Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Dezember 2019

Citizen-Science auf Twitter, kritische Kommentare auf Facebook und unterschiedliche Strategien der Selbstvermarktung von Männern und Frauen in der Forschung: Das sind die Themen im aktuellen Forschungsrückblick.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse zum Thema Wissenschaftskommunikation. Sollten Sie etwas vermissen, schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Forscherinnen verkaufen ihre Studien unter Wert

„Neuartig“, „vielversprechend“, „einzigartig“: Solche Adjektive nutzen Forschende eher selten, wenn sie in Fachpublikationen über ihre Arbeit berichten. Doch wie häufig ist das Anpreisen der eigenen Ergebnisse mit Hilfe solcher Wörter genau – und nutzen Männer diese vielleicht häufiger als Frauen? Das untersuchte der Wirtschaftswissenschaftler Marc Lerchenmüller von der Universität Mannheim gemeinsam mit zwei US-amerikanischen Forscherkollegen in einer aktuellen Studie.

Methodik: Die Wissenschaftler analysierten die Überschriften und Abstracts von mehr als sechs Millionen Fachartikeln aus der medizinischen und biowissenschaftlichen Forschung, die zwischen 2002 und 2017 veröffentlicht worden waren. Dabei fahndeten sie nach insgesamt 25 positiven Adjektiven, darunter – neben den bereits genannten Begriffen – auch etwa die Wörter „exzellent“, „robust“ oder „bemerkenswert“. Durch einen Abgleich mit einer Datenbank stellten sie außerdem fest, auf welches Geschlecht die Vornamen der erst- und letztgenannten Autorinnen und Autoren hindeuteten, denn diese Positionen gelten als die wichtigsten in der Autorenreihenfolge und die dort genannten Personen tragen die größte Verantwortung für den Artikel.

„Waren mindestens der erste oder letzte Autor des Artikels ein Mann, kamen anpreisende Wörter deutlich öfter vor.“
Ergebnisse: In ungefähr jedem zehnten Artikel nutzten die Autorinnen und Autoren mindestens eines der positiven Adjektive, um etwa ihre Methoden oder Ergebnisse zu beschreiben. Besonders häufig war dies der Fall, wenn die Beiträge in einschlägigen Journals (mit einem Impact-Faktor von mehr als 10) publiziert worden waren. Für diese einflussreichen Zeitschriften zeigte sich: Waren mindestens der erste oder letzte Autor ein Mann, kamen anpreisende Wörter deutlich öfter vor, als wenn diese beiden Positionen in der Autorenreihenfolge von Frauen besetzt waren.

Schlussfolgerungen: Wissenschaftlerinnen schrecken im Gegensatz zu ihren männlichen Kollegen offenbar eher davor zurück, ihre Forschung in starken Worten zu beschreiben. Nach Ansicht der Forscher um Lerchenmüller passe dies zu weiteren Beobachtungen, wonach sich Frauen in der Wissenschaft weniger selbst promoten und ihre Fähigkeiten im Vergleich zu Männern als geringer einschätzen. Dies könne mit dazu beitragen, dass Forscherinnen in der Medizin und den Lebenswissenschaften immer noch unterrepräsentiert sind: Zwar gibt es mehr Studentinnen als Studenten in diesen Fächern, aber deutlich weniger Professorinnen als Professoren. Außerdem zeigte der Artikel, dass auf diese Weise stärker angepriesene Fachbeiträge tatsächlich erfolgreicher waren – sie wurden in den Folgejahren öfter zitiert als andere Beiträge.

Einschränkungen: Bei Artikeln in Fachzeitschriften mit einem Impact-Faktor von weniger als 10 fand sich kein Unterschied in der Ausdrucksweise von männlichen und weiblichen Autoren – allerdings gab es dort auch insgesamt weniger Publikationen, in denen diese sehr positiven Adjektive überhaupt verwendet wurden. Die Differenzen in der Selbstpräsentation scheinen daher vor allem bei hochklassiger Forschung aufzutreten. Die Autoren der Studie geben außerdem zu bedenken, dass nicht ganz klar sei, ob Frauen tatsächlich von Anfang an solche Formulierungen mieden. Einigen Untersuchungen zufolge werden nämlich die Manuskripte von Forscherinnen stärker redaktionell verändert, so dass es auch denkbar wäre, dass die Redaktionen der Journals ihnen solche Formulierungen eher herausstreichen als den männlichen Kollegen.

