Science March in Frankfurt am Main (Foto: Annette Leßmöllmann)

Eindrücke vom #ScienceMarchGER

Am Samstag fanden weltweit zahlreiche Märsche für die Wissenschaft statt. Und auch in 22 Städten in Deutschland gingen Menschen für die Wissenschaft auf die Straße. Die Redaktion von Wissenschaftskommunikation.de nahm in Berlin, Stuttgart, Heidelberg und Frankfurt am Main teil und berichtet hier von ihren Eindrücken.

Berlin singt für freie Wissenschaft

von Esther Kähler

Es ist Earth Day. Die Sonne scheint, der Wind fegt und in Berlin spazieren tausende Wissenschaftsbefürworter*innen vom Hauptgebäude der Humboldt Universität zum Brandenburger Tor. Plakate mit Sprüchen wie „Forschung zweifelt“ oder „In Peer Review we trust“ ragen aus der Menge heraus. Musik spielt, Pfeifen trillern, aber Parolen werden nicht gerufen. Die Botschaft ist dennoch klar: Für die Freiheit der Wissenschaft.

Die Menge stoppt vor einer Bühne am Brandenburger Tor, auf der Ranga Yogeshwar durch das Programm führt: Präsident*innen und Vorsitzende diverser Forschungseinrichtungen halten – ganz in wissenschaftlicher Manier – gut strukturierte Reden. Ein Chor singt und neben den gestandenen Wissenschaftler*innen erklärt auch die studentische Initiatorin Sara Krieg, warum für sie der March for Science wichtig ist. Alle Reden, die auf der Berliner Bühne gehalten wurden, sind auf der Webseite der Organisatoren im Programm verlinkt. Das Programm wird in Gebärdensprache übersetzt. Den krönenden Abschluss bildet der Chor, dem sich auch viele aus dem Publikum anschließen und die Veranstaltung mit dem Lied „Die Gedanken sind frei“ beendet.

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Weitere Informationen zum Science March in Berlin und wie es nun weitergehen soll finden Sie auf Facebook, Twitter und der Webseite der Berliner Organisatoren.


Eine kleine aber feine Kundgebung in Stuttgart

von Dr. Ulrike Brandt-Bohne

In Baden-Württemberg gab es gleich in vier Städten Science Marches. Aufgrund der örtlichen Nähe zu Tübingen und Heidelberg fand in Stuttgart eine vergleichsweise kleine Veranstaltung mit 400 Demonstranten statt. Bei der Kundgebung am Schlossplatz wurde dazu eingeladen, sich dem Marsch in Tübingen anzuschließen. Das Wetter war trüb, die Stimmung der Teilnehmer ruhig und interessiert. Alle Altersgruppen bis hin zum Neugeborenen in der Tragetasche einer der Organisatorinnen waren bei dem ca. einstündigen Programm, moderiert von Christoph Houtman, dem Pressesprecher der Giordano-Bruno-Stiftung, vertreten.

Wolfram Ressel, Rektor der Universität Stuttgart betonte, wie wichtig es aus Sicht der Universität sei, sich gegen alternative Fakten zu stellen, ausländische Studierende aufzunehmen und die Vielfalt zu befürwortet. Sarah Graf, AStA Vorsitzende der Uni Hohenheim unterstrich dies und kritisierte in diesem Kontext die geplanten Studiengebühren. „Wir Studierende wollen, dass Personen verschiedener nationaler und sozialer Herkunft weiterhin an Wissenschaft teilhaben können“, so Graf.

