Foto: Falling Walls Foundation

„Es muss ein echter Dialog entstehen“

Gute Wissenschaftskommunikation sollte Community-orientiert sein und die Zivilgesellschaft miteinbeziehen, sagt die Geschäftsführerin der Falling Walls Foundation Imke Rajamani. Ein Gespräch über Partizipation, emotionale Momente beim Falling Walls Science Summit und den Blick über den Tellerrand.

Der Falling Walls Science Summit 2021 fand im November statt. Wie haben Sie das Event erlebt?
Ich empfand es als großes Geschenk, nach zwei Jahren wieder in einem Präsenz-Event mit Forscher*innen und Innovator*innen zusammenzukommen und über das zu sprechen, was uns bewegt – nämlich die großen Herausforderungen unserer Zeit. Es macht Hoffnung zu sehen, wie viele forschungsbasierte Ideen und Lösungen es bereits gibt, die nur darauf warten, umgesetzt zu werden.
Mein persönliches Highlight waren die fünf Minuten Standing Ovation für Özlem Türeci, die zusammen Uğur Şahin BioNTech gegründet hat. In diesem Moment ist mir klar geworden, wie dankbar ich ihr und ihrem Team bin. Der Summit stand unter dem Motto „Science Reunites Us“: Und da steht die Forscherin und Unternehmerin, die einen Impfstoff mitentwickelt hat, durch den unsere Zusammenkunft auf der Veranstaltung erst möglich wurde. Das hat mich bewegt.

Imke Rajamani ist Geschäftsführerin der Falling Walls Foundation. Sie studierte Literatur und Medien, Geschichte und Musikwissenschaft und promovierte an der Freien
Universität Berlin. Von 2011 bis 2018 war sie wissenschaftliche Mitarbeiterin des „Center for the History of Emotions“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Sie ist Autorin, ausgebildete Konfliktmediatorin und systemischer Coach. Foto: Falling Walls Foundation

Was sind Ihrer Meinung nach die größten Herausforderungen für die Wissenschaft und die Wissenschaftskommunikation, die während der Veranstaltung diskutiert wurden?
Eine Frage hat mich besonders interessiert: Wie kommen wir von der Forschung und den wissenschaftlichen Erkenntnissen zu Innovation und Anwendung? Dabei gibt es mehrere Hürden. Zum einen technologische und die wirtschaftliche Skalierbarkeit, zum anderen die Frage nach dem Vertrauen. In den Paneldiskussionen ging es häufig darum, wie man eine Gesellschaft mitnimmt, zum Beispiel, wenn man einen Impfstoff entwickelt hat. Es wurde eine tolle Lösung im Labor gefunden, um eine Pandemie einzudämmen. Wie kann Ängsten, Sorgen, Ablehnung und fehlendem Vertrauen in diese wissenschaftliche Lösung begegnet werden?

Wurden während des Summits Antworten auf diese Fragen gefunden?
Es wurden vor allem Problemfelder definiert. Es gab Forderungen, dass Wissenschaftskommunikation inklusiver sein muss. Dass sie sich nicht als One-Way-Kommunikation versteht, sondern ein echter Dialog entsteht, in den man mehrere Stakeholder einbezieht.

„Mein persönliches Highlight waren die fünf Minuten Standing Ovation für Özlem Türeci. (...) In diesem Moment ist mir klar geworden, wie dankbar ich ihr und ihrem Team bin.“ Imke Rajamani
Daneben ging es um die Frage, wie Wissenschaft und Politik zusammenarbeiten müssen und dabei auch andere Akteur*innen aus der Zivilgesellschaft einbeziehen können. Und wie gewichtet man den Einfluss der unterschiedlichen Parteien? Auch wie viel Raum man Impfgegner*innen einräumen soll, wurde kontrovers diskutiert: Welchen Anteil an der Gesellschaft machen sie eigentlich mit ihrer sehr starken Meinung aus? Und werden dafür nicht andere Gruppen überhört, die wichtige Dinge zu diesem Thema beizutragen haben, sich aber nicht so lautstark äußern und weniger stark medial präsent sind?
Dabei wurde auch klar, dass gute Wissenschaftskommunikation aufwendig ist und gute Strukturen braucht. Diese Strukturen gibt es aber nicht überall, weil es so wenig Anreizsysteme gibt.

