Foto: Sergio Rodriguez Spratt

„Die Herausforderung wird vor allem sein dranzubleiben“

Professor Michael Brüggemann hat „sechs Thesen für eine konstruktive Klimakommunikation“ verfasst. Er sagt: „Klimakommunikation hat lange Zeit gar nicht stattgefunden.“ Ein Gespräch über die mediale Berichterstattung zum Thema, Klimaskepsis und Probleme der Klimakommunikation.

Herr Brüggemann, der Klimawandel wird in der letzten Zeit sehr stark in den Medien besprochen. Erhält das Thema jetzt die Aufmerksamkeit, die es verdient? 

Die intensivsten Klimadebatten der letzten zwanzig Jahre gab es gar nicht jetzt, sondern 2007 und 2010. Damals wurde jeweils sehr intensiv über die globale Erwärmung debattiert. Grund waren unter anderem der Film „An Inconvenient Truth“ des ehemaligen US-Vizepräsidenten Al Gore aus dem Jahr 2006 sowie der vierte Sachstandsbericht des UN-Klimarats IPCC, der damals zum ersten Mal klar und deutlich eine Warnung formulierte. 2010 rückte der UN-Gipfel in Kopenhagen, der schließlich scheiterte, das Thema wieder in den Fokus der Medien. Danach ist die Berichterstattung stark zurückgegangen. Sowohl Medien als auch Politik haben das Thema über zehn Jahre vernachlässigt.

Warum wurde das Thema jüngst wiederentdeckt?

Michael Brüggemann hat seit Februar 2015 die Professur für Kommunikationswissenschaft, Klima- und Wissenschaftskommunikation an der Universität Hamburg inne. Dort leitet er als Principal Investigator im Excellenzcluster „Klima, Klimawandel und Gesellschaft“ ein Projekt zur sozialen Konstruktion von Zukunft in Zeiten des Klimawandels. Seine Forschungsinteressen liegen in der international vergleichenden Erforschung der Klima- und Wissenschaftskommunikation, der transnationalen Kommunikation und der Transnationalisierung von Öffentlichkeiten sowie des Wandels des Journalismus im Zeitalter digitaler Kommunikation. Er betreibt zudem den Blog Climate Matters, in dem sowohl über Forschungsprojekte berichtet als auch die Berichterstattung zum Thema Klima beobachtet und kommentiert wird. Foto: UHH/CEN/Ausserhofer

Wichtig war der heiße und trockene Sommer 2018. Die Menschen in Deutschland konnten sich konkret vorstellen, was ein Anstieg der Durchschnittstemperaturen bedeutet. Hinzu kam der Bericht des Weltklimarats (IPCC) im letzten Herbst, in dem der Weltklimarat so deutlich vor den gravierenden Folgen der Erderwärmung warnt, wie er es zuvor noch nie getan hat. Und schließlich kommen noch Greta Thunberg und Fridays for Future hinzu: Schülerinnen und Schüler, die massenhaft auf die Straße gehen. Politik und die Medien sind nun aufgewacht – eine Chance für eine breite Debatte über Klimaschutz.

Wie hat sich die Berichterstattung verändert?

Heute ist die Berichterstattung deutlich breiter und behandelt nicht mehr nur einzelne Ereignisse, etwa einen Klimagipfel. Journalistinnen und Journalisten orientieren sich stark an politischen Akteuren. Und wir sehen eben, dass von diesen nun mehr kommt, da sie schlichtweg unter Druck geraten sind. Die Schülerinnen und Schüler von heute sind die Wählerschaft von morgen. Die Parteien merken also, dass sie sich umorientieren müssen, wie man etwa am Beispiel der CSU hinsichtlich der Bienenschutzpetition gesehen hat.

