Grafik: Saskia Ostner

Nachhaltigkeit erzählen – Storytelling für junge Erwachsene  

Klimawandel, Artensterben, soziale Ungleichheit: viele Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung fordern uns auf, neue Wege zu beschreiten. Jungen Menschen kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Wie kann man sie dazu motivieren, sich mit komplexen Fragen der Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen?

Eine vierköpfige Forschungsgruppe an der Leuphana Universität Lüneburg ist dieser Frage nachgegangen. Ihr Blick richtete sich dabei auf Geschichten (Stories) und deren Potenzial, junge Menschen dazu zu motivieren, sich selbst nachhaltiger zu verhalten oder sich gar zu für eine nachhaltige Entwicklung (stärker) zu engagieren. Das dreijährige SusTelling-Projekt „Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation – Perspektiven und Evidenzen“ untersuchte, wie junge Erwachsene Geschichten zu Nachhaltigkeitsthemen wahrnehmen und durch sie beeinflusst werden. [1] „SusTelling“ ist eine Verschmelzung von Storytelling (Geschichten erzählen) und Sustainability (Nachhaltigkeit) und meint den Einsatz von Storytelling in Bezug auf Themen der nachhaltigen Entwicklung. Die Definition von SusTelling kann hier heruntergeladen werden.

Warum eigentlich Geschichten?

Impulse für die Projektidee kamen dabei aus der Praxis. Vor 2 Jahren entschied sich eine britische Supermarktkette, im Vorweihnachtsgeschäft eine ungewöhnliche Werbung zu schalten. Die Kampagne sollte die dunklen Seiten der Palmöl-Produktion aufzeigen. Dargestellt werden sollte, wie Regenwald abgeholzt und Lebensräumen vieler Arten vernichtet werden, um einen Inhaltsstoff für unsere Lebensmittel herzustellen. Um die komplexen Zusammenhänge zu vereinfachen und sie erfahrbar zu machen, kam Storytelling zum Einsatz. Das Video „Rettet den kleinen Rang-tan“ (Dauer: 1:40) von Greenpeace erzählt die Geschichte eines kleinen Orang-Utans, der in das Kinderzimmer eines Mädchens eindringt, weil sein Lebensraum zur Produktion von Palmöl von Menschen zerstört wurde. Das Mädchen ist zunächst über den Eindringling empört. Als sie dann vom Schicksal des Orang-Utans hört, ist sie betroffen und beschließt, für seinen Lebensraum zu kämpfen.

Das Beispiel veranschaulicht, warum in verschiedenen Praxisfeldern ein reges Interesse an Geschichten als Mittel der Nachhaltigkeitskommunikation entstanden ist: Geschichten können komplexe Themen greifbar und verständlich machen. Sie können es erlauben, die mit der Nachhaltigkeit verbundenen Werte zu thematisieren (zum Beispiel als Moral oder als Handlungsvorschläge). Und ganz wesentlich: Es wird vermutet, dass sie Anlass zur Identifikation bieten und dazu anrege, die eigene Einstellung und das eigene Verhalten zu hinterfragen. Insofern wird angenommen, dass Geschichten alltagsbezogen und sehr zugänglich sind.

Was genau wurde wie erforscht?

So erfolgsversprechend Storytelling im Nachhaltigkeitskontext also auch sein mag: Systematische Untersuchungen und damit einhergehend eine Evidenzbasierung stecken noch in den Kinderschuhen. Die Forschungsgruppe verfolgte das Ziel, differenzierte Aussagen zur Wirkung und Wahrnehmungen von SusTelling-Beiträgen bei jungen Erwachsenen zu liefern und damit zur Evidenzbasierung beizutragen. Im Kern des Projektes standen zwei Studien:

Die experimentelle Studie untersuchte, ob textbasiertes SusTelling hinsichtlich des situativen Interesses und der umwelt- und konsumbezogenen Handlungsabsichten positiver auf junge Erwachsene wirkt als ein Bericht im klassischen Nachrichtenformat. Zudem wurde untersucht, ob SusTelling sich anders auf junge Erwachsene auswirkt, je nachdem, ob diese viel bzw. wenig Interesse an Nachhaltigkeitsthemen haben und sich im Studium bzw. in der Berufsausbildung befinden.

