Foto: Vlad Tchompalov, CC0 1.0

Science March Deutschland: Rück- und Ausblick

Am 22. April 2017 gingen an über 600 Orten auf der ganzen Welt hunderttausende Menschen “für die Wissenschaft” auf die Straße. Das Medienecho war groß, neben Lob gab es auch Kritik – und nun stellt sich die Frage: Wie geht es weiter? Unser Redaktionsmitglied Christian Humm berichtet und kommentiert.

Allein in Deutschland demonstrierten nach Angaben der Organisatoren 37.000 Menschen, davon 11.000 bei der größten Kundgebung in Berlin. Insgesamt fanden in 67 deutschen Städten Veranstaltungen unter dem Label “March for Science” statt.

Die Forderungen

Diese Aktionen sollten – so das Mission Statement auf marchforscience.de – zum Ausdruck bringen, “dass wissenschaftliche Erkenntnisse als Grundlage des gesellschaftlichen Diskurses nicht verhandelbar sind”. Wissenschaftliche Befunde dürften nicht als bloße Meinung abgetan werden. Außerdem sollten sie den “Wert von Forschung und Wissenschaft” ins öffentliche Bewusstsein zu rücken. Kurz gesagt: “für die Freiheit der Wissenschaft, gegen Populismus und gegen alternative Fakten”. Konkrete Vorschläge, wie die oben erwähnten Ziele umzusetzen sind, gab es hingegen keine.

Dass diese Forderungen tatsächlich eine Art Grundkonsens waren, darauf deuten auch die Ergebnisse einer nicht-repräsentativen Umfrage unter Teilnehmern der deutschen Märsche hin. Die vier meistgenannten Gründe der Demonstrierenden drehten sich um den öffentlichen Stellenwert und die Wahrnehmung von wissenschaftlichen Erkenntnissen sowie deren Bedrohung durch “postfaktisches Denken” und Populismus.

Zusätzlich wurden auf den unterschiedlichen Märschen weitere Forderungen gestellt: In Stuttgart forderte Sarah Graf (AStA Uni Hohenheim) den Zugang zu deutschen Universitäten für ausländische Studierende – die dortige Landesregierung möchte diesen mittels Studiengebühren beschränken. In Heidelberg plädierte Beatrice Lugger für mehr und bessere Wissenschaftskommunikation. Während Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, die radikale Öffnung und Demokratisierung der Wissenschaft forderte. Im Vorfeld gab Tanja Gabriele Baudson, eine der Mitorganisatorinnen des Science March Germany, an “die prekären Arbeitsverhältnisse von Nachwuchswissenschaftlern” thematisieren zu wollen. Auch in den auf wissenschaftskommunikation.de veröffentlichten Statements von Unterstützern findet sich eine große Spannbreite an unterschiedlichen Forderungen.

Reaktionen der Politik

Fast alle größeren Parteien haben sich im Vorfeld positiv zum March for Science geäußert. Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) freute sich darüber, dass die Demonstranten “offensiv für elementare Grundlagen unserer Demokratie” einträten. Für die SPD sprach der bildungs- und forschungspolitische Sprecher, Ernst Dieter Rossmann, von einem “wichtige[n] Signal für die Freiheit von Wissenschaft in global schwierigen Zeiten”. Die Grünen ließen über ihren Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung, Kai Gehring, mitteilen, dass sie an der Seite all derer stünden, “die für freie Wissenschaft und eine starke Zivilgesellschaft auf die Straße gehen”. Verbunden mit der – im Kontext unseres Portals interessanten – Forderung an die Wissenschaft “ihre Alltagsbedeutung erfahrbarer [zu] machen”. Es brauche “Gelegenheiten für den Austausch von der ‘langen Nacht der Wissenschaften’ über den ‘Tag der offenen Tür’ bis hin zum öffentlichen Dialog”.

Einzig die AfD kritisierte den Marsch offen. So schrieb der Wissenschaftspolitische Sprecher der Fraktion der Alternative für Deutschland im Abgeordnetenhaus, Martin Trefzer, der March for Science sei der “Versuch, Wissenschaft und Forschung zu politisieren und berechtigte Kritik an umstrittenen Forschungsansätzen zu diskreditieren”. Zu diesen “Forschungsansätzen” zählte er neben “Gentechnik- und Embryonenforschung” auch “die Geschlechter, Migrations- und Minderheitenforschung, insbesondere die sogenannte ‚Genderforschung‘“.

Medienecho

Robert Mishra befürchtete eine zu starke Fokussierung auf Donald Trump bei den deutschen Märschen. Dies schrieb der Leiter für Wissenschaft an der Deutschen Botschaft in Washington D.C., in einem Newsletter der ZEIT. Eine Befürchtung, die nicht eingetreten ist – doch es war nicht die einzige kritische Stimme in den Medien.

