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„Die Konferenz setzt neue Akzente“

Die experimenta richtet in diesem Jahr die Fachtagung Ecsite in Heilbronn aus. Über ein experimentelles Format, das die Öffentlichkeit einbinden soll, ihre Programmhighlights und die Auswirkungen der Pandemie auf Science Center und Museen sprechen der Ausstellungsleiter Christian Sichau und die Kommunikationsverantwortliche Bärbel Renner.

Herr Sichau, die experimenta in Heilbronn ist in diesem Jahr die Gastgeberin der internationalen Fachkonferenz „Ecsite“ des europäischen Verbands der Science Center und Wissenschaftsmuseen. Warum ist sie der richtige Ort?
Christian Sichau: Die Ecsite findet immer in verschiedenen Ländern statt, um den europäischen Charakter des Verbandes zu betonen. Nach mehr als zehn Jahren wird die Konferenz wieder in Deutschland ausgerichtet. 2019 wurde außerdem die experimenta vergrößert. Das hat bei den Kolleg*innen das Interesse geweckt, den Ort live zu erleben.

Frau Renner, welche Neuerungen kamen 2019 beim Science Center experimenta dazu?

Bärbel Renner war als Geisteswissenschaftlerin über 13 Jahre lang im Medienbereich tätig. Nach einer Professur an der DHBW im Bereich Dienstleistungsmanagement kam sie 2017 zur experimenta, wo sie unter anderem den Bereich Kommunikation verantwortet. Foto: experimenta

Bärbel Renner: Die prägnantesten Veränderungen sind die Erweiterung der Ausstellungsfläche durch unseren Neubau, aber auch eine Vergrößerung der Laborkapazitäten. Wir bieten in unseren Forschungswelten in acht Laboren Kurse für Kindergartengruppen und Schulklassen an. Ein Highlight ist sicher unser Science Dome – eine weltweit einzigartige Verbindung eines Theaters und eines Planetariums. Zudem haben wir eine Sternwarte hinzubekommen sowie ein Experimentaltheater, in dem wir in einem interaktiven Format jüngeren Besucher*innen Wissenschaft anschaulich vermitteln wollen, beispielsweise den Weg des Wassers. Bei diesem Stück erhält jede*r ein Musikinstrument und so erwachen Regentropfen und Sonnenstrahlen zum Leben. Die Neueröffnung bedeutet daher nicht nur eine flächenmäßige Vergrößerung, sondern auch eine deutliche Erweiterung der Angebote.

In den letzten beiden Jahren ist die Konferenz ausgefallen oder hat digital stattgefunden. Wie wird die Ecsite in diesem Jahr aussehen?

Christian Sichau beschäftigt sich als ausgebildeter Physiker seit vielen Jahren mit Wissenschaftsausstellungen und Wissenschaftskommunikation, sowohl in Museen der Naturwissenschaft und Technik als auch seit 2009 im Science Center experimenta Heilbronn. Foto: experimenta

Sichau: In den Jahren vor der Pandemie ist die Ecsite-Konferenz auf mehr als 1.000 Teilnehmer*innen gewachsen. Das wirft die Frage auf, ob man sich nur noch in großen Städten mit viel Hotelkapazität und einem Messe- und Kongresszentrum treffen kann. Wir wollen in diesem Jahr ausprobieren, ob die Ecsite auch in einer kleineren Stadt möglich ist. Sie findet kompakt in einer Zeltstadt auf der Theresienwiese, dem Festplatz der Stadt Heilbronn, statt. Wir können dadurch das Gelände gestalten, wie wir es brauchen. Zudem können die Teilnehmer*innen die experimenta selbst erkunden. Hier finden auch zusätzliche Programm-Angebote statt. Bei der Ecsite geht es auch um das Thema Nachhaltigkeit. Deshalb wollen wir unnötige Transporte und Wege vor Ort vermeiden und den Teilnehmer*innen ermöglichen, alles gut zu Fuß zu erreichen. Besonders ist in diesem Jahr, dass wir die Verknüpfung zur Stadt und den Brückenschlag zur Öffentlichkeit suchen. Die Ecsite ist zwar eine Fachtagung, aber wir reden über Wissenschaftskommunikation und da gehört die Öffentlichkeit, mit der wir alle im Austausch stehen, einfach dazu.

