Foto: Ole Neitzel (CC-BY-SA)

So stehen die Parteien im Bundestag zur Wissenschaftskommunikation

Die Debatte zur Stärkung der Wissenschaftskommunikation im Bundestag zeigte deutliche Spaltungen zwischen den Parteien. Doch was sind die zentralen Streitpunkte? Und wie reagiert die Community?

Applaus, Gelächter, aber auch vereinzelte Buhrufe gab es, als am 13. März der Tagesordnungspunkt „Wissenschaftskommunikation” im Plenarsaal des Bundestages diskutiert wurde. Die Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hatten einen gemeinsamen Antrag vorgelegt, um die Wissenschaftskommunikation „systematisch und umfassend“ zu stärken. 

„Das wirksamste Mittel gegen die Propaganda der AfD bleiben aufgeklärte und mündige Bürgerinnen und Bürger, die an Fakten und nicht an Fake News glauben.“ Dr. Lina Seitzl (SPD-Fraktion)
In ihren Reden verwiesen die Abgeordneten der Fraktionen auf die gemischten Erfahrungen mit der Corona-Pandemie und forderten eine bessere Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse an die Öffentlichkeit. Zudem betonten sie die Notwendigkeit, kommunizierende Wissenschaftler*innen besser vor Anfeindungen zu schützen. Dr. Lina Seitzl (SPD-Fraktion) erklärte, wenn Wissenschaft aus ideologischen Gründen nicht mehr kommuniziert werden dürfe, sei dies nicht nur ein Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit, sondern auch auf die Demokratie. Sie sagte: „Das wirksamste Mittel gegen die Propaganda der AfD bleiben aufgeklärte und mündige Bürgerinnen und Bürger, die an Fakten und nicht an Fake News glauben“. 

Eine höhere Sichtbarkeit und Wertschätzung von Wissenschaftskommunikator*innen und Wissenschaftsjournalist*innen sei zudem notwendig, da sie eine wichtige Instanz im Kampf gegen Falschinformationen und für die Stärkung des Vertrauens in die Wissenschaft seien. 

Holger Mann (SPD-Fraktion) kritisierte, dass im Haushalt des Bundesministeriums für Bildung und Forschung nur jeder tausendste Euro für Wissenschaftskommunikation zur Verfügung stünde. Zwar gebe es bereits Intermediäre wie Wissenschaft im Dialog* und die Science Media Center, es müsse aber noch mehr investiert werden. Das Wissenschaftsbarometer* müsse zu einer „echten, repräsentativen nationalen Erhebung“ werden. Und: „Wissenschaftsjournalismus ist selten finanziell profitabel“, so Mann. Deshalb solle eine Stiftung gegründet werden, die unabhängigen Journalismus als staatsferne Struktur fördert (wir berichteten bereits in der Vergangenheit über entsprechende Vorschläge). 

„Mit diesem Antrag setzen wir auf qualitativ hochwertige Wissenschaftskommunikation und wir setzen uns für unabhängigen Wissenschaftsjournalismus ein.“ Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen)
Auch Kai Gehring (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, dass mehr zeitliche und finanzielle Ressourcen für bessere Bedingungen in der Wissenschaftskommunikation notwendig seien: „Mit diesem Antrag setzen wir auf qualitativ hochwertige Wissenschaftskommunikation und wir setzen uns für unabhängigen Wissenschaftsjournalismus ein.“

SPD, Grüne und FDP plädieren zudem dafür, dass Bürger*innen verstärkt an wissenschaftlichen Projekten teilhaben sollen. Nicht nur für die Wissenschaftscommunity, sondern auch für die Rezipient*innen, wie zum Beispiel Entscheidungsträger*innen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft müssten Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Dr. Holger Becker (SPD) nannte unter anderem die Toolkits und Handbücher der American Association for the Advancement of Science als Inspiration (hier finden Sie die Leitlinien bei uns im Check). 

Antworten der Opposition

Die Unionsfraktion verwies auf die bisherigen Erfolge und Maßnahmen ihrer Regierungszeit und argumentierte, dass sich die Forderungen der Ampel-Fraktionen stark an ihren Bemühungen orientierten und zu wenig Neues oder Konkretes hinzufügen. Man schmücke sich hier mit „fremden Federn“, so Katrin Staffler (CSU). Kritisch äußerte sie sich auch zur Berücksichtigung unterschiedlicher Bildungsgruppen. Menschen mit formal niedriger Bildung hätten in den letzten Jahren rapide an Vertrauen in die Wissenschaft verloren, würden aber im Antrag vernachlässigt. Hier müsse noch nachgebessert werden.