Dafür wurde ein Feldexperiment durchgeführt, in dem die Versuchspersonen (N=1.000) unterschiedliche Textbedingungen vorgelegt bekommen haben. Anschließend wurde miteinem Fragebogen die Wirkung auf das subjektive Interesse und die Handlungsabsichten abgefragt. Ergänzend wurden nach dem Experiment Gruppendiskussionen geführt, um die Wahrnehmungen zum SusTelling-Text differenzierter einzufangen.

Die explorative Studie (n = 139) erfasste über einen Zeitraum von sechs Monaten, wie SusTelling-Beiträge in verschiedenen Medienformaten, wie Podcast, Video oder Text von jungen Erwachsenen rezipiert und gedeutet werden. Dafür wurden den Teilnehmenden zwei Mal wöchentlich Beiträge über einen Blog zugeschickt – insgesamt 50 Stück. Diese narrativen Beiträge befassten sich mit dem Thema nachhaltiger Konsum und wurden in Form von Videos, Texten, Podcasts oder Bildstrecken dargeboten. Erhoben und ausgewertet wurden Kommentare und Bewertungen der Teilnehmenden zu den einzelnen Beiträgen. Ergänzend wurden Einzelinterviews mit ausgewählten Studienteilnehmenden geführt.

Und was wurde herausgefunden? So einfach ist es mit der Wirkung von SusTelling nicht.

Die Ergebnisse der experimentellen Studie zeigten, dass der Text im SusTelling-Stil im Vergleich zum klassischen Bericht weder eine positive Wirkung auf das situative Interesse noch auf die umweltschutzbezogenen und konsumbezogenen Handlungsabsichten der jungen Erwachsenen hatte. Wir stellten zudem fest, dass es keine Unterschiede in der Wirkung des Textes bei den verschiedenen Gruppen gab. Der SusTelling-Text wirkte nicht anders bei jungen Erwachsenen mit mehr bzw. weniger Interesse an Nachhaltigkeit. Schließlich konnten wir auch keinen Unterschied in der Wirkung dieses Textes für Berufsschülerinnen und -schüler gegenüber den Studierenden feststellen. In vertieften Gruppendiskussion mit vier Studentinnen der Umweltwissenschaften und einer weiteren mit neun Berufsschülerinnen und Berufsschülern kristallisierte sich eine unterschiedliche Wahrnehmung des Textes im SusTelling-Stil heraus. Während die Studentinnen den Text im SusTelling-Stil als lebensnahes Beispiel für das Engagement junger Menschen ansahen, bezeichneten die Berufsschülerinnen und -schüler die Charaktere als wenig mitreißend und die Botschaft als unklar. Dieser Unterschied in der Wahrnehmung der Gestaltung des Textes setzt sich auch in den unterschiedlichen Wirkerwartungen fort. Die Studentinnen fühlten sich motiviert und positiv in ihrem eigenen nachhaltigkeitsbezogenen Engagement bestärkt. Im Gegensatz dazu nahmen Berufsschülerinnen und -schülern die Textgestaltung so wahr, dass sie sich teilweise „für dumm verkauft“ fühlten, mehr Sachinformation wünschten und den Text insgesamt nur widerwillig weiterlasen..

