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Die Hoffnung, nützlich zu sein

Wissenschaftler erforschen, was sie für wichtig halten. Doch ihre Arbeit muss auch gesellschaftlich relevant sein, denn das ist nicht zuletzt ein Grund dafür, dass sie frei arbeiten dürfen. Wie kann die Forschung unabhängig und frei bleiben und gleichzeitig Relevanz gewährleisten?

„Wir können unsere Art des Lernens durch Versuch und Irrtum nicht beibehalten“, sagte Ortwin Renn kürzlich in Stuttgart, „weil der Irrtum zu teuer wäre.“ Beim Klimawandel sei das offensichtlich, ebenso bei der Kernenergie. Aber auch soziale Entwicklungen ließen sich am Computer simulieren, so dass man zum Beispiel die Wirkung neuer Maßnahmen vorab abschätzen könne. Als Beispiel nannte Renn die Möglichkeit, die Folgen der zunehmenden sozialen Ungleichheit zu modellieren.

Renn leitet in Potsdam das Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS), sprach aber in Stuttgart als Vorsitzender eines neuen Gremiums: Das Höchstleistungsrechenzentrum (HLRS) der Universität Stuttgart hat einen gesellschaftspolitischen Beirat gegründet – ein seltenes, vielleicht sogar einzigartiges Experiment. Einmal im Jahr wolle man mit Vertretern der Öffentlichkeit besprechen, welche Fragen mit Supercomputern beantwortet werden sollten, erläuterte der HLRS-Chef Michael Resch. „Wir wollen das mächtige Werkzeug der Simulation zu einem produktiven Werkzeug machen.“ In dem Beirat sitzen unter anderem ein Journalist, eine Lehrerin, die Vertreterin eines Kunstvereins, ein Jugendrichter und ein Vertreter der Stuttgarter Volkshochschule.

Beeinträchtigt gesellschaftlicher Einfluss die Freiheit der Forschung?

Das Beispiel zeigt, dass nicht nur Wirtschaft und Politik der Wissenschaft ihre Themen aufzudrücken versuchen, sondern dass die Wissenschaft selbst nach Themen sucht, die außerhalb der Wissenschaft relevant sind. Die Forschungsagenda stärker als bisher an den gesellschaftlichen Interessen auszurichten, ist aber nicht unumstritten. Peter Strohschneider, Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft, hat diesen Ansatz als „Entgrenzung“ beschrieben: Aus der Verwissenschaftlichung der Gesellschaft werde auf einmal eine Vergesellschaftung der Wissenschaft, beklagte er.

Strohschneider sieht einige Risiken. Er fragt zum Beispiel, ob Wissenschaftler für schlechte Lösungen gesellschaftlicher Probleme haften müssten. Und er zweifelt daran, dass die Wissenschaft in politisch umkämpften Bereichen mit einer Stimme sprechen könne: „Mit der gesellschaftlichen Konfliktaufladung von Problemen [Energiewende, Finanzmarkregulierung, Präimplantationsdiagnostik und so weiter] wächst die Vielstimmigkeit der Wissenschaft“, schreibt er.

Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal-Instituts für Klima, Umwelt, Energie, verteidigt das Konzept: Es solle nicht die Wissenschaft ersetzen, sondern ihr eine dritte Mission geben – neben Grundlagenforschung und Innovationsförderung die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Herausforderungen. Außerdem werde eine Wissenschaft, die sich der Gesellschaft öffne, weniger anfällig für externe Einflussnahme: „Wo heute ökonomische Verwertungsinteressen dominieren, pluralisieren sich die Verwertungsansprüche.“

Regulieren sich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst?

Aus philosophischer Sicht sind diese unterschiedlichen Arten, die Forschungsagenda festzulegen, nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Sie widersprechen nicht automatisch der Forschungsfreiheit, sagt Torsten Wilholt von der Universität Hannover. Er hat untersucht, wie Forschungsfreiheit begründet wird. Ein wichtiges Argument beruft sich auf den gesellschaftlichen Nutzen der Forschung und sagt: Der

Nutzen ist am größten, wenn man die Wissenschaftler machen lässt. In diesem Sinn dient die Freiheit der einzelnen Forscher, selbst zu entscheiden, welchen Themen sie sich widmen und welche Methoden sie einsetzen, am Ende der Gesellschaft: Weil die Wissenschaftler nach den für sie günstigsten Wegen zum Ruhm suchen, probieren sie unterschiedliche Methoden aus und kritisieren sich gegenseitig – und damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die Gemeinschaft der Forscher zu brauchbaren Erkenntnissen gelangt.

