Foto: Chris Montgomery

Studium generale digital – Bürgeruni in pandemischen Zeiten

Klappt das Format Bürgeruni auch digital? Was muss verändert werden, um es auch per Videoschalte Dialog zu ermöglichen? Und wird das Format dann noch genauso angenommen? Das Studium-generale-Team der Universität Mainz hat es ausprobiert und teilt Erfahrungen und Monitoringergebnisse im Gastbeitrag.

In der Pandemie zeigt sich wie im Brennglas: digitale Präsenz und mediale Inszenierungen werden für die Vermittlung und Rezeption wissenschaftlicher Themen immer wichtiger, zumal bei drängenden und gesellschaftlich relevanten Fragen. Doch wie können auch Formate, die nicht von vorneherein auf digitale Verwertung ausgerichtet waren, an digitale Anforderungen angepasst werden? Und wie kann das an den Universitäten und Hochschulen unzweifelhaft vorhandene Wissen zu wichtigen Fragen der Gegenwart diskutiert werden – gerade in einer Situation, wo direkte Kommunikation nicht oder fast nicht möglich ist?

„Die große Herausforderung war, solche Erfolgsmodelle in ein pandemiegeeignetes Format zu übertragen und dabei die gewachsene Verbundenheit und Glaubwürdigkeit zu bewahren.“ Hütig, Fetzer, Vogt
Eine Antwort lautet: virtuelle oder digitale Bürgeruniversität beziehungsweise Studium generale online. Schon lange gibt es analoge, gut etablierte und regional bestens angenommenen Formate der Interaktion und Kommunikation zwischen Forschenden und außeruniversitärem Publikum rund um Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Akademien. Die große Herausforderung war, solche Erfolgsmodelle in ein pandemiegeeignetes Format zu übertragen und dabei die gewachsene Verbundenheit und Glaubwürdigkeit zu bewahren. Dazu richten Hochschulen z.B. – etwa die Universität Düsseldorf oder der ostbayerische Hochschulverbund TRIO – Online-Formate verschiedenen Zuschnitts ein.1

An der Johannes Gutenberg-Universität (JGU) Mainz existiert seit 1948/49 – dem Jahr der Wiedergründung der Mainzer Universität – eine eigenständige zentrale Einrichtung, die zunächst propädeutische und allgemeinbildende Angebote für Studierende machte: das Studium generale (STG) der JGU. Seit 1953 wurden auch Gastvorlesungen organisiert, die seit 1958 als „Mainzer Universitätsgespräche“ für interessiertes Publikum auch von außerhalb der JGU geöffnet wurden. Seit 1997 bündeln zwei bis drei Themenschwerpunkte pro Semester Veranstaltungen für Öffentlichkeit und Studierende aller Fächer.2 Seit dem Jahr 2000 ergänzt die Johannes Gutenberg-Stiftungsprofessur (JGSP) das Programm mit hochrangigen Gästen, die vom STG organisatorisch betreut werden. Im Pandemiejahr haben wir das Angebot als und durch Online-Veranstaltungen weitergeführt. Unsere Erfahrungen sind ein Beispiel der Digitalisierung unter Pandemiebedingungen. Sie zeigen aber auch, was nur in Ansätzen in den digitalen Raum zu übersetzen ist.

Im kurzfristig digitalisierten Sommersemester 2020 – der erste Lockdown begann Mitte März, die hochschulweite Entscheidung über den Verzicht auf Präsenzveranstaltungen fiel kurz darauf, die Reihen des STG wurden ebenfalls Ende März abgesagt (beziehungsweise zunächst ins Sommersemester 2021 verschoben) – fanden keine den öffentlichen Reihen vergleichbaren Veranstaltungen statt. Die Studierenden, die sich zu Exportmodulen des STG angemeldete hatten (in gut 10 Prozent der Studiengänge an der JGU möglich), wurden mit Online-Materialien versorgt, die den Baustein abdeckten.3 So konnten zumindest Verzögerungen des Studiums vermieden werden.

Digitale Hörsaaltechnik macht es möglich

Zur Vorbereitung des Wintersemester 2020/21 mussten allerdings Präsenz-, Hybrid- und Digitallehre gleichermaßen geplant und organisiert werden. Schließlich war lange unklar, wie die Pandemielage im Herbst sein würde. Die JGU verfügt allerdings über mehrere Hörsäle mit eingebauter Aufzeichnungs- und Streamingtechnik. Unter Beachtung strenger Hygieneregeln und ohne Publikum konnten Vorträge in Hörsälen und damit in einem einigermaßen gewohnten Setting stattfinden.4

Mittels einer eingebauten Kamera und unter Abnahme des Saalmikros konnten so die ersten Vorträge und eine eingespielte Präsentation aufgenommen werden – ohne Publikum zwar, aber die wichtigen Elemente des Settings waren vorhanden. Mit Hilfe eines End-to-End-Video-Content-Management-System, das mit der Videoplattform der JGU (video.uni-mainz.de) gekoppelt ist, ließ sich dann relativ leicht eine Aufzeichnung vorbereiten sowie eine spätere Nachnutzung organisieren.

