Screenshot: Climate Visuals

Transparenz schafft Vertrauen

Wissenschaftliche Ergebnisse sind immer zu einem gewissen Grad unsicher – sollten Forschende das in der öffentlichen Kommunikation thematisieren? Die Kommunikationswissenschaftlerin Senja Post nennt im Interview gleich mehrere Gründe dafür.

Frau Post, Sie haben kürzlich bei einer Veranstaltung in Berlin gefordert, die Wissenschaftskommunikation müsse sich „aus der Komfortzone begeben“ – und auch Unsicherheiten deutlich benennen. Welche Unsicherheit meinen Sie?

Bei allen wissenschaftlichen Befunden muss man ja bestimmte Ungewissheiten mitdenken: Es gibt in der Statistik immer eine Fehlertoleranz, und theoretische Modelle bilden selten die Realität eins zu eins ab. Hinzu kommt die grundlegende Ungewissheit in Bezug auf künftige Entwicklungen. Wir wissen heute noch nicht, was wir morgen herausfinden und erforschen werden – und welche Annahmen wir deshalb vielleicht über den Haufen werfen müssen. Wenn Forschende etwas als wissenschaftlichen Fakt bezeichnen, ist ihnen bewusst, dass damit eine gewisse Vorläufigkeit einhergeht. Der Öffentlichkeit ist dies aber nicht unbedingt klar.

Porträt von Senja Post
Senja Post ist promovierte Kommunikationswissenschaftlerin und Professorin für Wissenschaftskommunikation in den Lebenswissenschaften an der Universität Göttingen. In ihrer Forschung beschäftigt sie sich unter anderem mit der Kommunikation des Klimawandels und von wissenschaftlicher Unsicherheit. Foto: John Flury

Ist es denn nicht kontraproduktiv, die Öffentlichkeit auf diese Unsicherheiten aufmerksam zu machen? Können das nicht zum Beispiel politisch interessierte Gruppen nutzen, um Forschung zu diskreditieren?

Das ist zu kurz gedacht. Denn einmal weiter überlegt: Wenn ich als Forscherin Unsicherheiten nicht transparent mache – diese aber existieren, weil sie zum wissenschaftlichen Arbeiten eben dazugehören –, dann ist doch gerade das ein gefundenes Fressen für Gruppen, denen meine Forschung nicht passt. Wenn jemand darauf hinweist, dass ich nicht die ganze Wahrheit sage, bekommt er die Deutungshoheit über die Ungewissheit. Strategisch günstiger ist es da, von sich aus Unsicherheiten zu benennen. Wir wissen auch aus Studien, dass dies die Glaubwürdigkeit von Forschenden erhöht und nicht etwa vermindert. Und es versetzt sie in die Lage, die Unsicherheiten selbst zu erläutern und in den richtigen Kontext zu stellen. Aber auch aus gesellschaftlicher Sicht spricht viel für die Kommunikation von Unsicherheit.

Inwiefern?

Wenn man wissenschaftliche Ergebnisse als unumstößlich darstellt, fördert man falsche Vorstellungen davon, wie Wissenschaft funktioniert und was sie für die Gesellschaft leisten kann. Zum Beispiel kann uns Wissenschaft keine Garantie dafür geben, dass wir politisch richtige Entscheidungen treffen. Trotzdem bietet sie uns bei gesellschaftlichen Problemen Orientierung – aber nur, wenn wir die Verlässlichkeit von Resultaten angemessen einschätzen. Manche Erkenntnisse sind aufgrund des Forschungsstandes ungewisser als andere. Nehmen wir das Beispiel Klimawandel: Einige Folgen sind mit relativ hoher Sicherheit absehbar. Hinter anderen steht ein größeres Fragezeichen. Rational wäre es vermutlich, wenn wir als Gesellschaft zunächst viel Energie investierten, um uns auf die absehbaren Folgen vorzubereiten, und zu den ungewisseren Folgen mehr Forschung betreiben. Solche Priorisierungen sind aber nur dann möglich, wenn die Ungewissheitsgrade von Erkentnissen in der öffentlichen Debatte berücksichtigt und nicht alle potentiellen Folgen in einen Topf geworfen werden.

„Ich glaube, dass viele Forschende unterschätzen, wie gut man den meisten wissenschaftlichen Laien Unsicherheiten erklären kann.“ Senja Post
Welche empirischen Befunde gibt es dazu, wie die Öffentlichkeit auf das transparente Kommunizieren von Unsicherheit reagiert? Verlangen die Menschen nicht nach eindeutigen Antworten?

Das hängt sicher vom Typ ab. Ich glaube, dass viele Forschende unterschätzen, wie gut man den meisten wissenschaftlichen Laien Unsicherheiten erklären kann. Außerdem gibt es das gut belegte Phänomen der „Wissensillusion“: Je einfacher, also auch je eindeutiger wissenschaftliche Information dargestellt wird, desto eher verleitet das Menschen dazu, anzunehmen, sie würden sich mit einem Thema sehr gut auskennen. Das führt dazu, dass manche nach ein paar Medienbeiträgen zu einer Sache glauben, es so gut zu wissen wie echte Expertinnen und Experten. Werden dagegen Unsicherheiten kommuniziert, befähigt das wissenschaftliche Laien, ihre eigenen Kenntnisse realistischer einzuschätzen.

Eine wichtige Schnittstelle zwischen der Wissenschaft und Öffentlichkeit sind die Medien. Vermitteln sie Unsicherheit in ausreichendem Umfang?

