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„Ohne Moderation wäre das Gespräch schwierig – und wahrscheinlich wenig hörenswert“

Wissenschaft liefert Erkenntnisse, Politik trifft Entscheidungen – aber wie oft reden beide Seiten wirklich miteinander? Der Podcast „Wissenschaft und Politik im Gespräch“ schafft Raum für echten Dialog. Warum Wissenschaftler*innen dabei eher im Nachteil sind, erklären Julia Vismann und Sébastien Vannier im Interview.

Sébastien Vannier (links im Bild) ist Referent für Wissenschaftsdialog und politische Kommunikation bei Helmholtz Klima. Zuvor war er Referent für Öffentlichkeitsarbeit und Wissenschaftskommunikation am Centre Marc Bloch, deutsch-französisches Forschungszentrum für Sozialwissenschaften in Berlin und arbeitet auch parallel als Journalist für die französische Zeitung Ouest-France.
Julia Vismann (rechts im Bild) ist Wissenschaftsjournalistin, Moderatorin und Reporterin bei radioeins vom RBB, Deutschlandfunk Kultur und anderen ARD Sendern. Außerdem ist sie Host vom Podcast Talking Science und Wissen Impossible (in der ARD Audiothek) und Dozentin am NaWik*.
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Wissenschaft und Politik miteinander ins Gespräch bringen, das ist das Ziel des Podcast „Wissenschaft und Politik im Gespräch“. Warum ist es so schwierig, dass diese beiden Welten miteinander in Kontakt kommen?

Sébastien Vannier: Viel zu selten gibt es dafür die Gelegenheit, was auch viele Politiker*innen bedauern. Denn um gute Politik zu betreiben, ist ein umfangreiches Wissen nötig. Viele Menschen wollen mit Politiker*innen sprechen, sei es aus der Wirtschaft, der Industrie oder von Interessenverbänden. Politiker*innen müssen zwischen all diesen Interessen jonglieren.
Es gibt zwar Formate wie parlamentarische Veranstaltungen oder Anhörungen. Ein Podcast hat aber den Vorteil, dass sich Politiker*innen und Wissenschaftler*innen mehr Zeit füreinander nehmen müssen. Das schafft gegenseitiges Interesse und auch ein besseres Verständnis für die jeweils andere Seite. Eine Podiumsdiskussion beispielsweise bietet diese Möglichkeit nicht.

Im Podcast sprechen Wissenschaftler*innen und Politiker*innen über wissenschaftliche Erkenntnisse und wie diese für politische Entscheidungen genutzt werden können. Wie wählen Sie die Themen aus?

Das Hauptziel des Podcast ist es zwar Wissenschaftler*innen und Politiker*innen ins Gespräch zu bringen. Aber natürlich möchten wir auch darüber hinaus Menschen erreichen und das gelingt über die Themenauswahl.
Daher wählen wir Themen aus, die aktuell gesellschaftlich relevant sind und politisch diskutiert werden, wie etwa Biodiversität, Mobilität oder grüner Wasserstoff und laden dementsprechend Politiker*innen und Wissenschaftler*innen mit der passenden Expertise ein.

Wissenschaft und Politik im Gespräch

Der Podcast „Wissenschaft und Politik im Gespräch“ wurde von Wissenschaftskommunikator Sébastien Vannier am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit RIFS im Rahmen eines vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten #FactoryWisskomm-Fellowships entwickelt. Die Folgen wurden in Zusammenarbeit mit dem deutsch-französischen Forschungszentrum Centre Marc Bloch produziert. Im Vordergrund steht der Dialog zwischen Wissenschaftler*innen und Politiker*innen, um Debatten zum Thema Nachhaltigkeit voranzutreiben.

Was erwarten sich die Politiker*innen und Wissenschaftler*innen von dem Gespräch?

Julia Vismann: Wissenschaftler*innen wünschen sich häufig Aufmerksamkeit für ihre Forschung. Für sie ist es oft frustrierend, wenn sie mit ihren Forschungsergebnissen kein Gehör finden. Der Podcast ist für sie die Möglichkeit zu verstehen, wie Politik funktioniert, woher Politiker*innen ihre Informationen haben und nach welchen Kriterien sie diese bewerten.

Politiker*innen hingegen möchten oft Wünsche für Forschungsfragen einbringen. Natürlich muss die Unabhängigkeit der Wissenschaft immer gewahrt bleiben, aber sie haben die Möglichkeit zu sagen: Diese Frage würde mich interessieren.

Bleiben manche Politiker*innen und Wissenschaftler*innen auch nach dem Gespräch noch in Kontakt?

Vismann: Ja, das kommt gelegentlich vor. Zum Beispiel hat der Landwirtschaftsminister von Mecklenburg-Vorpommern die Wissenschaftlerin im Anschluss an den Podcast eingeladen, in einem Gremium mit ihrer Expertise zum ökologischen Landbau und zur solidarischen Landwirtschaft zu sprechen. Eine Win-Win-Situation, die durch den Podcast entstanden ist.

Frau Vismann, sie moderieren den Podcast. Warum ist es wichtig, das Gespräch zu begleiten?

Vismann: Ohne Moderation wäre das Gespräch schwierig und wahrscheinlich wenig hörenswert. Manchmal hat man das Gefühl, dass Wissenschaftler*innen und Politiker*innen tatsächlich eine unterschiedliche Sprache sprechen. Politiker*innen sind im Gegensatz zu Wissenschaftler*innen geschult und können sich in der Regel sehr eloquent ausdrücken. Sie können auf jede Frage antworten, verwenden aber auch leere Worthülsen, die man erst einmal aufschlüsseln muss. Wissenschaftler*innen hingegen antworten sehr differenziert, selten schwarz-weiß.