Lerchenmueller, M. J., Sorenson, O. & Jena, A. B. (2019). Gender differences in how scientists present the importance of their research: Observational study. BMJ, l6573. https://doi.org/10.1136/bmj.l6573

Wer trommelt für Citizen-Science auf Twitter?

Citizen-Science-Projekte leben davon, dass Bürgerinnen und Bürger von ihnen erfahren und zum Mitmachen animiert werden – zum Beispiel über soziale Netzwerke wie Twitter. Doch wer dominiert die Diskussion über Citizen-Science auf dem Kurznachrichtendienst? Das wollte die Sozialwissenschaftlerin Élise Tancoigne von der Universität Genf in einer Studie herausfinden.

Methodik: Tancoigne durchsuchte Twitter nach Accounts, in deren Biografie der Begriff „citizen science“ oder Variationen davon auftauchten. Diese teilte sie zunächst in persönliche und „kollektive“ Konten (etwa von Projekten oder Organisationen) auf. Per Internetrecherche versuchte sie außerdem, mehr über die Personen oder Organisationen herauszufinden: welche Projekte sie betreuten und welche Funktion sie dabei innehatten, und ob es sich beispielsweise um Forschende oder um Teilnehmende von Citizen-Science-Projekten handelte. Mit Hilfe einer Netzwerkanalyse identifizierte sie außerdem Accounts, die als „Knotenpunkte“ des englischsprachigen Citizen-Science-Twitter-Netzwerks fungieren (d.h. ihnen folgen viele Nutzerinnen und Nutzer mit Interesse am Thema und sie vernetzen dadurch verschiedene Teilgruppen). Zu diesen Accounts recherchierte die Forscherin dann noch einmal intensiver im Netz, etwa nach dem Lebenslauf der entsprechenden Personen oder der Förderungsstruktur von Organisationen.

„Fachfremde Personen – deren Bedeutung für die Bürgerwissenschaften immer wieder hervorgehoben wird – nutzen den Begriff „citizen science“ in ihrer Twitter-Biografie kaum.“
Ergebnisse: Von den 595 Twitter-Konten, die sich laut Biografie mit Citizen-Science befassen, ließen sich 57 Prozent Einzelpersonen und 41 Prozent Organisationen oder Projekten zuordnen. Die persönlichen Accounts gehörten zu 36 Prozent Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, zu 28 Prozent Kommunikationsprofis oder Koordinatorinnen und Koordinatoren von Citizen-Science-Projekten und zu 15 Prozent technischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiterinnen solcher Projekte; der Rest war anderweitig tätig oder konnte nicht identifiziert werden. Kollektive Accounts stammten zu zwei Dritteln von einzelnen Projekten, am häufigsten zu Umweltthemen; der Rest von verschiedenen Arten von Organisationen. Die Knotenpunkte des Netzwerks waren einerseits öffentlich geförderte Organisationen, andererseits persönliche Accounts von (ausschließlich) Frauen, die meist zur Gruppe der Kommunikatorinnen und Kommunikatoren gehörten – also weder Forschende noch Teilnehmende an den Projekten waren.

Schlussfolgerungen: Die Kommunikation über Citizen-Science auf Twitter beeinflussen vor allem Organisationen und Projekte zu umweltwissenschaftlichen Themen (namentlich nennt Tancoigne etwa das Cornell Lab of Ornithology) sowie einzelne, weibliche Intermediäre, die weder in der Forschung arbeiten noch an den Projekten teilnehmen. Dieser rein vermittelnden Gruppe sei bislang in der Forschung kaum Aufmerksamkeit geschenkt worden, schreibt die Forscherin. Fachfremde Personen – deren Bedeutung für die Bürgerwissenschaften immer wieder hervorgehoben wird – nutzen den Begriff „citizen science“ in ihrer Twitter-Biografie kaum. Die Forscherin erklärt dies zum einen mit demografischen Aspekten, so sind die Nutzerinnen und Nutzer im Schnitt deutlich jünger als die Teilnehmenden bei Citizen-Science-Projekten. Zum anderen stamme der Begriff aus der Forschung selbst, er scheine von den Teilnehmenden aber nicht besonders gut angenommen zu werden. Stattdessen finde man in deren Twitter-Biografien eher generelle Interessen wie „Birding“ statt Referenzen zur Bürgerwissenschaft oder zu konkreten Projekten.

