Foto: Chuttersnap, CC0

Vom Labor in die Massen­medien

Eine neue wissenschaftliche Erkenntnis muss auf ihrem Weg in die journalistische Berichterstattung einige Hürden und Engpässe überwinden. Redakteurin Marleen Halbach berichtet im Gastbeitrag, wie das Science Media Center Themen wie Politisierung, Themen- und Expertenauswahl in der deutschen Medienlandschaft beobachtet und darauf reagiert.

Auf die steigende wissenschaftliche Publikationsflut reagiert das System Journalismus bei der Themenauswahl mit extremer Selektivität. Das Science Media Center (SMC) beobachtet und begleitet viele Wissenschaftsthemen auf ihrer Reise aus der Fachdisziplin in die Massenmedien und hat es sich zur Aufgabe gemacht, diesen journalistischen Auswahlprozess an einigen Stellen zu unterstützen. Wir wollen eine Art Radarschirm werden, der Hochrelevantes aus der Forschung frühzeitig sichtbar macht. Einen Großteil des Alltags der SMC-Redaktion bestimmt daher die systematische Beobachtung aufkommender Wissenschaftsthemen in Fachjournals sowie das systematische Monitoring der journalistischen Auswahlentscheidungen der aktuellen Berichterstattung über viele Medien hinweg. Bei dieser täglichen Beobachtung der beiden Systeme Wissenschaft und journalistische Massenmedien lassen sich einige Regelmäßigkeiten, aber auch Ungereimtheiten beobachten, die praktische Relevanz für den Wissenschaftsjournalismus und die Wissenschaftskommunikation haben können.

Wachsende Politisierung von Wissenschaftsthemen

Sobald sich politische Akteure zu einem Thema mit Wissenschaftsbezug äußern und in ihre Agenda einbetten, landen Themen eher im Politik- oder Wirtschaftsressort als in den Wissenschaftsredaktionen. Damit einher geht oft eine stärkere Resistenz gegenüber etablierten wissenschaftlichen Fakten bzw. Expertenmeinungen relevanter Fachdisziplinen. Sie finden in der Berichterstattung wenig Raum. Am Beispiel Glyphosat zeigte sich dieses Phänomen recht deutlich.

Darum ging’s

Glyphosat ist das weltweit am meisten eingesetzte Totalherbizid in Pflanzenschutzmitteln, das spätestens seit März 2015 für mediale Furore sorgt, als die internationale Krebsagentur (IARC) eine Neubewertung des Herbizids vornahm. Zudem sollte die europaweite Zulassung des Wirkstoffs Mitte 2016 auslaufen, die Hersteller hatten eine Wiederzulassung beantragt. Deshalb musste eine neue Bewertung der Wirkung des Herbizids auf Mensch und Umwelt her. Eine mögliche krebsverursachende Wirkung des Stoffs stand dabei im Mittelpunkt, weil die IARC den Wirkstoff in einer umstrittenen Entscheidung als wahrscheinlich krebserregend eingestuft hatte. Nach endlosem Hin und Her und mehrmaligem Aufschub der Entscheidung entschied die qualifizierte Mehrheit der Mitgliedsstaaten der Europäischen Kommission eine Wiederzulassung um weitere fünf Jahre – die deutschen Stimmen waren dabei mitentscheidend.

In den medialen Berichten über die möglicherweise krebserregende Wirkung des Stoffes gerieten immer wieder wissenschaftliche Aspekte durcheinander, wie zum Beispiel, warum zwei Behörden zu unterschiedlichen Bewertungen von Glyphosat kommen konnten und was das zu bedeuten hat. An dieser Stelle hätte wissenschaftliche Expertise rasch Klarheit schaffen können, aber die Wissenschaftler mit echter Expertise kamen fast überhaupt nicht zu Wort. Das SMC hat viermal Expertenstatements zum Thema versendet, die jedoch kaum bis gar nicht in die aktuelle Berichterstattung eingeflossen sind, obwohl sie jeweils rechtzeitig verfügbar waren. Die dominierenden Akteure in der Berichterstattung waren Politiker unterschiedlicher Parteien sowie NGOs wie der BUND oder Greenpeace. Nur selten gab es in den anderthalb Jahren der intensiven Berichterstattung über Glyphosat inhaltlichen Input von Wissenschaftsjournalisten. Unabhängige Wissenschaftler, die Expertise in der Sache hatte, wurden geflissentlich ignoriert, wenn deren Statements nicht zu den Thesen der interessengeleiteten Akteure passten. Eine gute, evidenzbasierte Erklärung für diese hochselektive Auswahl von Expertise gibt es zumindest aus Sicht des SMC bisher nicht. Daniel Nölleke hat in seinem Buch „Experten im Journalismus“ die „Instrumentelle Inszenierung“ von Experten beschrieben, um eigene Meinungen von Journalisten oder die intendierte Dramaturgie eines Beitrags zu stützen. Fakt ist: Zuverlässiges Wissen und der Wissenschaftsjournalismus spielten – von wenigen Ausnahmen abgesehen – in der Glyphosat-Debatte allenfalls eine Nebenrolle.  