Darüber hinaus gibt es eine Verschiebung des Narrativs vom Klimawandel hin zu dem einer Klimakrise. Heute wird zudem die Klimaveränderung viel häufiger als ein gesellschaftliches Problem thematisiert, nicht mehr nur als ein naturwissenschaftliches Phänomen. Es gibt also eine Veränderung von der Wissenschaftskommunikation hin zur politischen Kommunikation: Wenn vorher eher über die Forschung berichtet wurde, über einen veröffentlichten Bericht oder eine Studie, dann ist jetzt die Debatte stärker darauf fokussiert, was die Politik, was der einzelne Mensch konkret tun kann für Klimaschutz.

Wie hat diese Verschiebung hin zu einem Krisennarrativ die Debatte verändert?

Im Routinemodus des Journalismus und der Debatte wird der Klimawandel praktisch ignoriert, weil es ein nur langsam graduell ansteigendes Problem ist und der Journalismus eher auf konkrete Ereignisse und Konflikte reagiert. Aber nun befinden wir uns eben im Krisenmodus. Der Klimawandel wird als akute Bedrohung verstanden, über die wir reden und wegen der wir jetzt handeln müssen. Das ist der Grund, warum nun so viele verschiedene Akteure in die Debatte einsteigen.

Die Klimadebatte wird ja auch in sozialen Netzwerken stark geführt. Welche Rolle spielen diese Netzwerke für die Wahrnehmung des Themas?

Die sozialen Netzwerke sind für alle Seiten des politischen Spektrums sehr nützlich. Insofern sind diese Medien als solche erst einmal neutral. Sowohl Leugner des Klimawandels als auch Klimaschützerinnen und Klimaschützer können sich online miteinander vernetzen und organisieren. Die Seite, die den menschlichen Einfluss auf die Erderwärmung verneint, profitiert davon, online scheinbar gleichwertig neben seriösen und gut recherchierten journalistischen Angeboten zu stehen.

Ist die Leugnung des Klimawandels ein neues Phänomen?

Der Ursprung der Leugnung des Klimawandels liegt in einer schon dreißig Jahre zurückliegenden Kampagne in den USA. In den 80er- und 90er-Jahren haben dort Akteure der Öl-, Gas- und Energieindustrie beschlossen, Kampagnen zu finanzieren, um systematisch Zweifel an der Klimawissenschaft zu säen und dadurch Klimaschutzmaßnahmen zu verhindern. Es wurden Think Tanks, Pseudoexperten, Konferenzen und auch Webseiten finanziert, die die Klimawissenschaft angreifen und deren Ergebnisse in Zweifel ziehen sollten. Diese Kampagne hat sich längst verselbständigt und globalisiert. In Deutschland spielt sie allerdings nicht annähernd die Rolle wie in den USA. Dort ist ein Leugner des Klimawandels Präsident, und auch für die restliche politische Elite spielt das Thema eine große Rolle. Hierzulande findet es sich eher am extremen rechten Rand, bei der AfD.

Welches aber doch vom Journalismus sehr stark aufgegriffen, quasi aus dieser Ecke herausgehoben wird?

„Der Journalismus widmet der Leugnung des Klimawandels zu viel Aufmerksamkeit.“ Michael Brüggemann
Ja, der Journalismus greift gerne extreme Meinungen auf und stellt sie gegenüber, möchte gerne den Konflikt haben, der Aufmerksamkeit erregt. Nun ist es beim Klimawandel aber so, dass man da über den wissenschaftlichen Grundkonsens nicht wirklich streiten kann. Unter Klimaforschern und -forscherinnen gibt es über die Existenz des anthropogenen Klimawandels keinen Streit. Deswegen werden dann, zum Beispiel für Talkshows, insbesondere im amerikanischen Fernsehen, fachfremde, extreme Stimmen gesucht, die alles in Zweifel ziehen. Der Journalismus widmet der Leugnung des Klimawandels zu viel Aufmerksamkeit.

