Foto: Christian Humm, CC BY-SA 4.0

Kurz vorgestellt: Neues aus der Forschung im Juli 2017

Citizen Science in Deutschland und Österreich, Vertrauen und Misstrauen in Wissenschaft und die Wirkung von Ausstellungen – das sind die drei Themen unseres Rückblicks auf die aktuelle Science of Science Communication.

In dieser Rubrik besprechen wir regelmäßig neue Forschungsergebnisse aus der „Science of Science Communication“. Wenn Sie etwas vermissen, dann schreiben Sie uns gerne eine E-Mail oder hinterlassen Sie einen Kommentar.

Vielfältig: Citizen Science in Deutschland und Österreich

Bürgerwissenschaft, oder auf englisch Citizen Science, ist ein wachsendes Feld. Soviel scheint sicher zu sein – sonst weiss man allerdings aus Forschungssicht wenig über die Wirkung, die tatsächliche Umsetzung und den Nutzen. Diese Wissenslücke wollen nun Lisa Pettibone, Katrin Vohland und David Ziegler vom Naturkundemuseum Berlin zumindest teilweise schließen. In ihrer Untersuchung fragten sie deshalb “Wie – und bei wem und in welchen Disziplinen – wird Citizen Science heute praktiziert?” (S. 1).

Methodik: Die drei Forscher schauten sich 97 deutsche und österreichische Citizen Science Projekte näher an und kombinierte die quantitativen Daten mit qualitativen Erkenntnisse aus dem Projekt Bürger schaffen Wissen (GEWISS). Die Projekte stammten von den Plattformen buergerschaffenwissen.de bzw. Österreich forscht im August 2016. Ausgehend von der Selbstbeschreibung der Projekte erfassten sie die Fachrichtung und die beteiligten Akteure. Dabei war es möglich, dass einem Projekt mehrere Fachrichtungen und Akteure zugeordnet werden.

Infografik zu Citizen Science in DeutschlandErgebnisse: Bei der Mehrzahl der Projekte (67 %) war eine wissenschaftliche Institution, z. B. eine Universität, involviert. Wobei in Deutschland eher Forschungszentren, die einer außeruniversitären Einrichtung wie Helmholtz oder Leibnitz angehören, vertreten waren und in Österreich eher Universitäten. Bei etwa 43 % der Projekte waren Akteure aus anderen gesellschaftlichen Bereichen beteiligt, etwa eine Nichtregierungsorganisation oder eine Fachgesellschaft. Medien oder Regierungsorganisationen waren in 17 Fällen (17,5 %) mit im Boot. Während andere Akteure, die nicht in die drei Gruppen passten, bei immerhin 22 Projekten auftauchten (~23 %).

Bei 61 der 97 untersuchten Projekte (~63 %) gab es nur einen einzigen Akteur. Vornehmlich waren dies ebenfalls Universitäten und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen (~52 %), sowie NGOs (~25 %) und Einzelpersonen (~11 %). Medien und Regierungsorganisationen tauchten hingegen nur selten als alleiniger Betreiber eines Projekts auf.

Biologie war mit 42 % die am häufigsten vertreten Fachdisziplin. An zweiter Stelle folgte, entgegen bisheriger Forschungsergebnisse, geschichtswissenschaftlich ausgerichtete Projekte mit  ~16,5 % und knapp dahinter andere Naturwissenschaften mit ~15,5 %. Eher selten kamen Gesundheitswissenschaft (~6 %), andere Sozial- und Geisteswissenschaft (~3 %) und sonstige Wissenschaften (~3 %) vor.

Schlussfolgerungen: Für die Autoren zeigen ihre Ergebnisse vor allem, dass “Bürgerwissenschaften in Deutschland und Österreich vielfältiger sind, als dies die wissenschaftliche Literatur bisher anerkannt hat” (S. 9). Ursächlich hierfür sei, dass sich bisherige Studien auf die Auswertung von Publikationen in wissenschaftlichen Fachzeitschriften konzentriert hätten. Dadurch seien insbesondere nicht-wissenschaftliche Akteure systematisch vernachlässigt und auch die erfassten Fachdisziplinen verzerrt worden.