„Frau Ministerin Stark-Watzinger muss zwei Milliarden einsparen. Wo aber weniger geforscht wird, kann auch weniger kommuniziert werden.“ Gitta Connemann (CDU)
Gitta Connemann (CDU) kritisierte, dass die Ampel den Etat für Bildung und Forschung massiv gekürzt habe: „Frau Ministerin Stark-Watzinger muss zwei Milliarden einsparen. Wo aber weniger geforscht wird, kann auch weniger kommuniziert werden.“ Auch die volkswirtschaftliche Perspektive sei im Antrag nicht ausreichend berücksichtigt worden. Connemann: “Denn es sind die Betriebe, die Investitionen und Innovationen umsetzen, die aus Forschung Realität machen.” Die Unionsfraktion forderte daher eine stärkere Förderung des Transfers zwischen Wissenschaft und Wirtschaft sowie die Unterstützung von Open-Access-Plattformen für wissenschaftliche Publikationen. Die CDU/CSU könne dem Antrag nicht zustimmen

Die Linke betonte die Bedeutung einer niederschwelligen Wissenschaftskommunikation, die es allen Menschen ermöglicht, wissenschaftliche Zusammenhänge zu verstehen und sich an der gesellschaftlichen Diskussion darüber zu beteiligen. Besorgt zeigten sie sich auch über Anfeindungen und Angriffe gegen Forschende. Diese seien besonders in der Gender- und Rassismusforschung oder in der Klima- und Gesundheitsforschung spürbar. 

„Wissenschaftskommunikation ist nämlich kein Hobby, und da ist es mittlerweile fast ein bisschen zynisch, wenn die Ampel zwar schreibt, sie wolle Wissenschaftskommunikation stärken, aber dann eben nichts tut gegen die prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft.“ Nicole Gohlke (Die Linke)
Die Partei kritisierte die oft elitäre Wahrnehmung von Wissenschaft. Sie fordert daher eine Öffnung der Kommunikation, um Barrieren abzubauen und den Zugang für alle Bevölkerungsgruppen zu ermöglichen. Dafür seien zusätzliche Mittel und feste Stellen in der Wissenschaft dringend notwendig. Nicole Gohlke (Die Linke) kritisierte: „Wissenschaftskommunikation ist nämlich kein Hobby, und da ist es mittlerweile fast ein bisschen zynisch, wenn die Ampel zwar schreibt, sie wolle Wissenschaftskommunikation stärken, aber dann eben nichts tut gegen die prekäre Beschäftigung in der Wissenschaft.“

Daher drängte die Linke auf konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Bedingungen für eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation und kritisierte das Fehlen entsprechender Maßnahmen im Antrag.

Die AfD kritisierte eine Instrumentalisierung der Wissenschaftskommunikation durch die Regierung, um ideologische Ziele zu verfolgen und politische Entscheidungen zu rechtfertigen. Die Partei warnte vor einer Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit und einem Mangel an offenem Diskurs, insbesondere wenn Forschungsgelder an Kommunikationsauflagen geknüpft würden. Marc Jongen (AfD): „Nicht nur nehmen wissenschaftsfremde Aufgaben auf diese Weise massiv zu, es droht auch ein Wissenschaftler-Typus vorgezogen zu werden.“

Die AfD lehne damit den Antrag ab, da die Regierung in den Augen der Partei die Wissenschaft nicht schütze, sondern ihre Grundlagen untergrabe und sie als Propagandainstrument missbrauche.

Am Ende der Debatte entschied Bundestagsvizepräsidentin Aydan Özuguz (SPD), den Antrag an den Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung für die weitere Diskussion zu überweisen. 

Reaktionen aus der Community

„Schon im Antrag stehen wirklich sehr viele gute Dinge und das hat sich auch in fast allen Redebeiträgen heute so gezeigt.“ Katja Knuth-Herzig
In der Community stießen der Antrag und die Debatte im Bundestag auf großes Interesse. So schrieb die Wissenschaftskommunikatorin Katja Knuth-Herzig auf LinkedIn: „Schon im Antrag stehen wirklich sehr viele gute Dinge und das hat sich auch in fast allen Redebeiträgen heute so gezeigt.“ Sie freue sich, dass das Thema aufgegriffen werde und man nicht vergessen habe, was im Koalitionsvertrag dazu stehe. Cordula Kleidt, Referatsleiterin im BMBF, sagte, sie sei „gespannt auf die weiteren Beratungen im Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung und freue mich über parlamentarischen Rückenwind, u.a. für die #FactoryWisskomm“. Unter den Antworten betonte auch der Quantenphysiker Jens Eisert, wie wichtig es sei, die Wissenschaftskommunikation zu stärken. 

Kristin Raabe, Trainerin für Wissenschaftskommunikation, fand lobenswerte Punkte im Antrag, kritisierte aber, dass aus ihrer Sicht der unabhängige Wissenschaftsjournalismus nur am Rande vorkomme und es noch zu wenig Angebote für diversere Zielgruppen gebe. Dies würde im Antrag überhaupt nicht thematisiert.