Wie sieht diese Verknüpfung mit der Öffentlichkeit in der Praxis aus?
Renner: In Wild Spaces widmen wir uns den drei Themenschwerpunkten „Wissen schaffen“, „Natur bewahren“ und „Zukunft gestalten“. Es gibt vielfältige Formate zum Mitmachen, Vorträge und Workshops. Beispielsweise können Interessierte Bienenwachstücher als Alternative zu Frischhaltefolie herstellen, Textilien gestalten oder an einer Kleidertauschparty teilnehmen. Dominik Eulberg vermittelt in einem Workshop, wie man Musik aus Vogelstimmen komponiert. Ein weiteres Highlight ist die Fotoausstellung „Faszination Wissenschaft“ von Herlinde Koelbl. Sie hat 60 internationale Wissenschaftler*innen porträtiert und dabei gebeten, die Essenz ihrer Forschung auf die Hand zu schreiben – mit einer Formel, einem Zeichen oder einigen Worten. Die Wild Spaces werden abgerundet durch Food Trucks mit Produkten aus der Region. Die Veranstaltung soll einen Festival-Charakter bekommen. Wir hoffen damit eine Form von Wissenschaftskommunikation zu schaffen, die vor allem auch für jüngere Menschen attraktiv ist.

Die Ecsite ist zwar eine Fachtagung, aber wir reden über Wissenschaftskommunikation und da gehört die Öffentlichkeit, mit der wir alle im Austausch stehen, einfach dazu. Christian Sichau
Sichau: Herlinde Koelbl ist ein gutes Beispiel für diesen Brückenschlag. Sie wird sowohl einen Workshop für die Öffentlichkeit in den Wild Spaces geben, als auch am Samstagmittag in einem Gespräch ihr Projekt den internationalen Gäste während der Ecsite-Konferenz präsentieren. Auch junge Aktivist*innen aus der Klimaszene in Deutschland stellen in den Wild Spaces ihre Aktivitäten vor und sind zugleich Referent*innen in einer Session auf der Tagung. Sie berichten beispielsweise, wie Science Center und Museen mit den Aktivist*innen zusammenarbeiten können. Wir haben bewusst sehr viele Programmüberlappungen gestaltet, sodass hoffentlich ein reger Austausch entsteht.

Welche Programmpunkte der „Ecsite“-Fachkonferenz stechen für Sie beide heraus?
Renner: Für mich sind das die Keynotes zweier sehr beeindruckender Frauen. Zum einen ist das die irische Aktivistin Sinéad Burke, die sich für Barrierefreiheit und Inklusion einsetzt. Die andere Rednerin ist Lucy Hawking, eine englische Kinderbuchautorin und die Tochter von Stephen Hawking. Derzeit arbeitet sie an einem Projekt, das sich mit der Theorie der Schwarzen Löcher beschäftigt. Beide Frauen gehören nicht zu den gängigen Keynote-Speaker*innen, wenn es um Wissenschaftskommunikation geht. Auch das ist ein Zeichen, dass die Konferenz neue Akzente setzt.

Sichau: Nicht nur an der Keynote, auch an vielen Sessions und Workshops der Ecsite merkt man, dass es darum geht, die Themen Barrierefreiheit und Inklusion weiter zu denken. Es wird oft von Museen und Science Centern behauptet, dass die eigenen Angebote selbstverständlich barrierefrei sind. Analysiert man kritisch, ob das tatsächlich der Fall ist, zeichnet sich ein anderes Bild. Deshalb ist es innerhalb des Fachverbandes immer wieder ein Thema, worin noch Barrieren bestehen. Dazu gehören auch soziale Barrieren. Weitere große Themen der Konferenz sind die Klimakrise und der Verlust der Biodiversität. Hier stellt sich die Frage, was Museen und Science Center in diesem Bereich bewegen können und welche Rolle sie haben.

Über welche sozialen Barrieren muss sich Wissenschaftskommunikation bewusster werden?

Sichau: In der Kommunikation setzen viele oft Vorwissen voraus. Wir stellen in unseren Aktivitäten aber fest, dass man im Vergleich zu akademischen Diskursen von vorne anfangen muss. Es gibt eine inhaltliche Schere zwischen Personen, die sehr tief in einem Thema sind, und vielen anderen, die kaum Vorwissen haben. Eine gemeinsame Grundlage zu schaffen ist auch Barrierefreiheit. Wenn die Leute das Gefühl haben, dass sie nur mit einem Grundstudium zu uns kommen können, gehen sie lieber ins Kino. Wenn man vielfältige Gruppen der Gesellschaft erreichen möchte, kann man nicht immer von einem gewissen Mindestmaß an akademischer Bildung ausgehen.