Das verwendete Programm bietet zugleich auch die Möglichkeit, einen Livestream im Web zu übertragen. Diese Voraussetzungen ermöglichen trotz Distanz einen lebendigen Charakter der Veranstaltung – wichtig für das Selbstverständnis der Beteiligten und für etablierte Teilnahmegewohnheiten des außeruniversitären Publikums: Das STG versteht sich nicht als Produzent von Online-Materialien, sondern will Wissenschaft anschaulich erfahrbar machen und interaktiv präsentieren.

Auch komplett virtuell funktioniert das Format

Der Stream war auf den Seiten des STG verlinkt; der Link öffnete ein eigenes Browserfenster der Videoplattform. Diese institutionelle Verankerung erhöht nicht nur die Sichtbarkeit der veranstaltenden Einrichtung, sondern ist als Kontextfaktor auch wichtig für die wahrgenommene Glaubwürdigkeit des Angebotes.5 Die integrierte Kommentarfunktion am Livestream wurde zwar aus technischen Gründen6 deaktiviert. Fragen der live Zuschauenden konnten aber per Mail gestellt werden und wurden dann im Hörsaal vorgelesen.

Während des Vortrages kann das Publikum selbstständig zwischen dem Kamerabild der Vortragenden und der Folienansicht wechseln oder diese im Vollbild anschauen; dies gilt auch für die Livestream-Ansicht.

Abb. 1: Screenshot der Aufzeichnung des Vortrags „Klima- und Erdsystemmodellierung: Warum können wir aktuellen Klimamodellen vertrauen?“, 17.11.2020, Prof. Dr. Holger Tost, https://video.uni-mainz.de/Panopto/Pages/Viewer.aspx?id=61c583f0-596a-4a13-b43d-abf300b70a04 (letzter Aufruf 20.03.2021). Screenshot: JGU

Als die Universität dann wieder in den Notbetrieb geschickt wurde, fiel allerdings auch der Zugang zu den Hörsälen weg. Die Vorträge wurden mit dem Videokonferenzsystem BigBlueButton (BBB) durchgeführt, das an der JGU selbst betrieben wird. Die Videokonferenz wurde wieder mit dem Video-CMS gestreamt und aufgezeichnet. An der eigentlichen BBB-Sitzung nehmen dabei wie im realen Hörsaal nur wenige Personen teil: Vortragende*r, Moderator*in und gegebenenfalls vorab bestimmte Teilnehmer*innen der Diskussion. Alle aus ihren jeweiligen Büros oder Homeoffices heraus – natürlich auch aus Basel oder Leipzig. Wie im Hörsaal lässt sich auch in diesem Tool eine Präsentation einspielen.

In BBB kann das Publikum ebenfalls selbst einstellen, ob die Veranstaltung im Vollbild zu sehen sein soll. Die Ansicht der Präsentation kann in diesem Fall allerdings nur der Moderator verändern.

Abb. 2: Screenshot der Aufzeichnung des Vortrags „Digital Humanities. Über Kultur und ihre Wissenschaft, wenn alles anders wird“, Prof. Dr. Gerhard Lauer, 14.01.2021, https://video.uni-mainz.de/Panopto/Pages/Viewer.aspx?id=412bcc77-775c-493c-b033-aca800e9c6f9 (letzter Aufruf 24.03.2021). Screenshot: JGU

Die Zahl der Zugriffe war – bei maßvoll betriebener Bewerbung der Veranstaltungen – ausgesprochen erfreulich, vor allem in der thematisch zugänglicheren Reihe „Klimawandel und Wissenschaft“: Einige Vorträge hatten am Abend bereits Zugriffszahlen im mittleren, einer sogar im hohen dreistelligen Bereich. In den jeweils folgenden Wochen stieg die Gesamtzahl in dieser Reihe mit 10 Vorträgen auf deutlich über 5.000 Zugriffe.

In der zweiten, thematisch spezielleren und eher für ein begrenzteres hochschulinternes Publikum konzipierten Reihe zum Thema „Digital Humanities“ war die Gesamtzahl der Zugriffe etwas bescheidener. Mit insgesamt gut 550 Aufrufen für vier öffentliche Veranstaltungen und weiteren knapp 130 Zugriffen auf zwei aufgezeichnete Vorträge, die nur innerhalb des Lernmanagement-Systems (LMS) der JGU für angemeldete Studierende zugänglich waren, ist aber auch hier eine achtbare Zahl von Interessierten zu vermelden. Dabei entfällt der Großteil der Aufrufe tatsächlich auf den Tag der Ausspielung, also den Livestream bzw. den Tag der Veröffentlichung im LMS.