Hinzu komme, so schlussfolgern Pettibone und ihre Mitautoren aus ihren Erfahrungen in GEWISS, dass es viele Projekte gebe, die zwar der Sache nach Citizen Science betrieben, aber diesen Begriff nie benutzten. Lasse man solche Projekte außen vor, dann unterschätze man ebenfalls die Vielfältigkeit der Bürgerwissenschaften. Entsprechend plädieren sie für weitere Untersuchungen, die explizit versuchen das ganze Spektrum der Citizen Science und ihrer unterschiedlichen Praktiken und Ziele in den Blick zu nehmen.

Einschränkungen: Die Studie von Pettibone et al. hat einen explorativen Charakter, d. h. die Ergebnisse können nicht ohne Weiteres auf andere Ländern übertragen werden. Zwar ist es wahrscheinlich, dass ein breiteres Spektrum abgedeckt wird als in bisherigen Studien. Allerdings findet Bürgerwissenschaft auch abseits der beiden untersuchten Plattformen statt.

Pettibone, L., Vohland, K., & Ziegler, D. (2017): Understanding the (inter)disciplinary and institutional diversity of citizen science: A survey of current practice in Germany and Austria. PLOS ONE, 12(6), 1–16.


Unglaubwürdig: Wieso wissenschaftlichen Erkenntnissen nicht geglaubt wird

Wieso misstrauen manche Menschen wissenschaftliche Erkenntnisse, etwa zum Klimawandel, obwohl sie Konsens innerhalb der Scientific Community sind? Oftmals wird diese Frage mit Verweis auf mangelndes Wissen oder Denkvermögen beantwortet. Diesen Erklärungen widerspricht der Philosoph Neil Levy (Oxford University) und liefert einen anderen Ansatz.

Methodik: Levy führte gewissermaßen eine Metastudie durch. Das heißt, er wertete bisherige Forschungsergebnisse zu Vertrauen (in Wissenschaft) und dessen Entstehung aus und setzte sie miteinander in Zusammenhang.

Ergebnisse: Levy weist die beiden, in seinen Augen, intuitivsten Erklärungen für die Ablehnung wissenschaftlicher Erkenntnisse – mangelndes Wissen und fehlendes Denkvermögen – zurück. Als Beleg zieht er Studien heran, denen zufolge weder Wissensstand noch die Fähigkeit zu logischem Denken vorhersagen können, ob jemand beispielsweise den Klimawandel leugnet oder nicht.

Stattdessen sei die Art und Weise wie wir Behauptungen beurteilen die bessere Erklärung. Grundlage dafür seien drei Faktoren: Erstens sind Gruppen im Allgemeinen Einzelnen bei der Wahrheitsfindung überlegen. Wissenschaft sei unter anderem deshalb so erfolgreich, weil sie die Wahrheitsfindung mittels gemeinsamer Diskussion institutionalisiert habe. Die anonyme Begutachtung vor der Publikation von Forschungsergebnissen (Peer Review), aber auch Diskussionen durch Wissenschaftler unterschiedlicher geografischer, kultureller und disziplinärer Herkunft nach der Veröffentlichung sicherten im Idealfall die notwendige Unabhängigkeit und Vielfalt. Folglich sei “ein wissenschaftlicher Konsens im besten Fall das Produkt einer gemeinsamen Deliberation und damit exponentiell besser begründet als konkurrierende Ansichten” (S. 7).

Zweitens aber seien wir “epistemische Individuen”. Gemeint ist damit das wir das Ergebnis unseres eigenen, individuellen Nachdenkens – ungerechtfertigt – mehr wertschätzen, als das Resultat einer gemeinsamen Beratung. Innerhalb einer Gruppe sei es zwar durchaus nützlich, seine eigene Ansicht zu überschätzen und so Vielfalt und Unabhängigkeit im Diskussionsprozess zu stärken. Außerhalb dessen lehnten Menschen aber deswegen z. B. den wissenschaftlichen Konsens zum Klimawandel ab, weil sie ihn – richtigerweise – für das Ergebnis einer Gruppenberatung halten und ihre eigene Einschätzung demgegenüber – fälschlicherweise – für mindestens genauso gut halten.