Es ist natürlich kein Geheimnis, dass Journalistinnen und Journalisten lieber eindeutige Aussagen möchten – auch wenn es große Unterschiede zwischen verschiedenen Redaktionen und Ressorts gibt. Gerade im Wissenschaftsjournalismus habe ich aber den Eindruck, dass es eine große Sensibilität für Aspekte wie Komplexitätsvermittlung und das Benennen von Unsicherheiten gibt. Als Bürgerin würde ich mir wünschen, dass es im Journalismus mehr Meta-Diskurse über solche Dinge gibt, also: Was hat es für Folgen, wenn ich Unsicherheiten immer herunterspiele – zum Beispiel für das Vertrauen der Menschen in die Forschung oder ihre Ansprüche an Wissenschaft? Aber natürlich weiß ich auch, dass die Arbeitsbedingungen in den Medien vielen Beschäftigten immer weniger Zeit für solche Reflexion lassen.

„So tragen die Medien auch dazu bei, dass politische Diskussionen immer undifferenzierter verlaufen und sich Gräben in der Gesellschaft verbreitern.“ Senja Post
Was könnte sich kurzfristig ändern?

Ich würde mir wünschen, dass der Wissenschaftsjournalismus mehr Raum in der tagesaktuellen Berichterstattung bekommt. Denn viele allgemeine Themen berühren harte wissenschaftliche Fragen: die Umwandlung des Energiesektors, der Klimawandel, Pestizide in der Landwirtschaft und so weiter. In Ressorts wie Politik und Wirtschaft wird aber meist noch viel weniger auf wissenschaftliche Ungewissheiten eingegangen. Außerdem sollte man bedenken: Es mag vielleicht sein, dass zugespitzte, eindeutige Aussagen leichter verständlich sind und ein größeres Interesse bei Leserinnen und Lesern wecken. Als Journalistin muss mir dabei allerdings klar sein: Genau solche Aussagen lassen sich dann auch wunderbar von interessierten Parteien in politischen Debatten verwenden – als scheinbar eindeutige, zwingende Argumente für oder gegen politische Aktionsprogramme. So tragen die Medien auch dazu bei, dass politische Diskussionen immer undifferenzierter verlaufen und sich Gräben in der Gesellschaft verbreitern.

Mal angenommen, bei einer Professorin für Atmosphärenphysik fragt ein Boulevardmagazin an: Sie machen etwas über den Klimawandel und hätten dazu gern ein Interview. Die Forscherin hat Angst, dass ihre Erkenntnisse im Beitrag viel zu simpel dargestellt werden. Sollte sie sich trotzdem darauf einlassen?

Das ist natürlich auch eine Frage der eigenen Risikobereitschaft. Ich persönlich würde immer den Standpunkt vertreten: Das Gespräch zusagen und alles dafür tun, dass es ein vernünftiges Interview wird. Auch weil ich denke, dass Forschende zunächst einmal grundsätzlich zur Kommunikation mit der Gesellschaft verpflichtet sind, die ja ihre Arbeit finanziert. Was der Journalist oder die Journalistin dann daraus macht, liegt nicht in meiner Hand. Wenn Forschende mit einem Medium oder einer Redaktion schon schlechte Erfahrungen gemacht haben und deshalb beim nächsten Mal ein Interview ablehnen, kann ich das menschlich natürlich auch gut verstehen.

„Klimaforschende rechtfertigten Pointierungen wie das Weglassen von Unsicherheit damit, dass sie vermeintliche Versäumnisse der Medien korrigieren müssen.“ Senja Post
Sie haben selbst eine Befragung darüber veröffentlicht, unter welchen Umständen Forschende selbst eine Zuspitzung ihrer Ergebnisse für gerechtfertigt halten. Was kam dabei heraus?

Wir haben im Jahr 2015 deutsche Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler dazu befragt. Zum einen spielten persönliche Gründe eine Rolle. Forschende, die der Überzeugung waren, dass ihnen eine größere Medienpräsenz bei der eigenen wissenschaftlichen Karriere nützt, hielten Zuspitzungen wissenschaftlicher Erkenntnisse in der Öffentlichkeit eher für gerechtfertigt. Außerdem zeigte sich: Manche Forschenden hatten den Eindruck, dass die Medien den Klimawandel verharmlosen, und sie befürchteten, dass Politiker davon beeinflusst werden. Je mehr das der Fall war, desto akzeptabler fanden sie es, wissenschaftliche Erkenntnisse in der Öffentlichkeit zuzuspitzen. Sie rechtfertigten Pointierungen wie das Weglassen von Unsicherheit also damit, dass sie vermeintliche Versäumnisse der Medien korrigieren müssen, um die Öffentlichkeit über den Klimawandel aufzurütteln – und letztlich auch die Politik.

Was wissen wir darüber, inwiefern sich Politikerinnen und Politiker überhaupt aus den Medien informieren? Es gibt dafür doch auch wissenschaftliche Politikberatung.

Zumindest war das eine der Grundannahmen der von uns befragten Forschenden: Viele gingen davon aus, dass die Art der Berichterstattung beeinflusst, wie Politiker über den Klimawandel denken. Dass die Medien einen Einfluss auf die politische Agenda nehmen, ist unbestreitbar. Politikerinnen und Politiker sagen zum Beispiel in Befragungen, dass sie die Presse zu ihrem Spezialgebiet aufmerksam verfolgen und dass die Berichterstattung ihre eigene Themensetzung beeinflusst. Und denken Sie etwa an das sogenannte Klimapaket, das Ende 2019 verabschiedet wurde: Hätten die Fridays-for-Future-Proteste nicht so eine große Medienpräsenz erhalten, hätte die Koalition vermutlich nicht so plötzlich die Klimapolitik ins Zentrum ihrer Anstrengungen gestellt, sondern – wie in den Jahren zuvor – eher andere Akzente gesetzt.