Diese Begründung von Forschungsfreiheit spricht Wissenschaftlern aber keine unbegrenzte Freiheit zu, ihre Themen und Methoden zu wählen, denn diese Wahl steht unter dem Vorbehalt, dass die Gesellschaft an den wissenschaftlichen Erkenntnissen interessiert ist. In seinem Buch „Die Freiheit der Forschung“ schreibt Wilholt: „Die erkenntnistheoretischen Argumente machen es nicht erforderlich, dass auch … die Grundlinien der Forschungsagenda … durch akademische Selbstverwaltung gesetzt werden.“ Umgekehrt könne eine Beteiligung der Bürger an der Forschungsagenda – wie es eine Mehrheit der Bürger in der Umfrage „Wissenschaftsbarometer“ fordert– die Forschungsfreiheit sogar stärken. So wären die Erkenntnisse in einer deutlicheren Weise gesellschaftlich erwünscht und man könne den Wissenschaftlern gerne die Freiheiten einräumt, sie auf dem besten Weg zu erzielen.

Funktioniert Forschungsfreiheit nur in Kombination mit Offenheit und Pluralismus?

Eine andere Form der Forschungsfreiheit schützt hingegen die Bürger davor, falschen Informationen ausgeliefert zu sein. Die Mächtigen des Landes – also die Regierung, Unternehmen und auch Lobbygruppen – sollen nicht ihre Sicht der Dinge verbreiten dürfen, ohne wissenschaftlich fundierten Widerspruch befürchten zu müssen. Diese politische Variante der Forschungsfreiheit stärkt die Stimme der Wissenschaft in der öffentlichen Debatte und soll so den Bürgern ermöglichen, sich gut informiert eine Meinung zu bilden. Sie erlaubt es der Gemeinschaft der Wissenschaftler, frei von Repressionen ihre Erkenntnisse zu veröffentlichen. Sie sollte zum Beispiel nicht befürchten müssen, dass die Forschungsausgaben des Staates sinken, wenn sie unbequeme Wahrheiten verkündet.

Wilholt betont, dass diese Forschungsfreiheit nur ihren Zweck erfüllt, wenn die Forschung gut läuft – wenn also der fachliche Wettbewerb zu einem kritischen Austausch innerhalb der Wissenschaft führt. In seinen Worten: „Offenheit und Pluralismus der Wissenschaften werden immer mindestens so wertvoll sein wie ihre Freiheit.“ Doch dass diese Bedingung durchgängig erfüllt ist, darf bezweifelt werden, denn der Wettbewerb hat sich in einer problematischen Weise verschärft. Auf der Website des „March for Science“ wird kritisiert, dass die steigende Zahl von Förderanträgen dazu führe, „dass viele (auch sehr gute) von ihnen abgelehnt werden und die viele Zeit und Arbeit, die hochqualifizierte Menschen investiert haben, fruchtlos verpufft“.

Helfen Obergrenzen gegen die Publikationsflut?

Außerdem weisen die Organisatoren des „March for Science“ auf den Druck hin, möglichst viel in Fachzeitschriften zu publizieren – „was leicht dazu verführt, eigentlich noch vorläufige Ergebnisse zu veröffentlichen oder ihre Ergebnisse auf mehrere Veröffentlichungen aufzuteilen“. Inzwischen schätzt man, dass jedes Jahr mehr als zwei Millionen Fachartikel erscheinen. Die Menge lässt sich auch innerhalb eines Fachgebiets kaum noch überblicken. Und weil es neben dem Druck zu publizieren auch die Pflicht gibt, den Forschungsstand zu rezipieren und alle einschlägigen Artikel zu zitieren, könne schlechte Forschung weitere schlechte Forschung nach sich ziehen, warnt der Politologe Daniel Sarewitz.

Die Not ist so groß, dass das Wissenschaftsmagazin „Nature“ vor einigen Monaten sogar einen überraschenden Vorschlag des Medizinethikers Brian Martinson veröffentlichte: Wenn Wissenschaftler im Laufe ihrer Karriere nur noch eine bestimmte Zahl an Wörtern in Fachzeitschriften veröffentlichen dürften, würden sie sich jede Publikation gut überlegen. Und als Gutachter tätig zu werden, wirbt Martinson, wäre angenehmer und weniger ärgerlich, weil die Fachartikel besser wären – und es insgesamt weniger zu lesen gäbe.