Plakat beim Stuttgarter Science March, Foto: Ulrike Brandt-Bohne

Dr. Anna Christmann, Forscherin, Politikerin und Grundsatzreferentin im Wissenschaftsministerium freute sich über die Anzahl der Anwesenden um 11 Uhr morgens bei schlechtem Wetter und dem gleichzeitig verlaufenden Stuttgarter Frühlingsfest. Wissenschaft brauche Freiheit und Ressourcen, so Christmann. Gelder würden bei einer Entscheidung aber oft eher in die Umgehungsstraße als in Forschung fließen. Das liege laut Christmann auch daran, dass Wissenschaft für viele nicht greifbar sei. Ihr Appell an die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen lautete daher: „Gehen Sie raus in die Debatte. Informieren Sie! Debattieren Sie mit und äußern sie sich!“

Der Philosoph und Wissenschaftsjournalist Rüdiger Vaas erinnerte in seiner Rede daran wie wichtig es sei, sich gegen Falschmeldungen zu wehren. „Wahrheiten ist keine Meinungen und auch keine Mehrheitsentscheidung”, führt er weiter an und schließt sein Argument unter Applaus mit den Worten „Wir treten ein für die Meinungsfreiheit, aber wir müssen die Meinungen von den Fakten unterscheiden“.

Dr. Annette Ohme-Reinicke, Philosophiedozentin der Universität Stuttgart wies darauf hin, dass der universelle Anspruch, der mit wissenschaftlichem Tun ursprünglich verbunden gewesen sei, vielerorts aufgegeben werde und kritisierte den Aufruf zu fachspezifischem eindimensionalen Denken. Prof. Dr. Dappert, Rektor der Uni Hohenheim ergänzte, dass die Wissenschaft ein Verständnis von der Realität vermittelt, die weit über unser Verständnis hinausreiche. Die Erkenntnisse würden aber auch Gefahren bergen und somit den Wissenschaftlern eine große Verantwortung zukommen, derer sie sich bewusst sein müssten. Er mahnte, dass eine Gesellschaft sich an wissenschaftlichen Ergebnissen reiben könne, sich aber schade, wenn sie diese ignorierte.

Weitere Informationen zum Science March in Stuttgart finden sich auf der Facebookseite der Organisatoren.


Eindrücke aus Heidelberg

von Beatrice Lugger

Kalt, windig und regnerisch. Das war die Vorhersage von 15:00 bis 18:00 Uhr, die ungefähre Zeit des March for Science in Heidelberg. Und die Befürchtungen waren groß, dass sich deshalb nur wenige auf den Weg machen würden. Aber kaum war ich mit meinen Kindern in Heidelberg auf dem Weg zum Startpunkt, sahen wir überall Menschen mit wunderbar selbst gebauten Plakaten, bunten Kappen, und vieles mehr. Wir mussten uns gar nicht groß orientieren, sondern einfach der Masse folgen.

Auftakt am Friedrich Ebert Platz Heidelberg, Foto: Beatrice Lugger

Am Startpunkt füllte sich der Platz sehr schnell. Und wir trafen Kollegen des NaWik, der KTS, des KIT, des HITS, des HLFF, des DKFZ, des Hauses der Astronomie und mehr. Eindeutig: Hier demonstrierten vor allem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – und auch aus Mannheim und mit uns aus Karlsruhe haben sich viele auf den Weg gemacht.

Ein Demonstrationszug in Heidelberg hat übrigens etwas ganz Besonderes. Dort, wo sonst Touristenströme die Hauptstraße entlang alles fotografieren, was kitschig ist, haben die Touristen dieses Mal an den Wegesrand gedrängt, aus der Not eine Tugend gemacht und stattdessen den Demonstrationszug fotografiert.

Demonstrationszug in Heidelberg, Foto: Beatrice Lugger

Am Universitätsplatz gab es neben hervorragender Musik der Band Balsamico (die in der Kälte wunderbar zum Tanzen anregte) noch 13 Reden – von der Wissenschaftsministerin des Landes Baden-Württemberg, Theresia Bauer, und dem Hausherrn am Platz, Uni-Rektor Bernhard Eitel, über viele unterschiedliche Stimmen von Forschern bis hin zum Vize-Präsidenten des KIT, Oliver Kraft. Und auch ich durfte mich äußern. Tenor über alle hinweg: Wissenschaft ist zentral für unsere Gesellschaft  (mehr zur Nachlese auch hier).

