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Ein neues PUSH für neue Zeiten?

PUSH ist 20 Jahre alt. Heute stellen nicht zuletzt Entwicklungen wie Klimawandel und fehlende soziale Nachhaltigkeit ganz neue Anforderungen an die Wissenschaftskommunikation. Wie politisch kann und darf sie sein? Hannes Schlender sprach darüber mit Gregor Hagedorn, Josef Zens und Antje Boetius.

Kennen Sie das Buch „Factfulness“ von Hans Rosling? Nein? Dann ist das Bild, das Sie von Ihrem eigenen Wissen über die Welt haben, vielleicht noch ungetrübt. In „Factfulness“ rechnen Rosling und sein Autorenteam freundlich aber erbarmungslos mit dem verbreiteten Bildungsstand zum Zustand der Welt ab. Dieser basiert in weiten Teilen auf dem Wissen, das vor 30, 40 oder sogar 50 Jahren in Schulen und an Universitäten gelehrt wurde.

Was damals aktuelles Wissen war – beispielsweise die Einteilung der Erde in Industrie- und Entwicklungsländer, Fakten zur Verteilung von Armut und Reichtum oder zum Gesundheitsstatus der Bevölkerung unterschiedlicher Weltregionen – ist heute hoffnungslos veraltet. Aber es herrscht weiterhin in unseren Köpfen vor und ist Basis für wichtige politische Entscheidungen. Entscheidungen, die wir heute treffen und deren Folgen erst in den kommenden Jahren, Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten sichtbar werden.

Und das 20 Jahre nach dem Start der PUSH-Bewegung! Deren erklärte Absicht es ja war, Erkenntnisse der Wissenschaft den Laien verständlich zu machen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einen intensiven Dialog mit der Gesellschaft bringen wollte. Alles nichts?

Bildungswert vor Nachrichtenwert

Gregor Hagedorn mäßigt die Emotion. Er ist Wissenschaftler und Initiator der Initiative „Scientists for Future“. „PUSH war eine sehr sinnvolle Initiative, weil sie der Wissenschaft eine besser hörbare Stimme in der Öffentlichkeit gegeben hat“, sagt er. Angesichts von Klimawandel, Biodiversitätsverlust und fehlender sozialer Nachhaltigkeit hätten sich die Anforderungen an die Wissenschaftskommunikation seit geraumer Zeit geändert. „Aber die Akteure haben das damals, genau wie die Mehrheit der Gesellschaft, noch nicht erkannt. Ich würde daraus keinen Vorwurf konstruieren“, so Hagedorn.

„PUSH war eine sehr sinnvolle Initiative, weil sie der Wissenschaft eine besser hörbare Stimme in der Öffentlichkeit gegeben hat.“ Gregor Hagedorn

Daher wünscht er sich jetzt einen Wandel in der Wissenschaftskommunikation – beispielsweise mehr Anerkennung für Teamarbeit: Im September ist von ihm in den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ der Artikel „Scientists für Future – Aufklärung gegen die Klimakrise“ erschienen. „Es ist ironisch, dass ich am Ende trotz der eigenen Forderung, die Zusammenarbeit in Teams besser zu würdigen, als Einzelautor dastehe“, sagt Hagedorn: „Denn der Text wäre ohne Teamarbeit, ohne gegenseitige Kritik und sprachliche Verbesserung durch Kommunikationsexpertinnen und -experten, nicht so gut geworden.“

Sieben Forderungen stellt Hagedorn in der Arbeit auf. Es beginnt damit, dass die Relevanz von Informationen geklärt werden sollte, bevor diese kommuniziert werden – kluges Filtern von Informationen statt wahlloser Übersetzung. Es endet mit dem Wunsch nach einer Finanzierung der Wissenschaftskommunikation als öffentlichem Gut. Dazwischen stellt der Autor fest, dass Wissenschaftskommunikation den Bildungswert von Information für wichtiger erachten soll als den Nachrichtenwert. Die institutionelle Zusammenarbeit sollte verbessert und die Verständlichkeit durch Teamarbeit gestärkt werden. Zusammenhänge sollten hergestellt und das Zerrbild von einem Innen und Außen der Wissenschaft will Hagedorn abgeschafft sehen.

„Die Erkenntnisse sind vorhanden, beeinflussen aber nicht unser Handeln.“ Gregor Hagedorn
Das klingt nach einem neuen PUSH-Memorandum. So etwas liegt Hagedorn fern: „Ich bin kein Fachmann für Wissenschaftskommunikation. Trotzdem wünsche ich mir – sowohl als Nutzer als auch als gelegentlich selbst aktiver Kommunikator – Veränderungen in diesem Feld. Und ich gebe Denkanstöße, wie das geschehen könnte“, sagt er: „Uns als Scientists for Future ist das sehr wichtig, denn wir verstehen uns als eine Initiative der Wissenschaftskommunikation.“

Entstanden ist die Bewegung zur Unterstützung der jungen Menschen von Fridays for Future. Diese beziehen sich auf Wissenschaft, wurden von Politikern und Medien aber teilweise persönlich angegriffen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sahen es deshalb als ihre Verpflichtung an, die fachlichen Argumente der jungen Menschen auf wissenschaftliche Korrektheit zu prüfen.