Beim Journalismus kommt noch das Problem der „false balance“ (falsche Ausgewogenheit) hinzu. Es gibt die journalistische Norm, bei strittigen Fakten oder politischen Debatten immer beide Seiten zu Wort kommen zu lassen. Das ist sicherlich erst einmal eine gute Idee. Doch bei Themen, über die gar keine wissenschaftliche Debatte geführt wird, ist es völlig falsch, eine solche ausgewogene Berichterstattung zu bringen, bei der sich eine Klimaforscherin und ein Leugner des Klimawandels gleichberechtigt gegenüberstehen.

Sie selbst haben „sechs Thesen für eine konstruktive Klimakommunikation“ formuliert. Was hat Sie als Wissenschaftler dazu bewogen?

Ich wurde immer wieder in Interviews gefragt, wie man über das Klima kommunizieren sollte. Es ist natürlich ein Unterschied, ob ich wissenschaftliche Studien durchführe oder mir persönlich Gedanken mache, welche Schlussfolgerungen ich daraus für die Praxis ziehen würde. Deshalb trenne ich das ganz klar auf unserem Blog, Climate Matters. Die sechs Thesen sind also meine privaten Schlussfolgerungen, die ich aus der jahrelangen Beobachtung der Klimadebatte und unseren durchgeführten Studien ziehe. Ich finde, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben auch eine Bürgerpflicht und dürfen daher  auch ihre eigenen Schlussfolgerungen öffentlich machen, um sie zur Diskussion zu stellen.

Die sechs Thesen für eine konstruktive Klimakommunikation von Michael Brüggemann. Grafik: Wissenschaftskommunikation.de (mit Genehmigung von Michael Brüggemann). Die ausführlichen Thesen finden Sie auf der Seite des Deutschen Klima Konsortiums (DKK).

Was sind die Probleme der Klimakommunikation, die sie in den Thesen beschreiben?

Das Grundproblem der Klimakommunikation war lange Zeit vor allem: Sie hat nicht stattgefunden. Wenn das Thema besprochen wurde, dann wurde es in erster Linie als rein wissenschaftliche Fragestellung abgehandelt. Aber da können wir nicht stehenbleiben. Eine Gesellschaft muss sich irgendwann auch Gedanken darüber machen, welche Schlüsse sie aus den wissenschaftlichen Erkenntnissen zieht. Diese politische Debatte hat jahrelang nicht in ausreichendem Maße stattgefunden. Der Journalismus hat nicht genau genug geschaut, ob unsere Regierung ihre Versprechungen einhält.

„Das Grundproblem der Klimakommunikation war lange Zeit vor allem: Sie hat nicht stattgefunden.“ Michael Brüggemann
Hinzu kommt noch das Problem der Polarisierung. Die Gefahr besteht, dass die Klimadebatte die Gesellschaft entzweit, dass sie in zwei Lager zerfällt, die sich nicht mehr miteinander verständigen können. In den USA sehen wir das schon, und zwar ganz extrem: Ein Lager bestreitet, dass es den Klimawandel überhaupt gibt, das andere Lager will den Klimaschutz voranbringen. Beide können nicht mehr wirklich miteinander reden. Ein Risiko, das auch hierzulande besteht, wenn die andere Seite angefeindet, wenn die Menschen als Gruppe angegriffen werden, statt sich über das eigentliche Problem zu unterhalten.

Wie sieht nun eine konstruktive Kommunikation über den Klimawandel aus?

Das ist eine Kommunikation, die nicht Menschen wechselseitig als Klimasünder oder Lügnerinnen beschimpfen, sondern eine, bei der wir uns die Frage stellen: Was können wir alle, als Gesellschaft, tun? In welcher Welt wollen wir leben und wie können wir diese errichten? An dieser konstruktiven Frage müssen alle gesellschaftlichen Kräfte beteiligt werden. Tatsächlich findet eine solche Debatte ja auch mitunter statt und wir hören viele gute Vorschläge. Die Herausforderung wird nun vor allem sein, dranzubleiben und kontinuierlich zu schauen, ob auch wirklich Fortschritte erzielt werden.