Was man sich wünschen könnte, sind stärker vernetzte Ressorts, die sich gegenseitig mit ihrer jeweiligen Expertise einbringen und wissenschaftliche Evidenz nicht nur als bloße Meinungsäußerung betrachten. Oder zumindest mehr Aufmerksamkeit unter allen Journalisten für Fragestellungen, zu denen die Wissenschaft zuverlässiges und sicheres Wissen beitragen kann. Das SMC hat sich entschieden, Kontakte vermehrt in wissenschaftsferne Ressorts zu knüpfen, um unsere Expertenstatements auch in fachfremden aktuellen Ressorts als Unterstützung anzubieten.

Kongruente Auswahl von Wissenschaftsthemen

In der SMC-Redaktion beobachten wir inzwischen rund 250 wissenschaftliche Journale. Ziel ist es, berichtenswerte Ergebnisse zu identifizieren, bei denen die Expertise von Wissenschaftlern Journalisten bei ihren Berichten helfen kann, bevor die Schlagzeilen entstehen. Die Vorhersage der Auswahl von Themen seitens der Journalisten gleicht dem täglichen Blick in die Glaskugel. Haben Journalisten das entsprechende Fachjournal auf dem Schirm? Werden sie das Thema aufgreifen und berichten? Wenn ja, mit welchem Dreh? Wenn nein, kann es sein, dass wichtige entscheidungsrelevante Ergebnisse, über die berichtet werden sollte, übersehen werden? Können Experten und damit das SMC einen Unterschied in der Berichterstattung machen? Aus Sicht des SMC gibt es einige Eigenschaften und Umstände, die eine Vorhersage über mögliche Auswahlentscheidungen zumindest wahrscheinlicher machen. Berichten Forscher zum Beispiel über die Erfolgsgeschichte einer sich selbst klonenden Krabbe oder über urzeitliche Spinnen mit Schwänzen, dann landet das Thema relativ sicher in den Medien. Tiergeschichten gehören in all ihren Facetten zum festen Wissenschafts-Potpourri des Tages, bedürfen nach Auffassung des SMC jedoch in den meisten Fällen keiner weiteren wissenschaftlichen Einordnung.

Warum? So wählt das SMC Themen aus

Das SMC möchte wissenschaftliche Expertise, meist in Form von Expertenstatements, zu Public Issues – also Themen mit gesellschaftlicher Bedeutung – anbieten. Zu welchem Issue das SMC aktiv wird, richtet sich nach der Relevanz für den Leser, Zuschauer, Zuhörer. Dabei geht es nicht primär darum, Themen zu bedienen, die das Publikum von vorneherein interessieren, sondern gerade solche, über die ein jeder Bescheid wissen sollte, um sich eine Meinung bilden zu können oder Themen, bei denen wissenschaftliche Expertise zur politischen Entscheidungsfindung beitragen kann.