Grundsätzliche Kritik wurde bereits gegenüber den Märschen in den USA laut: Die Demonstration würde die Wissenschaft unnötigerweise politisieren und die  Motive der Demonstranten wurden in Abrede gestellt; letztlich gehe es bloß um den schnöden Mamon.

Martin Ballaschk kritisierte hingegen auf spektrum.de, dass zu Vieles auf den Demonstrationen gar nicht thematisierte werde:

“Die Reproduzierbarkeitskrise, Publikationskrise, Übertragbarkeitskrise, eine ungebrochene Elfenbeinturm-Mentalität, allgemeine Frauen- und Reproduktionsfeindlichkeit, höchst zweifelhaften Karriereanreize, ein in weiten Teilen depressiver und psychisch ausgebrannter Nachwuchs in prekären Abhängigkeitsverhältnissen sind nur einige wenige Beispiele für die vielen gravierenden Probleme. Wie glaubwürdig ist der Marsch also, wenn sie nirgendwo thematisiert werden?”

Die “Schaufensterreden”, die ohne “ganze konkrete Initiativen” niemanden etwas brächten, gerieten bei Peter Nowak in die Kritik. Durch den March for Science werde ein autoritäres Wissenschaftsverständnis vermittelt, in dem die Wissenschaft als Ersatzreligion fungiere. Das Gen-ethische Netzwerk zielte in eine ähnliche Richtung, wenn es konstatiert, dass die Organisatoren, statt die Probleme des Wissenschaftssystems “selbstkritisch anzupacken und Forderungen an sich selbst und die politischen und institutionellen Verantwortlichen zu stellen”, sich nur gegenseitig auf die Schultern klopften.

Dennoch war die Mehrzahl der medialen Berichte wohlwollend oder doch zumindest neutral und die Organisatoren der Märsche bekamen vielfach Gelegenheit ihre Beweggründe darzustellen1.

(Miss-) Erfolg?

War der Science March Germany also ein Erfolg? Kurzfristig sicherlich. Die Zahl der Teilnehmenden und die überwiegend positiven Reaktionen aus Presse und Politik sprechen dafür. Ob sich allerdings auch ein mittel- und langfristiger Effekt einstellt, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer abzusehen. Dazu müsste aus den einmaligen Demonstrationen eine dauerhafte Bewegung werden, die sich auch über konkrete Forderungen einig wird.

Eintagsfliege oder dauerhaftes Thema? Nachlassendes Interesse an den Suchbegriffen „Science March“ und „March for Science“ bei Google in Deutschland2:

Quelle: Google Trends.

Wenn man den Stellenwert und die Akzeptanz der Wissenschaft in der Gesellschaft stärken möchte, dann gehen damit zudem eine ganze Reihe von Fragen einher. Insbesondere auch im Hinblick auf eine erfolgreiche Wissenschaftskommunikation: Wie kommuniziert man zum Beispiel, dass Forschungsergebnisse nur so lange gültig sind, bis sie widerlegt werden – und dass sie sich auch schon mal widersprechen können? Wie werden Skandale und Fehler erklärt, die auch im Wissenschaftssystem vorkommen? Was tun bei medial aufgebauschten oder falsch dargestellten Befunden? Soll man Interessenkonflikte klar benennen? Wie vermittelt man Risiken, die durch neue Erfindungen erst geschaffen werden? Wie legitimiert man, dass Geld in das Wissenschaftssystem fließen soll und nicht etwa in Kinderbetreuung? Wie reagiert man auf Kritik an bestimmten Forschungsbereichen, wie zum Beispiel Tierversuchen oder militärischer Forschung? Wie kann man deutlich machen, dass wissenschaftliche Befunde nicht automatisch eine Anleitung für gute Politik liefern? Dies sind nur einige der drängenden Fragen, auf die eine Antwort gefunden werden müsste, wenn die Forderung des March for Science mit Leben gefüllt werden soll.

Und es stellt sich ein weiteres fundamentales Problem: Wie Jene erreichen – und idealerweise auch überzeugen –, die der Wissenschaft skeptisch oder gar komplett ablehnend gegenüberstehen? Bei der oben schon angesprochenen nicht-repräsentativen Umfrage unter Teilnehmern der deutschen Demonstrationen gaben fast 70 % der Befragten an einen Hochschulabschluss zu besitzen, 90 % mindestens die (Fach-) Hochschulreife. Zum Vergleich: 2015 hatten, laut Statistischem Bundesamt, 29,5 % der deutschen Bevölkerung eine (Fach-) Hochschulreife und 15,2 % einen Hochschulabschluss.

Immerhin stellen sich auch die Organisatoren die Frage, wie es weitergehen könnte, und haben dazu eine Umfrage online gestellt. Außerdem finden am 18. Mai in Heidelberg und am 8. Juli in Berlin jeweils Konferenzen statt, die sich dem Thema widmen.