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„Wir brauchen neue Ansätze der Kommunikation“

Der Wissenschaftsrat hat ein Positionspapier zur Wissenschaftskommunikation veröffentlicht. Ein Gespräch mit Dorothea Wagner, Vorsitzende des Wissenschaftsrats, über die zentralen Inhalte des Papiers und die Zukunft der Wissenschaftskommunikation. 

Frau Wagner, vor wenigen Tagen hat der Wissenschaftsrat ein Positionspapier zur Wissenschaftskommunikation veröffentlicht. Was hat den Wissenschaftsrat dazu veranlasst, sich nach dem Bundesministerium für Bildung und Forschung und der Allianz der Wissenschaftsorganisationen nun ebenfalls mit dem Thema zu befassen?

Dorothea Wagner ist seit Februar 2020 Vorsitzende des Wissenschaftsrats. Die Professorin für Informatik am KIT in Karlsruhe gehört dem Gremium seit 2015 als Mitglied an. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte der Informatikerin sind Algorithmen für Probleme im Verkehrsbereich. Foto: Anna Logue
Dorothea Wagner ist seit Februar 2020 Vorsitzende des Wissenschaftsrats. Die Professorin für Informatik am KIT in Karlsruhe gehört dem Gremium seit 2015 als Mitglied an. Aktuelle Arbeitsschwerpunkte der Informatikerin sind Algorithmen für Probleme im Verkehrsbereich. Foto: Anna Logue

Wir haben 2019 entschieden, ein Positionspapier zu erarbeiten. Auch zu diesem Zeitpunkt gab es bereits relativ viele Stellungnahmen verschiedener Akteure zur Wissenschaftskommunikation. Wir haben damals aber in einem Fachgespräch wahrgenommen, dass es einerseits eine Reihe von aktuelleren Entwicklungen in dem Feld gibt und die Art und Weise, wie Wissenschaftskommunikation betrieben wird und betrieben werden sollte, Veränderungen unterliegt. Andererseits war es so, dass es trotz der vorhandenen Papiere noch einen Bedarf gab an einer ausführlichen Aufarbeitung des Themas. Dieser Bedarf wurde in der Coronapandemie noch einmal unterstrichen.

Was sind die aus Ihrer Sicht die wichtigsten Punkte in dem Papier?

Man muss hier unterscheiden zwischen Positionen, die herausgearbeitet wurden, und den sehr konkreten Empfehlungen: Position beziehen wir beispielsweise bei der Frage, wie man eine breitere Öffentlichkeit erreicht oder weshalb man gewisse Bevölkerungsgruppen nur schwer oder auch gar nicht erreicht. Des Weiteren geht es darum, wie man Vertrauen in Wissenschaft und Forschung schafft. Die konkreten Empfehlungen zielen darauf ab, wie einzelne Personen in der Wissenschaft und wissenschaftliche nInstitutionen qualitativ bessere Wissenschaftskommunikation betreiben können und was sie dafür benötigen. Im Fokus steht dabei auch die Frage, wie der Wissenschaftsjournalismus gestärkt werden kann.

Was ist aus Sicht des Wissenschaftsrats qualitativ hochwertige Wissenschaftskommunikation? 

„Wir müssen beispielsweise den Prozess des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns erklären und auch bestehende Unsicherheiten offenlegen.“ Dorothea Wagner
Dafür ist wichtig zu verstehen, dass es nicht um einzelne gute oder schlechte Aktivitäten und Formate geht. Vielmehr geht es um die Praxis der Wissenschaftskommunikation insgesamt und darum, wie man hier die Qualität sichern kann. Dazu gehört beispielsweise die Empfehlung an einzelne Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler*, dass sie in der Kommunikation ihre Rolle klar darlegen sollten. Auch die Empfehlung, dass Wissenschaftsinstitutionen ihre Aktivitäten nicht auf Selbstdarstellung verengen, sondern das Feld der Wissenschaftskommunikation in ihren Einrichtungen unterstützen und am Gemeinwohl ausrichten sollten.

Eine weitere Empfehlung ist, die sich verändernden Bedürfnisse der Öffentlichkeit in der Kommunikation aus der Wissenschaft zu berücksichtigen: Wir nehmen zunehmend wahr, dass von der Wissenschaft erwartet wird, einen Beitrag zu gesellschaftlich kontroversen Debatten zu leisten. Gleichzeitig ist auch eine produktive Auseinandersetzung mit Falschinformationen gefordert. Es reicht nicht aus, immerfort die wissenschaftlichen Erkenntnisse darzustellen, sondern hier brauchen wir neue Ansätze der Kommunikation. Wir müssen beispielsweise den Prozess des wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns erklären und auch bestehende Unsicherheiten offenlegen.

Das Bestreben, weniger Reputationskommunikation zu betreiben, steht in gewisser Weise im Widerspruch zu einem immer größeren Wettbewerb zwischen Hochschulen und Forschungseinrichtungen um Fördermittel. Wie kann man diesen Konflikt auflösen?

„Ich glaube, es ist nicht per se schlecht, wenn kommunikationsfreudige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre eigenen Ergebnisse werben und begeistern.“ Dorothea Wagner
Ich glaube, es ist nicht per se schlecht, wenn kommunikationsfreudige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler für ihre eigenen Ergebnisse werben und begeistern. Ebenso wollen natürlich Institutionen positiv dastehen und auch das muss man akzeptieren. Wichtig ist aber, dass – insbesondere bei gesellschaftlich kontroversen Debatten  auch wissenschaftliche Einrichtungen eine besondere Verantwortung gegenüber der Gesellschaft haben.