Übrigens: Geregnet hat es nur kurz – ca. 10 Minuten – und am Universitätsplatz kam schließlich sogar die Sonne heraus und belohnte die rund 1.800 Science Marcherinnen und Science Marcher in Heidelberg.

Demonstrationszug Heidelberg, Foto: Beatrice Lugger

Es war die erste Demonstration für meine Kinder und sie waren stolz, dabei gewesen zu sein. Es war eine friedliche Demo in sehr angenehmer Atmosphäre. Alle, die teilnahmen, wollten ein klares Zeichen für Wissenschaft setzen. Unser Plakat mit vorne „Für Wissenschaft. Für Demokratie!“ und hinten „Wir wollen wissen“ steht jetzt demonstrativ im Zimmer meines Sohnes.

Weitere Informationen zum Science March in Heidelberg finden sich auf der Facebookseite der Organisatoren.


Eindrücke aus Frankfurt am Main

von Prof. Dr. Annette Leßmöllmann

Am Anfang sah’s noch spärlich aus an der Bockenheimer Warte, doch dann kamen sie, die Demonstranten, mit wunderbaren Plakatideen. Ich bin dem Aufruf “1+x” gefolgt und habe meinen Vater, seine Frau und meinen Mann dafür begeistern können, mitzukommen. Interessiert blickt mein Vater in die Runde, es ist seine erste (!) Demonstration: Die Plakate (z.B. “das Post-Faktische ist dem Faktischen sein Tod”) erheitern ihn, und wir diskutieren eifrig untereinander und mit den Umstehenden über das Thema der Demo.

Science March in Frankfurt am Main, Foto: Annette Leßmöllmann

Erster Eindruck: Man kommt sehr schnell ins Gespräch und stellt fest, dass nicht nur aktiv Forschende gekommen sind, sondern auch andere, die sich der Universität oder so etwas wie einer sinnvollen Wahrheits- und Faktensuche verpflichtet fühlen.

Der Frankfurter Oberbürgermeister Feldmann gibt den Auftakt und spricht davon, dass Politik ohne Wissenschaft und Fakten nicht vernünftig zu machen ist, dass er bereit ist, dafür einzustehen und zu kämpfen – und sich freut, dass es so viele Mitstreiter gibt. Im Publikum die Diagnose: Das war nicht nur eine Rede des Redenschreibers, sondern wohl tatsächlich seine Haltung. Gelungener Auftakt – es spricht als nächstes die Präsidentin der Goethe-Universität, Prof. Dr. Birgitta Wolf. Sie zählt die Fakten auf, die es, wie sie es in Richtung möglicher Faktenleugner sagt, eben doch gibt – und auf die es ankomme, wie sie betont, denn daran zeige sich, welche Art Politik gemacht wird: Dass in der Türkei 800 Professorinnen und Professoren entlassen wurden. Dass der Erasmus-Austausch (“vielleicht eine der besten Erfindungen der EU”) massiv unter Einschränkungen in Partnerländern wie eben der Türkei leidet. Sie formuliert sachlich und klar, nennt Tatsachen und Quellen, und zeigt dadurch, dass die Wissenschaft durchaus politisch sein kann, ohne ihre Wissenschaftlichkeit zu verraten. Es folgt Prof. Dr. Frank Dievernich, der Präsident der Frankfurt University of Applied Sciences. Er nimmt die Perspektive der angewandten Wissenschaften ein und sagt: Wir erzeugen relevantes Wissen für die Gesellschaft. Lasst uns diese Errungenschaft nicht beschneiden und statt dessen klarstellen, dass Wissen auch immer mit Freiheit zu tun hat. Aus Gießen angereist ist Prof. Dr. Joybrato Mukherjee, Präsident der Gießener Universität und Vizepräsident des DAAD. Auch ihm gelingt es ebenso wie seinen Vorrednern, die Fakten für sich sprechen zu lassen: Aufzurütteln durch klare Hinweise auf die Konsequenzen einer Einschränkung wissenschaftlicher Freiheit.

