Foto: Jara Lopez Ballonga

“Heutzutage braucht es kollaborative Prozesse der Wissensproduktion”

Die Berlin University Alliance hat ein neues partizipatives Projekt initiiert. Ein Gespräch mit Audrey Podann und Wolfang Schäffner über die Abgrenzung zwischen Wissenschaftskommunikation und Partizipation, neue Formen von Wissensproduktion und transdisziplinäre Ansätze.

Woher kam die Idee, Jugendliche zu den wissenschaftlichen Herausforderungen von morgen zu befragen?

Dr. Audrey-Catherine Podann ist Leiterin der Stabsstelle Science and Society des Präsidiums der TU Berlin. Im Rahmen der Berlin University Alliance leitet sie die „Research Forums”. Prof. Dr. phil. Wolfgang Schäffner forscht an der Humboldt-Universität zu Berlin zur Wissens- und Kulturgeschichte. Er ist Mitglied des Steering Committees von Objective 2 „Fostering Knowledge Exchange“ der Berlin University Alliance. Foto: Anna Henschel

Audrey Podann: Der Berlin University Alliance sind in diesem Zusammenhang zwei Bereiche ganz besonders wichtig: Programmatisch hat sich der Verbund die großen gesellschaftlichen Herausforderungen – „Grand Challenges” als Thema gesetzt und dabei einen Schwerpunkt auf den Bereich Austauschformate gelegt. Bei der nächsten Grand Challenge ist das Thema noch nicht gesetzt. Um das zu identifizieren, sollen die zwei Schwerpunkte ineinander wirken. Denn aus der transdisziplinären Forschung wissen wir, dass komplexe Herausforderungen in einem transdisziplinären Modus erforscht werden sollten. Daraus ergibt sich, dass die Gesellschaft zur Themensuche, bzw. der Problembeschreibung beiträgt. Das geschieht hier in Form von echter Partizipation, nämlich Mitgestaltung.

Und warum die Jugendlichen als Zielgruppe?

Podann: Wir haben schon früh gesagt, dass wir bei so einer vertieften Partizipation nicht in die Breite gehen wollen. Da wollten wir lieber einen qualitativen Prozess aufsetzen. Die Jugendlichen sind unsere Studierenden von morgen mit den Themen von morgen. Und nicht zuletzt sind sie in der Pandemie ein bisschen zu kurz gekommen. Eine tolle Zielgruppe, aber schwer zu erreichen.

Wolfgang Schäffner: Die teilnehmenden Schüler*innen bringen in der Suche nach der nächsten Grand Challenge ganz neue Perspektiven ein. Sie sind in dieser Lebensphase noch viel offener, da können wir viel mitnehmen und hoffentlich in Zukunft auch andere Gruppen der Gesellschaft mit einbeziehen.

„Wir arbeiten symmetrisch, es gibt keine Hierarchien.“ Wolfgang Schäffner

Wie haben Sie den Dialog zwischen Jugendlichen und Forschenden angestoßen?

Schäffner: Die Jugendlichen wurden zunächst gecoacht und waren sehr gespannt darauf, die beteiligten Wissenschaftler*innen kennen zu lernen. Sie haben dann auch schnell gemerkt, dass Forschende keine andere Spezies, sondern normale Leute sind. Wir haben uns alle mit Vornamen vorgestellt und angesprochen. Wir arbeiten symmetrisch, es gibt keine Hierarchien. Das ist wichtig, um Vertrauen aufzubauen und sich gegenseitig ernst zu nehmen. Auch auf der Seite der Forschenden musste Vertrauen geschaffen werden, da einige zunächst zurückhaltend reagiert haben. Wenn diese Forschenden dann mit drängenden Fragen der Jugendlichen konfrontiert werden, auf die sie zunächst keine Antwort haben, dann gehen einige erst einmal irritiert nach Hause. Auf beiden Seiten muss man moderieren und immer klar kommunizieren, was am Ende das Ziel ist.

Podann: Uns war wichtig, dass die Jugendlichen nicht von Anfang an von den Wissenschaftler*innen vereinnahmt werden, sich beide Gruppen also nicht zu früh im Prozess treffen. Jede*r Wissenschaftler*in findet das eigene Thema am spannendsten und ist der Meinung, dass das als Erstes bearbeitet werden sollte. Uns war wichtig, dass sich die Jugendlichen zunächst in ihrer eigenen Idee sicher sind. Das wollten wir bestärken, anstatt diese Ideen zu früh zu verfremden und zu überlagern.  Die Wissenschaftler*innen haben wir entsprechend gebrieft und betont, dass sie sich im Dienst der Jugendlichen verstehen sollen und diese ihre Unterstützung benötigen. Nach dem Input durch die Forschenden arbeiten die Jugendlichen dann weiter und reichen ihre Ideen ein.

