Foto: GSCN

EuroStemCell: Stammzellen verständlich!

Wissenschaftliche Inhalte zu Stammzellen will das EuroStemCell Netzwerk für Bürger und die Politik verständlich aufbereiten. Wie es zur Gründung dieses Europaweiten Netzwerkes kam und welche Rolle das German Stem Cell Network in diesem Verbund hat, beschreibt Stefanie Mahler in ihrem Gastbeitrag.

Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Einzelteile – das Netzwerk der Netzwerke

Aus der Idee, Wissen über Stammzellen und regenerative Medizin aus den Laboren in die Öffentlichkeit zu tragen, entstand 2006 ein aufwendiges Internetportal: www.eurostemcell.org. Das europäische Netzwerk bietet in sechs Sprachen Informationen über Forschung und Anwendung von Stammzellen an. Ob Huntington Disease oder Leukämie, Augenverletzung, Diabetes oder ethische Fragestellungen – EuroStemCell hat von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Factsheets über verschiedenste Forschungsbereiche und Anwendungen zu Stammzellen schreiben lassen.

Eine kleine Geschäftsstelle in Edinburgh ist der Kopf und Knotenpunkt des europäischen Netzwerks. Seit mehreren Förderphasen der Europäischen Union, angefangen 2006 als Forschungsprojekt mit Public Outreach im FP6 (6th Framework Programme), erstreckt es sich heute über 23 Länder. Es ist eine Partnerschaft aus mehr als 400 Labors, die in ganz Europa zu Stammzellen und regenerativer Medizin forschen. Sie alle tragen mit Texten und Übersetzungen, Materialien, Filmen und Artikeln zum Informationsportal bei.

Stammzellforschung: Ein weites komplexes Feld

Stammzellforschung ist ein weites Feld. Das reicht von Biotechnologie bis zu Medizin und von Informatik bis zu Kieferorthopädie. Auch ethisch und politisch betrachtet ist Stammzellforschung weit verortet: Fragestellungen von Forschung mit humanen embryonalen Stammzellen bis ungeprüften Stammzelltherapien, von klinischen Versuchen bis Forschungsförderung tun sich hier auf. Juristisch ist das Thema Stammzellforschung sogar noch komplexer, da es international unterschiedlichen rechtlichen Einschätzungen und kulturellen Vorstellungen begegnet. Und da die Wissenschaftsrichtung erst seit der Jahrtausendwende an Erkenntnis und Fahrt weltweit zulegt, entstand international und national ein Ruf nach institutsübergreifenden Netzwerken.

Die Forschung an Stammzellen wird mit einem Twister-artigen Spiel vermittelt. Foto: Max-Delbrück-Centrum

In Edinburgh entstand 2006 unter der Ägide der Professorin Clare Blackburn das Netzwerk EuroStemCell, um die europäischen Bürger und Politiker über den Stand und die Fortschritte aber auch Stolperfallen der Stammzellforschung zu informieren. Als Vorreiter in Europa entwickelte das Team in Edinburgh Materialien, um Stammzellforschung auch spielerisch zu vermitteln. So entstand zum Beispiel ein aktives Twister-artiges Bodenspiel zur Differenzierung von Stammzellen – in Teams können Spieler gegeneinander in Wettbewerb treten und sich zu verschiedenen Körperzellen entwickeln. So können die Spieler nachvollziehen, wie aus einer Stammzelle mit jeder Differenzierungsstufe (im Spiel durch Würfel bestimmt) eine spezialisierte Zelle wird und zum Beispiel ein Makrophage, also eine Fresszelle, aus einer Blutstammzelle entsteht. Anhand von Comics können Interessierte den Anfängen der stammzellbasierten Hauttransplantation für Brandopfer folgen, in Filmen und Erklärvideos kommen Wissenschaftler, Ethiker, Sozialwissenschaftler und Mediziner zu Wort.

German Stem Cell Network als deutsches Netzwerk im Netzwerk

Auch in Deutschland entstand als Echo auf die sich rasant verändernde Wissenschaftslandschaft der Ruf nach einem nationalen Netzwerk: Es sollte für alle Wissenschaftsdisziplinen, für Grundlagen- und für angewandte Forschung Konferenzen, Workshops, Public Outreach, ethische Richtlinien und White Paper organisieren, entwerfen und verfassen. Seit 2013 ist Daniel Besser Mitgründer und Geschäftsführer des German Stem Cell Network (GSCN) und als Stammzellforscher und Kommunikator der wissenschaftliche Vermittler für Stammzellforschung. „Wir sind ein Partner von EuroStemCell, wir sind ein Netzwerk im Netzwerk. Und tatsächlich ist es eine Win-Win-Situation. Wir nutzen die Informationen und Materialien aus Edinburgh, dafür geben wir unsere eigenen Filme, Texte und Übersetzungen in den europäischen Pool – so stärken und wachsen wir alle gemeinsam.“ Von Spanien bis Schweden und Schottland bis Polen sind die beteiligten Wissenschaftler vernetzt und beteiligen sich nach ihren Möglichkeiten.Oft sind es jedoch die Wissenschaftskommunikatoren hinter oder neben den Wissenschaftlern, welche die Ergebnisse in die allgemein verständliche Form eines Textes, eines Spiels oder Filmes packen.