„Wir hatten dabei aber auch eine hohe Eigenmotivation“, ergänzt Hagedorn: „Wir haben oder kennen Kinder und haben schlaflose Nächte. Wir sehen, dass jahrzehntealte Erkenntnisse der Wissenschaft in Bezug auf die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen, zum Beispiel Klimawandel, Artensterben oder andere Naturverluste, immer noch nicht im Bewusstsein der Menschen angekommen sind. Die Erkenntnisse sind vorhanden, beeinflussen aber nicht unser Handeln. Das müssen wir dringend ändern und dafür brauchen wir jetzt einen Wandel in der Wissenschaftskommunikation. Wir müssen Prioritäten setzen.“

„Jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler ist außerhalb der eigenen Disziplin Laie.“ Gregor Hagedorn
Also mehr Bildungswert als Nachrichtenwert. Nicht immer die Fokussierung auf das neueste Paper. Mehr Teamarbeit von Forscherinnen, Forschern, Wissenschaftskommunikatorinnen und Wissenschaftskommunikatoren, wenn es darum geht, wichtige, aber vielleicht nicht brandneue Erkenntnisse allgemeinverständlich aufzubereiten. Ein neues Verständnis der Zielgruppen, denn „jede Wissenschaftlerin und jeder Wissenschaftler ist außerhalb der eigenen Disziplin Laie“, so Hagedorn. Oder eine Orientierung der institutionellen Wissenschaftskommunikation an den Nachhaltigkeitszielen der UN.

Womit die Scientists for Future bei den Institutionen angekommen sind: Bei den Pressestellen und Kommunikationsabteilungen aus Universitäten, Helmholtz-Zentren, Max-Planck-Instituten und wie sie alle heißen. Hier brauchen die kommunikationswilligen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler enge Vernetzung mit und Unterstützung durch die professionellen Wissenschaftskommunikatorinnen und -kommunikatoren.

Große Tanker reagieren langsam

„Die Leitlinien für gute Wissenschafts-PR könnten längst Teil der guten wissenschaftlichen Praxis sein.“ Josef Zens
Gibt es da schon etwas? Ein Anruf bei Josef Zens, dem Leiter der Öffentlichkeitsarbeit am Geoforschungszentrum Potsdam: „Die institutionelle Wissenschaftskommunikation ist über Einzelpersonen bei den Scientists for Future vertreten“, sagt er: „Ansonsten sehe ich seitens der Institutionen noch keine Anstrengungen, diese in Sachen Kommunikation zu unterstützen.“

Wobei das aus Sicht von Zens gar nicht so schwierig sein dürfte: „Die Scientists for Future fordern, dass die Leitlinien für gute Wissenschafts-PR von den Wissenschaftsorganisationen institutionell etabliert werden. Die Diskussion dazu könnte längst abgeschlossen und die Leitlinien könnten Teil der guten wissenschaftlichen Praxis sein. Das wäre ein erster wichtiger Schritt.“

Woran liegt es, dass solche Schritte so schwierig sind? Zum einen ist das Engagement von Hagedorn und seinen Mitstreiterinnen und Mitstreitern natürlich noch recht jung – und die großen Tanker reagieren langsam. Andererseits sind die Scientists for Future in einem Umfeld unterwegs, das von manchen als aktivistisch angesehen wird, in jedem Fall aber hochpolitisch ist. Da zuckt mancher Forscher und manche Wissenschaftsmanagerin zurück.

Zeit für PUSH Nummer 2?

„Wissenschaft hat immer gesellschaftlichen Kontext.“ Antje Boetius
Nicht so Antje Boetius. Für die Direktorin des Alfred-Wegener-Instituts scheint schon die Frage nach der Rollentrennung von Wissenschaftlerin und politisch engagierter Bürgerin absurd zu sein: „Wissenschaft hat immer gesellschaftlichen Kontext. Das beginnt mit dem Vorwissen, geht über die Auswahl der Fragestellung und endet mit der Einordnung der Ergebnisse. Ob diese dann politisch wird, hängt von den gesellschaftlichen Umständen ab. Als ich Studentin war, war es nicht politisch, die CO2–Konzentration in der Erdgeschichte zu rekonstruieren. Aber heute ist es das, weil es uns zeigt, wie wenig Zeit wir zum Umsteuern haben. Zudem gibt es eine Verantwortung der Wissenschaft. Wenn wichtige Erkenntnisse, die Schaden von Mensch und Natur abwenden können, nicht beachtet werden, dann gehen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Straße und suchen sich Verbündete in der Gesellschaft, um gehört zu werden. Das ist nicht neu.“

Hagedorn teilt diese Einschätzung und trennt zwischen gesellschaftspolitischem und parteipolitischem Engagement: „Als Wissenschaftler bin ich gesellschaftspolitisch aktiv, aber parteipolitisch will ich neutral sein.“ So betrachtet besteht für die Wissenschaftsorganisationen also kein Grund zur Zurückhaltung, denn sie sind ja selbstverständlich auch gesellschaftspolitische Akteure.

„Zur PUSH-Bewegung kommt gerade eine PULL-Bewegung hinzu.“ Antje Boetius
Die Zeit für ein PUSH 2 im Sinne der Scientists for Future könnte kommen. Einen Hinweis darauf gibt Antje Boetius: „Am AWI können wir uns in letzter Zeit gar nicht mehr vor Anfragen retten, ob wir die Zusammenhänge rund um den Klimawandel mal öffentlich erläutern können. Zu der PUSH-Bewegung kommt gerade eine PULL-Bewegung hinzu.“ Bürgerinnen und Bürger fragen nach. Vielleicht täte die institutionelle Wissenschaftskommunikation also gut daran, sich die eine oder andere Empfehlung von Gregor Hagedorn zu Herzen zu nehmen. Um den Ansprüchen gerecht zu werden, die die Gesellschaft an sie stellen wird.

 

Hannes Schlender berichtet in unserem Auftrag zu diesem Thema.