliert betrachten. Diese Kommunikationsstrategie wird jedoch häufig gerade für die Berichterstattung über politisch umkämpfte Themen empfohlen, wo der Effekt aufgrund starker Voreinstellungen verpuffen könnte. Zudem zeigen sich offenbar Personen, die der Wissenschaft generell misstrauen, selbst von starken Übereinstimmungsraten unter Forschenden eher unbeeindruckt.

Chinn, S., Lane, D. S. & Hart, P. S. (in press). In consensus we trust? Persuasive effects of scientific consensus communication. Public Understanding of Science. https://doi.org/10.1177/0963662518791094

Der Science-Gender-Gap auf Youtube

Die meisten Wissenschafts- und Technik-Kanäle auf Youtube werden von Männern betrieben: Frauen unterhalten nur rund neun Prozent der beliebtesten Channels zu diesen Themen. Inoka Amarasekara und Will Grant von der Australian National University dachten, dass unterschiedliche Interessen allein diese Zahl nicht erklären können. In einer aktuellen Studie untersuchten sie daher, ob die Art der Kommentare dazu beiträgt, dass der Gender-Gap ausgerechnet auf der beliebtesten Videoplattform so deutlich ausfällt.

Methodik: Das Forscherduo suchte aus Zusammenstellungen der reichweitenstärksten Youtube-Kanäle jene heraus, die sich schwerpunktmäßig mit MINT-Themen beschäftigen. Unter den mehr als 350 so identifizierten Kanälen waren allerdings nur 32, die offensichtlich von Frauen betrieben wurden. Daher ergänzten Amarasekara und Grant für die Analyse noch weitere „weibliche“ Wissenschafts-Channels, die nicht in den Hitlisten waren. Dann werteten sie mit Hilfe einer Software 23.000 zufällig ausgewählte Kommentare auf Frauen- und Männer-Kanälen automatisiert aus.

Ergebnisse: Videos, in denen Männer auftraten, erhielten mehr Kommentare als von Frauen moderierte Clips. In letzteren war aber der Anteil an Kommentaren mit sexualisierten oder sexistischen Inhalten deutlich größer. Insgesamt machten diese bei ihnen zwar ebenfalls nur rund 2,8 Prozent aller Beiträge aus, auf Kanälen mit männlichen Moderatoren kamen sie aber praktisch gar nicht vor.

Weibliche Youtuber ernteten im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen auch dreimal so viele Kommentare, die ihr Äußeres thematisierten (4,52 vs. 1,45 Prozent), sowie die dreifache Menge an feindseligen Äußerungen (2,25 vs. 0,76 Prozent). Diese beiden Unterschiede wurden allerdings statistisch nicht signifikant, sprich: Es könnte sich auch um zufällige Schwankungen handeln. Von Männern moderierte oder eingesprochene Videos erhielten dagegen einen deutlich größeren Prozentsatz an sachlichen oder neutralen Kommentaren als jene von Frauen.

Schlussfolgerungen: Für Frauen, die sich in sozialen Netzwerken öffentlich äußern, ist das Ergebnis keine Überraschung: Dass sie sich häufig mit sexistischen und feindseligen Einlassungen herumschlagen müssen, ist bekannt. Die Analyse belegt, dass solche Botschaften zwar bei Wissenschaftsvideos insgesamt eine Minderheit aller Kommentare ausmachen, jedoch bei Frauen einen deutlich größeren Teil der Online-Erfahrung einnehmen als bei Männern. Dies dürfte den Autoren zufolge mit dazu beitragen, dass es in diesem Bereich verhältnismäßig wenige Moderatorinnen gibt.

Einschränkungen: Dass in den Kommentaren auf Youtube eine eher toxische Atmosphäre herrscht, war schon vor dieser Studie kein Geheimnis, und beschränkt sich auch nicht auf den Bereich der Wissenschaftsvideos. Die Ergebnisse könnten aber einen Hinweis darauf geben, warum Frauen in dem sozialen Netzwerk noch stärker unterrepräsentiert sind als in der echten Wissenschaft – und selbst als in traditionellen Medien. Wie die Autoren selbst zugeben, dürften aber noch viele andere Faktoren ebenfalls eine Rolle spielen. Allerdings wird aus dem Artikel nicht ersichtlich, wie genau die Kommentare zu den einzelnen inhaltlichen Kategorien zugeordnet wurden. Hier wäre eine genauere Beschreibung des Vorgehens wünschenswert gewesen.

Amarasekara, I. & Grant, W. J. (in press). Exploring the YouTube science communication gender gap: A sentiment analysis. Public Understanding of Science. https://doi.org/10.1177/0963662518786654

Was Forschende zur Kommunikation motiviert

Warum investieren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Zeit in die Kommunikation mit der Öffentlichkeit? Ein Forschungsteam um John Besley von der Michigan State University versuchte dies in der bislang größten Umfrage zu diesem Thema zu ergründen.

Methodik: Sieben wissenschaftliche Fachgesellschaften hatten angeboten, den Fragebogen an ihre Mitglieder zu versenden. So konnten Besley et al. schließlich auf die Antworten von 4.703 promovierten Forschenden an US-amerikanischen Universitäten zurückgreifen. Diese wurden unter anderem nach ihren Plänen für die Kommunikation mit der Öffentlichkeit befragt sowie zu ihrer Einstellung in Bezug auf verschiedene Aspekte des Themas.

Ergebnisse: Forschende, die den Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern für einen spaßigen und angenehmen Zeitvertreib hielten, waren besonders motiviert, auch selbst zu kommunizieren. Sehr wichtig war auch, ob die Befragten davon ausgingen, mit ihrer Kommunikation beim Publikum wirklich etwas bewegen zu können, und ob sie glaubten, ihr Engagement zeitlich mit ihrer Arbeit vereinbaren zu können. Das Alter der Teilnehmenden, ihr Geschlecht oder ihre Einstellungen etwa zu kommunizierenden Kolleginnen und Kollegen spielten dagegen keine eindeutige Rolle.

Allerdings unterschieden sich die Antworten je nach Kommunikationskanal: So waren etwa Männer eher als Frauen zu einem Interview mit einem Journalisten über ihre Forschung bereit. Und Mitglieder der Fachgesellschaft aus dem Bereich Ökologie waren eher als die Vertreterinnen und Vertreter anderer Fächer gewillt, der Öffentlichkeit persönlich Rede und Antwort zu stehen statt nur über Medien vermittelt.

Schlussfolgerungen: Sollen Forschende sich an der Kommunikation mit Bürgerinnen und Bürgern beteiligen, ist es hilfreich, wenn sie eine spaßige Aktivität erwarten, wenn sie glauben, genug Zeit dafür zur Verfügung haben, und wenn sie der Meinung sind, dass ihre Kommunikation tatsächlich Wirkung zeigt. An diesen Punkten könne man ansetzen, um die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zum Informationsaustausch zu motivieren, schlägt das Forschungsteam vor.

Einschränkungen: Die Daten wurden unmittelbar vor der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten erhoben. Kurz nach dessen Amtsantritt entstand etwa die Science-March-Bewegung, die viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wohl dazu bewegt haben dürfte, ihr Verhältnis zur Öffentlichkeit zumindest zu reflektieren. Andererseits gab es auch in den Jahren vor der Ära Trump schon verbreitete Aufrufe an Forschende, mehr direkt über ihre Arbeit und ihre Erkenntnisse zu kommunizieren.

Besley, J. C., Dudo, A., Yuan, S. & Lawrence, F. (in press). Understanding scientists’ willingness to engage. Science Communication. https://doi.org/10.1177/1075547018786561