Über Misserfolge und Erfolge tauscht sich die internationale Gemeinde von Wissenschaftskommunikator*innen  bei den jährlichen Treffen aus. Im Jahre 2017 in Wien, mit vielen Ideen zu weiteren Aktivitäten. Foto: EuroStemCell

Ethik-Diskussion in elf Ländern

Am ersten Novemberwochenende 2017 trafen sich wieder Wissenschaftskommunikator*innen aus elf europäischen Ländern in Wien, um sich über Schulmaterialien, Tage der Offenen Türen, Kunstaktionen und Science Festivals – und über den Umgang mit Patienten und ethischen Fragen – auszutauschen. Das sind anregende internationale Treffen, denn endlich fühlen sich die oft alleine arbeitenden Kommunikatoren verstanden und können sich über Erfolge und Misserfolge austauschen, diskutieren über Methoden und knüpfen Kontakte. Wie erreiche ich Politiker am effektivsten? Wie konzipiere ich ein Festival? Was haben Origami und Stammzellen gemeinsam und wie funktioniert Storytelling über Stammzellen? Besonders interessant sindbei diesen Treffen die kulturellen Unterschiede mit denen in verschiedenen Ländern kommuniziert wird. In Großbritannien sind Science Festivals ganz üblich, hier in Deutschland doch noch eher die Ausnahme. Auch die finanzielle Unterstützung für Public Outreach ist sehr verschieden. Allen Projekten gemeinsam ist, dass sie außerhalb großer Institute mit dem Überleben kämpfen und sich viele Gedanken um Finanzen drehen.

Europäische Initiative für Schüler: UniStem Day

2014 lernte ich auf einem EuroStemCell-Treffen einen italienischen Wissenschaftskommunikator kennen, der eine tolle Idee hatte. Wir vernetzten uns und es entstand ein europäischer Bildungstag über Stammzellen. Seitdem findet jährlich nicht nur in Italien, sondern auch in Deutschland und etlichen anderen europäischen Ländern der UniStem Day statt – im vergangenen Jahr waren es 27.000 Jugendliche, die sich einen Vormittag von Sevilla bis Uppsala mit Stammzellforschung beschäftigten. In Deutschland wächst die Zahl der teilnehmenden Institute stetig und engagierte Jugendliche erhalten mit Vorträgen, Führungen, Spielen und Experimenten einen direkten Einblick in den Stand der Wissenschaft und die Realität der Stammzellforschung. Das gemeinsame Projekt hat unser Netzwerk enorm bereichert: Sowohl auf der europäischen Ebene, aber besonders auch in Deutschland sind wir uns im Stammzellen-Kommunikationsbereich nähergekommen, offener geworden. Wir geben uns Anregungen und Tipps auf Videokonferenzen, haben eine gemeinsame Webseite für unsere UniStem-Day-Aktivitäten entwickelt und versuchen uns im gemeinsamen Social-Media-Auftritt.

Der UniStem Day 2017 am Max-Delbrück-Centrum für molekulare Biomedizin in Berlin lockte ca. 230 Berliner Schüler*innen der Bio Leistungskurse der Sekundarstufe II. Foto: GSCN

In Berlin organisiere ich am Max-Delbrück-Centrum für molekulare Biomedizin (MDC) den UniStem Day für ca. 230 Berliner Schülerinnen und Schüler der Bio Leistungskurse der Sekundarstufe II: Wissenschaftler halten Vorträge über ihre Forschung. Ein Herzchirurg erzählt spannend von seinem Einsatz von Stammzellen für die Herzregeneration. Es gibt Führungen in kleinen Biotechnologieunternehmen auf dem Campus, einen Markt der Möglichkeiten mit Spielen und Workshops sowie „Meet-your-local-scientist“-Runden. Den Versuch eines interaktiven Spiels unter Einsatz von Laserpointern haben wir allerdings nach zwei Runden wieder aufgegeben – die Schüler waren nicht davon zu überzeugen, wie gefährlich ihre Spielerei mit dem Laserpointer für die Augen der beteiligten Wissenschaftler war. Das war schade, da wir das Konzept so innovativ und spannend fanden. Aber andere Spielformate, wie das Zellenspiel von EuroStemCell, werden gut von den Jugendlichen angenommen.

Patienten als besondere Zielgruppe

„Unser Feld ist so komplex, weil sich einerseits auf der Seite der Grundlagenforschung sehr viel tut und es ständig interessante Erkenntnisse gibt“ , berichtet Daniel Besser von seinem täglichen Informationsspagat für eine andere Zielgruppe des deutschen Netzwerks, die Patienten. „Andererseits ist die Seite der Anwendung aber noch nicht sehr erfolgreich, dafür ist diese Forschung einfach zu jung. Es gibt Stammzelltherapie nur bei Leukämie und Brandverletzungen, bei Diabetes und Augenerkrankungen gibt es klinische Studien mit vielversprechenden Aussichten. Aber für viele Patienten reicht das alles noch nicht weit genug.“ Besser telefoniert wöchentlich mit verzweifelten Patienten und Familienangehörigen, kann leider immer nur vertrösten und mit vom GSCN entwickelten Broschüren auf den Stand der Forschung hinweisen. Dazu kommt die Auseinandersetzung mit dem Angebot von ungeprüften Stammzelltherapien, die wissenschaftlich nicht fundiert aus den Hoffnungen der Patienten ihren Profit ziehen. „Da können wir nur aufklären und zur Vorsicht raten“, beschreibt Besser seinen Umgang mit den unseriösen Angeboten. Auch in diesem Fall ist das Netzwerken im Netzwerk von Vorteil – internationale Informationsbroschüren über weltweiten Stammzelltourismus für Patienten, die auf eine Therapie hoffen, werden gemeinsam übersetzt und verbreitet.

Gastbeiträge spiegeln nicht zwangsläufig die Meinung unserer Redaktion wider.