In vielen Fällen hilft selbst der routinierte Blick einer erfahrenen Wissenschaftsredaktion in die Glaskugel nicht. Vorhersagen über die tatsächliche Berichterstattung erweisen sich als falsch. Am Thema selbst kann es nicht immer liegen. Denn obwohl über bestimmte Themen etwa in den USA oder England manchmal in nahezu allen Medien berichtet wird, erscheinen in Deutschland dazu manchmal nur eine sich Null annähernde Anzahl von Berichten. Manchmal ist die Berichterstattung auch einfach nur verzögert oder nur einzelne Redaktionen greifen das Thema auf. Das wichtige Public Issue Negative Emissionen und ihr Potenzial im Kampf gegen den Klimawandel fand breite Aufmerksamkeit in den internationalen Medien, als der wissenschaftliche Beirat der Europäischen Akademien (EASAC) Anfang Februar einen überraschenden Bericht dazu veröffentlichte. Auch das SMC schickte dazu Statements von acht wissenschaftlichen Experten an deutschsprachige Journalisten, aber das Thema blieb hierzulande trotzdem weitestgehend unberücksichtigt. Über die Gründe dieser überregionalen Diskrepanzen der Auswahlentscheidungen lässt sich momentan nur spekulieren: das Mediensystem und insbesondere der professionelle Wissenschaftsjournalismus ticken in Deutschland womöglich anders als in den USA oder UK, oder Journalisten gewichten Nachrichtenfaktoren hierzulande anders.

Zu den Mechanismen hinter der Themenauswahl deutscher Medien forscht das SMC derzeit in Kooperation mit Markus Lehmkuhl, Professor für Wissenschaftskommunikation in digitalen Medien am Karlsruher Institut für Technologie. Wir versuchen herauszufinden, welche Wissenschaftsthemen aus Fachzeitschriften in Deutschland kongruent – also von vielen Medien gleichzeitig – berichtet werden und aus welchen wissenschaftlichen Quellen diese stammen. Natürlich gibt es auch in Deutschland kongruent aufgegriffene Themen. Die geklonten Affen aus China, die Ende Februar über die Bildschirme flimmerten, könnten als gutes Beispiel dienen. Nach eigenen, noch unsystematischen Beobachtungen stammen kongruente Themen häufiger aus hochgerankten Journals, die viele Journalisten auf dem Schirm haben und die durch zusätzliche Vorankündigungen und Pressemitteilungen des Journals und/oder einer beteiligten Institution mehr Aufmerksamkeit erlangen. Möglicherweise werden Paper in den Top-Journals häufiger ausgewählt, weil sie bekannter sind als andere und Journalisten als Attraktor inmitten des Überangebots an potenziellen wissenschaftlichen Publikationen dienen. Es gibt jedoch Ausnahmen von dieser Regel, deren Gründe wir ermitteln wollen.

Expertenauswahl

In dem Wissen, dass viele Journalisten in ihrem Alltag immer weniger Zeit haben, um in der Vielzahl von möglichen Experten in relevanten Fachgebieten den einen passenden oder die eine kompetente und aussagewillige Expertin zum Thema zu finden, sucht das SMC zu vielen Public Issues proaktiv fachkundige Experten. Wenn ein Thema dann relevant wird, können wir Journalisten zeitnah mit Einschätzungen und Einordnungen kompetenter Forscher unterstützen. Um sich Experten in unvertrauten Feldern erschließen zu können, entwickeln das SMC-Lab und das KIT-Team um Markus Lehmkuhl Tools, mit denen Journalisten ohne viel Fachwissen reputierte Experten in Deutschland oder anderen Ländern finden können. Der Prototyp eines ExpertExplorer, der die Reputation von Wissenschaftlern in den Bereichen Medizin und Lebenswissenschaften anhand einfacher bibliometrischer Indikatoren ermittelt und automatisiert Forscherlisten erstellt, wird derzeit im SMC optimiert für den Gebrauch durch Journalisten. Wer ihn schon mal testen will, findet ihn auf der Homepage.

Einen Unterschied in der Expertenauswahl in deutschen Medien konnten wir beispielsweise bei dem Thema Insektensterben deutlich feststellen – und zwar zwischen Autoren, die bei uns akkreditiert sind und solchen, die keine Expertenstatements zum Thema vom SMC bekommen hatten. Berichte, die nicht auf SMC-Experten zurückgreifen konnten, befragten typische, nicht-wissenschaftliche Akteure zur Reduktion der Insektenbiomasse: Zu Wort kamen dort der Grünen-Politiker Anton Hofreiter sowie NABU und WWF als NGOs. Wissenschaftliche Experten in der Berichterstattung ließen sich in diesem Fall durch die Bank – sogar in der Tagesschau – auf die Aussendungen des SMC zurückführen.

Es lohnt also, wenn Wissenschaftler über das SMC kommunizieren, bevor Wissenschaft Schlagzeilen macht.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.