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Kommunizieren über Künstliche Intelligenz

Künstliche Intelligenz wird das Thema des Wissenschaftsjahres 2019. Zeit, mit jemandem zu sprechen, der sich tagtäglich mit der Kommunikation darüber beschäftigt. Reinhard Karger ist Unternehmenssprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) und erklärt im Interview, worauf es bei diesem Forschungsbereich aus kommunikativer Sicht ankommt.

Herr Karger, was ist das Besondere an der Kommunikation über Künstliche Intelligenz?

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Thema, das viele Hoffnungen, viele Befürchtungen und insgesamt viel Reibung erzeugt. Man spricht bei KI schließlich darüber, dass Maschinen beginnen, menschliche Fähigkeiten zu erwerben. Maschinen werden uns vermeintlich immer ähnlicher und genau dort wird der Mensch sensibel. Die einen reiben sich an den großartigen Ingenieurleistungen und wollen sie noch viel besser machen. Ein größerer Teil aber fühlt sich in seiner Existenz angegriffen. Nicht nur als Sachbearbeiter in einem Büro oder als Werker in einer Produktionsstätte, in der Maschinen immer mehr Aufgaben übernehmen, sondern ganz allgemein als Mensch. Die gesellschaftliche Debatte wirkt im Augenblick so, als wüsste man nicht, ob man schon Goethes Zauberlehrling ist oder doch noch Zauberer. Als könnte man von den Werkzeugen, die man erfunden hat, plötzlich dominiert werden. Ich will das nicht Angst nennen, sondern eher existenzielle Melancholie und intellektuelle Skepsis.

Wie äußert sich diese Skepsis?

<b>Reinhard Karger</b> studierte theoretische Linguistik und Philosophie in Wuppertal und war dort Assistent am Lehrstuhl Computerlinguistik der Universität des Saarlandes. 1993 wechselte er zum <a href='https://www.dfki.de/web'> Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI)</a> in Saarbrücken. Seit 2000 leitet Reinhard Karger die Unternehmenskommunikation, seit 2011 ist er Unternehmenssprecher des DFKI. Foto: Christian Krinninger
Reinhard Karger studierte theoretische Linguistik und Philosophie in Wuppertal und war dort Assistent am Lehrstuhl Computerlinguistik der Universität des Saarlandes. 1993 wechselte er zum Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken. Seit 2000 leitet Reinhard Karger die Unternehmenskommunikation, seit 2011 ist er Unternehmenssprecher des DFKI. Foto: Christian Krinninger

Sie führt zu einer individuellen und damit auch zu einer gesellschaftlichen Nervosität. Dadurch ist die Debatte oft emotionsgeladen und wird nicht mehr kühl und abwägend geführt. Das ist die eine große Herausforderung. Eine weitere Herausforderung ist die Frage danach, was der Mensch eigentlich ist. Was zeichnet ihn aus? Diese Fragen werden immer wichtiger und von den Entwicklungen der KI noch befeuert. Vor 30 Jahren hat man viele Aspekte des Menschseins nicht so kritisch hinterfragt, weil die „Duellsituation“ Maschine gegen Mensch noch nicht akut war. Sie war pure Science-Fiction. Jetzt rücken die Möglichkeiten der Künstlichen Intelligenz aber gefühlt immer näher, die Selbstzweifel, die das auslösen kann, werden immer konkreter und Maschinenstürmerei liegt in der Luft.

Wie vermitteln Sie in Ihren Kommunikationsformaten am DFKI den Unterschied zwischen dem aktuellen Forschungsstand und dem, was noch immer Science-Fiction ist?

Wir bleiben sachlich und beginnen mit einer Definition: Künstliche Intelligenz meint die Digitalisierung menschlicher Wissensfähigkeiten. Als Nächstes kann man sich angucken, wo Menschen Wissensfähigkeiten einsetzen. Dazu gehört beispielsweise alles, was mit Sprache oder mit Kultur zu tun hat. Dann versuchen wir, klar zu machen, auf welchem Stand die KI-Forschung tatsächlich ist. Es gibt einen Unterschied zwischen schwacher und starker KI. Die schwache KI entwickelt einzelne Assistenten, die dem Menschen helfen, konkrete Ziele zu erreichen. Dazu gehören Diktiersysteme, Navigationsapps, Rechtschreibkorrekturfunktionen oder Algorithmen, die Waren empfehlen oder zum Verkauf im Internet platzieren. Die werden in der Regel auch als hilfreich angenommen. Die starke KI zielt auf ein integriertes System, das sämtliche Eigenschaften des Menschen hat. Davon sind wir aber noch sehr weit entfernt, wenn dieses Ziel überhaupt je erreicht werden kann. Maschinen können viele einzelne Wissensfähigkeiten auf einem hohen Niveau erreichen, aber ihnen fehlt der sinnliche und emotionale Zugang zur Welt, das kontextuelle Verständnis und das kulturelle Wissen. Genau das, was den Menschen ausmacht.