Einschränkungen: Gesucht wurde nur nach dem englischsprachigen Begriff „citizen science“. Ob eine ähnliche Struktur beispielsweise auch auf das deutschsprachige Twitter-Netzwerk zum Thema zutrifft, ist ungewiss. Durch die Konzentration auf die Kurzbiografie der Nutzerinnen und Nutzer könnte außerdem unterschätzt worden sein, wie stark die teilnehmenden Bürgerinnen und Bürger die Plattform in einzelnen Tweets zur Kommunikation über ihr Hobby nutzen.

Tancoigne, E. (2019). Invisible brokers: “Citizen science” on Twitter. Journal of Science Communication.https://doi.org/10.22323/2.18060205

Wissenschaft auf Facebook: Welche Kommentare haben Gewicht?

Ablehnende bis beleidigende Kommentare sind Alltag für Forschende, über deren Arbeit auf Facebook berichtet wird. Doch wie wirken solche Bemerkungen von Nutzerinnen und Nutzern eigentlich auf die still Mitlesenden – welchen kritischen Argumenten schenken sie Beachtung? Das ergründeten die Psychologen Lukas Gierth und Rainer Bromme von der Universität Münster in einem aktuellen Experiment.

Methodik: Die Forscher zeigten ihren Probandinnen und Probanden verschiedene Postings einer fingierten wissenschaftsjournalistischen Facebook-Seite. Darin ging es stets um eine Studie zu gesellschaftlich umstrittenen Themen wie Impfungen oder Kriminalität durch Zugewanderte. Unter jedem Posting war ein Userkommentar zu lesen, der die Forschung auf eine von mehreren möglichen Arten kritisierte: indem er beispielsweise die Motivation der Forschenden hinterfragte (bei einer Studie über die Sicherheit von Impfungen etwa mit einem Hinweis auf Drittmittel aus der Pharmabranche), die verwendeten Methoden anzweifelte, die Kompetenz der Forschenden infrage stellte oder das Forschungsgebiet als zu komplex bezeichnete, als dass man zu eindeutigen Schlüssen darüber gelangen könnte.

Ergebnisse: Die wichtigste Rolle für die Bewertung sowohl der vorgestellten Studie als auch des kritischen Kommentars spielte die Voreinstellung der Teilnehmenden zu den jeweiligen Themen: Wer etwa Impfungen vorneweg für sicher hielt, bewertete die Studie, die genau das ergeben hatte, als glaubwürdiger – und stimmte dem negativen Kommentar seltener zu. Daneben gab es allerdings auch Unterschiede zwischen den Kommentaren: Am meisten Zustimmung fanden über alle Teilnehmende hinweg jene Beiträge, in denen auf die zu große Komplexität des Themas hingewiesen wurde. Hob der Kommentar auf finanzielle Verstrickungen ab, beurteilten die Versuchspersonen die Motive der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hinter der Studie als etwas weniger vertrauenswürdig. Verwies die Anmerkung auf ungeeignete Methoden in der Studie, so zweifelten auch die Teilnehmenden eher daran, dass sich die Forschenden an die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis gehalten hatten.

Wissenschaftliche Studien ernten auf Facebook regelmäßig Kritik. Forscher der Universität Münster untersuchten nun, welche Arten von negativen Kommentare andere Nutzerinnen und Nutzer am stärksten beeinflussen. Foto: NeONBRAND

In einer zweiten Studie konnten Gierth und Bromme diese Ergebnisse noch einmal replizieren. Hierbei hatte der Absender der kritischen Kommentare vermeintlich selbst einen wissenschaftlichen Hintergrund. In diesem Fall führten Kommentare mit dem Komplexitätsargument – dass man aufgrund der Vielschichtigkeit des Themas eigentlich gar nichts darüber aussagen könne – dazu, dass die Teilnehmenden auch die Glaubwürdigkeit der vorgestellten Studie insgesamt als geringer einschätzten.

Schlussfolgerungen: Nutzerinnen und Nutzer von Facebook lassen sich diesen Ergebnissen zufolge von verschiedenen Arten von Kommentaren unterschiedlich stark beeinflussen. Am bereitwilligsten stimmen sie der Aussage zu, dass ein Forschungsgebiet – und zwar egal, welches – zu komplex sei, um eindeutige wissenschaftliche Schlüsse darüber zu ziehen. Kam dieses Argument von einem vermeintlichen Experten, minderte das die Glaubwürdigkeit einer zuvor vorgestellten Studie. Gierth und Bromme finden daran erstaunlich, dass Komplexität ja eine Eigenheit der allermeisten wissenschaftlichen Fragestellungen ist. Es sei daher bedenklich, dass sich dieses Merkmal so leicht verwenden ließe, um erfolgreich die Legitimität von Wissenschaft anzugreifen. Auch der Vorwurf, die Forschenden verfolgten finanzielle Interessen, verfing in dieser Studie relativ gut – wie bereits in früheren Untersuchungen zum Thema.