Schäffner: Das ist in der inter- und transdisziplinären Arbeit nicht ungewöhnlich. In einer gewissen Phase leistet die eine Disziplin der anderen Hilfestellung. Hier geht es darum, die Expertise der Jugendlichen zu stärken. Und am Ende auch die Expertise der Forschenden, die bisher nicht dachten, dass man da genauer zuhören muss.

BUA Calling

Die Berlin University Alliance (BUA) ist ein Zusammenschluss der Freien Universität Berlin, der Humboldt-Universität zu Berlin, der Technischen Universität Berlin und der Charité – Universitätsmedizin Berlin. Die Verbundpartnerinnen der BUA haben sich zusammengefunden, um Antworten auf die großen Fragen des 21. Jahrhunderts zu finden und sich damit den globalen Herausforderungen – Grand Challenges – zu stellen. In einem gemeinschaftlichen Prozess von Teilnehmenden aus der Wissenschaft und der Gesellschaft wird das Thema für die Next Grand Challenge gesucht. Das ausgewählte Thema erforschen Wissenschaftler*innen der BUA inter- und transdisziplinär. Quelle: Berlin University Alliance

Haben Sie sich andere partizipative Prozesse zum Vorbild genommen?

Podann: Ich komme selbst aus dem Bereich der transdisziplinären Forschung, wo Partizipation ein zentrales Element ist. Auch an der TU Berlin gibt es schon viele partizipative Formate, wie etwa Reallabore, einige Citizen Science Projekte und Stakeholderprozesse. Aber mit dieser Initiative betreten wir echtes Neuland und denken es ziemlich konsequent und radikal zu Ende. Hier standen nicht Wissenschaftskommunikation oder Citizen Science im Fokus. Wir streben einen Paradigmenwechsel in der Frage „Wie produzieren wir Wissen?” an. Also eben nicht, „Wir produzieren Wissen wie immer”, und fragen ab und zu mal in die Gesellschaft rein, ob das gut war oder nicht. Wir haben es gerade mit einigen drängenden gesellschaftlichen Krisen zu tun. Für die braucht es auch eine andere Form, Wissen zu produzieren, damit wir schnell Lösungen finden können. Das können wir als Wissenschaft nicht alleine machen. Oft wird es auch als Kränkung der Wissenschaft empfunden, aber eigentlich schenken die Jugendlichen uns Zeit und Wissen, was wir sehr gut gebrauchen können.

Schäffner: Es geht fundamental um kollaborative Strukturen. Es sind nicht mehr die Wissenschaftsheld*innen wichtig, die uns eventuell retten können. Heutzutage braucht es kollaborative Prozesse der Wissensproduktion. Nur wenn man unterschiedliche Wissensformen zusammenbringt, kann man Partizipation langfristig und nachhaltig umsetzen.

Foto: Jara Lopez Ballonga

Wie wird der Prozess bei den Forschenden und Jugendlichen aufgenommen?

Podann: Es gab bei manchen die Überraschung, dass sie überhaupt gefragt wurden. Manche Jugendliche waren ein bisschen orientierungslos, sie wollten einfach die Universität von innen kennenlernen. Jetzt merken wir aber, dass die Jugendlichen wirklich wichtige, große gesellschaftliche Fragen an uns Erwachsene haben und gerne auch konkrete Lösungsvorschläge sehen wollen. Wissenschaftler*innen gehen einen solchen Prozess ja häufig so an: „Wie finde ich eine Überschrift, wo mein spezifisches Forschungsthema gut reinpasst?” Das sind sehr unterschiedliche Zugänge. Allein aus den verschiedenen Herangehensweisen her ist es gut, dass wir das mischen.
„Die Stadien die wir durchlaufen sind ridiculous, dangerous, obvious.“ Audrey Podann

Gab es Herausforderungen oder Kritik am Prozess? 

Podann: Der Prozess ist nicht nur anspruchsvoll, sondern auch transformativ. Da stößt man natürlich auf Widerstände, ein großes Thema ist die Wissenschaftsfreiheit. Aber gerade bei diesen komplexen gesellschaftlichen Herausforderungen, den Grand Challenges, wissen wir aus der Forschung, dass eben nicht eine Art von Wissenstyp reicht, um Lösungen zu identifizieren. Die Stadien die wir durchlaufen sind „ridiculous, dangerous, obvious“. Wir waren lange bei „ridiculous“, wo manche gesagt haben, „Das ist ja süß!“ Einige haben auch gedacht, es wäre „dangerous“, weil es das bisherige System ein bisschen in Frage stellt, und jetzt kommen wir langsam gemeinsam zu „obvious”“Also nach dem Motto, „Na klar brauchen wir eine neue Wissensproduktion, wir leben in einer anderen Welt als noch vor einigen Jahren.“