Können Sie hier ein Beispiel geben?

Für den Menschen ist es sehr leicht, auf einem Foto einen Tisch zu sehen, einen Stuhl, ein Glas und eine Katze. Allein diese Objekte erkennen und benennen zu können, ist für den Computer extrem rechenintensiv. Mittlerweile hat man durch den Einsatz von künstlichen neuronalen Netzen bei diesem Erkennungsvorgang hervorragende Fortschritte gemacht. Aber erkennen ist nicht verstehen. Die Geschichten, die hinter den reinen Bildinformationen stecken, bleiben dem Computer weiterhin verborgen. Menschen können bereits ab der Grundschule aus solchen Bildern ganze Erzählungen interpretieren. Dass die Katze zuerst auf den Stuhl, dann auf den Tisch springt, um aus dem Glas zu trinken, es dabei umwirft und so weiter, ist dabei nur ein denkbares Szenario. Der Mensch kann problemlos viele Weitere assoziieren. Ein Computer könnte das nicht. Ein weiterer Bereich, bei dem die KI-Forschung in den letzten Jahren extreme Fortschritte gemacht hat, ist die Spracherkennung. Aber auch hier sind Themen wie Satzmelodie und emotionale Einfärbungen noch absolute Zukunftsmusik. Diesen Stand der Forschung muss man zuerst vermitteln, um dann eine sachliche Debatte über den Nutzen, die Chancen und die Grenzen von KI führen zu können.

Welche Formate eignen sich besonders gut dafür?

Da würde ich immer das Gespräch empfehlen in Kombination mit der Präsentation von konkreten Systemen, sodass Teilnehmende eigene Erfahrungen machen. Wir sprechen mit der Wirtschaft, mit Politik und Medien, gehen in Schulen und zu Serviceklubs wie den Rotariern, sprechen mit Steuerfahndungsreferentinnen und -referenten oder Gewerkschaften. Kurz: Mit allen, die zu uns kommen oder uns einladen. Und bei vielen Gruppen erleben wir, dass das Wissen über den tatsächlichen Forschungsstand zur KI meist eher gering ist, aber Erwartungen oder Befürchtungen artikuliert werden, die sich aus Schlagzeilen oder Science-Fiction-Filmen speisen. Das ist sicherlich ganz normal und betrifft auch viele andere Forschungsfelder. Der Unterschied ist hier aber, dass sich Menschen aktuell von anderen Wissenschaften weniger existenziell bedroht fühlen.

Was bedeutet das für die Forschenden in dem Bereich?

Dass man sehr viel mehr als bei anderen Forschungsthemen erklären muss, was man genau macht und womit die Forschung zusammenhängt. Wir arbeiten mit vielen anschaulichen Beispielen, um die Gesprächspartner mitzunehmen, um sie aufzuklären und vielleicht auch zu versöhnen. Nehmen wir das Autonome Fahren: Ja, selber fahren kann durchaus eine Freude sein, aber wenn Autos irgendwann völlig autonom von jedem beliebigen Ort jede beliebige Route nehmen könnten und das Ziel sicher erreichen, hätte das außerordentlich positive Auswirkungen. So könnten zahlreiche der täglich etwa 7.200 polizeilich erfassten Verkehrsunfälle und jährlich über 390.000 Verletzte vermieden werden – das sind die Zahlen für 2017. Es bräuchte aber auch das klassische „Familientaxi“ nicht mehr, weil das Auto selbstständig die Kinder vom Fußball abholen könnte. Das kann man beliebig fortführen und das gilt auch für viele andere Bereiche, für die KI Lösungen bieten kann.

Was versprechen Sie sich davon, dass KI im nächsten Jahr Thema des Wissenschaftsjahres wird?

Das Wissenschaftsjahr ist extrem wichtig für den informierten gesellschaftlichen Diskurs. Es ermöglicht eine Fülle unterschiedlicher Veranstaltungen und damit eine breite Auseinandersetzung mit dem Thema. Ich verspreche mir vom Wissenschaftsjahr Künstliche Intelligenz, dass zum einen der aktuelle Stand und die Leistungsfähigkeit der Forschung vermittelt werden. Und dass dadurch mehr Menschen die Unterschiede der verschiedenen KI-Formen und die Chancen verstehen. Ich wünsche mir aber auch Raum für die Debatte darüber, was der Mensch eigentlich ist, was ihn auszeichnet und was ihn von Maschinen abgrenzt. Denn nur so kann Skepsis abgebaut werden und wir können die Diskussion darüber beginnen, wie KI jedem Einzelnen helfen kann, seine persönlichen Ziele zu erreichen. Und wie KI helfen kann, dass wir in der Gesellschaft leben können, in der wir leben wollen.