Einschränkungen: In der Studie wurde jede Meldung von nur einem einzigen Kommentar begleitet, der immer negativ war. In der Realität bilden sich Menschen womöglich eher ein Gesamtbild aus einer Vielzahl positiver und negativer Kommentare in den sozialen Medien. Nicht berücksichtigt werden konnte in diesem Design zudem, ob die Beziehung zur kommentierenden Person von Bedeutung ist, also ob etwa der Kommentator oder die Kommentatorin persönlich bekannt oder befreundet ist. Und schließlich bestand die Stichprobe zum großen Teil aus Studierenden, also tendenziell jüngeren und stärker an Wissenschaft interessierten Personen. Gerade das Komplexitätsargument könnte in dieser Gruppe vielleicht besser verfangen als in der Allgemeinbevölkerung, schreiben die Forscher.

Gierth, L. & Bromme, R. (2019). Attacking science on social media: How user comments affect perceived trustworthiness and credibility. Public Understanding of Science. https://doi.org/10.1177/0963662519889275

Mehr Aktuelles aus der Forschung:

Welche Rolle spielen religiöse Überzeugungen von Forschenden, wenn es um ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit geht? Laut einer neuen Studie aus den USA halten atheistische Probandinnen und Probanden Forschende, die ebenfalls nicht religiös sind, für vertrauenswürdiger. Bürgerinnen und Bürger, die sich zum Christentum bekannten, beurteilten dagegen Forschende positiver, die einer Religion angehören – egal, ob Christentum, Judentum oder Islam.

Bürgerwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler sammeln eine Menge wertvoller Daten, wie Forschende der Michigan State University in einer aktuellen Untersuchung zeigen. Bei der Analyse einer großen Forschungsdatenbank (zur Wasserqualität von Seen in den USA) zeigte sich, dass mehr als die Hälfte aller Einträge aus Citizen-Science-Projekten stammte.

Religiosität kann beeinflussen, wie Menschen Wissenschaft wahrnehmen. Einer aktuellen Studie zufolge macht es für Gläubige einen Unterschied, ob Forschende selbst religiös sind – welcher Konfession sie angehören, scheint dagegen keine Rolle zu spielen. Foto: James Coleman

Kommen teuer produzierte Wissenschaftsvideos auf Youtube besser an? Dieser Frage widmete sich eine Studentin der University of Otago (Neuseeland) in ihrer Masterarbeit. Das Ergebnis: Clips, die wie „user generated content“ wirkten, machten den Zuschauerinnen und Zuschauern mehr Spaß und sie wollten diese eher teilen als professionell produzierte Videos. Letztere lagen aber vorne bei der Frage, ob man sie sich gern mehrfach ansehen würde.

Ein Forschungsteam in den USA hat sich in einer aktuellen Studie näher angesehen, wer mit Facebook-Anzeigen gegen Impfungen Stimmung macht. Das Ergebnis: Während Anzeigen, in denen das Impfen beworben wurde, von 83 verschiedenen Absendern kam, wurde mehr als die Hälfte der Impfgegner-Werbung von nur zwei Organisationen geschaltet. Eine Übersicht dazu gibt es auch im britischen Guardian.

Dass Zauberei dabei hilft, bei Kindern Neugier auf Wissenschaft zu wecken, beschreibt die Chemikerin Cynthia Maguire – Pardon: die Herrin der Zaubertränke – in einer aktuellen Posterpräsentation.

In der Reihe „Handbooks of Communication Science“ ist nun ein aktueller Band zur Wissenschaftskommunikation erschienen, der das komplette Spektrum des Begriffs behandelt: Von der Kommunikation innerhalb der Wissenschaft über den Dialog mit der Gesellschaft bis hin zu den Entwicklungen im Wissenschaftsjournalismus. Zu den Herausgebenden gehört Annette Leßmöllmann, die auch Mitherausgeberin von Wissenschaftskommunikation.de ist.

Die Kurzmeldungen zur Wissenschaftskommunikationsforschung erscheinen alle 14 Tage im Panoptikum.