Der Wissenschaftsrat hat kürzlich ein Positionspapier zur Zukunft der Wissenschaftskommunikation veröffentlicht, die #FactoryWisskomm hat Handlungsempfehlungen herausgearbeitet: Inwiefern fließen solche Handreichungen in die Konferenz mit ein?
Sie wurden während der Konferenz nicht systematisch berücksichtigt, aber sie sind für unser Team von Falling Walls Engage eine wichtige Inspirationsquelle. Wir können dazu auch einen Beitrag leisten. Unsere Kollegin Wiebke Rössig war Teil einer der Arbeitsgruppen der #FactoryWisskomm.

„Es gab Forderungen, dass Wissenschaftskommunikation inklusiver sein muss. Dass sie sich nicht als One-Way-Kommunikation versteht.“ Imke Rajamani
Die Papiere enthalten gute Handlungsempfehlungen, um beispielsweise die Wissenschaftskommunikation an Forschungsinstitutionen zu verbessern oder den Wissenschaftsjournalismus zu fördern. Auch behandeln sie die Fragen, welche Studieninhalte über Wissenschaftskommunikation man zukünftigen Forscher*innen mitgeben müsse. Aber ihnen fehlt ein ganzheitlicher Ansatz, wie Wissenschaftskommunikation in Deutschland sektorenübergreifend zusammenarbeiten kann. Das wäre wichtig, damit zum Schluss niemand mit dem Finger auf andere zeigen und sagen kann: „Ich habe meinen Job doch gemacht, aber die anderen machen halt nicht mit. Die Wissenschaftsjournalist*innen greifen mein Thema nicht auf“. Die Maßnahmen, die in den Papieren vorgeschlagen werden, sind aus meiner Sicht immer noch sehr stark an einzelne Sektoren gebunden.

Was macht für Sie gute Wissenschaftskommunikation aus?
Gute Wissenschaftskommunikation ist für mich ein vielseitiger Dialog. Sie ist Community-orientiert und baut auf Co-Creation. Gute Wissenschaftskommunikation erkennt auch eine gemeinsame Verantwortung in der Produktion des Wissens an: Nicht nur Forscher*innen sind für die Wissensgenese zuständig. Auch Expert*innen, die nicht der Wissenschaft und Forschung zugeordnet sind, werden in den Prozess einbezogen. Das können Menschen sein, die zu einem Thema ein besonderes Wissen haben, weil sie zum Beispiel in der Region wohnen, für die in Zeiten des Klimawandels eine Lösung gefunden werden muss. Oder sie sind direkt von einem Problem betroffen, wie beispielsweise als Patient*innen.

Können Sie Beispiele von partizipativen Formaten oder Projekten nennen, in denen das Einbeziehen der Zivilgesellschaft besonders gut gelingt?

„Aber ihnen fehlt ein ganzheitlicher Ansatz, wie Wissenschaftskommunikation in Deutschland sektorenübergreifend zusammenarbeiten kann.“ Imke Rajamani
Der Falling Walls Summit als globale Plattform für Science Engagement ist ein Format, bei dem das sehr gut gelingt. Dabei kommen internationale „Science Engager“ zusammen und inspirieren sich gegenseitig. Das sind nicht alles Forscher*innen, sondern auch Wissenschaftsjournalist*innen, Aktivist*innen, Menschen, die Bildung und Dialog in regionalen Communities managen. Die Plattform sammelt viele Ansätze dafür, wie man Community-basiert konkrete Lösungen entwickeln kann. Sie zeigt auch, wie Wissenschaftskommunikation die Expertise und das Wissen innerhalb dieses Netzwerks stärken und auf eine evidenzbasierte Basis stellen kann.