Den Wissenschaftler*innen kommt eine große Aufgabe zu bei der Kommunikation. Wie kann sichergestellt werden, dass sie den hohen Anforderungen an sie auch gerecht werden können oder können sie dies einfach per se?

Nein, per se können es nicht alle, wie sich auch gelegentlich zeigt. Es gibt immer wieder Fälle, in denen ungeschickt kommuniziert wird – das kann sogar manchmal als wissenschaftliches Fehlverhalten gewertet werden. Häufig liegt das auch daran, dass sich nicht alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fallstricke bewusst sind, etwa was die Vermischung von Rollen angeht, ob jemand als Expertin bzw. Experte spricht oder als Bürger eine Meinung äußert oder sich als Aktivist für ein politisches Ziel engagiert.. Hier geht es uns darum, dies durch mehr Angebote zur Qualifizierung zu vermeiden.

Im Papier startet diese Qualifizierungsphase erst in der Postdoc-Phase, also etwas später als in den Empfehlungen der FactoryWisskomm. Weshalb halten sie diese Phase für die richtige? 

„Wir sind dafür, dass mehr Angebote geschaffen werden: für alle, die sie nutzen möchten.“ Dorothea Wagner
Wir sind dafür, dass mehr Angebote geschaffen werden: für alle, die sie nutzen möchten. Wir sind nicht der Meinung, dass alle diese Ausbildung durchlaufen müssen, weshalb wir es in der Promotionsphase nicht als Regel ansehen. Wissenschaftskommunikation als Ausbildungsgegenstand verpflichtend in jeder Graduiertenschule als Modul zu etablieren, halten wir nicht für sinnvoll. Einer der Gründe dafür ist, dass es aus unserer Sicht eine gewisse Fähigkeit und Kenntnis im eigenen Fach benötigt, um über den akademischen Kontext hinaus kommunizieren zu können. Ab der Postdoc-Phase, wenn eine Person eigenständig forscht und selbst Doktorandinnen und Doktoranden begleitet, erscheint uns eine Qualifizierung auf breiterer Basis sinnvoll.

War das ein Punkt, über den besonders gestritten wurde?

Ja, zu diesem Punkt gab es durchaus unterschiedliche Ansichten und wurde viel diskutiert. Gerade die AG-Mitglieder aus Hochschulen waren hier mit Blick auf zusätzliche obligatorische Schulungen in der Promotionsphase eher zurückhaltend, während die Arbeitsgruppenmitglieder aus anderen Bereichen hier anfangs anderer Meinung waren. Am Ende haben wir aber einen gemeinsamen Standpunkt entwickelt, der im Papier ausführlich erläutert wird.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Umgang mit Krisensituationen und insbesondere die Unterstützung von Wissenschaftler*innen in Krisen. Wo sehen Sie hier die Verantwortung?

„Wenn es darum geht, dass einzelne Personen aufgrund ihrer Kommunikation in kritische Situationen geraten, dann braucht es die Unterstützung durch die eigenen Einrichtungen.“ Dorothea Wagner
Wenn es darum geht, dass einzelne Personen aufgrund ihrer Kommunikation in kritische Situationen geraten, dann braucht es die Unterstützung durch die eigenen Einrichtungen. An größeren Einrichtungen wie Universitäten oder auch den außeruniversitären Forschungseinrichtungen sollte es mehr Unterstützungsmechanismen und Beratungseinheiten geben – auch im juristischen oder psychologischen Bereich. Hier gibt es noch Lücken, gerade auch, weil diese Phänomene noch recht neu sind und die Einrichtungen noch nicht lange mit ihnen umgehen mussten.

In der Diskussionsrunde zum Positionspapier wurde auch die Bedeutung von transparenter Kommunikation herausgestellt. Wie kann man transparente Kommunikation fördern?

Leitlinien, die das abdecken, gibt es ja bereits, sie haben aber mitunter noch keine ausreichende Verbreitung erfahren. Hier geht es um Akzeptanz und eine höhere Sichtbarkeit, weshalb wir auch nachdrücklich auf die bereits bestehenden Leitlinien aufmerksam gemacht haben. Sowohl die Einrichtungen als auch die Individuen  müssen stärker dafür sensibilisiert werden, was passieren kann, wenn man zum Beispiel Fragen der Finanzierung oder bestimmte Forschungskooperationen nicht offenlegt.

Was wünschen Sie sich hinsichtlich der Rezeption der Empfehlungen?

Ich wünsche mir natürlich, dass die unterschiedlichen Zielgruppen die Empfehlungen lesen und sich zu Herzen nehmen. In der Regel gelingt uns das mit unseren Positionspapieren sehr gut. Gerade in diesem Fall denke ich, dass das Papier viele Diskussionen anstoßen wird und auch medial eine gewisse Reichweite und Resonanz erfahren wird.

Welche Empfehlungen sollten aus Ihrer Sicht am dringendsten in die Umsetzung kommen?

Ich sehe hier vor allem drei Punkte: Zum einen braucht es mehr Unterstützung für die Forschung zu Wissenschaftskommunikation und eine stärkere Vernetzung der unterschiedlichen Disziplinen, die in diesem Forschungsfeld eine Rolle spielen. Zum anderen benötigt der Wissenschaftsjournalismus dringend Unterstützung. Diese beiden Punkte halte ich für essentiell. Zusätzlich sollten sich die einzelnen Institutionen  Gedanken machen, wie sie zur Qualifizierung ihres wissenschaftlichen Personals beitragen können. Hier hoffe ich, dass es künftig mehr Angebote geben wird und diese auch wahrgenommen werden.

*Auf Wunsch des Wissenschaftsrates wird in diesem Interview abweichend von den Redaktionsstandards gegendert.