Die experimenta liegt mitten in der Stadt. Wir erreichen dadurch auch Besucher*innen, die niemals zum öffentlichen Vortrag in den Hörsaal an der Universität gehen. Sie bringen ihre Unsicherheiten und ihre Fragen mit. Als Wissenschaftler*in muss man beim Thema Nachhaltigkeit deshalb bei einem Vortrag damit rechnen, dass beispielsweise eine Frage zu Chemtrails kommt – und zwar nicht von Verschwörungstheoretiker*innen, sondern von Menschen, die einfach unsicher sind. Wir können ihnen Zugänge zu Wissenschaftler*innen eröffnen. Vielleicht merken sie sich nicht alles aus dem Vortrag, aber sie haben eine Person erlebt, die sie für glaubwürdig erachten, von der sie mehr darüber erfahren haben, was Wissenschaft ausmacht und wie sie im Alltag vor sich geht. Und das ist genauso wichtig wie die inhaltliche Botschaft.

Wie hat die Pandemie die Arbeit an Science Centern und Museen verändert?
Sichau: In der Pandemie haben wir immer wieder diskutiert, was man Wissenschaftsskepsis und Fake News aus Sicht der Wissenschaftskommunikation entgegensetzen kann. Es ist keine Lösung, sich zurückzuziehen und den Dialog abzubrechen. Deswegen muss man Programme und Formate entwickeln, die etwas bewirken.

Einige Formate (...) lassen sich nur begrenzt in den digitalen Raum übertragen, weil sich das Sinnliche, das Haptische, das Tun vor Ort nicht ersetzen lassen. Bärbel Renner
Renner: Abseits des großen Konferenzgeschehens sehen wir es deshalb als einen wesentlichen Auftrag von uns als Science Center an, die Scientific Literacy verschiedener Zielgruppen zu stärken. In der Pandemie waren Wissenschaftler*innen präsent wie nie zuvor. Es gab keine Talkshows ohne sie. Dennoch werden nach wie vor Teile der Gesellschaft nicht von wissenschaftlichen Erkenntnissen erreicht. Auch mit Blick auf die großen Herausforderungen wie dem Klimawandel und dem Verlust der Biodiversität gibt es einen Handlungsbedarf, durch zielgruppengerechte Angebote eine Begeisterung für Wissenschaft zu wecken und eine Betroffenheit zu erreichen. Damit meine ich eine Motivation, die Zukunft gestalten zu wollen, um diesen Herausforderungen zu begegnen.

Inwiefern hat die Pandemie einen nachhaltigen Impact auf die Digitalisierung ihrer Arbeit gehabt?
Renner: Wir haben Online-Formate entwickelt, für die wir beispielsweise unsere Laborkurse ins Netz übersetzt haben. Im Digitalen kommt allerdings gerade das unmittelbare Erleben beim forschenden Lernen, das audiovisuelle Erleben wie in unserem Science Dome oder das interaktive Lernen, das in unseren Ausstellungen möglich ist, zu kurz. Einige Formate im Bereich der Wissenschaftskommunikation lassen sich nur begrenzt in den digitalen Raum übertragen, weil sich das Sinnliche, das Haptische, das Tun vor Ort nicht ersetzen lassen. Das ist auch das Alleinstellungsmerkmal von Science Centern. Deswegen sollten wir uns fragen, welche digitalen Bausteine sinnvoll sind und in welchen Fällen wir uns bewusst dagegen entscheiden.

Sichau: Die Digitalisierung ist ein großes Thema. Es ist noch offen, was mit den neu entstandenen Formaten geschieht und ob es dafür ein Geschäftsmodell gibt oder das eine Investition mit zweifelhaftem Ausgang ist. Ich sehe die Vorteile vor allem in der Kommunikation, um mehr Menschen einzubinden. Besucher*innen der experimenta haben es als positiv wahrgenommen, dass die Ausstellungen pandemiebedingt nicht so voll waren und sie die Inhalte aufmerksamer anschauen konnten. Das dreht sich jetzt aber wieder zurück. Wie sich Museen und Science Center zukünftig finanzieren, wenn sie nicht immer mehr Besucher*innen haben können, wird auch ein Diskussionsthema bei der Ecsite sein.