Auf X (ehemals Twitter) schrieb die Doktorandin Lena Frewer spöttisch über das Wissenschaftszeitvertragsgesetz: „Man könnte die Wissenschaftskommunikation unter anderem auch dadurch stärken, dass man endlich für faire Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft sorgt, aber was weiß ich“. Der Klimaforscher und Kommunikator Dr. Christian Scharun freute sich dagegen: „‘Wissenschaftskommunikation systematisch und umfassend stärken’, heißt es in einem Antrag, der heute im Bundestag diskutiert wurde. Und auch wenn immer viel über die #Ampel geschimpft wird … DAS ist wirklich eine sehr, sehr gute Idee.“

Die 17 Forderungen des Antrags im Überblick:

  1. Verankerung von Wissenschaftskommunikation auf allen Karrierestufen in der Wissenschaft
  2. Integration der Wissenschaftskommunikation in die Forschungsförderung des BMBF
  3. Förderung des Kompetenzaufbaus für Wissenschaftskommunikation durch ein spezielles Programm
  4. Sichtbarmachung und mögliche Einführung eines hoch dotierten Preises für Wissenschaftskommunikation und Wissenschaftsjournalismus
  5. Anerkennung von Wissenschaftskommunikation bei der Leistungsbeurteilung von Forschenden
  6. Schaffung von Weiterbildungsangeboten im Bereich Wissenschaftskommunikation für Entscheidungsträger*innen in Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft
  7. Stärkung der Fürsorgepflicht bei Bedrohungen und Anfeindungen von Wissenschaftlern und Unterstützung der Anlaufstelle „Scicomm-Support“*.
  8. mit der „Richtlinie zur Förderung von Forschungsvorhaben im Themenfeld Wissenschaftskommunikation“ verstärkt auf die Wirksamkeit und Weiterentwicklung bestehender Formate zu zielen
  9. Ausbau des Wissenschaftsbarometers* zu einer repräsentativen nationalen Befragung
  10. Stärkung der Förderlinie für Citizen Science– und Bürgerwissenschaftsprojekte sowie bereits etablierter Einrichtungen in diesem Bereich
  11. Kontinuierliche Stärkung der Wissenschaftskommunikation in der frühkindlichen und Erwachsenenbildung
  12. Entwicklung weiterer Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung an der Ausrichtung der Forschungspolitik
  13. Förderung der Vernetzung von partizipativ Forschenden und Professionalisierung von Partizipation in der Forschung
  14. Weiterbildungsmöglichkeiten für Ehrenamtliche, Forschende und Wissenschaftsmanager im Bereich Citizen Science
  15. Anerkennung und Verankerung von Citizen Science in Leitbildern und Zielvereinbarungen
  16. Abschluss der Transformation des Publikationswesens in Open-Access- und Open-Science-Formate
  17. Nachhaltige Förderung des unabhängigen Wissenschaftsjournalismus durch unabhängige und staatsferne Strukturen, evtl. durch eine neue Stiftung oder durch den Ausbau bestehender Intermediäre und Aktivitäten

* Wissenschaft im Dialog (WiD) ist einer der drei Träger des Portals Wissenschaftskommunikation.de.

Weiterlesen

Wissenschaft, Agrarindustrie und evidenzbasierte Politik – warum Nähe nicht gleich Einflussnahme ist

Seit April vergangenen Jahres wird über die Reform des EU-Zulassungsverfahrens für genveränderte Pflanzen diskutiert, woraufhin den beratenden Wissenschaftler*innen Interessenskonflikte vorgeworfen wurden. Elisabeth Does, Dorothea Kaufmann und Kevin Roth vom Grünen Netzwerk Evidenzbasierte Politik erklären im Gastbeitrag, was die Anschuldigungen für die Wertschätzung von Forschenden und das Vertrauen in Wissenschaft bedeuten.
Mehr

„Es braucht eine stärkere Stimme für Zivilgesellschaft und Politik im Algorithmendiskurs“

Wie berichten deutsche Medien über Algorithmen und künstliche Intelligenz? Eine Diskursanalyse zeigt, dass wirtschaftliche Themen dominieren. Sarah Fischer von der Bertelsmann Stiftung spricht darüber, welche Perspektiven fehlen und wie diese gestärkt werden könnten. 
Mehr

„Wissenschaft und Forschungs­politik profitieren von der Einbindung der Bürger*innen“

Das Wissenschaftsjahr 2022 rückt Partizipation in den Fokus und sammelt Impulse für die Forschung und Wissenschaftspolitik. Sindy Duong und Anne Overbeck vom Bundesministerium für Bildung und Forschung berichten im Interview über die Neuerungen, Formate und Zielgruppen.
Mehr

„Politik und Wissenschaft folgen unterschiedlichen Logiken“

Viele politische und gesellschaftliche Themen werden vorwiegend als Wissensfragen behandelt. Der typisch politische Aushandlungsprozess gehe dabei verloren, sagt der Soziologie Alexander Bogner. Im Interview spricht er über gemeinsame Wahrheiten, Handlungsoptionen und die Rolle der Wissenschaftskommunikation.
Mehr