„Manchmal hat man das Gefühl, dass Wissenschaftler*innen und Politiker*innen tatsächlich eine unterschiedliche Sprache sprechen." Julia Vismann

Moderation ist auch für das Verständnis wichtig. Ich bin in der Lage, von außen auf das Thema zu schauen und kann naiv nachfragen, wenn ein Fachbegriff erklärt werden muss. Ein*e Politiker*in traut sich das vielleicht nicht. Und Wissenschaftler*innen bemerken vielleicht auch gar nicht, dass sie viele Fremdwörter benutzen.

Sind Wissenschaftler*innen im Gespräch im Nachteil, weil sie weniger Erfahrung im Führen von Debatten haben?

Vismann: Ja, auf jeden Fall. Ich bemerke häufig, dass Wissenschaftler*innen dieser Härte einer Diskussionskultur nicht gewachsen sind. Das sind so Kleinigkeiten wie ein Zittern in der Stimme. Einfach eine These in den Raum werfen und gucken, was passiert, das mag fast keine*r der Wissenschaftler*innen. Gerade die noch jüngeren Wissenschaftler*innen sind sehr vorsichtig. Ich finde diese Unsicherheit schade, weil sie ja Expert*innen auf dem Gebiet sind und eigentlich selbstbewusst in das Gespräch gehen könnten. Ich würde mir wünschen, dass Wissenschaftler*innen selbstbewusster werden und ich ihnen auch etwas unbequemere Fragen stellen kann, ohne dass sie sich unwohl fühlen.

Vannier: Dazu kommt die Medienerfahrung. Politiker*innen haben täglich oder wöchentlich mit den Medien zu tun. Im Radio oder Fernsehen kann es passieren, dass aus einem 30-minütigen Interview am Ende vielleicht nur zwei Zitate verwendet werden. Politiker*innen kennen das. Für Wissenschaftler*innen ist das der reine Horror. Deshalb ist es uns wichtig, diese Ängste zu nehmen und im Podcast mehr Zeit zu bieten.

„Ich bemerke häufig, dass Wissenschaftler*innen dieser Härte einer Diskussionskultur nicht gewachsen sind. Das sind so Kleinigkeiten wie ein Zittern in der Stimme." Julia Vismann

Um diese Ängste zu nehmen, führen Sie vor dem Podcast auch ein Vorgespräch mit den Wissenschaftler*innen. Worüber sprechen Sie da?

Vismann: Wir versuchen, den Wissenschaftler*innen ihre Unsicherheit zu nehmen und eine vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen.
Dafür machen wir deutlich, dass wir kein investigativer Podcast sind, indem wir aufspüren wollen, ob die Wissenschaftler*innen Fehler gemacht haben. Es geht darum, ihnen eine Möglichkeit zu geben, ihre Forschung gut darzustellen, ihnen quasi verbal den roten Teppich auszurollen und mit Politiker*innen ins Gespräch zu kommen.

Vannier: Außerdem geben wir Tipps, wie das Erzählte besser bei den Zuhörer*innen ankommt. Wichtig sind zum Beispiel konkrete Anekdoten und Beispiele sowie der persönliche Bezug zum Thema.

Vismann: In einer Episode über Solidarische Landwirtschaft hat die Wissenschaftlerin zum Beispiel erzählt, wie sie das erste Mal auf dem Hof war und wie schön es war, die glücklichen Gesichter der Menschen zu sehen, die Solidarische Landwirtschaft betreiben. Das sind ihre persönlichen Empfindungen und Emotionen, das kann ich als Journalistin nicht erzählen.
Ich fördere auch das sogenannte „Sprechdenken“, also das sofortige Reagieren auf das Gesagte. Es ist nicht schlimm, wenn das Gespräch dadurch einen Umweg macht, das kann man im Zweifelsfall herausschneiden. Im besten Fall verlassen auch Politiker*innen ihre eingetretenen Pfade. Eine Aussage wie: „Darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht“ wäre schon viel wert.

Von Wissenschaft wird oft Neutralität erwartet. Inwieweit dürfen sich ihrer Meinung nach Wissenschaftler*innen politisch äußern?

Vismann: Wir ermutigen niemanden, sich politisch zu äußern. Der Podcast erhebt nicht den Anspruch, ein politisches Briefing zu sein. Es ist ein Austausch von Argumenten und Gegenargumenten und im besten Fall nähern sich beide am Ende an. Auch im Podcast diskutieren Wissenschaftler*innen und Politiker*innen häufiger über diese Frage, ohne zu einer klaren Antwort zu kommen.

Vannier: Für uns ist es wichtig, dass die Rollen zwischen Forschung und Politik klar definiert sind. Die Politiker*innen haben ihre ideologischen Perspektiven. Wissenschaftler*innen müssen damit natürlich nicht einverstanden sein. Für uns ist es wichtig zu zeigen: Wissenschaftler*innen stellen ihre Forschung vor und Politiker*innen schlagen politische Lösungen vor. Ich finde, dass Wissenschaftler*innen ihre Meinung äußern können und sagen, welche Lösungsansätze sie persönlich bevorzugen. Eine Aussage wäre zum Beispiel zu sagen, das ist technisch möglich, aber das bringt nicht viel. Am Ende müssen aber Wissenschaftler*innen selbst entscheiden wie sehr sie sich politisch äußern möchten.

 

*Das Nationale Institut für Wissenschaftskommunikation (NaWik) ist einer der drei Träger der Plattform Wissenschaftskommunikation.de