Allerdings kann dieser epistemische Individualismus, wenn er tatsächlich so weit verbreitet ist, nicht erklären, wieso Akzeptanz oder Zurückweisung wissenschaftlicher Erkenntnisse stark mit der politischen Zugehörigkeit – liberal versus konservativ – korrelieren. Hier kommt nun Levys dritter Erklärungsfaktor ins Spiel: Wir vertrauen Quellen, die uns wohlwollend und kompetent erscheinen. Dieser Mechanismus formt sich bereits in der Kindheit und im Erwachsenenalter halten wir dann diejenigen für wohlwollend, die unsere politischen und religiösen Ansichten teilen. Dabei können diese Eigenschaften der Quelle wichtiger sein als der Inhalt der Botschaft.

Prinzipiell sei das auch nicht problematisch, sondern ein sinnvoller Schutz gegen Dummheiten und Ausnutzung. Wird ein Thema allerdings politisiert, wie der Klimawandel, führe dies zu einem Problem: Die Haltung zum Thema wird nun nämlich als Zeichen der politischen Ausrichtung gewertet und damit indirekt zum Indikator für das Wohlwollen und so auch für die Glaubwürdigkeit der Quelle. Hält man also den Klimawandel für real und menschengemacht, gilt man – zumindest in den USA – als liberal. Damit erscheint nun aber auch der wissenschaftliche Konsens für Konservative politisch verdächtig und sie wenden sich anderen, vermeintlich glaubwürdigeren Quellen – “Händlern des Zweifels” oder “wissenschaftliche Außenseiter” (S. 9) – zu. Je nachdem mit welcher politischen Position der wissenschaftliche Konsens verknüpft ist, könne dies genauso gut auch bei Liberalen zu Misstrauen führen.

Schlussfolgerungen: Misstrauen, so der Forscher zusammenfassend, hat nichts mit einem Defizit an Wissen oder Denkvermögen zu tun. Vielmehr führe das Zusammenspiel von epistemischen Individualismus und politisierten Themen dazu, dass Hinweise auf die Glaubwürdigkeit und echte Expertise auseinanderfallen. Da der zugrundeliegende Mechanismus bei allen Menschen vorhanden sei, hänge dies weder mit einer bestimmten politischen Richtung noch mit irgendwelchen individuellen Eigenschaften zusammen. Deshalb empfiehlt er bei der Wissenschaftskommunikation auf “angemessene kulturelle Institutionen oder Strukturen” (S. 12) zu achten, über die der wissenschaftliche Konsens die Menschen erreicht.

Einschränkungen: Da es sich um eine Art Metastudie handelt – Levy also keine eigenen Daten erhoben hat – ist seine Studienauswahl und –interpretation zentral. Zwar hat er durchaus den Anspruch grundlegende Mechanismen von Vertrauen und Misstrauen offen zu legen, fokussiert sich aber sehr stark auf den Klimawandeldiskurs in den USA. Ob sich sein Modell auf andere Themen und Länder übertragen lässt, müsste also erst getestet werden. Im vagen bleiben seine Empfehlungen, wie dem Misstrauen begegnet werden soll. Eine offene Frage ist zudem, wie es zur Politisierung bestimmter Themen kommt. Levy vermutet, dass im Fall des Klimawandels Akteure mit spezifischen wirtschaftlichen Interessen das Thema gezielt politisch aufgeladen haben könnten.

Levy, N. (2017): Due deference to denialism: explaining ordinary people’s rejection of established scientific findings. Synthese, 1–15. https://doi.org/10.1007/s11229-017-1477-x


Möglicherweise: Einstellungsänderungen im Wissenschaftsmuseum

Kann der Besuch in einem Wissenschaftsmuseum die Einstellung zu einem Thema ändern? Die Wissenschaft hat darauf bisher keine Antwort. Sielle Phelan (TU München), Inge Specht (Deutsches Institut für Erwachsenenbildung), Wolfgang Schnotz (Universität Koblenz-Landau) und Doris Lewalter (TU München) haben nun mit einer Studie den Anfang gemacht.