Dann tritt Dr. Sascha Vogel auf die Bühne, theoretischer Physiker, Scientific Coordinator an der Helmholtz Graduate School for Hadron and Ion Research und Wissenschaftsbotschafter. In den nächsten Minuten reißt er das Publikum mit: Er macht eine Klatschübung mit uns und führt uns vor, dass wir uns nicht nach seine verbalen Anweisungen richten – sondern in dem Moment klatschen, in dem auch er klatscht. „Taten zählen manchmal mehr als Worte“, ist seine Botschaft, und er rät: Nicht auf die Scharlatane und Meinungstreiber hören, die gute Wissenschaft schlechtreden, sondern auf die Tatsachen schauen: Was tut die Wissenschaft, was erreicht sie, und wo stünden wir, wenn sie dies alles nicht erreicht hätte. Außerdem sagt er: „Wissenschaft macht einfach Spaß“. Es gehe doch einfach auch um die schiere Freude am Erkennen: „Es macht Spaß, etwas zu begreifen, und das auch noch als Erster!“. Und das könne man dem nicht-forschenden Publikum immer wieder (und auch mit Spaß) vermitteln.

Plakat beim Science March in Frankfurt am Main, Foto: Annette Leßmöllmann

Nach einer Jonglier-Einlage von Markus Furtner, setzt sich der Zug gen Römer in Bewegung. Immerhin knapp 3 Kilometer sind zu bewältigen. Viel Zeit, mit anderen Demonstranten ins Gespräch zu kommen, Schaulustige in kurze Dialoge zu verwickeln, wartenden Autofahrer Kusshände zuzuwerfen. Wir genießen nicht nur die Demo, sondern auch das schiere Spazierengehen durch die Frankfurter Innenstadt. Schätzungsweise 2500 Menschen marschieren mit zum zentralen Kundgebungsort, dem Römer, die traditionelle Frankfurter Agora für die demokratische Debatte.

Da mir leider ziemlich kalt ist, höre ich nur die ersten Reden an: Prof. Dr. Concettina Sfienti, Astrophysikerin aus Mainz und Dekanin des dortigen Fachbereichs Physik, Mathematik und Informatik, erzählt frei von ihrer Großmutter, die an Polio erkrankt war, und dass sie, trotz dieser Tragik, Witze darüber machen konnte – „Mein Nachname ist Ferrari – und, bin ich vielleicht schnell?!“. Sie hatte nicht mehr in den Genuss der Polio-Impfung kommen können, die Jonas Salk entwickelt hatte, erzählt Sfienti leichthin – und weist darauf hin, dass er seine Entwicklung nie hat patentieren lassen wollen, da sie Gemeingut sei. Diese Haltung wünscht die Physikerin nun auch der Politik in den USA. Danach übernimmt Prof. Dr. Joachim Curtius von der Goethe-Universität (Experimentelle Atmosphären-Forschung) und weist in aller Deutlichkeit darauf hin, dass es keine gute Idee ist, in Zeiten des Klimawandels auf ein „Weiter so wie bisher“ zu setzen. Und dass Forscher, die sich über ihre Ergebnisse einig sind, nicht schon deshalb in Verruf geraten sollten, nur weil sie sich einig sind.

Inzwischen ist mir sehr kalt, und ich staune, wie meine Familie durchhält: Ganz vorne stehen sie und hören begeistert zu. Ich lausche noch der Stellvertretenden Vorsitzenden der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung der Parawissenschaften (GWUP), Dr. Stephanie Dreyfürst. Sie erhält Szenenapplaus, als sie bekennt, dass sie Germanistin sei. Dann berichtet sie von ihren Projekten: Sie lädt Bürger zu öffentlichen Experimenten ein, in denen sie Behauptungen der Parawissenschaften untersuchen lässt. „Kann man Wasseradern erspüren?“ Nun, finden wir es heraus…


Und was hat der Science March nun bewirkt und wie geht es weiter? Auf MarchforScience.de wird genau diese Frage gestellt und bereits eine Umfrage gestartet.