Diese Grafik zeigt die Aufrufe der Vorträge der Reihe „Klimawandel und Wissenschaft“ über Videoplattform der JGU im zeitlichen Verlauf. Die auf der x-Achse aufgetragenen Wochen beziehen sich dabei auf die seit dem Livestream (bzw. der Veröffentlichung) jeweils vergangene Zeit. Grafik: JGU

Erkennbar ist bei beiden Reihen, dass der Termin der Veranstaltung für die Rezeption durchaus eine Rolle spielt. Dies mag auch der Tatsache geschuldet sein, dass ein Teil des Publikums aus Studierenden bestand, zumal die Inhalte teils in begleitenden Übungen besprochen wurden und also zu einem extern vorgegebenen Zeitpunkt gesehen sein sollten. Aber auch das nicht studentische Publikum ist am Standort Mainz seit langem an regelmäßige Veranstaltungen des Studium generale gewöhnt. Die Vermutung ist also, dass die Hörerin, die gewohnt ist, wöchentlich auf den Campus der JGU zu kommen, auch das ähnliche Online-Angebot so in eigene Zeitpläne integriert.

Diese Grafik zeigt die Aufrufe der Vorträge der Reihe „Digital Humanities“ über Videoplattform und LMS der JGU im zeitlichen Verlauf. Die auf der x-Achse aufgetragenen Wochen beziehen sich dabei auf die seit dem Livestream (bzw. der Veröffentlichung) jeweils vergangene Zeit. Grafik: JGU

Das Fazit also: Das Format Bürgeruniversität lässt sich mit Erfolg in den digitalen Raum übersetzen und kann weiter ein niedrigschwelliges (wenn auch natürlich vorstrukturiertes) Angebot sein. Belegt ist, dass die aktive themenspezifische Suche nach Online-Wissen mit positiven kognitiven Effekten (Wissenszuwachs, aber auch Handlungs- und Verantwortungsbereitschaft) einhergehen kann und Online-Medien für Interessierte also geeignete Quellen darstellen (können) – v.a. wenn Verständlichkeit, Professionalität und Glaubwürdigkeit der dort Agierenden vorhanden sind.7 Selbst wenn die ‚Bordmittel‘ einer solchen Bürgeruniversität kein durchinszeniertes Hochglanzprodukt erlauben, kann auch ein klassisches Format der Wissenschaftskommunikation wie die öffentliche Vortragsreihe auf dem Campus einer Universität unter Pandemiebedingungen digital umgesetzt werden – und dabei sogar teilweise der Charakters als Live-Ereignis beibehalten werden.

Literatur:

Hütig, Andreas; Köhler, Anke; Kurz, Sandra; Lejsek, Vera; Michalik, Monika; Müller, Stephan D.; Oehler, Nina; Röhle, Stefan; Sandri, Sandra; Schuh, Dominik; Weidmann, Adrian (2020): Studium off-campus. Das digitale Sommersemester 2020 an der Johannes Gutenberg-Universität. In: Das Hochschulwesen. Forum für Hochschulforschung, -praxis und -politik. Bd. 68, H. 4/5. S. 119–126.

Hütig, Andreas (2020): Offene Hochschulen, interdisziplinäre Lehre: Das Studium generale als Konzept und Instrument öffentlicher Wissenschaft. In: Selke, Stefan; Neun, Oliver; Jende, Robert; Lessenich, Stephan; Bude, Heinz (Hgg.): Handbuch Öffentliche Soziologie. Öffentliche Wissenschaft und gesellschaftlicher Wandel. Springer VS, Wiesbaden. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-16991-6_24-1.

Krämer, Kim (2021): Das Studium generale an der JGU. Streben nach einer fundierten Allgemeinbildung, in: Krausch, Georg (Hg.): 75 Jahre Johannes Gutenberg-Universität Mainz: Universität in der demokratischen Gesellschaft, Schnell & Steiner, Regensburg, S. 552-559.

Schäfer, Mike S. (2017): Wissenschaftskommunikation Online. In: Bonfadelli, Heinz; Fähnrich, Birte; Lüthje, Corinna; Milde, Jutta; Rhomberg, Markus; Schäfer, Mike (Hgg.): Forschungsfeld Wissenschaftskommunikation. Springer VS, Wiesbaden. DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-658-12898-2_15.

Taddicken, Monika; Neverla, Irene (2011): Klimawandel aus Sicht der Mediennutzer. Multifaktorielles Wirkungsmodell der Medienerfahrung zur komplexen Wissensdomäne Klimawandel. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 59(4), S. 505–525.

Taddicken, Monika; Wicke, Nina; Willems, Katharina (2020): Verständlich und kompetent? Eine Echtzeitanalyse der Wahrnehmung und Beurteilung von Expert*innen in der Wissenschaftskommunikation. In: Medien & Kommunikationswissenschaft, 68(1-2), S. 50–72. DOI: https://doi.org/10.5771/1615-634X-2020-1-2-50.