Die Ergebnisse der explorativen Studie förderte weitere Einsichten darüber zutage, welche Ansprüche junge Erwachsene an Geschichten stellen: Sie sollen an ihre Lebenswelt anknüpfen, glaubhaft und sachlich sein und dabei Themen und Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten. Auch lieferte die Studie Erkenntnisse dazu, wen SusTelling wie erreicht. In der Datenanalyse bildeten sich drei ideale Rezeptionstypen ab: Der „Entdecker“, der typischerweise an innovativen Informationen interessiert und von Neugier getrieben ist, möchte durch SusTelling Neues lernen und zu neuen Erkenntnissen angeregt werden. Der „Visionär“ wird durch konstruktive Zugänge angesprochen, die Lösungsansätze in den Mittelpunkt stellen. Der „Aufklärer“ setzt sich eher analytisch mit Nachhaltigkeitsthemen auseinander. Die Einsichten, die er dabei gewinnt, können die eigene Identifikation mit Nachhaltigkeitsthemen bestätigen oder verstärken und weiterhin dazu führen, dass er diese auch in seinem sozialen Umfeld weiterverbreitet und damit zu einem Multiplikator wird. Die empirisch gestützte Rezeptionstypologie beansprucht als qualitative Untersuchung zwar keine statistische Repräsentativität, kann durch die Rekonstruktion der Rezeptionsprozesse aber dabei helfen, Zielgruppen von SusTelling besser zu schärfen und Geschichten passgenauer auf Rezeptionserwartungen zuzuschneiden.

Und jetzt: Was haben wir daraus gelernt?

Um die im Projekt erarbeiteten Erkenntnisse anwendungsorientiert zugänglich zu machen, haben wir eine interaktive SusTelling-Online-Lerneinheit erstellt, die als Open Education Ressource kostenfrei genutzt werden kann. Ziel der Lerneinheit ist es, das Verständnis, die Analyse sowie die Anwendung von SusTelling zu vermitteln und zu schulen. Um die drei Module der Lerneinheit zu absolvieren, werden rund 45 Minuten benötigt. Diese beinhaltet unter anderem auch Übungen und Handouts, die kostenlos heruntergeladen werden können. Wir hoffen, damit anderen Projekten, Initiativen und Interessierten zu ermöglichen, ihre Inhalte ansprechender und im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung wirkungsvoller zu kommunizieren.


Projektsteckbrief

Ziel: Ziel des Projekts „Storytelling in der Nachhaltigkeitskommunikation – Perspektiven und Evidenzen“ war es, das Potenzial von Storytelling in der Kommunikation mit jungen Menschen (18–24 Jahre) zu Fragen einer nachhaltigen Entwicklung zu erforschen und damit zu einer evidenzbasierten Weiterentwicklung von Storytelling-Formaten in der Nachhaltigkeitskommunikation beizutragen.

Budget: Das Projekt wurden von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt in dem Förderzeitraum vom 1.10.2017 bis zum 15.11.2020 mit einer Gesamtsumme von 293.750,00 Euro gefördert.

Team: Das Projekt ist an der Leuphana Universität Lüneburg in der SuCo2-Forschungsgruppe (Sustainability Communication & Sustainable Consumption) unter der Leitung von Prof. Dr. Daniel Fischer angesiedelt. Dr. Sonja Fücker, Hanna Selm und Anna Sundermann haben als Wissenschaftliche Mitarbeiterinnen in dem Projekt gearbeitet. Zudem wurde das Team von einem Projektbeirat, von zwei Fachexperten und einer Fachexpertin sowie von tatkräftigen Studentischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unterstützt.

Weitere Informationen: In einer einstündigen Video-Präsentation fassen wir die Projektergebnisse zusammen. Die SusTelling Online-Lerneinheit kann als Open Educational Resource kostenlos und ohne Anmeldung genutzt werden. Ab April 2020 wird das Buch „Nachhaltigkeit erzählen – Durch Storytelling besser kommunizieren?“ beim oekom Verlag im Handel verfügbar sein. Das Buch stellt im ersten Teil Grundlagen und Ergebnisse aus dem Projekt dar und bietet im zweiten Teil  Einblicke, wie SusTelling in verschiedenen Praxisfeldern wie der Wissenschaftskommunikation, der Hochschullehre, dem Journalismus und der Unternehmenskommunikation genutzt werden kann.

Weitere Infos zum Projekt und zur Arbeitsgruppe: https://suco2.com/2019/02/02/storytelling/