Falling Walls richtet sich an die internationale Science Community. Wie bewerten Sie die Wissenschaftskommunikation in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern?
Mir fällt es schwer, das zu beantworten. Wenn ich die Kreativität der Projekte in Deutschland mit denen aus dem englischsprachigen Raum vergleiche, stehen wir noch zurück. Aus Gesprächen in unserem Netzwerk habe ich den Eindruck, dass verständliches Kommunizieren in der wissenschaftlichen Grundausbildung in Deutschland selten ist. Das mag auch an der deutschen Wissenschaftssprache liegen, die weitaus komplizierter als das Englische ist. US-amerikanische Studierende lernen beispielsweise auch ganz anders zu präsentieren und ihre Wissenschaft nach außen zu kommunizieren.
In Deutschland besteht noch viel Handlungsbedarf, Wissenschaftskommunikation und Science Engagement institutionell zu verankern. Das umfasst, Fördergelder für Wissenschaftskommunikation und Zeit zur Verfügung zu stellen und Anreizsysteme für junge Forscher*innen zu schaffen, um Wissenschaftskommunikation mit einem Community-Ansatz zu betreiben. Und gleichzeitig braucht es institutionelle Förderung und Rahmenbedingungen dafür, dass man auch gemeinsam mit Wissenschaftsjournalist*innen, Influencer*innen oder Aktivist*innen arbeitet und die Zivilgesellschaft einbezieht. In Förderanträgen sollte deshalb abgefragt werden, wie die Ergebnisse kommuniziert werden sollen, wie die Zielgruppe erreicht werden kann und auch Menschen, die sich für die Forschung interessieren und nicht-wissenschaftliches Expert*innenwissen haben, einbezogen werden können.

Was braucht es für Entwicklungen, um die Wissenschaftskommunikation langfristig zu verbessern?
Dazu bräuchte es einen nachhaltigen Aufbau von Netzwerken von Wissenschaftskommunikator*innen, die einen Best-practice-Austausch, ein gemeinsames Lernen und eine gegenseitige Unterstützung ermöglichen. Es braucht eine stärkere Institutionalisierung des Themas und zwar nicht nur als One-way-Kommunikation.

„In Deutschland besteht noch viel Handlungsbedarf, Wissenschaftskommunikation und Science Engagement institutionell zu verankern.“ Imke Rajamani
Die Kommunikationsabteilungen an den Universitäten und Forschungseinrichtungen gibt es schon. Es bedarf eines echten Science Engagement im Sinne von Co-Creation und Citizen-Science-Projekten. Dafür müssen auch Anreize im Wissenschaftssystem geschaffen werden, mit der eigenen Forschung in den öffentlichen Dialog zu treten. Das ist meiner Meinung nach aktuell in der Förder- und Karrierelogik in der Wissenschaft kaum oder nicht vorgesehen.
Vor allen Dingen bräuchte es Akteur*innen, die es sich zur Aufgabe macht, dieses sektorenübergreifende Denken anzustoßen und sich zu überlegen: Wie schaffen wir es, Wissenschaftsjournalist*innen, Institutionen, zivilgesellschaftliche Akteur*innen und Forscher*innen an einen Tisch zu bringen.

Wie könnte es gelingen, verschiedene Akteur*innen einzubeziehen und einen vielseitigen Dialog zu führen?
Wir planen für das nächste Jahr eine Initiative mit dem Namen „Cascading Debates“. Dabei werden wir mit verschiedenen, auch internationalen Akteur*innen, inklusive Diskussionsrunden zu ganz verschiedenen Themen aufsetzen. Aus den Diskussionen unserer „Science Engagement Hubs“ nehmen wir Fragen und Statements mit und überlegen, welche nächste Gruppe sie weiterverarbeiten, weiterdenken müsste. Die Diskussionen sollen dann kaskadenartig zusammenlaufen, immer kondensierter werden und auf transsektorale Diskussionsgruppen runtertröpfeln, bis sie am Ende des Jahres bei uns auf dem Science Summit in den Diskussionsrunden der Global Science Leaders ankommen. Dort sitzen die Entscheidungsträger*innen und können wiederum ihre Perspektiven auf das Thema geben und es anschließend zurück in die Community spielen. Wir glauben, dass das ein Beispiel dafür sein könnte, wie man sektorenübergreifend Wissenschaftskommunikation – als neue Debattenkultur – miteinander betreiben und Wissen gemeinsam generieren kann.


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