Methodik: Die vier Forscher befragten 225 Besucher der Nano- und Biotechnologieausstellung im Deutschen Museum in München. Die Teilnehmer wurden zuerst nach ihrer Haltung – positiv oder negativ – zur Biomimetik gefragt. Dabei wurde zudem erfasst, wie sicher sie sich sind, dass ihre Einstellung die richtig ist, welches Wissen sie zum Thema haben, wie wichtig es ihnen ist und wie ambivalent ihre Einstellungen sind.

Danach zeigten die Forscher den Versuchspersonen ein Ausstellungsstück, welches entweder mit einem Begleittext oder einer Audiobotschaft gleichen Inhalts versehen war. Text bzw. der Audiobotschaft schilderten, neben einer kurzen Einführung, im gleichen Umfang Vor- und Nachteile von Biomimetik.

Anschließend fragten die Forscher noch einmal die Einstellungen, Selbstsicherheit und die Wichtigkeit des Themas ab.

Ergebnisse: In der ersten Befragung zeigten die Teilnehmer überwiegend eine sehr positive Haltung gegenüber Biomimetik. Nach dem sie das Ausstellungsstück gesehen hatten, änderten ⅔ ihre Einstellung. Im Durchschnitt war die Haltung dabei zwar immer noch positiv aber auf signifikant niedrigerem Niveau. Trennt man zwischen Text und Audiobotschaft, so wurden die Einstellungen zwar bei beiden Formaten negativer, aber nur beim Text war dies auch statistisch signifikant.

Die Probanden hatten laut den Forschern ein relativ hohes Maß an Vorwissen und waren sich in der Mehrheit auch ihrer Meinung relativ sicher. Ebenfalls war den Teilnehmern das Thema relativ wichtig gewesen – gering hingegen die Ambivalenz ihrer Einstellungen. Statistisch konnte dabei einzig die Ambivalenz die Einstellungsänderungen in signifikantem Maße erklären: Je ambivalenter die Haltung im Vorfeld, desto wahrscheinlicher änderten die Teilnehmer diese im Lauf des Experiments.

Schlussfolgerungen: Ihre Ergebnisse zeigen den Forscher zu folge, dass Ausstellungstexte durchaus die Einstellungen zu einem Thema – wenn auch in geringem Maße – beeinflussen können. Bezüglich der statistisch signifikanten Einstellungsänderung durch den Fließtext – im Gegensatz zur Audiobotschaft – vermuten sie als Ursache, dass dort selbstbestimmtes Lesetempo und wiederholtes Lesen für ein tieferes Verständnis sorgen.

Warum Probanden ihre Einstellung (nicht) änderten, können die Forscher nicht abschließend erklären. Stattdessen liefern sie mögliche Erklärungsansätze – etwa, dass Probanden die Texte nicht oder nur oberflächlich gelesen haben oder Informationen, die der eigenen Haltung widersprechen einen stärkeren Einfluss haben. Hier und in einer Vertiefung der Forschung zu Einstellungsänderungen durch Wissenschaftsmuseen, sehen die Autoren einen Ausgangspunkt für weitere Studien.

Einschränkungen: Es handelt sich angesichts der kaum erforschten Fragestellung um eine explorative Studie. Das heißt die Ergebnisse lassen sich nicht ohne Weiteres verallgemeinern. So wurde der Begleittext zwar in verschiedenen Formaten (Fließtext und Audio) getestet, nicht aber der Inhalt variiert. Die Probanden wurden am Ende der Nanotechnologieausstellung befragt, was die Zusammensetzung des Teilnehmerfelds verzerrt haben könnte. Es wurde ein einziges, wenig kontroverses Thema in einer einzelnen Ausstellung an einem möglichst neutral gestalteten Ausstellungsstück getestet. Wichtiger noch: Es wurden nur kurzfristige Einstellungsänderungen erfasst. Ob und inwiefern diese auch längerfristig bestand haben, bleibt ungeklärt.

Phelan, S., Specht, I., Schnotz, W., & Lewalter, D. (2017): Attitude change when presenting science museum visitors with risk-benefit information. Science Education, 1–14. https://doi.org/10.1002/sce.21296